Holzkirchen des 18. Jahrhunderts im Glatzer Raum, in: architectura 29 (1999) 121–148

30
Hinweis: Die Arbeit von C. Hof ist erschienen als Band 9 der Reihe >Materialien zu Bauforschung und Baugeschich- te< des Instituts r Baugeschichte der Universität Karlsruhe: Catharine Hof, Holzkirchen in Schlesien. Untersuchungen an Holzkonstruktionen des 16. bis 18. Jahrhunderts in der Woiwodschaft Waldenburg (488 Seiten, ca. 520 Abb., polnische Zusaenfas- sung) Karlsruhe 1999.

Transcript of Holzkirchen des 18. Jahrhunderts im Glatzer Raum, in: architectura 29 (1999) 121–148

Hinweis:

Die Arbeit von C. Hof ist erschienen als Band 9 der

Reihe >Materialien zu Bauforschung und Baugeschich­

te< des Instituts für Baugeschichte der Universität

Karlsruhe:

Catharine Hof, Holzkirchen in Schlesien.

Untersuchungen an Holzkonstruktionen des 16. bis

18. Jahrhunderts in der Woiwodschaft Waldenburg

(488 Seiten, ca. 520 Abb., polnische Zusammenfas­

sung) Karlsruhe 1999.

I. >Ein Wald von Holz< jeweils in den Dachwerken der Holzkirchen in Spätenwalde (Zalesie) 1718 und Wölfels­grund (Mi�dzyg6rze) 1742. Sich wandelnde Formempfinden nahm durch prinzipiell ähnlich konzipierte Dach­werke Gestalt an. Nach den Bauuntersuchungen wurden aber unterschiedliche Überlegungen zu Abbundvor­gang und Richttechnik deutlich, die am Modell nachvollzogen werden können.

Cathar ine Hof

Holzkirchen des t8.Jahrhunderts im Glatzer Raum

Vier Beispiele sonderbar individuellen, kleinräumigen Bauens und deren Entwicklungsschritte m der auf gemeinsame Ursprünge zurückzuführenden Dachkonstruktionsweise

Von Bauten, deren Baugestalt und Konstruktion im Vergleich miteinander ihre Entstehung in einem Raum kultureller Überschneidungen zum Ausdruck bringen,

soll hier berichtet werden (Abb. I). Schlesien und das Glatzer Land besitzen als Durch­

gangs- bzw. Grenzländer jeweils eine bewegte Ge­schichte, bestimmt durch die wechselnden böhmi­schen, polnischen, österreichischen und preußischen Landesherren! (Abb. 2). Im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation sowie der mit der Glaubens-

I Das Glatzer Land war 1459 zur Grafschaft erhoben wor­den, die dann an die unterschiedlichsten Landesherren verpfändet werden sollte, wodurch die eigene geschicht­liche Entwicklung geprägt wurde. Das Gebiet der ehema­ligen Grafschaft Glatz deckt sich nach der Reform der pol­nischen Verwaltungsbezirke, die am LL1999 in Kraft ge­treten ist, mit dem neuen Landkreis Klodzko (Glatz) in der Woiwodschaft Dolnosl,!skie (Niederschlesien). Nach der zuvor geltenden Einteilung von 1975 war das Glatzer Gebiet Teil der Woiwodschaft Walbrzych (Waldenburg). Zur Geschichte des Glatzer Landes seien genannt: Arno Herzig, Reformatorische Bewegungen und Konfessiona­lisierung. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik in

1 2 1

spaltung verbundenen territorialen Streitigkeiten wurden der Bevölkerung nahezu drei Jahrhunderte lang religiöse und politische Um- bzw. Neuorientie­rungen oder Anstrengungen um ein Festhalten an ei­ner bestehenden Überzeugung abverlangt. Gemein­sam noch standen Niederschlesier und Grafschafter als deutsche Katholiken in den Hussitenkriegen ( 1 426-1437) den böhmischen Taboriten gegenüber. Hundert Jahre später identifizierten allerdings beide offenbar nicht mehr ihr Deutschtum mit dem katho­lischen Glauben, denn die Lehren Luthers fanden jetzt, im zweiten Viertel des 1 6. Jahrhunderts, großen Zuspruch bei den Menschen2• Die Parallelen der Gangart endeten jedoch im Zuge des stetig wachsen­den Druckes der Rekatholisierungspolitik Österreichs mit der Hochphase der Auseinandersetzungen im Dreißigjährigen Krieg ( 1 6 1 8-48). Während die refor­mierten Schlesier zäh an ihrem Glauben festhielten und dafür große Repressionen auf sich nahmen, gaben die Grafschafter dem sie gewiß viel direkter umklam­mernden Druck der Truppen Ferdinands 11. nach und wechselten, nach weniger als hundert Jahren prote­stantischen Bekenntnisses, innerhalb kurzer Zeit und nahezu geschlossen wieder zum katholischen Glauben zurück. So entstanden ab dieser Zeit nur noch katho­lische Gotteshäuser, wie z. B. die vier Holzkirchen von Steinbach (heute Kamiericzyk) 1 7 10, Spätenwalde (Zalesie) 1 7 1 8, Neuweistritz (Nowa Bystrzyca) 1 726, und genau zum Ende der habsburgischen Zeit noch diejenige in Wölfelsgrund (Mi�dzyg6rze) 1740-423.

1 22

2. Ausschnitt aus Matthäus Merians Karte Silesia (1650); Im rechten Drittel am oberen Rand liegt Breslau (» Bres­law«); Links unten ist der Gebirgszug der westlichen Sudeten (»Risenberg«) dar­gestellt; Unterbrochen wird dieser von der Hochebene des Glatzer Kessels. »Goltz« bezeichnet die Stadt Glatz

Von deren Konstruktion soll hier im weiteren berich­tet werden.

Konstruktionslandschaften im Holzkirchenbau

Die vier genannten niederschlesischen Holzkirchen wurden alle in Blockkonstruktion errichtet. Dies mag zunächst verwunden, da der Blockbau als typisch für Oberschlesien gilt, in Niederschlesien hingegen wurde bekanntermaßen wenn mit Holz, dann in Fachwerk-

der Grafschaft Glatz, Hamburg I996 (Hamburger Ver­öffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas; I); Dieter Pohl (Hrsg.)/Joseph Kögler, Die Chroniken der Grafschaft Glatz, Bd. 2, Modautal, I993 (Geschichtsquel­len der Grafschaft Glatz; N.F. 21 A); Franz Strecke (Hrsg.), Stadt Habelschwerdt und Umgebung aus der Zeit IOOO bis Herbst I945, Lüdenscheid 2I993·

2 Wie ein »so rechtgläubiges, auf das Papsttum gegen den Ketzerkönig [gemeint ist Georg von Kunstadt auf Podie­brad] eingeschworenes Schlesien mit Luthers Auftreten so abtrünnig werden konnte«, beschreibt Petry ( I987), 43. In der Grafschaft Glatz konnten sich erst um die Mitte des I 6. Jahrhunderts Luthers Lehren gegenüber denen Kaspar von Schwenkfelds und denen der Täufer durchsetzen.

3 Im Ersten Schlesischen Krieg (I740-42) annektierte Preußen auch die Grafschaft Glatz. Friedrich 11. gewährte den Protestanten die Religionsfreiheit, so daß in Nieder­schlesien unzählige einfache Bethäuser errichtet wurden, um den Bedarf zu decken. In der ehemaligen Grafschaft Glatz ist die Bautätigkeit der wenigen noch vorhandenen bzw. der wiederkehrenden Protestanten viel geringer und zeitlich verzögert. Zu nennen wären etwa die Evange­lische Kirche in Habelschwerdt (I825), oder diejenige in Bad Reinerz ( I 845).

11 1111 7r�;��'� K · 0 -

11

� 11

� 11 f::.�� [Uü ,.

. �\;r' . § Blod;bauwcisc �( ;-.1....

?/} L( [IIJ Fachwc:t:bauwcisc + "v o keine Kircben in HoIzbauwcisc aacbweisbar '-,

. Blo::kbau"-e:se

Stande:-bohlen �a:.J \\·e�se

0 rachwerkbau"·eis�

1--"11 I I ! I I I I I I I 10 0 5C :ca km

!

3. Zonierungskarte der Konstruktionsweisen im Holzkirchenbau in Schlesien und seinen angrenzenden Regionen; M 1: 3 000 000

konstruktion gebaut; das gilt auch für die Gebirgs­regionen des Riesengebirges. Die bisherige Forschung versäumte allerdings eine nähere Untersuchung des Übergangsbereichs beider Konstruktionsarten. Weder der genaue Verlauf, noch die Ausdehnung der Region mit Überschneidungen in der Baukultur konnten dar­gestellt werden, da auch keine zusammenhängende In­ventarisierung der Kirchen in Holzbauweise vorlag4• Die hier nun gezeigte Karte zur Verbreitung der Kon­struktionsweisen im Holzkirchenbau (Abb. 3) ver­deutlicht, daß der südliche Teil der ehemaligen Graf­schaft Glatz zum reinen Blockbaugebiet gehört. In den nördlichen Landesteilen des Glatzer Beckens kamen neben Blockbauten auch Fachwerkkonstruktionen vor. Diese Zone, in der beide Konstruktionsarten ne­beneinander nachgewiesen sind, zieht sich als breites

Band über das östliche Niederschlesien und weiter nach Norden über weite Gebiete Großpolen-Posens5•

4 Eine von der Autorin verfasste wissenschaftliche Arbeit hat sich der Klärung dieser Frage angenommen. Auf der Grundlage eines erstmals erstellten Kataloges, der nahezu 1500 Holzkirchen in Schlesien und in seinen benachbar­ten Regionen umfaßt, konnte eine Karte der Konstruk­tionsweisen im Holzkirchenbau erstellt werden. In jener Arbeit werden die Hintergründe, die auf das Bauen Ein­fluß haben, beleuchtet und die baulichen Besonderheiten der Holzkirchen innerhalb der Übergangsregion, insbe­sondere die Bildung von Mischkonstruktionen, dargelegt.

5 Der >weiße Fleck< auf der Karte des Holzkirchenbestan­des, links der Oder zwischen Katzbach und Glatzer Neiße, in seinem Kern die Kreise Grottkau (Grodk6w) und Strehlen (Strzelin), in dem keine Holzkirchen vor­kommen, findet seine Erklärung darin, daß hier die Wald­flächen schon seit langem sehr stark zurückgegangen waren, so daß nur der Massivbau nachzuweisen ist.

1 23

a) b) d)

4. Die Baukärpertypen (ohne Anbauten und Dachreiter) der vier Holzkirchen im Glatzer Raum: a) Spätenwalde (Zalesie) 1718, b) Steinbach (Kamiericzyk) 1710, c) Neuweistritz (Nowa Bystrzyca) IJ26, d) Wälfelsgrund (Mi�dzyg6rze) 1742 (Darstellung unmaßstäblich)

Die ausschließliche Anwendung der Blockbauweise im südlichen Glatzer Raum ist bedingt durch die natur­geographischen Einflüsse der Sudeten und die eher bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen in dieser Region. Die Ausformung der Bauweise gibt, wie noch gezeigt werden wird, in manchen Aspekten Zeugnis für die historisch engen Bindungen zur ländlichen böhmischen Baukultur.

