Brantner, Cornelia; Lobinger, Katharina (2015): „Weil das absolute Poserbilder sind!“ Die...

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Marc Ziegele Timo Breiner und Oli Q · · ' ver uwng Yun, G. W./Park, S.-Y. (2011): Selective Posting· Willi Journal of c M . · ngness to post· .1 11 11 . ompu te r- ediated C omrnunica tion, 16 201- 227 Zru chkowsky J L (1994 Th p ' · A . '. · · · .. e ersooal In volvement In ven tory: Rcdul 1111 1 pplicatJo n to Advertising. In: J o urnal of Adveru· · 23 59 11 1 M/ · smg, -70 iege e, . Bremer, T./Quiring, 0. (2014)· Wh C , ', D . · ;i · at reates In teractr vrt \' 1 11 1 I SCU SSJon s. An Ex p! oratory A 1 . f n· . . . na ys1s o iscusswn Factors in ll r Mass Media Websites. In·J o urn l fC . . · · a 0 ommurncatton 64 1111 11 Ziegele, M./ Quiring O (2013) · c li · 0 . ' ' - .1H ' · · o nce ptu a zmg nli · sio nal Framework fo r Anal :;c j ne Jscussion Valu1 \ 1 hen E L (Hrsg) · C y, ng Us er Comments on Mass-Medif1W 't 1 ," . ' · · · · ommurnca tJ on Yearbook 37 N y Zillmann D (2004 ) E · · ew ork: Rou 1 · kd u1 1 ' , · : motronsps , h 1 · h G '' p / B }C o og1sc e rundlagen. In : Mango ld II . e nte, G. (Hrsg.): Lehrbuch der Medienpsychol . c ·· . , 101 - 128. ogie. ottingcn /u i j 266 „Weil das absolute Poserbilder sind!" Die Wahrnehmung expressiver Authentizität digitaler Selbstbilder und Selfies Cornelia Brantner und Katharina Lobin ger 1 Einführung Digitale Kameras, Mobiltelefon- und Tabletkameras, soziale Netzwerke und Sharingplattformen machen die Aufnahme und d as Teilen vo n Fotos einfa- cher und allgegenwärtiger als je zuvor. Forschung und Me dien drücken in den vergangenen Jahr en vermehrt ihre Sorgen hinsichtlich der Online- Fotopraktiken auf sozialen Netzwerken und Sharing-Plattformen aus. Diese richten sich vor allem an jugendliche und junge Erwachsene sowie deren Online-Umgang mit persönlichen Fo tografien und vor allem mit sogenann- ten Selfies. Das s Selfies im Mainstream der Aufmerksamkeitsökonomie an- gekommen sind, zeigt sich nicht nur an Selfies twitternden Stars oder WM- Fußballern, sondern auch daran, dass Politikerinnen vermehrt Selfie- Fotopraktiken anwenden. Alltägliche digitale Selbstfotografien dienen insbesondere dem Impres si- on-Management und der Identitätsaushandlung, wobei vor all em Aspekte der visuellen Authentizität in den Fokus rücken. Der vo rliegen de Beitrag widmet sich einer Forschungslücke: d er wahrgenommenen Authentizität digital er Selbstfotografien. Dabei wird auch danach gefragt, welche Bedeutung kon- ventionale Posen, Bildstile und di e Verwendung v on „low-tech"- 267

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Marc Ziegele Timo Breiner und Oli Q · · ' ver uwng

Yun, G. W./Park, S.-Y. (2011): Selective Posting· Willi Jo urnal of c M . · ngness to pos t· .1 11 11

. ompute r- ediated Comrnunication, 16 201- 227 Zruchkowsky J L (1994)· Th p ' ·

A . '. · · · .. e ersooal Involvement Inventory: Rcdul 1111 1 pplicatJon to Advertising. In: J o urnal of Adveru· ·

23 59 11

z· 1 M/ · smg, -70 iege e, . Bremer, T./Quiring, 0. (2014)· Wh C , ',

D . · ;i · at reates Interactr vrt \' 111 1 ISCUSSJons. An Exp!ora tory A 1 . f n· . .

