Das Kastell contra Magadaburg von 806 AD und die karolingischen Kastelle an der Elbe-Saale-Grenze...

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Archäologie in Sachsen-Anhalt · Sonderband 16 · 2011 133 Das Kastell contra Magadaburg von 806 AD und die karolingischen Kastelle an der Elbe-Saale-Grenze – Ausgrabungen auf dem Weinberg von Hohenwarthe Joachim Henning (Frankfurt am Main) Kooperationsprojekte Thema (als Schlagwort): Magdeburg und sein Hinterland im frühen Mittelalter Fach- und Arbeitsrichtung: Vor- und Frühgeschichte, Frühmittelalter- archäologie Institution: Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main Grüneburgplatz 1 6o323 Frankfurt am Main Forschungsschwerpunkt: Archäologie Europas, des Nahen Ostens und Afrikas Anzahl Mitarbeiter: 1o9 Projektleitung: Prof. Dr. Joachim Henning Forschungsschwerpunkt: Frühmittelalter Europas Anzahl Mitarbeiter im Kooperationsprojekt: 23 Dauer: seit 2ooo andauernd Kurzskizze: Kürzlich gelang die sehr wahrscheinliche archäo- logische Lokalisierung des lange gesuchten karo- lingischen Kastells von 8o6 AD am rechten Elbeufer nördlich gegenüber Magdeburg. Dieses Ergebnis mit seinem für den Raum Sachsen- Anhalt bedeutsamen historischen Hintergrund gehört zu einer Reihe von Forschungsaktivitäten, die von der Universität Frankfurt in Absprache und mit freundlicher Unterstützung durch das LDA (insbes. PD Dr. Weber) realisiert wurden. Sie sind auf die frühmittelalterliche Geschichte Mag- deburgs und seines breiteren Umfeldes gerichtet und umfassen die unterstützende Mitarbeit bei Projekten unter der Direktion/Co-Direktion des LDA (Magdeburg, Autobahntrasse B 6n, Burgwall Ottersburg) sowie archäologische Forschungen in eigener Verantwortung (geophysikalische Prospektion frühgeschichtlicher Objekte, Aus- grabungen des karolingischen Kastells bei Hohenwarthe, Untersuchungen zu Hornhausen). Als roter Faden wird hierbei das Problem früh- mittelalterlicher Wirtschafts- und Sozialverhält- nisse zwischen Harz, Elbe und Altmark verfolgt. Die Arbeiten kommen auch universitären Gra- duierungsvorhaben zugute. Im Moment wird erwogen, die Arbeiten zu einem programmierten Kooperationsprojekt weiterzuentwickeln. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Goethe-Universität Frankfurt am Main und das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt bei einer Reihe von Untersuchun- gen zur Frühgeschichte Magdeburgs und seines weiteren Hinterlandes zwischen Harz, Altmark und östlichem Elbvorland gegenseitig Hilfe und Unterstützung gewährt. Dazu gehören die Bear- beitung von Befunden der neueren Magdeburger Altstadtgrabungen im Rahmen einer Frankfurter Dissertation (Kunz 2oo6), die Präsentation Magde- burger Befunde auf der 2oo1 von der Frankfurter

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Das Kastell contra Magadaburg von 806 AD und die

karolingischen Kastelle an der Elbe-Saale-Grenze –

Ausgrabungen auf dem Weinberg von HohenwartheJoachim Henning (Frankfurt am Main)

Kooperationsprojekte

Thema (als Schlagwort):

Magdeburg und sein Hinterland im frühen Mittelalter

Fach- und Arbeitsrichtung:

Vor- und Frühgeschichte, Frühmittelalter-archäologie

Institution:

Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am MainGrüneburgplatz 16o323 Frankfurt am MainForschungsschwerpunkt: Archäologie Europas, des Nahen Ostens und Afrikas

Anzahl Mitarbeiter: 1o9

Projektleitung: Prof. Dr. Joachim HenningForschungsschwerpunkt: Frühmittelalter Europas

Anzahl Mitarbeiter im Kooperationsprojekt: 23

Dauer:

seit 2ooo andauernd

Kurzskizze:

Kürzlich gelang die sehr wahrscheinliche archäo-logische Lokalisierung des lange gesuchten karo-lingischen Kastells von 8o6 AD am rechten Elbeufer nördlich gegenüber Magdeburg. Dieses Ergebnis mit seinem für den Raum Sachsen-Anhalt bedeutsamen historischen Hintergrund gehört zu einer Reihe von Forschungsaktivitäten, die von der Universität Frankfurt in Absprache und mit freundlicher Unterstützung durch das LDA (insbes. PD Dr. Weber) realisiert wurden. Sie sind auf die frühmittelalterliche Geschichte Mag-deburgs und seines breiteren Umfeldes gerichtet und umfassen die unterstützende Mitarbeit bei Projekten unter der Direktion/Co-Direktion des

LDA (Magdeburg, Autobahntrasse B 6n, Burgwall Ottersburg) sowie archäologische Forschungen in eigener Verantwortung (geophysikalische Pros pektion frühgeschichtlicher Objekte, Aus-grabungen des karolingischen Kastells bei Hohenwarthe, Untersuchungen zu Hornhausen). Als roter Faden wird hierbei das Problem früh-mittelalterlicher Wirtschafts- und Sozialverhält-nisse zwischen Harz, Elbe und Altmark verfolgt. Die Arbeiten kommen auch universitären Gra-duierungsvorhaben zugute. Im Moment wird erwogen, die Arbeiten zu einem programmierten Kooperationsprojekt weiterzuentwickeln.