Holzkirchen in der Glatzer Region

Die vier Blockholzkirchen, die räumlich höchstens 28 km voneinander entfernt stehen und in einem zeit­lichen Rahmen von nur 30 Jahren, also theoretisch einer Generation, entstanden, fallen durch ihre ex­treme Unterschiedlichkeit der Baukörperformen auf (Abb. 4). Obwohl noch bis in das 1 8. Jahrhundert hin­ein im ländlichen Bauen des Glatzer Landes die Block­bauweise die übliche Konstruktionsart darstellte, war sie für den Kirchenbau in dieser Zeit keineswegs mehr gebräuchlich, sondern bereits zur Ausnahme gewor­den. Wenngleich bautechnisch anspruchsvoll und sorg­fältig ausgeführt, stellen diese Blockbauten doch hin­sichtlich der Baukörperform und der Konstruktions­merkmale eigenwillige Einzellösungen dar, welche in den Details einer kleinräumigen Handwerkstradition folgen. Jeweils eigenständige Handwerker schufen diese Bauwerke, indem sie sich individuelle Vorbilder suchten und deren Bauformen und Konstruktions­weisen den lokalen Bedingungen anpaßten. Insgesamt

1 24

fällt das Fehlen einer handwerklichen Schule für den Bereich des Holzkirchenbaus in dieser Zeit auf.

Zur differenzierteren Darstellung dieser individuellen Eigenarten, aber auch zur Aufdeckung von Spuren dennoch vorhandener gemeinsamer konstruktiver Vor­bilder, sollen die vier Bauwerke zunächst kurz vorge­stellt werden.

Die Holzkirche in Steinbach

Die älteste der vier, die Kirche St. Nikolaus (Sw. Mi­kolaja), im ehemaligen Steinbach, dem heutigen Ka­miericzyk, nahe der böhmischen Grenze, wurde 17 10 als schlichte katholische Begräbniskapelle auf dem bereits bestehenden Friedhof errichtet (Abb. 5)6. Noch heute erreicht man die Kirche in Steinbach nur über einen steil ansteigenden Feldweg. Sie ist mit ihrer Längsachse parallel zur Hangkante ausgerichtet und ihr Chor ist nach Nordosten orientiert.

6 Erst im Jahre 1734 (Signatur an der Südempore: A. F. V. 1734) wurde sie von dem Maler Anton Ferdinand V. aus Prag ausgemalt. Im gleichen Jahr erhielt sie eine Glocke, die bis 1851 existierte. Um die Mitte des 1 8. Jahrhunderts wurden aus dem nahegelegenen tschechischen Dorf Wich­stadt (Mladkov) der Altar und die Kanzel erworben. Nach Haase erfolgte im Jahre 1868 ein Umbau, nämlich das Anfügen eines »rechten Seitenchores«. Im Jahre 1934 wurde die Holzkirche, kurz vor dem »gänzlichen Verfall«, umfassend instandgesetzt. G. Haase, Das neuerstandene Holzkirchlein in Steinbach, in: Die Grafschaft Glatz. Illustrierte Zeitschrift des Glatzer Gebirgsvereins, Glatz 6 ( 1935), 88f.

5. Holzkirche in Steinbach (Kamierfczyk), 1994

Der Gemeinderaum und der Chor sind zusammenge­faßt in einem Einheitsraum mit polygonalem Abschluß des Chores (Abb. 6). Mit ihrem nicht eingezogenen Chor und dem über den gesamten Hauptbaukörper gezogenen Dach besitzt die Holzkirche in Steinbach eine recht einfache Baukörperform. Die Breite dieses Raumes beträgt 7.3 5 m, seine größte Länge 13,4 m. Die dem Bauwerk zugrunde liegende historische Maß­einheit ist die böhmische Elle (ca. 0,59 m)7: Das lichte Längenmaß des gesamten Kirchenbaus beträgt 22 El­len, wovon 17 auf die geraden Langwände des Ver­sammlungsraumes entfallen und 5 Ellen die Chortiefe bilden. Die lichte Breite der Kirche beträgt 12,5 Ellen.

I

Die drei Seiten des gebrochen Chores sind von unein­heitlicher Länge und ihre Winkel entsprechen nicht denen eines regelmäßigen Vielecks.

Die durchschnittliche Wandbalkendimension beträgt 1 8 x 27 cm, was relativ gering ist, und als Eckverbin­dung wurde ein einfacher Schwalbenschwanz verwen­det, der auch an den älteren Bauteilen der Holzkirche in Wölfelsgrund beobachtet wurde.

Der Kirchenraum ist an drei Seiten von Emporen um­geben. Auf den Emporen finden bis zu 64 Kirchgänger einen Platz, insgesamt bietet die Holzkirche in Stein­bach ca. 1 45 Sitzplätze8•

Die Sakristei befindet sich an der Südostseite, also an der rechten Langwand des Kirchenraumes. Sie wurde 1 934 vergrößert, aber ihre ursprüngliche Gestalt läßt sich noch heute an den Spuren am Bauwerk, an der Blockwand und im Dachbereich, ablesen. Bei dem

7 Genau 0,5927 m. Nachgewiesen in Böhmen für die Jahre 1268 und I764. Wilhelm Rottleuthner, Alte lokale und nichtmetrische Gewichte und Maße und ihre Größe nach metrischem System, Innsbruck I 98 5. 24. Die Breslauer Elle (im Jahre I 705 vorgeschrieben in ganz Schlesien, nicht jedoch in der Grafschaft Glatz) und diejenige, die in Österreich-Schlesien von I705-I750 Gültigkeit besaßen, sind mit ihrer gleichen Länge von nur 0,5 76 I m zu kurz.

8 Hossfeld gibt für Dorfkirchen eine übliche Sitzplatzbreite von 0,5 m an. o. Hossfeld, Stadt- und Landkirchen. Berlin 4 I9 I5, 24·

, ::

L _______ ---------- -------------'�I 'II

6. Grundriß der Holzkirche in Stein bach (Kamierfczyk), M 1:200 1 i

125

�,m � " 20 10 0 10

7. Sakristei der Holzkirche in Steinbach (Kamieri­czyk), Axonometrie des Anschlusses der alten Block­wand an die neue Ständerkonstruktion

I <J!a

i I

1 26

Umbau wurden die alte Südost- und Nordostwand gegen eine verbretterte Ständerkonstruktion ausge­tauscht (Abb. 7).

Die Decke der Kirche ist flach und neigt sich zum Chor hin um 10 cm (Abb. 8). Der Fußboden dagegen fällt vom Eingang des Turmes bis zum Chorende kon­tinuierlich um 50 cm. Die unterlassene Nivellierung des Baugrundes ist eine besondere Eigenart dieses Bau­werkes. Die Decke im Gemeinderaumbereich ist zu beiden Seiten des Längsunterzuges durch Leisten in je­weils sieben mal vier Felder aufgeteilt und ornamental vegetabil bemalt.

Das Kirchendach, in Form eines Satteldaches mit einem dreiseitigen Walm über dem polygonalem Chor­schluß, besitzt eine Neigung von pO (Abb. 9). Es sind keinerlei Abbundzeichen an den Hölzern der Dach­konstruktion vorhanden. Innerhalb des Dachwerkes ist deutlich abzulesen, daß früher ein Dachreiter exi­stiert hat. Seine acht Stiele standen eingezapft auf einem

. ..l

8. Längsschnitt der Holzkirche in Steinbach (Kamiericzyk), M 1 : 2 00

'I'

i I

9. Querschnitt der Holzkirche in Steinbach (Kamiericzyk), M 1:200

Schwellenrost, der noch vorhanden ist (Abb. 1 0). Die kurzen Hölzer des Rostes spannen in keiner Richtung von Außenwand zu Außenwand durch, wie das bei anderen Dachreiterkonstruktionen der Umgebung beobachtet werden konnte.

JO. Axonometrie des Dachwerkes Holz­kirche in Steinbach (Kamiericzyk), M J:200

Von den acht Gebinden des einfachen Kehlbalken­daches sind zwei zu Voll gebinden aus gezimmert. Dennoch kann man nicht von einer Binderkonstruk­tion des Daches sprechen, da die Vollgebinde nicht dazu herangezogen werden, Lasten von den sechs Leergebinden zu übernehmen. Nur die beiden Voll­gebinde besitzen Dachbalken, in welche die Sparren eingezapft sind. In der Mitte dieser beiden Dachbal­ken befinden sich Säulen, die jeweils bis hinauf in den Firstpunkt reichen. Dort werden diese Spitzsäulen von beiden Sparren nichtbündig überblattet und alle drei Hölzer werden durch einen Holznagel gesichert.

Die Sparren der Leergebinde besitzen keine Dach­balken, sondern stehen auf einer Schwelle nur mittels Fersenversatz und Holznagelsicherung auf (Abb. II) .

Die von der eigentlichen Dachkonstruktion unabhän­gigen, den Kirchenraum nach oben abschließenden Deckenbalken sind mit den oberen beiden Wandbalken verschränkt und verhindern als Ankerbalken das seit­liche Ausweichen der Langwände infolge von Sparren­schub. Diese Dachschwellenkonstruktion mit der un­terschiedlichen Zahl an Deckenbalken und Dachge­spärren ist im nachmittelalterlichen Kirchenbau sehr ungewöhnlich. Dachbalkenlosen Dachkonstruktionen

1 27

sind ursprünglich Bestandteil deckenloser Bauten mit offenem Dachstuhl, bei denen das Umkippen der Wände durch Ankerbalken verhindert wurde. Osten­dorf beschreibt das dachbalkenlose Dachwerk als ur­tümlich germanisches Dach9. Loewe zeigt, daß es die gängige Art der Ausbildung bei den kleineren länd­lichen Wohnhäusern Schlesiens war 10. Der Sinn der engeren Deckenbalkenlage im Wohnbau ist darin zu sehen, daß der Dachboden als Lager genutzt wurde und damit höhere Lasten aushalten mußte als die leichten schindelgedeckten Dächer, auf denen aufgrund ihrer Neigung auch keine allzu zu großen Schneernassen Halt finden konnten. Offenbar glaubte man in Stein­bach, daß die enger liegenden Deckenbalken auch einen Dachreiter würden tragen können, was sich jedoch wohl schon bald als Trugschluß erweisen sollte.

Die Längsaussteifung des Dachwerkes leistet haupt­sächlich ein Mittelwandverband I I. Dieser steht nicht auf den beiden Dachbalken der Vollgebinde sondern auf den Deckenbalken auf. Eine Ausbildung des Mittelwandverbandes, dessen Spitzsäulen gleich einer Hängesäule am Firstpunkt an die Sparren geblattet sind, wogegen der Verband ansonsten aber nur als

I I. Axonometrie des Sparrenfußpunktes mit der Dachschwelle bei der Holzkirche in Steinbach (Kamiericzy k)

1 28

stehend verstanden werden kann, wird von der Ver­fasserin als Spitzsäulenverband bezeichnetI2•

Von allen hier vorgestellten Holzkirchen ist die Konstruktion des Baus in Steinbach mit ihrem dach­balkenlosen Dachwerk am stärksten dem ländlichen Wohnbau entlehnt. Auch an anderen baulichen Be­sonderheiten, wie den unregelmäßigen Geometrien von Chorschluß und ehemaligem Dachreiter, wird deutlich, daß die Erbauer der Holzkirche in Steinbach wenig vetraut waren mit einer solchen Bauaufgabe.