. na ys1s o iscusswn Factors in ll r Mass Media Websites. In·Journ l fC . . ~ 1 1

· · a 0 ommurncatton 64 1111 11 Ziegele, M./Quiring O (2013) · c li ·

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sional Framework fo r Anal :;c j ne Jscussion Valu1 \ 1 hen E L (Hrsg) · C y , ng User Comments on Mass-Medif1 W't 1,"

. ' · · · · ommurnca tJo n Yearbook 37 N y Zillmann D (2004) E · · ew ork: Rou1·kdu1 1 ' , · : motronsps , h 1 · h G '' p / B }C o og1sc e rundlagen. In: Mangold II

. ente, G . (Hrsg.): Lehrbuch der Medienpsychol . c ·· . , 101- 128. ogie. ottingcn /u i j

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„Weil das absolute Poserbilder sind!" Die Wahrnehmung expressiver Authentizität digitaler

Selbstbilder und Selfies Cornelia Brantner und Katharina Lobinger

1 Einführung

Digitale Kameras, Mobiltelefon- und Tabletkameras, soziale Netzwerke und Sharingplattformen machen die Aufnahme und das Teilen von Fotos einfa­cher und allgegenwärtiger als je zuvor. Forschung und Medien drücken in den vergangenen Jahren vermehrt ihre Sorgen hinsichtlich der O nline­Fotopraktiken auf sozialen Netzwerken und Sharing-Plattformen aus. Diese richten sich vor allem an jugendliche und junge Erwachsene sowie deren Online-Umgang mit persönlichen Fotografien und vor allem mit sogenann­ten Selfies. Dass Selfies im Mainstream der Aufmerksamkeitsökonomie an­gekommen sind, zeigt sich nicht nur an Selfies twitternden Stars oder WM­Fußballern, sondern auch daran, dass Politikerinnen vermehrt Selfie­Fotopraktiken anwenden.

Alltägliche digitale Selbstfotografien dienen insbesondere dem Impressi­on-Managem ent und der Identitätsaushandlung, wobei vor allem Aspekte der visuellen Authentizität in den Fokus rücken. Der vorliegende Beitrag widmet sich einer Forschungslücke: der wahrgenommenen Authentizität digitaler Selbstfotografien. Dabei wird auch danach gefragt, welche Bedeutung kon­ventionale Posen, Bildstile und die Verwendung von „low-tech"-

267

Cornelia Brantner und Katharina Lobinger

Aufzeichnungsweisen (z. B. Retrofilter) für den authentischen Bildcii ,11 tl haben. Zur Identifikation subjektiver Sichtweisen auf die Bedeutung~)', 11 tl und Kriterien visueller Authentizität wurde die Q Methodologie ang ·wi m I

2 Digitale Selbstbilder als Mittel zur Konstruktion v1111

Identität und Authentizität auf SNS

2.1 Selbstbilder und Identitätsarbeit

Unter Selbst- oder Portraitbildern werden fotografische Repräsentatirnu 11

von Persone n verstanden, wobei die Fotos von Dritten oder der dargest ·Jli 111

Person selbst gemacht werden können. Selbstbilder sind ein wesentli Ji1 1

Bes tandteil d er digitalen AUtags- und vor alJ em Jugendkultur (Richard 20 111

55) und werden häufig in sozialen N etzwerkseiten (SNS) geteilt. Sie di .11 11

dabei „als kommunikative Mittel zur visuellen Charakteri sierung des darg1

stellten Selbs t" (Meier 2009: 62) im Rahmen der Imagepflege, Beziehung" stiftung und Beziehungsarbeit der Userlnnen. Im Alltag versuchen wir sti( 11

dig, ob bewuss t oder unbewuss t, so Goffman (1969) , die Eindrücke, du Andere von uns haben, zu beeinflussen. Wir wenden Impressio 11

Management-Taktiken an und benutzen bestimmte Charakteristika und V .1

haltensweisen wie Statussymbole, Kleidung, G esichtsausdruck, Körperhai tung oder die Art, zu sprechen, und vermeiden andere. In der Selbstdarstcl lung spielen wir soziale Rollen und verwenden dabei entsprechend den mit einer Rolle v erbundenen sozialen Erwartungsmustern ein „standardisiertes Ausdrucksrep ertoire" (ebd.: 23).