In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Goethe-Universität Frankfurt am Main und das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt bei einer Reihe von Untersuchun-gen zur Frühgeschichte Magdeburgs und seines weiteren Hinterlandes zwischen Harz, Altmark

und östlichem Elbvorland gegenseitig Hilfe und Unterstützung gewährt. Dazu gehören die Bear-beitung von Befunden der neueren Magdeburger Altstadtgrabungen im Rahmen einer Frankfurter Dissertation (Kunz 2oo6), die Präsen tation Magde-burger Befunde auf der 2oo1 von der Frankfurter

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Universität mit den Magdeburger Museen organi-sierten internationalen Tagung »Europa im 1o. Jahrhundert: Archäologie einer Aufbruchszeit« (Kuhn u. a. 2oo2) und die Übernahme bodenmikro-morphologischer Untersuchungen auf der Magde-burger Domplatzgrabung durch die Universität Frankfurt (Macphail u. a. 2oo7). Ergebnisse der seit 2oo3 durchgeführten geoarchäologischen Pros-pektionen und Befundanalysen der Frankfurter Mittelalterarchäologie im Bereich frühgeschicht-licher Befunde auf verschiedenen Ausgrabungs-objekten des Landesamtes – z. B. Grubenhäuser auf der Trasse B 6n (Wegener 2oo6) sowie auf bedrohten und durch Luftbilder erkundeten Fundstätten, z. B. die Befestigungsanlagen von Barby und Schönebeck sowie das Gräberfeld Hornhausen – werden in drei weiteren Frankfur-ter Dissertationen von O. Wegener (Institut für Physische Geographie), P. Milo und E. Eyub (beide Institut für Archäologische Wissenschaften) bear-beitet. Eine Monographie wird Frankfurter For-schungen zu Hornhausen, darunter vor allem eine neue Analyse des berühmten frühmittelalter-lichen Reitersteines durch R. Schiavone, vorstel-len (Hanauska/Schiavone 2o11). Auf Einladung des LDA beteiligte sich die Universität Frankfurt an den Ausgrabungen des frühgeschichtlichen Burgwalles von Ottersburg in der Altmark zunächst beratend (2oo7) und dann in Absprache mit F. Biermann (s. Beitrag in diesem Band) durch die Übernahme der geodätischen Gesamtvermes-sung der Anlage (2oo8).

Die sich berührenden Aktivitäten von Univer-sität und Landesamt haben fast schon die Dimen-sion und den Charakter eines überregionalen wis-senschaftlichen Gemeinschaftsprojektes erlangt und es steht zu erwarten, dass die beiderseits angestrebte Aufwertung des Untersuchungskom-plexes »Magdeburg und sein Hinterland im frühen Mittelalter« zu einem strategisch programmier-ten und vertraglich vereinbarten Kooperations-projekt beträchtliche Synergieeffekte zugunsten der Erforschung der frühmittelalterlichen Wur-zeln Sachsen-Anhalts freisetzen kann.

Wie groß diese Potenz ist, belegen die Entde-ckung des Befestigungswerkes auf dem Weinberg bei Hohenwarthe, Lkr. Jerichower Land, durch die Frankfurter Universität im Jahr 2oo3 (Abb. 1) sowie die von ihr auf diesem Objekt durchgeführ-ten naturwissenschaftlichen Analysen (2oo4–2o11) und zwei Ausgrabungskampagnen (2oo8 und 2o1o). Als im Frühjahr 2oo3 mit freundlicher Unterstützung des Landesamtes (T. Weber, Gra-

0 1 km

Abb. 1 (oben) Topographische Karte mit der Lagesituation der

Befestigung auf dem Weinberg von Hohenwarthe.

Abb. 2 Geodätische und geomagnetische Vermessung des

Geländes auf dem Weinberg bei Hohenwarthe und 3-D-Modell

(überhöht) des Weinberggeländes mit dem Grabenbefund.

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bungsstützpunkt Magdeburg) die Zustimmungen der zuständigen Denkmalschutzbehörden und Bodeneigentümer für geophysikalische Prospek-tionen einer Frankfurter Arbeitsgruppe auf ver-schiedenen frühgeschichtlichen Fundstellen in Sachsen-Anhalt eingeholt wurden, war nicht absehbar, dass sich eines dieser Objekte als von größter Wichtigkeit für die karolingerzeitliche früheste Geschichte des Landes, ja der karolingi-schen Reichs- und Kulturgeschichte insgesamt erweisen sollte.

Auf der Anhöhe des Weinberges bei Hohen-warthe hatten die bei Notbergungen gesicherten ungewöhnlichen Befunde eines »frühslawischen« Grubenhauses (Beran/Parschau 1991) das Inter-esse der Frankfurter Arbeitsgruppe geweckt. Für frühslawische Siedlungen sind sonst nämlich

– anders als beim Befund von Hohenwarthe – fast ausnahmslos der sehr enge Bezug zu Seen oder Wasserläufen und die Lage auf Talsandinseln in Niederungen kennzeichnend (Grebe 1976). Sied-lungen dieses Kulturkreises auf bergigen Erhe-bungen wie hier auf dem Weinberg sind dagegen nahezu unbekannt bzw. die äußerst seltenen Aus-nahmen im Raum Ostmitteleuropas haben sich bei näherer Untersuchung als atypische, durch einfache Palisaden befestigte Siedlungen in Rück-zugsposition und/oder Kultstätten auf Anhöhen erwiesen (Beispiel: Radzikowo bei Płock, Polen; vgl. Buko 2oo8, 121).