Die Holzkirche in Spätenwalde

Die Holzkirche St. Anna (Sw. Anny) in Spätenwalde (Zalesie) wurde 1 7 1 7 als katholische Begräbniskapelle errichtet (Abb. 12) . Der Friedhof, auf dem die Holz­kirche steht, ist älter und wurde den Berichten zufolge bereits zu reformatorischer Zeit angelegtI3 •

Das Dorf Spätenwalde liegt ca. 7 km nordwestlich der ehemaligen Kreishauptstadt Habelschwerdt (Bystr­zyca Ktodzka). Dem steil ansteigenden Gelände paßt sich die Holzkirche an, die dadurch mit ihrem Chor nach Südsüdosten orientiert ist.

Die Kirche ist als Einraumkirche über rechteckigem Grundriß von der einfachst möglichen Bauform (Abb. 1 3)' Versammlungs raum und Chor sind in einem Kubus untergebracht, jedoch innen durch eine bogen­förmig ausgeschnittene Trennwand räumlich vonein-

9 Friedrich Ostendorf, Die Geschichte des Dachwerks, Leip­zig, Berlin I908, 6. Ludwig Loewe, Schlesische Holzbauten, Düsseldorf I969, 8.

I I Das Walmdreieck und die nachträglich eingebrachten Windrispen haben, bedingt durch die wenig kraftschlüs­sigen Verbindungen nur eine untergeordnete längsausstei­fende Wirkung.

11 Hierbei wird der Begriff des Stuhles vermieden, da eine Unterstützung der Kehlbalken bei fehlender Überkäm­mung mit dem Rähm offenbar nicht der Hauptzweck des Längsverbandes ist, sondern vielmehr die Längsausstei­fung des Daches.

13 ]oseph Kögler, Historische Nachrichten von der Pfarr­kirche des hl. Erzengels Michael in der Königlich Preußi­schen Immediat-Stadt Habelschwerdt wie auch von allen übrigen Kirchen und Kapellen (nach Aufzeichnungen von I804) in: Vierteljahreszeitschrift für Geschichte und Heimatkunde der Grafschaft Glatz, Habelschwerdt I (I88I/82), I05 .

[2. Holzkirche in Spätenwalde (Zalesie), [993

ander abgesetzt (Abb. 1 4)14. In der Verlängerung des Chores liegt die Sakristei. An der gegenüberliegenden Querwand befindet sich, durch eine Vorhalle ge­schützt, die einzige Tür zur Kirche. Der Versamm­lungsraum besitzt eine Querempore, die eine Orgel trägt. Auf den in engen Reihen aufgestellten Sitzbän­ken des Gemeinderaumes haben 96 Besucher Platz, dazu 34 auf der Empore. Mit 130 Plätzen bietet die Kirche in Spätenwalde die geringste Anzahl an Sitz­möglichkeiten der hier untersuchten Kirchenbauten 15. An den baulichen Veränderungen, welche in dieser

Abhandlung nicht im einzelnen erläutert werden sol-

len, ist zu erkennen, daß die Orgel erst nachträglich eingebaut worden ist. Von Berichten und historischen Aufnahmen in Form von Fotografien und Plänen wis­sen wir, daß auch die Vorhalle Änderungen unterlag und daß eine Kammer ehemals außen an der rechten Langwand angebaut war.

Die lichten Grundrißmaße der Gesamtfläche von Ver­sammlungsraum und Chor betragen ca. 13,42 X 7,45 m. Die Maßeinheit, das der Holzkirche in Spätenwalde zugrunde gelegt wurde, beträgt ca. 0,6 m und ist vor allem am Schema des Bildprogrammes der Decke, aber auch an den Bodenplatten ablesbar. Es kann gewiß an­genommen werden, daß es, wie bei der Holzkirche in Stein bach, auf der böhmischen Elle mit etwas mehr als 0,59 m beruhtl6. Die Wandbalken sind im Mittel 22 cm breit und

weisen eine Höhe von ca. 28 cm auf. Die Balken der Chorscheidewand sind dagegen etwas schwächer di­mensioniert und haben eine durchschnittliche Breite von 20 cm. Der Eckverband wird aus einer Kombina-

14 Der bogenfärmige Ausschnitt der Chorscheidewand ent­spricht einem akkuraten Halbkreis mit einem Radius von 2,82 m.

15 In der Kirche in Wälfelsgrund finden 270 Kirchgänger einen Sitzplatz, also mehr als doppelt so viele. Die Sitz­platzbreite wird mit 0,5 m berechnet. S. Anm. 8.

16 Vgl. Anm. 7.

� � ________ _____________________ L __ __ _____ _ ___ _ ____________ ______ I

[3. Grundriß der Holz­kirche in Spätenwalde (Zalesie), M [:2 00 I i

."

1 29

14. Querschnitt der Holzkirche in Spätenwalde (Zalesie), M 1: 2 00

tion von einem Hakeneckblatt und einem Eckkamm gebildet (Abb. 1 5)'

Die flache Decke ist im Versammlungsraum und Chor gleich hoch, und ein Längsunterzug unterstützt die Deckenbalken (Abb. 1 6). Durch Leisten wird die Deckenfläche in gleichmäßige quadratische Felder ge­teilt, deren Lage in den wenigsten Fällen der Lage der Deckenbalken entspricht. Aufeinanderfolgende Sze­nen der Bibel bilden die Motive des Bildprogrammes der bemalten Decke.

Auf ihrer Innenseite sind die Wände mit einem Kalk­anstrich überzogen. Die Kalkschlemme trägt nicht so

1 30

15. Holzkirche in Späten walde (Zalesie), Axonome­trie des Eckverbandes

stark auf wie ein Putz, so daß die Wandbalken durch Unebenheiten und Risse erkennbar bleiben. Die Wand­balken besitzen auf ihren Innenseiten noch einen rela­tiv großen Anteil an Waldkantenl7. Dadurch entstehen breite, tiefe Fugen in den Blockwänden entlang den Balkenlagen, und in kurzem Abstand von 1 0-15 cm sind an den abgerundeten Kanten jedes Balkens kleine Hartholznägel eingeschlagen. Sie bieten der Kalk­schlemme, die zugleich Fugendichtung ist, Haltl8.

Die Holzkirche besitzt ein Walmdach mit zwei sehr steilen Walmabschlüssen. Die Neigung des Daches beträgt an den Sattelflächen 54°. Ein sehr hoher, schlan­ker, achtseitiger Dachreiter bekrönt das Dach, dessen oberen Abschluß ein kegelartiger Helm bildet.

Im konstruktiven Sinne handelt es sich um ein dop­peltes Kehlbalkendach, also um ein Sparrendach. In dem Dachwerk sind keine Abbundzeichen vorhanden, was bei der doch sehr komplexen Konstruktion ver­wundert (Abb. I) .

[7 Wie die Balken auf der Außenseite ausgebildet wurden, konnte wegen der Verschalung nicht festgestellt werden.

[8 Deutschmann berichtet von Holzkeilen als Putzträger und als Träger der Lehmfugendichtung an den Wand­außenseiten. Diese Dichtungstechnik sei von Nordböh­men bis in den Spreewald verfolgbar. Eberhard Deutsch­mann, Lausitzer Holzbaukunst unter besonderer Würdi­gung des sorbischen Anteils, Bautzen 1959,74.

16. Längsschnitt der Holz­kirche in Spätenwalde (Zalesie), M 1 : 2 00

Mit wenigen Worten sollen im folgenden nur die Hauptkomponenten der Dachkonstruktion umrissen werden:

Die Dachkonstruktion besteht aus einem Binder­system mit vier Leer-, vier Voll- und vier Turmgebin­den, die eine eigene Form der Vollgebinde darstellen. Zwei Walmgespärre bilden zu beiden Seiten den Ab­schluß des Dachwerkes. Außerhalb der Turmgebinde wechseln Voll- und Leergebinde einander stets ab. An den Fußpunkten sind die Sparren in ihrer Position oberhalb der Langwände ohne Holznagelsicherung in die Dachbalken gezapft (Abb. 17).

Die Vollgebinde des Dachwerkes (Abb. 18) besitzen als wesentliches Element Hängesäulen in den Mittel­achsen. Am Firstpunkt sind die Sparren, wie im Dach­werk der Holzkirche in Steinbach, zu beiden Seiten

17. Axonometrie des Sparrenfußpunktes mit der Dachschwelle bei der Holzkirche in Spätenwalde (Zalesie)

13 1

18. Querschnitt durch das Dachwerk der Holzkirche in Spätenwalde (Zalesie), M 1:200

19. Dachreiter- Turmquerbinder der Holzkirche in Spätenwalde (Zalesie)

20. Mittelwandverband (Hängesäulenverband) der Holzkirche in Spätenwalde (Zalesie)

132

angeblattet, und alle drei Hölzer sind mit einem Holz­nagel verbunden. Außer den Bügen besitzen die Voll­binder noch drei weitere Strebenpaare: Zwei setzen an der mittleren Hängesäule an und verlaufen unter­schiedlich steil nach unten außen. Das dritte Streben­paar ist umgekehrt geneigt. In den Vollgebinden über­lagern sich demnach mehrere Tragwerkprinzipien. Es soll hier ein besonderes Augenmerk dem dritten Stre­benpaar, dem von der Hängesäule zu den Sparren an­steigenden, zukommen. Seine Wirkungsweise ist nicht eindeutig bestimmbar. Einerseits hängen die Streben als auf Zug belastete Bänder die mittlere Hängesäule so­wohl an die Sparren, wie auch an das obere Strebenpaar und den Kehlbalken. Eine solche zusätzliche Aufhän­gung der mittleren Säule ist dann erforderlich, wenn diese nicht ausschließlich am Holznagel im First hän­gen soll. Allerdings ist für ein Hängeband der Winkel sehr flach gewählt und außerdem ist der Punkt der Auf­hängung am Sparren, in Feldmitte zwischen den Kehl­balkenunterstützungen, ungünstig. Besser wäre er in der Nähe des Kehlbalkenanschlusses angebracht, da hier der Kehlbalken die Durchbiegung der Sparren ver­hindern würde. So ist andererseits an eine Deutung als Druckstreben zu denken, nämlich als Zwischenunter­stützung der Sparren in Feldmitte zwischen den Kehl­balken. Die leichte Eindeckung des Daches mit Holz­schindeln, und die infolge der Steilheit des Daches geringe Schneebelastung, läßt diese Interpretation wie­derum als übertriebene Vorsicht erscheinen.

Die Turmvollgebinde im Bereich des Dachreiters ge­hören in gleichem Maß zur Dach- wie zur Turmkon­struktion (Abb. 19), was eine besondere Eigenart diese Dachkonstruktion ist.