Viele ProfiJ-basierte SNS wie Facebook cLienen nicht vordergründig dazu, neue Freunde kennen zu lernen, sondern der Identitätsaushandlung und Aufrechterhaltung der Beziehung und Kommunikation mit bestehenden

„Freunden" und Bekannten (Autenrieth 2011: 159, Papacharissi 2012: 212). Deswegen sind Selbstdarstellungen auf Freundschafts seiten üblicherweise weniger geschönt als in Netzwerken, auf denen man nicht mit Freunden" die man meist auch „offline" kennt, verbunden ist (Ellison/Boyd 2013, Elli~ son et al. 2006, Schwarz 2010: 166).

Befragungsstudien zeigen, dass ein großer Teil der auf SNS und Sharing­

Plattformen veröffentlichten Fotos Selbstportraits sind und ein beträchtlicher

268

Die Wahrnehmung expressiver Authentizität digitaler Selbstbilder und Selfies

Anteil (die Werte schwanken je nach Studie) dieser Bilder uneingeschränkt zugänglich ist (Berger/Roth 2013, Litt/Hargittai 2014, Rui/Stefanone 2013).

Selbstfotografien werden häufig als Ausdruck von Narzissmus gesehen

(Mendelson/Papacharissi 2010, Ong et al. 2011). Andere Autorlnnen kritisie­ren dagegen deren pauschale Abwertung (Autenrieth 2011: 159, Bums 2014), da diese die sozialen Funktionen vernachlässigt. Selbstbilder dienen eben nicht nur der eigenen Eitelkeit und der Selbstobjektivierung; manche Auto­rlnnen sehen in diesen auch emanzipatorisches Potential (Gervais 2013, Walker 2005). Gervais (2013) etwa betont, dass Selbstfotografien der tägli­chen Flut an perfekten Bildern etwas entgegensetzen, da sie „echte" Men­schen in ihrer Vielfalt zeigen; diese positiven Vorbilder hätten in der Folge

auch positive E ffekte auf cLie Selbstwahrnehmung und Körperbilder junger Frauen.

2.2 Typische Selbstbilder

Forschungen zu digitaler Selbstdarstellung haben sich bereits intensiv mit Selfies, Me- bzw. Ich-Alben und Me-Fotos bzw. „ego shots" (Richard 2010: 55) auseinandergesetzt (z. B. Astheimer et al. 2011, Autenrieth 2011 , l •'. rd­mann 2009). Ich-Alben auf SNS enthalten typischerweise mehrere, so rg fä lLig ausgewählte Selbstbilder, die unterschiedliche Perspektiven auf d · n eig ·n ·n Körper liefern. Diese Bilder und Alben werden neben der Vermittlung von

Glaubwürdigkeit und Authentizität zur gezielten Identitätskonstruktion ·in­gesetzt. Die Darstellung des Körpers dient also nicht exhibitionistiscben Zwecken, sondern der Visualisierung einer Gruppenzugehörigkeit und der gegenseitigen Aushandlung der Identität (Autenrieth 2011, Erdmann 2009). Dabei . versuchen die Jugendlichen einen Spagat zu finden „zwischen dem Bedürfnis, sich einerseits möglichst authentisch im Sinne von so bin ich und andererseits möglichst idealisiert im Sinne von so sehe ich gitt aus darzustellen" (Autenrieth 2011: 130).