Auch die langrechteckige Form des bei den Notbergungen auf dem Weinberg vollständig erfassten Grubenhauses (Abb. 7,b) – eine weitere ähnliche Grubeneintiefung (Abb. 7,a) wurde im Abstand von 13 m angeschnitten – ist für ein »frühslawisches« Siedlungsobjekt eigentlich unty-pisch, obwohl die Reste des Steinofens in einer der Hausecken, die deutliche Affinität der hand-gemachten Keramik zu Formen des Prager und Sukower Typs und die Funde tönerner Backwan-nenreste für kultur- und traditionsgeschichtlich slawische Bezüge sprechen. Hausgruben dieser länglichen Form mit ansonsten »slawischen« Ein-zelelementen sind aus den karolingisch-ottoni-schen Pfalzen und Königs höfen Mitteldeutsch-lands (z. B. Tilleda, Helfta) westlich der Saale bekannt, wo sie mit einer angesiedelten, abhängi-gen Bevölkerung ursprünglich slawischer Wurzel in Verbindung gebracht werden (Grimm 196o). Frühe slawische Weilersiedlungen östlich der Saale wie z. B. Dessau-Mosigkau (Krüger 1967) haben dagegen regelmäßig einen nahezu perfekt quadratischen Hausgrubentyp erbracht.

Die auf dem Fußboden des Grubenhauses von Hohenwarthe in großer Zahl gefundenen ver-kohlten Pflanzenreste enthielten mit Roggen, Saatweizen, Gerste und Erbse (Bestimmung durch T. Litt) ein Getreidespektrum, das aus frühslawi-schen Siedlungen nicht unbekannt ist (Jäger 1967, 168–174).

Das überraschende Ergebnis einer mehrtä-gigen geophysikalischen Flächenprospektion im Jahr 2oo3, die auf dem Weinberg mit einem 3-Sonden-Differenzenmagnetometer (FEREX 4.o32) der Frankfurter Arbeitsgruppe auf einer Messfläche von 4,8 ha zur Kartierung archäomag-netischer Strukturen durchgeführt wurde (Abb. 2), schien eine klare Antwort auf die Frage nach dem Charakter dieser ungewöhnlichen »frühslawi-schen« Siedlung in Höhenlage zu liefern. Es wurde nämlich eine fünffach gestaffelte Kreisgra-benanlage sichtbar, die in paralleler Anordnung der Grabenringe mit einem Außendurchmesser von rund 3oo m den höchsten Punkt des Wein-berges und damit auch den Grubenhausbefund weiträumig umschloss (Henning/Milo 2oo5, 142). Später wurde dieser Befund auf Luftbildern von O. Braasch identifiziert und seit 2oo5 ist er auch auf Google Earth sichtbar (Abb. 3,2).

Ein Holzkohlepartikel, der mithilfe eines ein-fachen Pirkheimer Bohrstockes aus dem Graben 3 entnommen wurde, erbrachte eine 14C-Datierung (Labor Erlangen-6322), die auf ein frühgeschicht-liches Alter des Grabenwerkes im weiteren Sinne schließen ließ (2 Sigma: 3.–6. Jh. AD; 1 Sigma: 367 +/- 67 AD). Pollennachweise von Roggen und Kornblume durch das Archäobotanische Labor Frankfurt am Main (Arie J. Kalis) bekräftigten die-sen allgemeinen Zeitansatz.

Handbohrungen mit dem Pirkheimer Stock in einer Linie durch die Gräben 3 und 4 sowie an anderer Stelle durch den Graben 5 ließen eher fla-che, muldenartige Grabenprofile vermuten, denn in der Regel lag die Eindringtiefe des Handboh-rers bei kaum mehr als 6o–8o cm. Diese Vorstel-lung von nur flach eingesenkten Gräben erwies sich nach den Sondagegrabungen von 2oo8 als unzutreffend und muss unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass sich in den oberen Füllbereichen der angebohrten Gräben 3 und 4 massive Steinschichten befanden, die ein tieferes Eindringen des Bohrstockes verhinderten. Die Tiefe des Grabens 5, der keine Steineinfüllungen enthielt, ließ sich wegen der geringen Länge des Handbohrers zunächst nicht feststellen. Die Gra-bensohle wurde nicht erreicht.

Um die chronologische und Strukturanalyse des Kreisgrabenbefundes weiter zu qualifizieren, wurde vom 5.–7. August 2oo8 ein Sondageschnitt von 1o3 m Länge in Nord-Süd-Ausrichtung im nördlichen Teil der Kreisgrabenanlage in 1o m Abstand parallel zum dort verlaufenden Wander-weg an der westlichen Steilkante des Weinberges angelegt (Abb. 7,1). Es kam ein Minibagger zum Einsatz. Relevante Bereiche wurden in Hand-schachtung freigelegt. Dabei ergab sich, dass es sich bei den Gräben 1 bis 4 um Spitzgräben mit Tiefen bis zu 3 m handelt (Abb. 4). In den oberen Bereichen enthielten sie beträchtliche Mengen verstürzter Feldsteine, die als Trockensteinblen-

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den ehemals hinter den Gräben aufgeschichteter Holz-Erde-Mauern interpretierbar sind. Abwei-chend von diesen Grabenstrukturen der vier inne-ren Ringe zeigte der fünfte, äußere Graben eine deutlich größere Breite und einen eher rundlich-muldenförmigen Querschnitt. Auch fehlten bei ihm Feldsteinfüllungen vollständig. Während die Gräben 1 und 2 sowie 3 und 4 jeweils paarig ange-ordnet waren, bildete Graben 5 eine Einzellinie.