Für das doch noch relativ kleine Dachwerk ist die große Zahl von sieben Längsverbänden zu unterschei­den, die drei verschiedenen Funktionen zuzuordnen sind. Es handelt sich dabei um zwei seitliche Stuhl­wände, einen Mittelwandverband und vier Turmlängs­binder. In den Kreuzungspunkten der Längs- und Quer­binder befinden sich die mit beiden Ebenen verstrebten Stuhl- und Mittelwandverbandssäulen, so daß die Ge­samtheit der Hölzer ein räumliches Fachwerkgitter bil­den. Von den sieben längsgerichteten Zimmereinheiten soll nur eine genauer betrachtet werden: Der Aufbau des Mittelwandverbandes zeigt deutlich, daß dieser

auch Teil der Dachreiterkonstruktion ist. Im Bereich des Dachreiters sind die Stützen enger gestellt und nach oben über die Firstlinie hinaus geführt - auch hier also haben wir wieder die Vernetzung von Längs-und Quer­trägern zu einem räumlich wirkenden Fachwerkgitter (Abb. 20). Dieser Längsverband ist, nach der oben dar­gelegten Analyse der Hängesäulen als Teil der quer­spannenden Vollgebinde, in seinen Details so ausgebil­det, daß seine Last von den Erbauern als an die Sparren der Vollgebinde gehängt verstanden worden sein muß.

Der Mittelwandverband des Dachwerkes der Holz­kirche in Spätenwalde kommt damit dem bekannten Prinzip mittelalterlicher Dachwerke des deutschen Ostens recht nahe19. Der Hängesäulenverband allge­mein dient hauptsächlich der Längsaussteifung eines Daches. Um die Dachbalken nicht zusätzlich durch das enorme Eigengewicht des Längsverbandes zu belasten, ist dieser an die Sparren gehängt. Die Kehlbalken- und mehr noch die Dachbalkenunterstützung ist beim Hängesäulenverband zwar meistens in Ansätzen gege­ben, aber von untergeordneter Bedeutung.

Bei der Holzkirche in Spätenwalde ist insgesamt, an­ders als in Steinbach, ein großer Kontrast zwischen der schlichten Form des Blockbaus auf der einen Seite und dem Dachwerk mit einer sehr komplexen Konstruk­tion auf der anderen Seite feststellbar. Die Spätenwalder Kirche zeigt einige Parallelen zu den schlichten Holz­kirchenbauten der böhmischen Utraquisten (Hussi­ten)20, was vor allem die einfache Baukörperform, das Vorhandensein eines Dachreiters und die Fugenab­dichtung mit Kalkmörtel betrifft.

Die Holzkirche in Neuweistritz

Die katholische Kirche Maria Himmelfahrt (Wniebo­wzi�cia NP Marii) in Neuweistritz (N owa Bystrzyca) wurde 1726 erbaut (Abb. 2 1 ), also nur neun Jahre nach jener im nur drei Kilometer entfernten Spätenwalde2l. Dennoch könnten die beiden Bauwerke, wie im fol­genden deutlich werden wird, kaum unterschiedlicher sem.

Die Holzkirche in Neuweistritz steht parallel zum

Hang und ist nach Nordosten ausgerichtet. An ihren nur wenig langrechteckigen Gemeinderaum schließt sich ein leicht eingezogener, fast quadratischer Chor an

2 I. Holzkirche in Neuweistritz (Nowa Bystrzyca), 1996

(Abb. 22). Chor und Versammlungs raum liegen unter einem Dach mit durchlaufendem First und nahezu gleicher Traufhöhe. In Verlängerung der Kirchenachse befindet sich hinter dem Chor die Sakristei, und am anderen Bauwerkende ist dem Versammlungsraum eine Eingangshalle vorgelagert.

Von den hier vorgestellten Kirchenbauten ist die Holzkirche in Neuweistritz die größte. Von den 255 Sitzmöglichkeiten der Kirche befinden sich 6 1 auf der Empore und 24 im Obergeschoß der Vorhalle22• Das lichte Längenmaß, gemessen von der Eingangswand des Gemeinderaumes bis zur Chorschlußwand, beträgt 17,52 m. Hiervon entfallen auf den Gemeinderaum

19 Dargestellt bei Josef Bronner, Zur konstruktiven Ent­wicklung der Dachstühle auf Breslauer Kirchen und Monumentalbauten. Breslau, TH, Diss., I 93 I, und bei Fritz Heyn, Die Danziger Dachkonstruktionen. Ihre konstruktive und historische Entwicklung, Danzig, T H, Diss., I9I3. Nur wenige Holzkirchen sind im benachbarten Böhmen erhalten geblieben, so etwa diejenige in Slavonov (deutsch: Slawoniow). Der Kirche in Spätenwalde muß vor allem die ehemalige Holzkirche in Zalesni Lhota u Jilemnice (deutsch Huttendorf bei Starkenbach) sehr ähnlich gewe­sen sem.

21 Sie besaß als einzige der vier hier beschriebenen Holz­kirchen einen Vorgängerbau. Dieser wurde I63I, also während des Dreißigjährigen Krieges, aber noch kurz vor den massiveren Kampf- und Plünderungszügen kaiser­licher und schwedischer Truppen durch die Grafschaft Glatz, erbaut. Kögler a. a. 0., I06. Die Sitzplatzbreite wird mit 0,5 m in Rechnung gestellt, vgl. Anm. 8.

1 3 3

10,55 m, auf den Chorbereich 6,72 m und auf die Pro­jektion der Chorscheidewand 0,25 m. Der Versamm­lungsraum der Kirche ist 8 ,94 m, der Chor etwa 6,3° m breit. Das entspricht recht genau einem Verhältnis von sieben zu fünf. Weitergehende maßliche Beziehungen in der Grundrißdisposition sind, anders als bei den drei anderen Holzkirchen, nicht feststellbar.

Recht mächtige Wandbalken mit Abmessungen von 22 X 3 2 cm sind mittels Hakeneckblatt oder Eckkamm zur Blockwand verzimmert23 •

Die Form des Chorbogens entspricht einem Ellipsen­ausschnitt (Abb. 23). Ein Zementputz überzieht heute die flache Decke ebenso wie die Wände im Inneren. Die nicht unterteilte, in früheren Zeiten bemalte24 Decken­fläche ist heute weiß angelegt und in der Raummitte ist ein schlichtes Kreuz dargestellt.

Die Kirche besitzt eine Querempore, auf der eine Orgel steht. Die Orgel wurde nachträglich eingebaut, wofür die Empore umgebaut werden mußte. Die Kon­struktion der Empore ist durch den Orgeleinbau völ­lig überlastet und stark deformiert. Die Kirchenbänke auf der Empore stehen sehr gedrängt und steigen tribü­nenartig zur Eingangswand hin an (Abb. 24).

Die Holzkirche hat ein Walmdach, dessen First, wie erwähnt, über Gemeinderaum und Chor in einer Höhe

durch läuft. Da die Überstände der Dachbalken über dem Chor und über dem Versammlungsraum jeweils fast gleich sind, ergibt sich im Chorbereich eine etwas steilere Dachneigung von 57° gegenüber 5 1° beim Dach des Versammlungsraumes (Abb. 25). Ein sehr wuch­tiger achtseitiger Dachreiter mit Zwiebelhaube und Laterne ragt aus dem Schiffdach. Auf den Hölzern des Daches über dem Versamm­

lungsraum wurden, anders als in den Dachwerken der Holzkirchen in Steinbach und Spätenwalde, Abbund­zeichen in Form von Ruten und Stichen beobachtet.

Das konstruktive Grundkonzept ist das eines Sparren­daches in der Ausformung als einfaches Kehlbalken­dach. Neben den Leergebinden gibt es noch unter­schiedlich stark ausgezimmerte Binder des Daches und der Dachreiterkonstruktion. Da das Dachwerk deut­lich in die Bereiche über dem Versammlungsraum bzw. dem Chor geteilt ist, werden hier nun diese getrennt betrachtet:

23 Vgl. die Eckverbände der Holzkirchen in Spätenwalde (Zalesie) und Wölfelsgrund (Mi�dzyg6rze). Während bei der Kirche in Neuweistritz der Haken an der Hirnholz­seite nach unten weist, ist es bei den anderen beiden Holz­kirchen umgekehrt.

24 So beschrieben bei Kögler a. a. 0., 106.

-+1 I .L 22. Grundriß der Holzkirche in Neuweistritz (Nowa Bystrzyca), M 1 :200

1 34

Das Dachwerk über dem Chor besitzt ein Vollgebinde und drei Leergebinde. In der Mitte des Vollbinders steht eine Stütze, die Teil einer nur sich über den Chor­bereich erstreckenden, mittleren Stuhlwand ist. Das längsverlaufende Rähmholz liegt direkt unterhalb der Kehlbalken, die, was ganz außergewöhnlich bei den hier behandelten Dachwerken ist, mit langen Holz­nägeln an diesem befestigt sind.

Das Dachwerk über dem Versammlungsraum besitzt neun Gebinde, die sich in drei Gruppen einteilen las­sen: neben drei Leergebinden und zwei Vollgebinden sind vier Turmgebinde vorhanden, die wiederum an­ders ausgezimmert sind als die beiden normalen Voll­gebinde. Es gibt keinen gleichmäßigen Rhythmus im Bindersystem.

2 3. Querschnitt der Holzkirche in Neuweistritz (Nowa Bystrzyca), M 1:2 00

=-­!

�<-----�-----�-----�------�o-- .-----�._---�-ii Ir I1 :\ �

, '" j"'1

24. Längsschnitt der Holzkirche in Neuweistritz (Nowa Bystrzyca), M 1:2 00

Al

j, ""i

.J..:

-+-t++t+ti ---+--+-+-+---+--+-+-+.1

2 5 . Querschnitt des Dachwerkes der Holzkirche in Neuweistritz (Nowa Bystrzyca), M 1:2 00

Die Vollgebinde bilden die beiden Abschlußgebinde des Schiffdachwerkes. In diesen beiden Ebenen stehen seitlich jeweils zwei Stuhlstützen auf Längsschwellen. Den Stuhlstützen sind Längsrähme aufgezapft, auf denen die Kehlbalken ruhen, welche zwar stumpf auf den Rähmhölzern aufliegen, jedoch durch seitlich ein­geschlagene und noch weit vorstehende Holznägel in ihrer Position gesichert sind.

Das Dachwerk der Holzkirche in Neuweistritz be­sitzt keinen sich über die gesamte Dachlänge erstrek­kenden Mittelwandverband, wie er in den anderen hier beschriebenen Dachkonstruktionen anzutreffen ist: Über dem Chorbereich ist die erwähnte mittlere Stuhl­wand vorhanden, während über dem Gemeinderaum zwei seitliche Stuhlwände (die zugleich die äußeren Längsbinder der Dachreiterkonstruktion darstellen) und zwei innere Längsbinder des Dachreiters stehen25. Die Stuhlwände dienen der Längsaussteifung des Tur-

mes und des Dachwerkes und nicht in erster Linie der Kehlbalkenunterstützung, da diese, bedingt durch ihre hohe Lage, recht kurz sind. Ungewöhnlich in diesem Dachwerk ist die Holznagelsicherung der Kehlbalken an den Stuhlrähmen, was der Wirksamkeit der Längs­aussteifung zugute kommt. Im Dachbereich über dem Gemeinderaum werden sie zwar nur seitlich durch die vorstehenden Nägel gehalten, aber im Bereich des Chordachwerkes sind die Kehlbalken regelrecht fest­genagelt.