Jugendliches Bildhandeln auf SNS spiegelt häufig massenmediale Konven­tionen und „Vor-Bilder" wider, indem etwa stereotype (feminine) Posen

eingenommen werden und die Darstellungsweisen sich an der internationalen Star-Kultur orientieren (Autenrieth 2011, Astheimer et al. 2011, Reißmann

2012) oder der Ikonografie der Werbung nachempfunden sind (Schwarz 2010: 168). Im Kontext der visuellen Selbstdarstellung haben sich Motive und Darstellungskonventionen etabliert wie etwa „One-Arm-Length Shots",

269

Cornelia Brantner und Katharina Lobinger

Selbstportraits, bei denen die Kamera eine Armlänge weit vom Körper weg

gehalten wird (Mendelson/ Papacharissi 2010, Richard 2010: 55), oder Spie­gel-Selfies. Auch konventionalisierte Posen (z. B. Fokus auf die linke Wange) und Gesichtsausdrücke (z. B. Duckface, Kussmund) lassen sich identifizie­ren. Die Ästhetik von Selbstfotografien und vor allem der One-Arm-Length

Selfies, in denen die Kamera zur Verlängerung des Körpers wird, spiegelt wider, was Mitchell (1995) als „Meta-Fotografie" bezeichnet, da im Bild der Prozess der Fotoaufnahme sichtbar wird (Mendelson/Papacharissi 2010).

2.3 Visuelle Authentizität

Bildern wird besondere Authentizität zugesprochen, sie gelten als „true to

life" (Banks 2013). William Henry Fox Talbot (1844-1846) bezeichnete die Fotografie im gleichnamigen Fotoband als Pemi/ of Nature. Vor dem Hinter­grund der vorherrschenden positivistischen D enkrichtung wurde die Kamera zunächst als mechanisches Instrument zur objektiven Abbildung von Realität betrachtet. Erst später etablierte sich die Sichtweise, dass die Fotografie na­türlich keine unvermittelte Repräsentation der Wirklichkeit sein kann, da etwa die Auswahl und die Rahmung des dargestellten Objekts, die Wahl einer bestimmten Darstellungsweise sowie die Art und Weise der Präsentation der

Fotografie die Aussage mitbes timmen. In Anlehnung an die Differenzierung des Philosophen Dutton (2005) un­

terscheidet Banks (2013) zwischen der nominalen und der expressiven Au­thentizität von Fotografien. Nominale Authentizität wird durch die korrekte Identifikation beziehungsweise die Bes tätigung der Herkunft od r der Urhe­berlnnen von Objekten hergestellt und bekräftigt (Banks 2013: 161, Dutton

2005: 259). Nominale Authentizität ist gegeben, wenn (mit Hilfe externer Quellen) bestätigt wird, dass ein Objekt tatsächlich das ist, was es vorgibt zu sein. Expressive Authentizität ist dagegen eine Verbindung aus Objekt und seiner Repräsentation, die durch das Ding selbst bezeugt wird. Dinge bzw. deren Repräsentationen entsprechen dann der Natur des Dinges in einem weitesten Sinne; „things are true to their own nature" (Banks 2013: 161). Die

Frage, ob etwas „sich selbst treu ist" oder „wirklich sich selbst" entspricht, ist eine Fragestellung, die - im Unterschied zu nominaler Authentizität -

weniger auf technischen als auf moralischen Kriterien beruht (Banks 2013: 169).

270

Die Wahrnehmung expressiver Authentizität digitaler Selbstbilder und Selfies

Visuelle Authentiz!tiit und Bildstil

Der Bildstil spielt eine wesentliche Rolle für die Einschätzung von Authenti­zität, wurde aber in der Kommunikationswissenschaft bisher selten unter­

sucht. Für den Journalismus zeigte etwa Grittmann (2003: 125), dass Authen­tizität sich als eine „auf sozialen Praktiken und professionellen Normen be­ruhende Konstruktion der Wirklichkeit" präsentiert.