Die Füllungen der vier inneren Gräben bestan-den etwa im oberen Drittel jeweils aus einer Brandschicht, die die Steinversturzschichten überlagert bzw. leicht mit diesen vermischt war. Auch die Füllung des äußeren Grabens 5 bestand im oberen Bereich aus einer Brandschicht, jedoch ohne Steinversturz darunter. Besonders aus die-sen Zonen konnten aus allen fünf Gräben Proben für Radiokarbondatierungen entnommen wer-den. Diese Daten liegen mit ihren Spannen aus-nahmslos im Frühmittelalter (Abb. 4), wobei es wegen des Probenmaterials (Holzkohlepartikel Eiche) und der in dieser Zeit weit streuenden Datierungsmethode nicht verwundern kann, dass sich zunächst rein formal eine Periode vom spä-teren 7. bis ins mittlere 1o. Jh. darzubieten scheint. Angesichts jahrhundertelanger organischer Ackerdüngung und anderer Kontaminations-faktoren, die zu junge Datierungen vortäuschen können, muss man einerseits skeptisch gegen-über der scheinbaren Datierungsobergrenze sein. Und andererseits werden auch die oft langen Lebenszeiten der Eiche natürlich frühe Daten erzeugt haben, die in einem gebührenden Abstand von der entsprechend später anzusetzen-den Holzfällung liegen. Da im Befestigungsareal mittel- und jungslawische Keramikfunde voll-ständig fehlen, während das mit dem Gruben-haus assoziierte Gefäßmaterial zwanglos etwa dem 8. bis früheren 9. Jh. zugeordnet werden kann, spricht viel dafür, die Brandschichten in den Gräben auf das gleiche Brandereignis zurück-zuführen, das auch die verkohlten Getreidemen-gen im Grubenhaus produziert hat. Letztere erga-ben im Labor Beta Analytic Florida das 14C-Datum 781 +/- 62 AD (1 Sigma).

Eine 2o1o auf 11oo m2 durchgeführte Flächen-grabung (Abb. 7,6) brachte die Erklärung für die sehr zahlreichen keramischen Oberflächenfunde aus der späten prähistorischen Epoche: Die 14C-Datierungen von Holzkohle einer Pfostenreihe (495 +/- 74 BC, nach Th. Westphal: Eiche) und eines dahinter liegenden Rechteckherds (452 +/- 45 BC; beide Werte 1 Sigma) muss man mit einer spät-bronze-früheisenzeitlichen Palisaden befestigung auf dem Weinberg in Verbindung bringen.

Ein weiteres Messergebnis aus dem Graben 2 bezieht sich nicht auf die Versturz- und Brand-schichten dieser Struktur, sondern auf eine dünne Fließzone, die direkt auf der in den anstehenden Boden eingetieften Grabenböschung auflag.

Offenbar handelt es sich um Material, das unmit-telbar nach dem Ausschachten des Grabens aus den offen liegenden bzw. durchgegrabenen Ober-flächenschichten eingeflossen ist. Wahrscheinlich wurde hier ein Holzkohlepartikel der älteren Besiedlungsaktivitäten auf dem Weinberg erfasst, denn im 1-Sigma-Bereich (68,3 %) datiert es zwi-schen 96 BC und 14 AD (Erl-12957). Leider ist der genaue Schichtenbezug der aus dem Bereich des Grabens 3 mittels Bohrstock entnommenen Probe (Erl-6322) nicht bestimmbar. Angesichts einer Datierungsspanne dieser Probe zwischen dem 3. und 6. Jh. (255–532 AD) im 2-Sigma-Bereich (95,4 %) lässt sich die Frage kaum beantworten, ob hier noch mit einem Bezug zur frühmittel-alterlichen Nutzung (Partikel aus frühen Baum-wuchsbereichen?) oder eher zu den spätkaiser-zeitlichen Aktivitäten zu rechnen ist. Letztere sind durch vier in den Grabungsschnitten erfasste Schalenurnen des 3. bis 5. Jh. bezeugt (Abb. 5). Diese Befunde gehören zu einem bei Notbergun-gen 1948–5o und 1984–86 erfassten Urnengrä-berfeld der späten römischen Kaiserzeit auf der Anhöhe des Weinberges, das bisher aus 21 Bestat-tungen (davon 17 mit Lagebestimmung) besteht.

Für die innere Grabenstaffel 1 bis 4 kann auf-grund ihres weitgehend identischen Befundes eine funktionale Zusammengehörigkeit und gleichzeitige Entstehung etwa seit dem ausgehen-den 8. Jh. vermutet werden. Ob der äußere Graben 5 zur ursprünglichen Anlage gehörte oder später hinzugefügt wurde, ist nicht sicher zu sagen.

Die bereits nach der Bearbeitung der Befunde des Jahres 2oo3 und der Bewertung der topogra-phischen Lagesituation in Bezug auf Magdeburg entstandene und in ersten Presseveröffentlichun-gen reflektierte Vermutung des Autors, wonach es sich hier um die seit Generationen von der Landes geschichtsforschung und Archäologie gesuchte, in der Karolingerzeit angelegte Befesti-gung contra Magadaburg handeln könnte, von der die Schriftquellen zum Jahr 8o6 AD – nur ein Jahr nach der Ersterwähnung Magdeburgs (im Jahr 8o5 AD) – berichten, hat durch die Auswer-tung der Befunde von 2oo8 und 2o1o erheblich an Wahrscheinlichkeit gewonnen.

Die Annalistik des Karolingerreiches berichtet in zwei Quellen, den Reichsannalen (Annales

Regni Francorum) und der Moissac-Chronik (Chronicon Moissiacense), wie am Ende einer von Karl dem Großen befohlenen Militäraktion gegen die Sorben im Jahr 8o6 AD zwei Befestigungen, eine jenseits der Saale beim Ort Halle und eine zweite jenseits der Elbe im Umfeld Magdeburgs, errichtet wurden. Während die sehr knapp gehal-tenen Reichsannalen jeweils nur von den (öst-lichen) Flussufern von Saale und Elbe (super

ripam fluminis Salae, alterum iuxta fluvium

Albim) sprechen und die hier als castella bezeich-neten Anlagen ansonsten räumlich nicht näher

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0 50 mN

1 2

3

Abb. 3 Befestigung auf dem Weinberg von Hohenwarthe:

1. Geomagnetische Geländekartierung mit Grabenstrukturen

(2003), übrige Anomaliestrukturen von einer Flakstellung des

Zweiten Weltkrieges; 2. Grabenstrukturen im Satellitenbild

(Google Earth); 3. Rekonstruktion der vier inneren Befesti-

gungsringe der Karolingerzeit mit heutiger Steilufersituation.