Bei einem Vergleich der beiden sich sowohl räumlich, wie zeitlich sehr nahestehenden Dachwerke der Holz­kirchen von Spätenwalde und Neuweistritz über­rascht ihre Verschiedenheit. Angesichts des Aufwan­des, der in dem erstgenannten Kirchenbau betrieben worden ist, um mit hängenden Konstruktionsgliedern einen Großteil der Last möglichst direkt auf die Außenwände zu leiten und die Dachbalken dadurch zu entlasten, ist es erstaunlich, mit welcher Unbe­kümmertheit im Dachwerk von Neuweistritz die La­sten des wuchtigen Turmes (der als einziger Turm der hier betrachteten Dachwerke zwei Stützenkränze be­sitzt) fast ausschließlich auf die Dachbalken gestellt wurden, welche nicht einmal einen Längsunterzug zur Unterstützung erhielten. Daß dies auf Dauer für die Dachbalken eine zu hohe Belastung darstellte, zeigt das Hängewerk, das zu deren Entlastung eingesetzt werden mußte6.

Die Holzkirche in Neuweistritz hat im Laufe der Zeit keine gravierenden baulichen Veränderungen erfahren. Einiges weist aber darauf hin, daß ursprünglich mit ihr ein Massivbau imitiert werden sollte. So besitzt die nichtverschalte Sakristei noch Reste einer außen flächig aufgebrachten Tünche. Ältere Innenaufnahmen zeigen im Chorbereich ein aufgemaltes Steinquaderfugenbild und naiv gemalte, stark stilisierte ionische Säulen in den Ecken, die ein ebenfalls gemaltes Architravband tragen27.

25 Das die Dachbalken aufhängende doppelte Hängewerk nahe der Mittelachse wurde nachträglich eingebaut.

26 Die Kirchendecke von Neuweistritz besitzt nicht einmal einen Unterzug, wie die anderen hier behandelten Bauten, und damit überspannen ihre Dachbalken als Einfeldträger die gesamte Raumbreite von 9, I 6 m.

27 Jörg Marx, Grafschaft Glatzer Kirchen in Bild und Wort, Leimen/Heidelberg I967, Abb. auf S.57.

Die Holzkirche in Wölfelsgrund

Die katholische Holzkirche St. Josef (Sw. J6zefa) in Wölfelsgrund (Mi�dzyg6rze), wurde in den Jahren 1749-1742 errichtet (Abb. 26). Sie entstand also in der Schlußzeit der österreichi­

schen Herrschaft und ist die jüngste noch bestehende Holzkirche in diesem Raum. Ein Dokument aus dem Jahre 1742, das im Zuge einer Neueindeckung des Daches im Jahre 1 924 im Knauf der Dachreiterspitze entdeckt worden war, gibt einige Aufschlüsse über die Errichtung der Kirche28• Vor allem nennt das Doku­ment als die »Baumeister« der Kapelle den Freirichter Franz Teuber, der das Grundstück geschenkt hatte, sowie Friedrich Keitig aus Wölfelsdorf (Wilkan6w) und Heinrich Ludwig aus dem benachbarten Plomnitz (Plawnica) Der Herkunftsort Friedrich Keitigs ist bei der Betrachtung der Holzkirche in Wölfelsgrund, wie im Abschluß noch zu zeigen sein wird, von besonde­rem Interesse.

Der Ort Wölfelsgrund liegt ca. 1 2 km südöstlich der ehemaligen Kreishauptstadt Habelschwerdt (Bystr­zyca Ktodzka). Das Dorf befindet sich von Wald um­geben in einem Hochtal zwischen dem Glatzer Schnee­berg (Snieinik Ktodzki) und Maria Schnee (Maria Snieia). Die Kirche steht auf dem von einer Mauer um­gebenen Friedhof und ist mit seinem Chor nach Nord­nordost ausgerichtet.

Der Bau überrascht beim ersten Anblick durch seine langgestreckte Form. Sein Gemeinderaum ist fast ge­nau doppelt so lang wie breit, und die an der Eingangs­seite angebaute Vorhalle vergrößert diese Längenaus­dehnung noch (Abb. 27). Die recht große Kirche bie­tet heute 275 Gläubigen einen Sitzplatz, wovon sich 54 auf den Emporen befinden29• Die lichte Raumlänge bis zur Chorscheidewand des langgestreckten Versamm­lungsraumes beträgt 1 5,75 m. Bei einer Breite von 7,9 m ergeben diese Maße recht genau das Verhältnis zwei zu eins. Der jeweilige Anteil von Chor und Versamm­

lungsraum an der Gesamtlänge beträgt 5,3 8 m bzw. 1 0, 1 2 m. Ähnlich wie bei der Kirche in Spätenwalde ist auch in Wölfelsgrund die böhmische Elle30 mit etwas über 0,59 m als Maßeinheit feststellbar. Werden die Maße am Bau durch diese Größe dividiert, so ergibt sich folgendes: Die Gesamtlänge des ursprünglichen

26. Holzkirche in Wölfelsgrund (Mi�dzyg6rze) 1995

Kirchenbaus, d.h. der Bereich des flachgedeckten Ver­sammlungsraumes, beträgt 2 8 Ellen. Davon entfallen 1 8 Ellen als Außenmaß für die Länge des Gemeinde­raumes und 1 0 Ellen von der Chorraumseite der Chor­scheidewand bis zur Außenseite der Chorabschluß­wand. Der Radius des das Chorpolygon umschreiben­den Kreises beträgt 3 Ellen. Die Gesamtbreite der Kirche beträgt 1 4 Ellen. Hiervon entfallen 6 Ellen auf die lichte Chorbreite und jeweils 4 Ellen auf die seitlich anschließenden Wände des Versammlungsraumes. Die Holzkirche in Wölfelsgrund ist baulich stark ver­

ändert worden, was im folgenden nur in den wesent­lichen Teilen aufgezeigt werden soll.

Der Versammlungsraum ist deutlich wahrnehmbar in zwei Teile gegliedert: zum einen in den kürzeren Abschnitt des Bereiches der Orgelempore mit einer Tonnendeckung, bei dem es sich um eine jüngere Bau­erweiterung handelt, und zum anderen in den Bereich

28 Charlotte von Radecke, Wölfelsgrund in alter und neuer Zeit, Habelschwerdt 1926,20-24 und 25-28. Sie gibt beide Dokumente im originalen Wortlaut und in voller Länge wieder.

29 Zugrunde gelegt ist eine Sitzplatzbreite von 0,5 m, wie für Dorfkirchen üblich. S. Anm. 8.

3° S. Anm. 7.

1 37

4t1-1 ri I:

2J. Grundriß der Holzkirche in Wälfelsgrund (Mi�dzyg6rze), M 1 :200

28. Längsschnitt (links der Chor - rechts die Vorhalle) der Holzkirche in Wälfelsgrund (Mi�dzyg6rze), M 1 :200

1 3 8

des Versammlungs raumes mit emer flachen Decke (Abb. 28). Zwischen beiden Teilen des Gemeinde­raumes gibt es eine deutliche Zäsur in der Konstruk­tion, die am deutlichsten im Dachwerk, jedoch auch im Kirchenraum lesbar ist. So stehen am Übergang der beiden Abschnitte mächtige Ständer innerhalb der Wand, in deren Nuten die Schrotholzbalken ein­gespundet sind. Lange Eisenlaschen verbinden die Schrotholzbalken zu beiden Seiten des Wandständers. Der Vef"sammlungsraum ist also nach der Konstruk­tionsmethode der Ständerbohlenbauweise verlängert worden3 I • Am Übergang zwischen gewölbtem Empo­renraum und dem flachgedeckten Versammlungsraum spannt ein mächtiger Querunterzug (Abb. 29), der als verzahnter Doppelbalken ausgeführt ist32• Der Unter-

I "

29. Querschnitt durch den jüngeren Bereich des Orgelemporenanbaus, M 1:2 00

zug ruht seitlich auf den Wandständern der Schiffver­längerung auf. Im Querschnitt ist abzulesen, daß der Orgelemporenboden horizontal verläuft, der gezahnte Verbundbalken darüber jedoch erheblich, nämlich um 20 cm, nach Norden abfällt. Die Emporenstützen sind deshalb auch verschieden lang. An dieser Anpassung eines Konstruktionselementes an einen verformten Kontext läßt sich ableiten, daß die Stützen erst nach­träglich in den Bau, der sich in unterschiedlicher Weise gesetzt hatte, eingebracht wurden.

Im Bereich der flachen Decke des Versammlungs­raumes liegen die Dachbalken frei. Mit ihnen ver­kämmt und im Gemeinderaum noch sichtbar ist ein Längsüberzug. Die Deckendielung ist im Fischgrät­muster auf die Dachbalken aufgebracht.

Als einzige der noch erhaltenen Holzkirchen im Glatzer Raum besitzt der Bau in Wölfelsgrund einen eingezogenen Chor mit polygonal gebrochenem Schluß. An seiner linken Chorseite befindet sich ein Raum, der heute als Kammer genutzt wird, in früherer Zeit aber wohl zum Kirchenraum hin als Nische für einen Seitenaltar geöffnet war. Gegenüber, an der rechten Chorseite, liegt die zweigeschossige Sakristei, deren Gestalt heute nicht mehr die ursprüngliche ist:

3 I Bauerweiterungen nach der Konstuktionsmethode der Ständerbohlenbauweise sind eher ungewöhnlich. Oft wer­den Anbauten, oder auch Erweiterungen, als verbretterte Ständerbauten ausgeführt, so etwa die Sakristeivergröße­rung in Steinbach. Da eine Wandverlängerung in Block­bauweise an den Anschlußpunkten nicht konstruktionsge­recht zu bewerkstelligen ist, wurden die Ständer eingefügt. Ständer innerhalb einer Blockkonstruktion stellen eine er­hebliche Störung des Gefüges dar, da das Schwindmaß von Holz längs zur Faser viel geringer ist als quer zu ihr. Aus diesem Grund fallen die Wände des Emporenbereiches von den Ständern weg zu den Ecken hin deutlich ab.

}2 Die Methode der Balkenverstärkung durch schubfeste Aufdopplung ist alt und war auch bereits zur Erbauungs­zeit der Kirche bekannt. Beschrieben wurde sie z. B. im Jahre 1 726 bei Jacop Leupold, Theatrum Pontificiale oder Schau-Platz der Brücken und Brücken-Baues, Leipzig 1 726, 70- 7 1 . Jedoch werden solche Konstruktionen kaum zur Bautechnik ländlichen Bauens in der Mitte des 1 8. Jahr­hunderts gehört haben, so daß anzunehmen ist, daß der Anbau doch um einiges jünger ist. Durch die unterstüt­zenden Säulen unterhalb des Balkens stellt der Verbund­balken statisch einen Dreifeldträger dar, bei dem das mitt­lere Feld eine Spannweite von nur 4,65 m aufweist, um dem großen Lastanfall aus dem Dachbereich zu begegnen.

1 39

Sie wurde nach der gleichen Methode wie bei der Ver­längerung des Versammlungsraumes vergrößert und zusätzlich aufgestockt.

Die Breite der Wandbalken beträgt 2 I cm und ihre Höhe variiert von 22 bis 3 2 cm. Der Eckverband der älteren Bauteile ist ein schwalbenschwanzförmiges Eckblatt; dagegen bildet ein Hakeneckblatt die Eck­verbindung der beschriebenen Anbauten (Abb. 3 0).

Die Kirche besitzt ein Satteldach mit Walm über dem Chorpolygon. Der ursprüngliche steile Walm im Be­reich des heutigen gezahnten Querträgers wurde durch ein Leergebinde ersetzt, welches den Übergang zum neueren Dachabschnitt bildet (Abb. I ) . Der First des Schiffdaches läuft auch hier über dem Chorbereich in gleicher Höhe weiter. Bei ebenfalls gleicher Traufhöhe der beiden Bauteile ist das Dach über dem stark ein­gezogenen Chor also wieder wesentlich steiler. Die Dachneigung über dem Gemeinderaum beträgt 46° (Abb. 3 I) . Das eigentliche Chordach tritt heute auf der Gebäudesüdseite, wegen des vom Chordach abge­schleppten Daches der aufgestockten Sakristei, nicht mehr in Erscheinung. Die Dachneigung über der lin­ken Hälfte des Chores beträgt 66° (Abb. 3 2). Etwa aus der Mitte der langen Firstlinie, jedoch ein wenig zum Chor hin versetzt, ragt ein ho her achtseitiger, zwiebel­bekrönter Dachreiter.

Abbundzeichen wurden nur im jüngeren Dachbe­reich über der Tonne der Orgelempore festgestellt.

�= � " '" 10 10

3 0. Holzkirche in Wölfelsgrund (Mi�dzyg6rze), Axonometrie des Eckverbandes

1 4°

3 I. Querschnitt durch den älteren Bereich des Gemeinderaumes der Holzkirche in Wölfelsgrund (Mi�dzyg6rze), M 1 :2 00

Von den verschiedenen Dachabschnitten, die zu den erwähnten unterschiedlichen Bauphasen gehören, soll an dieser Stelle nur das ältere Hauptdach angesprochen werden. Die Gebinde weisen die Dachkonstruktion als doppeltes Kehlbalkendachwerk aus. Sie sind verschie­den stark aus gezimmert, wobei sechs Leergebinde, da­von drei im Chordachbereich, fünf Vollgebinde, davon eins im Chordachbereich, und zwei Turmgebinde der Dachreiterkonstruktion zu unterscheiden sind. Auf die Dachbalkenenden sind Längshölzer aufge­

kämmt, die den Sparren des Dachwerkes als Schwellen dienen. Die Sparren stehen, wie bei der ersten beschrie­benen Holzkirche in Steinbach, mit einem Fersenver­satz auf den Schwellen auf und werden durch kräftige Holznägel gehalten. Die Gebinde des Schiffdaches be­sitzen keine Aufschieblinge, was ungewöhnlich bei Sparrendachkonstruktionen ist. Die Überdeckung der Dachbalkenköpfe wird lediglich durch ein kräftiges Traufholz erreicht.

Die Vollgebinde besitzen in der Mittelachse jeweils eine Spitzsäule. Am oberen Ende ist diese, anders als in den Dachwerken der Holzkirchen in Steinbach und Spätenwalde, nur von einer Seite her, von dort dann aber in voller Sparrenstärke abgearbeitet. Das seitlich

32. Querschnitt durch das Chordachwerk und das davon abgeschleppte Dach über der umgebauten Sakristei der Holzkirche in Wölfelsgrund (Mie,dzy­gorze), M 1 .·200

stehengebliebene Schwert ist mit dem Sparrenpaar bündig verblattet und mit einem Holznagel gesichert. Ein Paar lange Streben bildet zusammen mit dem dazu­gehörigen Dachbalken für diese Säulen ein zusätzliches einfaches Hängewerk aus.

Ungewöhnlich an den Dachreiterquerbindern ist, daß zwar die beiden inneren zugleich Teil der Dachkon­struktion sind, daß aber die äußeren beiden (Abb. 3 3) nur zur Turmkonstruktion gehören und unmittelbar neben zwei regulären Dachwerkbindern stehen. Eine Verquickung von Dachreiter- und Dachwerkhölzern, wie in Spätenwalde und Neuweistritz, ist hier nicht so extrem gegeben, im Gegenteil, offenbar wurden die jeweiligen Tragwerkkomponenten absichtlich ge­trennt.

Außer einem Mittelwandverband (Abb. 34), an des­sen Schwelle die Dachbalken angehängt sind, gibt es noch vier weitere in Längsrichtung verlaufende Zim­mereinheiten des Daches, welche Teil der Dachreiter­konstruktion sind. Der Mittelwandverband dagegen ist deutlich von der Dachreiterkonstruktion abgesetzt.

Die Dachbalken liegen zum Kirchenraum hin offen und besitzen keinen Unterzug, sondern sind allein an einem Überzug, der Schwelle des Mittelwandverban­des, aufgehängt. Diese Dachbalkenabhängung und die Absprengung der Spitzsäule durch das zusätzliche Hängewerk läßt die eindeutige Bestimmung des Mittelwandverbandes im Bereich über dem Versamm-

lungsraum als Hängesäulenverband zu. Die Aus­bildung des Mittelwandverbandes als Hängesäulen­verband besteht allerdings nur im Schiffdachwerk. Im Chordachwerk ist die Hängefunktion des Mittel­wandverbandes nicht gegeben. Die Chordachbalken mit ihrer geringen Spannweite bedürfen ja auch keiner Zwischenunterstützung. Der Längsverband spannt von Spitzsäule zu Spitzsäule über fünf Gebindefelder recht weit, so daß sich, selbst bei als wirksam ange­nommener Aufhängung der Spitzsäulen, der Längs­verband durchbiegen wird und damit die Dachbalken belastet.

So dient im Bereich des Chordachwerkes der Mittel­wandverband, wie derjenige im Dachwerk der Holz­kirche in Steinbach, als Spitzsäulenverband vornehm-

33. Die äußeren beiden Dachreiterquerbinder des Dachwerkes der Holzkirche in Wö/felsgrund (Mi�dzy­gorze)

3 4. Mittelwandverband der Holzkirche in Wölfels­grund (Mi�dzygorze); dieser besteht aus zwei Abschnitten: über dem Gemeinderaum als Hänge­säulenverband und über dem Chorebereich als Spitz­säulenverband.

3 5 . Axonometrien der heutigen Baugestalt und der Rekonstruktion der ursprünglichen Bau/arm der Holzkirche in Wöl/elsgrund (Mie.dzyg6rze)

lich der Längsaussteifung des Dachwerkes. Der Mittel­wandverband in Wölfelsgrund ist der einzige der hier behandelten Mittelwandverbände, dessen Wirkungs­weise innerhalb seines Verlaufes von stehend zu hän­gend wechselt.

Eine Besonderheit dieses Dachwerkes ist es, wie der Schwellenrost des Dachreiters ohne Kontakt zu den Dachbalken ausgeführt wurde, indem seine Hölzer frei über den Kirchenraum spannen und mit geringen Ab­stand über den Dachbalken >schweben<,

Den Dachreiter, wie im Dachwerk der Holzkirche in Spätenwalde, allein auf Längsschwellen aufzubauen, verbot sich wegen der geringen Trägerhöhe des Auf­lagers am Chorbogen, und mehr noch, weil die Längs­schwellen in freier Überspannung des Gemeinderau­mes zu stark auf Biegung belastet wären. Der zusätz­liche Holzbedarf, durch die Binderdopplung an den Übergangsstellen des Dachwerkes zum Turm, besteht lediglich in zwei langen Strebenpaaren, die bei einer >Verschmelzung< der Binder hätten vermieden werden können. Der gewonnene Vorteil, nämlich das Fern­halten der Dachreiterlast von den Dachbalken, wiegt jedoch weit mehr als der Nachteil des zusätzlichen Materialverbrauches.

V öllig unverständlich in diesem ansonsten so reiflich durchdachten Dachwerk bleibt der Einsatz einer Spar­renschwelle. Sie wird lediglich im Chordachbereich

ihrem Sinn entsprechend genutzt, da hier die Gebinde und Dachbalken ungebunden gestellt sind. Durch ei­nen gegenüber den Deckenbalken weiteren Gebinde­abstand konnte ein Leergebinde eingespart werden. Im Dachwerk über dem Versammlungsraum ist die Spar­renschwelle jedoch unsinnig, zumal die Sparren durch die Abhängung der Spitzsäulen zusätzliche Schub­kräfte auf ihre Auflager ausüben.

Die oben angestellten Beobachtungen lassen eine Re­konstruktion der ursprünglichen Erscheinungsform der Holzkirche zu (Abb. 35)' Durch die Urkunde der Fertigstellung aus dem Jahr 1 742 war zu erfahren, daß Friedrich Keitig aus Wölfelsdorf und Heinrich Lud­wig aus dem benachbarten Plomnitz die Holzkirche in Wölfelsgrund errichtet haben. Offenbar diente die Kirche im Heimatort des einen >Baumeisters<, nämlich die in Wölfelsdorf, dem heutigen Wilkan6w, als Vor­bild für die neu zu errichtende Holzkirche. Diese war im Jahre 1 5 1 6 als Massivbau errichtet und 1 70 I umge­baut worden (Abb. 3 6). Die Kirche in Wölfelsdorf be­sitzt heute einen massiven, vierseitigen, turmartigen Dachreiter über der Westfront. Früher jedoch hatte sie, wie in einem alten Stich aus dem Jahre 17 3 8 zu er­kennen ist, einen achtseitigen Dachreiter etwa auf der Mitte des Schiffdaches (Abb. 37), wodurch die Ähn­lichkeit mit der Holzkirche in Wölfelsgrund verstärkt wird.

3 6. Kirche in Wilkan6w, dem ehemaligen Wölfelsdorf

Auch die Übereinstimmungen In der Fassadenbe­handlung der Massivkirche und derjenigen der Holz­kirche in Wölfelsgrund ist sehr augenfällig: so sind bei jener vor allem die liegend ovalen Fensterformen wie­derzuentdecken.

Vergleichende Betrachtung der Dachwerke

Die untersuchten Kirchendachwerke mit Neigungen über dem Gemeinderaum von 46° bis 54° sind alle als Sparrendächer, und zwar als einfache (Steinbach und Neuweistritz) oder zweifache (Spätenwalde und Wöl­felsgrund) Kehlbalkendachwerke ausgeführt. Ihre wei­tere Auszimmerung ist in hohem Maße unterschiedlich komplex, so daß im folgenden für die zusammenfas­sende Betrachtung die auftretenden Hauptbauglieder getrennt behandelt werden, um dann ihr zusammen­wirken zu beleuchten.