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38 39 40 41 42 43 44 45

-7.0 üNN -7.0 üNN

-8.0 üNN -8.0 üNN

Graben 2

59 60 61 62 63 64 65 66

-9.0 üNN-9.0 üNN

-10.0 üNN -10.0 üNN

Graben 3

28 29 30 31 32 33 34 35

- 6.0 üNN- 6.0 üNN

- 7.0 üNN - 7.0 üNN

Graben 1

Sch

Sch

Sch

Sch

Sch

Graben 5

93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103

-11.0 üNN

-12.0 üNN

-11.0 üNN

-12.0 üNN

-13.0 üNN -13.0 üNN

Graben 4

72 73 74 75 76 77

-9.0 üNN -9.0 üNN

-10.0 üNN -10.0 üNN

(Erlangen 12959)

(Erlangen 12957)

(Erlangen 12957)

(Erlangen 12956)

(Erlangen 6322)

(Beta 307258)

956 +/- 46 AD (68 %)

781 +/-62 AD (68%)

738 +/- 52 AD (68 %)

700 +/- 45 AD (68 %)

367 +/- 67 AD (68 %)

42 +/- 54 BC (68 %)

Grubenhaus:

Graben 5

aus Graben 4 (Bohrstock)

Graben 4

Graben 3

Graben 2

Graben 1

691 +/- 33 AD (68 %)

955 +/- 42 AD (68 %)

(Beta 307289)

(Beta 307290)

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auf Siedlungs orte beziehen sowie ihren Bau als eine Leistung des eigenen Heeres (ab exercitu

aedificata) bezeichnen, ist die Chronik von Moissac in der Beschreibung dieser Vorgänge wie auch von Ereignissen an der Ostgrenze des Rei-ches generell viel detailreicher und wahrschein-lich weniger auf eine »regierungsamtliche« Dar-stellungsweise festgelegt. So werden die beiden erbauten Anlagen hier genauso wie die zuvor zerstörten Befestigungen der Slawen als civitates bezeichnet. Es bestand also anscheinend kein Anlass, grundlegende Bauunterschiede zwischen sorbischen und fränkischen Anlagen zu betonen. Und noch mehr: Wir erfahren, dass der mit dem Heereszug betraute Sohn Karls des Großen und König der östlichen Reichshälfte, Karl »der Jün-gere«, nicht dem eigenen Militär, sondern den gerade unterworfenen reges der Sorben befahl, diese beiden Befestigungen zu errichten (Et man-

davit eis rex Karolus hedificare civitates duas). Sehr aufschlussreich sind die geographischen Angaben zur Lage der beiden Befestigungen in der Moissac-Chronik. Sie müssen im Zusammen-hang gelesen werden (hier nach der Handschrift

»Paris Bibliothèque nationale de France lat. 4886«): Una [civitas] in aquilone partem Albie con-

tra Magadaburg. Alteram vero in orientalem par-

tem Sala ad locum qui vocatur Halla. Während sich also eine der beiden Befestigungen östlich der Saale, direkt beim Ort Halle befand (dieser lag ja bekanntlich mit seinem alten Kern wegen sei-ner Salzquellen am Ostufer der Saale), wurde auch im anderen Fall der nächste größere Ort

– hier das links elbische Magdeburg – zum Bezugs-punkt der Lagebezeichnung gewählt. Die Befesti-gung lag zwar auch am anderen Ufer des Flusses (contra), jedoch offensichtlich nicht einfach am Ostufer, sondern im von Magdeburg aus gesehen nördlichen Teil der Elbe (in aquilone partem

Albie).Diese Lagebeschreibung passt perfekt auf die

topographische Situation der Grabenanlage auf dem Weinberg (Abb. 6). Diese Anhöhe ist zudem mit Abstand die am höchsten aufragende an den Seitenrändern des Elbtales im Großraum um Magdeburg. Mit stattlichen 75,4 m über dem Mee-resspiegel übersteigt der Weinberg selbst die Ufer-anhöhe des Magdeburger Sandsteinfelsens um

0 10 cm

1

3

2

4

Abb. 5 Schalenurne der späten

Römischen Kaiserzeit aus dem

Sondageschnitt 1 (2008) auf

dem Weinberg bei Hohenwarthe

(1–3) sowie Skizze einer 1948

auf dem Weinberg geborgenen

Urne (4).

Abb. 4 (linke Seite) Profilzeich-

nungen der im Sondageschnitt 1

geschnittenen Gräben 1–5. 14C-Daten: Labor Erlangen und

Labor Beta Analytic Florida.