Gespärre- und Binderkonstruktionen

Bei den Holzkirchen des Glatzer Raumes sind die Sparrenfüße in zwei Fällen ohne Holznagelsicherung in die Dachbalken gezapft, nämlich in Spätenwalde und Neuweistritz. Es ist dies eine für ein Sparrendach gebräuchliche schubfeste Verbindungsart, die jedoch keinen Schutz bietet bei Widsog, der für die leichten, schindelgedeckten Dächer eine besondere Gefahr dar­stellt. Um hier nicht völlig auf eine zugfeste Veranke-

37- Kirche in WölJelsdorf, Bauzustand 17] 8

rung zu verzichten, wurden an beiden Enden geblattete Fußstiele bzw. -bänder zwischen Sparren und Dach­balken angebracht.

Die beiden anderen Dachwerke besitzen Sparren­schwellen, auf denen die Sparren nur mittels Fersen­versatz und Holznagelsicherung aufgestellt sind. Wäh­rend diese Lösung bei dem vom ländlichen Hausbau abgeleiteten dachbalkenlosen Dachwerk der Holz­kirche in Steinbach nicht weiter verwundert, ist diese urtümliche Ausbildung im jüngsten und in hohem Grade durchdachten Kirchendachwerk in Wölfels­grund rätselhaft. Angenommen werden können nur formale Beweggründe: Offenbar war der sonst für Spar­rendächer übliche Knick am Dachfuß unerwünscht, und der aufgeklaute Sparren eine Möglichkeit, die Auf­schieblinge zu vermeiden.

Die Streben innerhalb der Hauptgebinde der verschie­denen Dachwerke erfüllen als Druck- bzw. als Zug­glieder verschiedene Funktionen. Sie dienen der Quer­aussteifung der Binder und als zugbelastete Bänder bzw. als druckbelastete Sprengstreben der Aufhängung der Konstruktion.

Die Strebenanordnung im Dachwerk der Holzkirche in Spätenwalde ist offenkundig auf Vorbilder des mittel­alterlichen monumentalen Kirchenbaus zurückzufüh­ren. Wenn solche Auf teilungs regeln auf Rahmenformen übertragen wurden, deren Größe und Proportionen sich gegenüber den ursprünglich zur Regel gehörenden Formen verändert hatten, etwa auf die flachere Dach-

neigungen der Dachwerke des Barock gegenüber jenen der Gotik, so resultierten daraus Verstrebungsfiguren, die ihre konstruktive Wirkung verloren haben. Unter Berücksichtigung dieses Aspektes sind die steigenden Streben des Vollbinders der Holzkirche in Spätenwalde sicherlich den Hängebändern der mittelalterlichen Dachwerke nachempfunden, allerdings ohne daß die Bedeutung der Dachneigung begriffen worden wäre.

Im Falle der Holzkirche von Wölfelsgrund wurde jedoch die statisch-konstruktive Wirkungsweise der Hängebänder und vor allem auch die Abhängigkeit ihrer Effektivität von der Neigung der Sparren und der Bänder selbst erkannt. Sie wurden, da das Dach hier eine recht flache Neigung besitzt und dadurch die Zug­belastung im Anschlußpunkt extrem groß werden würde, durch Druckstreben ersetzt.

Die Art der Strebenanordnung an den Säulen der Querbinder ist auch von Bedeutung bei der Beurtei­lung der längsverlaufenden Mittelwandverbände.

Mittelwandverbände

In allen hier untersuchten Dachwerken ist, zumindest in Abschnitten, ein fachwerkartiger Verband in der Dachmittelebene vorhanden. Diesen zu beschreiben und dann entsprechend seiner konstruktiven Wirkungs­weise eindeutig mit einem Begriff aus der gängigen Dachwerkterminologie zu belegen, ist nicht möglich. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, eine den Be­funden gerecht werdende Einteilung der Mittelwand­verbände vorzunehmen. Prinzipskizzen der verschie­denen Mittelwandverbände verdeutlichen in einem Schaubild (Abb. 3 8), wie die Einflüsse aus den Dach­werken des ländlichen Wohnbaus und den Dachwer­ken des monumentalen Kirchenbaus offenbar zusam­mengeflossen sind.

Der Mittelstuhlverband

Der Mittelwandverband des Chordachwerkes in Neu­weistritz stellt einen einfach stehenden Stuhl dar. Bei diesem Dachwerk wird deutlich, daß das in den ande­ren Dachwerken ungenutzte Potential der Längsaus­steifung aller Gebinde erkannt wurde, da hier die Kehl­balken mit kräftigen Holznägeln in ihrer Position auf

144

dem Rähmholz des Stuhles gesichert sind. Damit wird eine Verschiebung verhindert, und die Kehlbalken kön­nen bei Druckbelastung auch nicht seitlich ausknicken.

Der Hängesäulenverband

In zwei der hier untersuchten Dachwerke gibt es Fach­werkbinder in den Mittelebenen, welche den Hänge­konstruktionen, wie sie vor allem Josef Bronner und Fritz Heyn33 für die mittelalterlichen Dachwerke Bres­laus und Danzigs dokumentiert haben, recht nahe kom­men. Es sind dies die Mittelwandverbände in den Dach­werken in Spätenwalde und Wölfelsgrund. An die Schwelle des letzteren sind auch die Dachbalken der Leergebinde gehängt. In Spätenwalde hängen nur die Dachbalken der Vollgebinde am Längsverband. Haupt­ziel hier war es wohl, den schweren Längsverband allein aufzuhängen und damit die Dachbalken zu entlasten.

Die Spitzsäulen der hier betrachteten beiden Hänge­säulenverbände sind am Firstpunkt mit einem schwert­artigen Blatt aufgehängt. Diese Ausführung ist im monumentalen Kirchenbau weniger häufig dokumen­tiert worden als der wirksamere Versatz, jedoch ist er von Heyn bei der Barbarakirche in Danzig beobachtet und gezeichnet worden34. Im Dachwerk der Holzkir­che in Spätenwalde sollten offenbar die zu den Sparren verlaufenden Bänder eine weitere, die Spitzsäulen auf­hängende Funktion übernehmen. Im Kirchendach­werk in Wölfelsgrund wird in Querrichtung mittels weit nach außen reichender Druckstreben ein Hänge­werk ausgebildet.

Durch die fehlende Verkämmung der Kehlbalken mit den Riegeln der Hängeverbände wird bei diesen beiden Beispielen die Möglichkeit der Längsaussteifung nicht optimal ausgenutzt.

Der Spitzsäulenverband

Neben den eindeutig stehenden bzw. hängenden Kon­struktionen finden sich Längsverbände in den in dieser Arbeit untersuchten Kirchendachwerken, deren Wir­kungsweise nicht klar ablesbar ist. Der Mittelwand-

33 Siehe Anm. 19. 34 Heyn a. a. O., Tafel 5.

freitragend I stehend

Dachwerk ohne Längsverband I

Reiterverband2

doppelt stehender Stuhe Mittelstuhlverband4

(

/ /

J 8. Übersicht der Längsverbände; Anmerkungen dazu:

/

Längsverbände

hängend

Hängesäulenverband5

/ /

Hochsäulenverband6

Spitzsäulenverband 7

I Dachwerk ohne Längsverband nach Hermann Phleps, Ost-, und westgermanische Baukultur unter besonderer Würdigung der ländlichen Baukunst Siebenbürgens, Berlin 193., 2 I, Abb. I lg. 2 Reiterverband nach Alfred Fiedler/jochen Helbig, Das Bauernhaus in Sachsen, Ber­lin 1967, 73, Abb. 50. Vgl. auch »freitragendes fachwerkartiges Längstragwerk mit Hängesäulen«, nach Susanne Kraft, Statisch-konstruk­tive Untersuchung gezimmerter Dachtragwerke in Pirna, in: Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke, Berlin 1997 Oahrbuch des Sonder­forschungsbereiches 3 15, 1995), 181-187- 3 Doppelt stehender Stuhl nach Eberhard Deutschmann, Lausitzer Holzbaukunst unter besonde­rer Würdigung des sorbischen Anteils, Bautzen 1959, 166-167, Ta[ 4 u. 5. 4 Mittelstuhlverband nach Hans Schwab, Die Dachformen des Bauernhauses in Deutschland und in der Schweiz, ihre Entstehung und Entwicklung, Diss., TH, Berlin 1914, 19, Abb.2. 5 Hängesäulen­verband nach josef Bronner, Zur Konstruktiven Entwicklung der Dachstühle auf Breslauer Kirchen und Monumentalbauten, Diss., TH, Breslau 193 I, Ta[ I I. 6 Hochsäulenverband nach Heinrich Franke, Ostgermanische Holzbaukultur und ihre Bedeutung für das deutsche Siedlungswerk, Breslau 1936, 43, Abb. 41 . 7 Spitzsäulenverband nach den in dieser Arbeit dokumentierten Dachwerken. Vgl. auch »fach­werkartiges Längstragwerk mit Spitzsäulen«, nach Kraft, a. O.

1 45

39. Tragwerkkomponeneten der Dachwerke der Holzkirchen in Spätenwalde (Zalesie) (links) und in Wölfels­grund (Mie.dzyg6rze) (rechts)

verband des Dachwerkes der Kirche in Stein bach und derjenige des Chordachwerkes in Wölfelsgrund sind Mischkonstruktionen aus Hängesäulenverband und stehendem Mittelstuhlverband, die von der Verfasserin als Spitzsäulenverbände bezeichnet werden. Die Spitz­säulen der Kirchendachwerke in Steinbach und Wöl­felsgrund sind am Firstpunkt durch ihre holznagel­gesicherte Verblattung mit den Sparren »abgehängt«,

aber weder Hängebänder zu den Sparren noch Hänge­werkstreben zu den Dachbalkenenden sorgen für eine wirklich wirksame Aufhängung der Säulen. Sie sind zudem recht weit voneinander entfernt angeordnet, so daß der Fachwerkbinder aufgrund seiner Durch­biegung auf jeden Fall auf den Dachbalken ruht.

Da die Unterstützung der Kehlbalken in diesen Spitz­säulenverbänden nur eine untergeordnete Rolle spielt, was sich an ihrer fehlenden Verkämmung mit dem Längsrähm zeigt, hierin jedoch eine wesentliche Funk­tion einer Stuhlkonstruktion besteht, wird für diese Verbände der Begriff des Stuhles vermieden.

Integration der Dachreiterkonstruktion in das Hauptdachwerk

Die Dachreiter der Kirchen in Steinbach, Spätenwalde, Neuweistritz und Wölfelsgrund sind achtseitig, stehen mit zwei Seitenflächen senkrecht zum First und be­sitzen, bzw. besaßen, durch den gesamten Dachwerk­querschnitt aufsteigende Stützen. Dennoch gleicht keine Grundkonzeption genau einer anderen.

1 46

In den Dachwerken der Holzkirchen in Spätenwalde, Neuweistritz und Wölfelsgrund stehen die Stützen des Dachturmes innerhalb von Längsbindern auf langen, von Querwand zu Querwand reichenden Schwellen. In Steinbach, wo dies nicht der Fall ist, sondern wo ein Schwellrost aus relativ kurzen Hölzern auf wenigen Deckenbalken liegt, mußte der Dachreiter abgetragen werden, da er eine zu große Belastung der Decken­balken darstellte.