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mehr als 2o m und es findet sich im sehr großen Umkreis keine vergleichbare Situation. Dabei lie-gen beide Punkte durchaus in gegenseitiger Sicht-weite und vor allem beherrschen sie praktisch die zwei stromabwärts unmittelbar aufeinander fol-genden Prallhänge links und rechts des Flusses. Besteigt man an einer Landestelle direkt unter-halb des Magdeburger Domfelsens ein Schiff, so kann man unter perfekter Ausnutzung der nach Norden gerichteten Flussströmung in kürzester Zeit das ausgedehnte und früher sicher im hohen Grade unwegsame Elbtal zügig und bequem pas-sieren, indem man das Schiff direkt unterhalb des Weinberges von Hohenwarthe wieder ver-lässt. Mit seinen bis heute zahlreichen Altarmen des Flusses, Sumpfflächen und Feuchtwiesen dürfte dagegen vor über 12oo Jahren eine Passage des bei Magdeburg bis zu 9 km breiten Elbtales auf dem Landweg in direkter West-Ost-Linie

– zumal bei Hochwasser und mit militärischer Ausrüstung – nahezu unmöglich, wenigstens aber extrem schwer gewesen sein. Ältere Lokalisie-rungsvorschläge des karolingischen Gegenkastel-les von Magdeburg (s. dazu den Beitrag von T. Weber in diesem Band) inmitten dieser Niede-rungen des Elbtales – z. B. östlich des Domfelsens bei Cracau (zuletzt Saile 2oo7, 115) oder sogar süd-östlich davon bei Prester – kann man aus topogra-phisch-verkehrstechnischer Sicht nur als abwegig bezeichnen. Domfelsen und Weinberg waren die

mit Abstand besten, von der Natur geschaffenen strategischen Kontrapunkte zur optimalen Beherr-schung des Elbeübergangs im ganzen Magde-burger Raum.

Wie wichtig im Frühmittelalter bei Brücken-kopfsituationen an Flussgrenzen eine möglichst schnelle und von Hochwasserereignissen unab-hängige Erreichbarkeit des zu behauptenden jen-seitigen Hochufers einer Flusstallandschaft war, zeigt eine Schilderung durch Thietmar von Mer-seburg (I, 16; VI, 59; 8o–81): »Auf den Rat einiger weniger« (cum consilo paucorum), heißt es viel sagend, ließ Heinrich II. im Jahr 1o12 eine als Meißener Brückenkopf gegen die Polen gedachte Garnison in eine ältere slawische Wallanlage bei Löbsal (Liubusua) am feindlichen östlichen Elb-ufer etwas nördlich von Meißen legen, die aber offenbar bei Hochwasser zu Schiff nicht erreicht werden konnte. Gerade eine solche Situation wählte der Gegner für seinen Angriff, und den Entsatzkräften blieb nichts als vom jenseitigen Ufer hilflos zuzusehen, wie die Anlage in kurzer Zeit genommen wurde (zur Lokalisierung vgl. Gebuhr 2oo7).

Die beste konstruktive Parallele für die Befes-tigung auf dem Weinberg stellen die gestaffelten Spitzgrabensysteme auf dem Magdeburger Dom-platz dar, deren Existenz spätestens für die Zeit etwa um 8oo aufgrund von 14C-Daten belegt ist, und die wie die Weinberg-Befestigung Erneue-rungen in der Ottonenzeit im Bereich eines äuße-ren Grabens erfahren haben (vgl. Weber in diesem Band). In den von E. Nickel aufgedeckten Magde-burger Gräben trat eine deutliche Komponente unverzierter, handgeformter Keramik zutage (Weber 2oo5, 99 f.). Die abgerundeten »Ecken« in der Grabenführung auf dem Weinberg und der dadurch erzeugte Eindruck einer gewissen Vier-eckigkeit lassen sich – obschon weniger deutlich – auch beim Grabensystem von Magdeburg aus-machen.

Eine noch striktere eckige Ausführung zeigt das bereits 1897 von K. Schuchardt lokalisierte und von E. Sprockoff erforschte sowie jüngst durch jahrgenaue Dendrodaten (Waldkanten) der Jahre 8o5, 8o9 und 81o AD (Schneeweiß 2oo9) endgültig in seiner Lage bestätigte fränkische castellum Hohbuoki (Höhbeck, Vietzer Schanze), das in den Reichsannalen zu 81o und 811 AD genannt wird. Dabei ist allerdings der besonders prägnante rechte Winkel dieser Wallanlage im Nordostteil weniger bautechnisch als vielmehr durch die beiden rechtwinklig zueinander verlau-fenden natürlichen Geländeabbrüche bedingt, während die gegenüber liegende landseitige »Ecke« gerundet ist. Dank der guten Konservie-rung dieses Objektes in einer Waldlandschaft sind hier neben der Anwendung des Spitzgraben-prinzips auch die Existenz einer Holz-Erde-Wall-mauer mit starken Pfostensetzungen, Holzeinlage-

0 5 km

N

civitas (castellum)

ad (in) aquilone(m)

partem Albie contra

Magadaburg

Magadaburg

805 AD

806 AD

Abb. 6 Rezente Flussauensitua-

tion des Elbtales zwischen den

Grabenbefestigungen von Mag-

deburg (Domplatz) und Hohen-

warthe (Weinberg).

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rungen und einer noch bis o,9o m hoch erhaltenen äußeren Trockensteinblende zweifelsfrei bezeugt (Sprockhoff 1958).

Schon zu 789 AD wird in den Reichsannalen davon berichtet, dass man je eine solche Anlage an beiden Ufern der Elbe aus Holz und Erde erbaute (castellum ex ligno et terra aedificavit), um einen Brückenkopf für einen Angriff auf die Wilzen zu schützen. Und das zu 78o AD in der Handschrift der »Einhardsannalen« (Teil der Reichsannalen) genannte, von Karl dem Großen am Zusammenfluss von Ohre und Elbe erbaute Kastell (hier castrum) muss man sich ganz ähn-lich vorstellen. Die von J. Herrmann (1985, 212) geäußerte Vermutung, dass man dieses Kastell auf den von Dunker (1953) bei Elbeu (Ot. von Wol-mirstedt) untersuchten frühmittelalterlichen Burgwall an der Stelle der später dort erbauten mittelalterlichen Steinburg der Markgrafen von Hildagsburg beziehen könne, hat wenig Wahr-scheinlichkeit, da dieses Objekt auch bei einer Nachgrabung 1966 im Burgwallinnenraum durch G. Böttcher1 in allen drei belegten Siedlungspha-sen nur mittelslawisches, d. h. ottonenzeitliches Keramikmaterial (vermutlich spätes 9. bis frühes 1o. Jh.) geliefert hat, und die drei im Burgwallpro-fil erfassten Gräben nicht gleichzeitig als Graben-staffel, sondern zeitlich nacheinander und mit den drei Zerstörungsphasen korrelierbar exis-tiert haben.

Während dieser Ringwall außerdem rundum isoliert mitten in der Flussniederung – vielleicht sogar einst infolge der beträchtlichen Flussbett-verlagerungen im Raum der Ohremündung rechts-elbisch (?) – lag, ist die deutlich erhöhte topogra-phische Situation (51 m üNN) des in Sichtweite befindlichen Burgplateaus von Wolmirstedt am Elbtalufer (Tietmar von Merseburg: 1oo9 AD als urbs ... Walmerstidi, Slavonice autem Ustiure;

deutsch etwa »Ohremünde«), das im Hochmittel-alter genau den Punkt der Mündung der Ohre in die Elbe kontrollierte, als Standort des karolin-gischen Kastells von 78o AD ubi Ora confluit in

Albia in jeder Hinsicht viel wahrscheinlicher. Eine frühmittelalterliche Wallanlage konnte auf dem Schlossberg von Wolmirstedt durch Grabungen nachgewiesen werden. Verbrannte Aufbauten einer letzten Nutzungsphase des Walles vor sei-ner Ersetzung durch eine Steinburg datieren auf-grund eines verkohlten Holzes mit nur 36 Jahr-ringen – und daher offenbar unsicher – in das ausgehende 1o. bzw. frühe 11. Jh. (nach Tews 2oo9, 24: letzter erhaltener Jahrring 987). Die darunter in einem kleinen Ausschnitt erfasste, vielleicht mehrphasige ältere Wallschüttung erbrachte neben einer kleinen Zahl von Keramikfragmen-ten allgemein des 8. bis 1o. Jh. namentlich auch »slawische Keramik des 7. und 8. Jh.« von der unteren Wallbasis (Tews 1993, 16; Tews 2oo9, 21), deren Vorlage allerdings noch aussteht.

0 50 100

- 4.0 üNN- 4.0 üNN

. . . . . . . .

Graben 1Graben 2

Graben 3

Graben 5

Graben 4

0 50 m

Süd Nord

a

b

b

a

a2

1

N

1 2 3 4 5 6

Abb. 7 Gesamtbild der Befunde

auf dem Weinberg von Hohen-

warthe.

1. Grabungsschnitt 1 (2003);

2. Grube/Grubenhaus (a, b) und

die darin gefundene Keramik

(a1–2, b) der Unter suchung

Beran/Parschau (1991);

3. Urnen der späten römischen

Kaiserzeit (1948–2010);

4. Grabensystem; unten: Schat-

tenriss des Grabungsprofiles

(Schnitt 1);

5. Pfostenreihe und Rechteck-

herd (spätbronze-früheisenzeit-

lich); 6. Grabungsschnitt 2

(2010).

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J OAC H IM H E N NIN G

142

Ob das Höhbeck-Kastell über ein gestaffeltes, mehrgliedriges System von Spitzgräben verfügte, ist bislang noch nicht zielgerichtet untersucht worden, da die Grabungsschnitte mit der Erfas-sung eines ersten Spitzgrabens direkt vor dem Wall endeten. Solche mehrgliedrigen Spitzgra-bensysteme sind sonst als ein gemeinsames und typisches Element vieler karolingerzeitlicher Befestigungsbauten östlich des Rheins bekannt und konnten außer in Magdeburg und Hohenwar-the-Weinberg wenigstens als Doppelspitzgräben auch in Halberstadt, in Hamburg (Hammaburg), im 8o9 AD auf Befehl Karls des Großen bei Itze-hoe erbauten Kastell Esesfelth am Ufer der Stör sowie in Form von bis zu vierfachen Grabenstaf-feln als Teil der 774 AD als Refugium gegen die Sachseneinfälle bezeugten großen Befestigungs-anlage auf dem Büraberg in Nordhessen archäo-logisch nachgewiesen werden (Henning/Macphail 2oo4). An dieser Befestigung, die auch als Kastell gedeutet wurde (Vonderau 1929), sind bei der westlichen Grabenstaffel unter schützender Wald-bedeckung und im Kastell Esesfelth aufgrund glücklicher Restbefunde noch schanzen- oder wallartige Strukturen hinter den Spitzgräben erhalten geblieben. Wenn sie in Hamburg, Mag-deburg, Halberstadt und Hohenwarthe fehlen, so ist dies hier den städtischen und ackerbaulichen Aktivitäten der Jahrhunderte zuzuschreiben.

Trotz des begrenzten Umfangs archäologischer Bodeneingriffe bei seiner Erkundung gehört Hohenwarthe-Weinberg zu den Anlagen, die uns einen besonders kompletten Grundriss und Befund präsentieren (Abb. 7) und so einen in der

Rekonstruktion und Deutung fast beispiellosen Gesamteindruck vom Aussehen eines Grenzkas-tells der Karolinger ermöglichen (Abb. 8–9). Mit mehr als 1 ha Innenfläche hatte Hohenwarthe praktisch identische Ausmaße wie das durch den kaiserlichen Legaten Odo 81o AD glücklos gegen die Wilzen verteidigte Höhbeck-Kastell. Das 8o9 AD erbaute und mit einer starken Mann-schaft »aus Germanien und Gallien« unter Graf Egbert besetzte und 817 AD erfolgreich gegen Dänen und Obodriten gehaltene Kastell Esesfelth war dagegen mit 1,5–2,o ha Innenraum knapp doppelt so groß (Ausgrabung K. Weidemann, vgl. Brachmann 1993, 142) und in etwa der ursprüng-lichen Innenfläche der Magdeburger Domplatzbe-festigung (ca. 1,8–2,2 ha) vergleichbar.