Zu beobachten ist, daß die Hauptkonstruktionsglie­der: Gebinde, Mittelstuhlwand und Turmkonstruk­tion, unterschiedlich stark verschmelzen (Abb. 39). Die Dachwerke in Spätenwalde und Wölfelsgrund bilden in Bezug auf den Grad der Verflechtung der Konstruk­tionselemente von Dach und Turm die beiden extremen Pole (Abb. 40). Bei der Holzkirche in Spätenwalde sind die Konstruktionshölzer der beiden Bauteile sehr stark miteinander verflochten: Die Stützen des Mittelwand­verbandes, der in diesem Bau als Hängesäulenverband ausgeführt wurde, sind zugleich Stützen des Turmes. Alle vier Turmquerbinder sind zugleich Vollgebinde des Dachwerkes. Diese Verflechtung bringt eine starke Verunklärung des Systems der Lastabtragung mittels stehender und hängender Tragwerkglieder mit sich. Damit entzieht sich die Konstruktion unserem Ver­ständnis für statisch bestimmte Systeme, das entstan­dene räumliche Fachwerkgitter ist aber offenbar von großer Stabilität. Die Ausbildung eines räumlichen Gitterwerkes, mit seinen gewollten Knotenpunkten zwischen Quer- und Längsverbänden, ist in diesem

Dachwerk am weitesten vorangetrieben. Der extrem große Holzaufwand des Dachwerkes erschwerte natürlich den Abbundvorgang. Zum Anreißen ihrer Verbindungen müssen gerade die Spitzsäulen mehr­fach, nämlich im Zusammenhang mit den Hölzern der Längs- und der Querbinder, ausgelegt werden. Im Zuge des Richtens ergaben sich dadurch auch unge­wollte aber auch unvorhersehbare Kollisionen der Streben mit anderen Hölzern, so daß viele Konstruk­tionsglieder abgebeilt oder gar durchgesägt werden mußten.

Die in Spätenwalde vorzufindende Verquickung von Dachwerk- und Dachreiterkonstruktion wurde in Neuweistritz auf besondere Art noch weiter getrie­ben, wahrscheinlich mit dem Ziel, Holz einzusparen: Nicht nur die Querverbände gehören gleichzeitig zum Dachwerk und zum Turm, mehr noch: die Dach­reiterlängsverbände sind mit den Stuhlwänden >ver­schmolzen<, die bei dem Dachwerk der Holzkirche in Spätenwalde als getrennte Längsverbände zusammen mit einem Mittelwandverband bestehen (Abb. 3 9)' Als Folge dieser Rationalisierung stehen nun jedoch die beiden Stuhlwände ungünstig eng zusammen und belasten die Dachbalken zu weit in der Feldmitte. Außerdem sind dadurch die Kehlbalken für eine sinn­voll angebrachte Unterstützung der Sparren zu hoch gelegen, und ihre Unterstützung durch den Stuhlrähm ist überflüssig.

Die Erbauer der Holzkirche in Wölfelsgrund müs­sen die jeweiligen Vorteile einer hängenden bzw. einer stehenden Konstruktion und gleichzeitig die Nach­teile der übermäßigen Verflechtung der Tragwerk­komponenten erkannt haben, denn innerhalb dieses Dachwerkes sind die Konstruktionsanteile von Dach und Turm weitgehend getrennt ausgebildet worden. Hier stehen die Vollgebinde des Dachwerkes neben den Turmquerbindern, und der als Hängesäulenver­band ausgebildete Mittelwandverband über dem Versammlungsraum hat keine gemeinsamen Hölzer mit der stehenden Turmkonstruktion. Diese wurde sogar, um die Dachbalken nicht zu belasten, auf einen Schwellenrost gestellt, der frei über den Dachbalken von Umfassungswand zu Umfassungswand gespannt ist. Der Verzicht auf ein räumliches Gittertragwerk bedeutete jedoch auch ein Verlust an statischen Re-

serven, und so mußten die einzelnen Binder kon­sequent den an sie gestellten Anforderungen ent­sprechend konzipiert werden, was durch die Aus­bildung eines tatsächlich funktionsfähigen Hänge­werkes geschah.

Schlußgedanken

Die Walmausbildung, die stehenden Stuhlwände, seien sie in der Dachmittelebene oder seitlich aufgestellt, sowie die Sparrenschwellen sind Anleihen aus dem ländlichen Wohnbau, während die hängenden Mittel­wandverbände zunächst nur in den mittelalterlichen Kirchendachwerken zu finden sind.

Friedrich Herzberg aus Breslau macht, kurz nachdem die letzte Holzkirche in Wölfelsgrund entstanden war, in einigen nacheinander erschienenen Veröffentlichun­gen Vorschläge dazu, wie seiner Meinung nach die bis dahin »üblichen Dächer zu verbessern« seien und faßt diese im Jahre 1774 in einem Buch zusammen35. Er macht sich vor allem Gedanken über Alternativen zu stehenden oder liegenden Stuhlkonstruktionen, mit dem Ziel, den Holzaufwand zu minimieren. Nur mit wenigen Bemerkungen spricht er die ihm bekannten Dachwerke mit Hängekonstruktionen an:

»Die, nach ächtem gothischen Geschmack erbauete Kirchen oder Thürme scheinen insbesondre diese Dachwerke [gemeint sind solche mit Hängesäulen­verband], als bewährte Zeugnisse des barbarischen Zeitalters der Baukunst, der Bewunderung neuerer Baumeister aufbewahrt zu haben. Denn es ist ausge­macht, daß ein jeder Kunstverwandter beym Anblicke der innern Verbindung eines solchen Daches, Bewun­derung über die Ausschweifungen der Kunst, einen kleinen Wald von Bauholz, den Grundgesetzen der Natur zuwieder, in freyer Luft aufzuhängen, empfin­den müsse.«36 Herzberg führt weiter aus, daß diese Dachwerkart, als »bewunderte kostbare Kunst weniger zur Nachahmung reize« und keinen Raum finden könne innerhalb einer Arbeit, die sich mit der Ökono­mie der Konstruktion beschäftige.

35 Friedrich Herzberg, Vorschläge zur Verbesserung der bis­her üblichen Dächer, Breslau 1 774.

36 Ebd., 44-4 5 , §30.

b) c)

40. Prinzipskizzen der Querbinder, M I : 2 00 a) Spätenwalde (Zalesie), 1718: Stehendes und Hängendes verknüpft: Der >hängende< Mittelwandverband ist im Bereich des Dachreiters

Teil der Dachreiterkonstruktion (die Spitzsäulen sind im engeren Abstand aufgestellt und über die Firstlinie hinaus höher geführt). Sparren

und Streben verknüpfen den Mittelwandverband mit den stehenden Längsbindern der Dachreiterkonstruktion und den seitlich stehenden

Stuhlwänden des übrigen Dachwerkes zu einem räumlichen Gittertragwerk.

b) Neuweistritz (Nowa Bystrzyca), 1726: Stehendes zusammengefaßt: Starke Verflechtung der Komponenten von Dachreiterkonstruktion

und übrigem Dachwerk (seitlich stehende Stuhlwände sind zugleich Längsbinder der Dachreiterkonstruktion) und Verzicht auf einen

Mittelwandverband; Dadurch konnte zwar der Holzaufwand reduziert werden, aber die Dachbalken werden stark belastet, und die Kehl­

balken liegen ungünstig hoch.

c) Wölfelsgrund (Mü:dzyg6rze) 1742: Stehendes oder Hängendes getrennt ausgebildet: Hängender Mittelwandverband und dazugehörige

Querbinder sind getrennt von den stehenden Dachreiterbindern.

Die Dachwerke der Holzkirchen in Spätenwalde und Wölfelsgrund zeigen, wie die Zimmerleute des 1 8. Jahr­hunderts im Glatzer Raum mit den konstruktiven Vor­bildern, die sie hatten, experimentierten, um diese den zeitgemäßen formalen Anforderungen, vornehmlich der einer erwünschten flacheren Dachneigung, anzu­passen. Der Weg zur Erkenntnis, daß ein Dachwerk mit mittlerem Hängesäulenverband, oder in der Modifika­tion als Spitzsäulenverband, gerade hierfür kaum ge­eignet ist, zog sich also sehr lange hin.

Deutlich zeigt sich allerdings, daß es bei den unter­suchten Holzkonstruktionen nicht vorrangiges Ziel der Zimmerleute gewesen ist, Holz einzusparen. Damit ging es auch nicht um eine Suche nach neuen, effizienteren Tragwerksystemen, sondern allenfalls darum, das Bekannte in Hinblick auf eine Verein­fachung der Richttechnik zu verbessern. So werden

Abbildungsnachweis:

Herzbergs geringschätzig gemeinten Worte zur Dach­konstruktion mit Hängesäulenverband als »Wald von Bauholz« und als zu »bewundernde kostbare Kunst«, damit jedoch abzulehnende, unsinnige Konstruktion, relativiert. Diese Dachwerke geben in den Details der Knotenpunktausbildungen doch Zeugnis von einer hohen Zimmermannskunst. Und wenn man bedenkt, daß es keine Vorlagen in Form von Plänen gab, son­dern der Zimmermann nur durch eigene Anschauung anderer Dachwerke das Prinzip erfassen mußte, ver­weist dies auf ein gutes räumliches Vorstellungsver­mögen und ein ausgeprägtes analytisches Denken. Daß er das Vorgefundene dann nach eigenem Gut­dünken mehr oder weniger abgewandelt hat zeigt auch, daß er den Vorbildern nicht kritiklos gegen­überstand und sein eigenes Können in seinem Werk einbringen wollte.

2 Matthäus Merian, Topographia Bohemiae, Moraviae et Silesiae, Kassel und Basel 1960, Repr. d. Ausg. Frankfurt 1 65 0, Taf. n. 1 1 6. - 36 Jörg Marx, Grafschafter Kirchen in heutiger Zeit, Leimen/Heidelberg 1978, 32I. - 37 Aloys Bernatzky (Hrsg.), Landes­kunde der Grafschaft Glatz, Leimen, 1988, 82 nach Vorlage in: Franz August Pompejus (Hrsg.), Album der Grafschaft Glatz oder Abbildungen der Städte, Kirchen, Klöster, Schlösser und Burgen derselben vor mehr als 1 5 0 Jahren, Glatz 1 862. - Die Dach­werk-CAD-Modelle: Stefan Blum, Sascha Hendl, Kat ja Melan und Catharine Hof (Insitut für Baugeschichte, Karlsruhe). -Bauaufnahmezeichnungen: Polnische und deutsche Architekturstudenten unter Anleitung von Rafal Czerner, Jacek Kosciuk (Breslau/Wrodaw) und Bettina Häfner, Catharine Hof (Karlsruhe). - Alle übrigen: Catharine Hof.

1 48

Zeitschrift für Geschichte der Baukunst Journal of the History of Architecture

Beitrag aus Band 29) 1999

Deutscher Kunstverlag · D-80636 München