Die Besatzung des Höhbeck-Kastells bestand aus Ostsachsen und für das im fränkischen Auf-trag 822 AD am slawisch besiedelten Ostufer der Niederelbe angelegte castellum Delbende werden ebenfalls Sachsen als Garnison genannt. Sie waren zuvor mit der Errichtung der Anlage beauf-tragt worden. Es ist daher durchaus möglich, dass die als Erbauer des Magdeburger Gegenkastells genannten Sorben auch an der Bemannung dieser Anlage im fränkischen Auftrag beteiligt wurden. Auf eine wie auch immer geartete Teilnahme von Slawen am Bau und vielleicht auch am Unterhalt des Kastells auf dem Weinberg lassen sich dort jedenfalls wohl die beiden Grubenhäuser mit »frühslawischen« Elementen beziehen.

Bereits vor dem Zeitpunkt dieses Kastellbaus sind Sorben bei den Militäraktionen der Karolin-ger im Elbe-Saale-Raum im Verband des fränki-

Abb. 8 Karolingerzeitliche Wall-

Grabenbefestigung auf dem

Weinberg von Hohenwarthe.

3-D-Rekonstruktion der vier

inneren Befestigungsringe.

K A S T E L L C O N T R A M AG A DA BU R G VO N 8 0 6 A D U N D D IE K A RO L IN G IS C H E N K A S T E L L E

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schen Heeres bezeugt (748 AD unter Hausmeier Pippin und 749 AD unter Karl dem Großen). Neben Franken enthielt dieses auch Kontingente von Sachsen und Obodriten (789 AD) sowie von Friesen (748 und 789 AD). Analog zur römischen Militärpraxis in den Grenzprovinzen des Reiches wird man auch bei den karolingischen Aktivitä-ten im östlichen Grenzland mit einem System von Auxiliareinheiten aus verbündeten Stämmen, Stammesteilen und ethnischen Gruppen rechnen müssen, und Grenzkastelle sind scheinbar nach dem gleichen alten Vorbild mit »Föderaten« besetzt worden.

Die relative Gleichartigkeit der strategischen Wehrbauten an der Elbe mit ihren zur Eckigkeit tendierenden Grundrissen und den zweifellos römischen Feldlagern und Kastellen entlehnten mehrgliedrigen Spitzgrabenstaffeln zeigt, dass bei aller lokalen Vielfarbigkeit der Truppenver-

bände die militärische Strategie und Logistik offenbar eine übergreifende, einheitliche war, nämlich die im spätantiken Militärwesen wur-zelnde der Franken und ihrer Könige. Während karolingische Befestigungen in Holz-Erde-Bau-weise aus der Zeit zwischen der Mitte des 8. und der Mitte des 9. Jh. in den Gebieten des Franken-reiches mit provinzialrömischer Tradition – im Gegensatz zur nachfolgenden Periode norman-nischer Invasionen ab der zweiten Hälfte des 9. Jh. – noch praktisch unbekannt sind (Fournier 1978, 53 f.), lassen sich solche insbesondere bereits in der Zeit Karls des Großen aus Holz und Erde erbauten strategischen Militärlager an der fränki-schen Ostgrenze entlang der Elbe-Saale-Linie in größerer Zahl nachweisen. Diese Kette von Kastel-len zu beiden Flussufern liefert einen einzigar-tigen Einblick in die Militär- und Grenzorgani-sation der Karolinger im Osten.

Abb. 9 Karolingerzeitliche Be-

festigung auf dem Weinberg bei

Hohenwarthe. 3-D-Rekonstruk-

tion der Wall-Grabensituation im

Bereich des innersten Graben-

ringes. Die aufgesetzten Holz-

palisaden sind hypothetisch.

A N M E R K U N G E N 1 Unpubliziert: Ich danke dem

Ausgräber für die Möglich-keit, Funde und Befunde zu studieren.

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J OAC H IM H E N NIN G

144

A N S C H R I F T

A B B I L D U N G S N A C H W E I S 1 Kartengrundlage TK 25 3736 Zielitz, © GeoBasis-DE/LVermGeo LSA, Abgabe: 2o11, Az.: A9-2o191-2o11-8

2 Graphik: P. Milo, Foto: Autor

3,1 Messung P. Milo 3,2 Google Earth 3,3 Reko: A. Arpáš (Archäolo-

gisches Institut Nitra) nach Entwurf des Autors, Foto: Google Earth

4 Zeichnung: A. Ehrlich/ Entwurf: Autor

5,1.3 Fotos: P. Hanauska 5,2 Foto: A. Volkmann 5,4 Ortsakte Hohenwarthe

7/41/2, LDA 6 Kartengrundlage: Geolo-

gische Übersichtskarte (GÜK 4ood) des Landes-amtes für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt

http://www.sachsen-anhalt.de/LPSA/index.php?id=2o895# (verein-fachte Wiedergabe)

7 Autor (unter Verwendung von Darstellungen zum Grubenhaus nach Beran/Parschau 1991)

8–9 Rekonstruktion: A. Arpáš (Archäologisches Institut Nitra) nach Entwürfen des Autors

Prof. Dr. Joachim HenningInstitut für Archäologische Wissen-schaften der Goethe-Universität Frankfurt am MainGrüneburgplatz 16o323 Frankfurt am Main

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