Auch in der Amateurfotografie lassen sich Praktiken der Authentizitäts­konstruktion identifizieren: Meier (2009: 62) geht etwa davon aus, dass das Fehlen künstlerischer Bildstile die identitäts- und imagestiftende Funktion von Selbstbildern noch zusätzlich unterstützt. Überdies erhöhen die Ästhetik des „Schnappschusscharakters" sowie der Einsatz von „low-tech" Aufzeich­

nungsweisen die Authentizität der Bilder (Pscheida/ Tri.iltzsch 2011: 169, Richard 2010: 56). Selbstfotografien auf SNS Profilseiten sind überwiegend amateurhaft oder semi-professionell, professionelle Fotos finden sich kaum (Pscheida/Trültzsch 2010: 173, Mendelson/Papacharissi 2010). Sie we rden aber durchaus mit Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop oder Fo10-Apps bearbeitet; teilweise erfahren sie sogar sehr intensive N achbcarb ·itung (Reißmann 2012, Schwarz 2010), manche werden gar einer „Piktionali si · rung" bzw. „Verkunstung" unterzogen (Astheimer et al. 2011: 114).

Bartholeyns (2014) sowie Chandler und Livingston (2012) gehen entspre­chend davon aus, dass Amateurfotograflnnen Gegenstrategien anwenden, um der hyperrealen, makellosen Digitalfotografie, die visuelle Eintönigkeit produziert, eine Ästhetik des digitalen Imperfekten und analoger Nostalgie entgegenzusetzen; das digitale Bild wird dadurch zu einem „Simulakrum analoger Authentizität" (Chandler/Livingston 2012: 4). Für die Umsetzung dieser Bildsprache werden besondere Aufnahmetechniken verwendet, z. B. Retrofilter, die bereits in der digitalen Aufnahmesoftware (z. B. Instagram, Hipstamatic) angelegt sind. Diese Apps stellen Aufnahme- und Bearbeitungs­

filter bereit, die die visuelle Sprache der Analog- oder Polaroidfotografie simulieren, fotografische „Fehler" ästhetisieren und Produktionsspuren her­

vorheben (Chandler/Livingston 2012: 4, Mendelson/ Papacharissi 2010).

Wahrnehmung der Authentiz!tdt von S e/bsifotogrqfien

Zur \'Vahrnehmung der Authentizität von Selbstfotografien liegen unseres Wissens bislang keine Studien vor. Die Authentizität von Selbstdarstellungen

271

Cornelia Brantner und Katharina Lobinger

ist ein Produkt der Konstruktion der Produzentlnnen und der Rezipict 1l 11

nen (Döring 2001: 334f, Marwick/Boyd 2011: 124) und wird maßgeblich v1111

den „Nutzungsmotiven und Aneignungskompetenzen" (Döring 2001: 3Y)

der Rezipientlnnen bestimmt. Ob Selbstbilder als authentisch wahrgeno111 men werden, hängt letztlich von der Authentizitätsdefinition der Perso1ic 11

ab, die diese Bilder bewerten (Marwick/Boyd 2011: 124). Die vorliegcnd1 Studie wendet sich dieser Nutzerlnnenperspektive zu, indem subjektive Au thentizitätszuschreibungen digitaler Alltags-Selbstfotografien herausgearb ·1

tet werden.

3 Methode

Die Q Methodologie wurde von William Stephenson (1953) begründet und

zielt auf die Aufdeckung subjektiver Meinungsstrukturen ab. Diese qualitati quantitative Methodologie setzt mit Q-sort ein Sortierverfahren ein, welch ·~

anschließend einer Q-Faktorenanalyse unterzogen wird. Im Sortierverfahren werden die Teilnehmerlnnen gebeten, verbale Statements oder Bilder im Verhältnis zueinander zu sortieren (Müller/Kals 2004, Lobinger/Brantncr 201 5a, 2015b). Die Q-Faktorenanalyse dient dazu, verschiedene Faktorei QJzw. Gruppen oder Typen) subjektiver Sichtweisen aufzudecken.

J i.ingst wird die Q Methodologie auch vermehrt in der Medien- und 1 ommunikationsforschung, hier vor allem in der Rezipientenforschung, angewendet (Davis 2014). Bilder werden aber noch selten eingesetzt (für Ausnahmen siehe z. B. Lobinger/Brantner 2015a, 2015b, O 'Neill/Nicholson-Cole 2009). Da die assoziativen Eindrücke, die Bilder erwecken, häufig schwierig zu verbalisieren sind, eignet sich dieses Verfahren jedoch besonders für Bilder, da eben keine verbalen Antworten auf Inter­viewfragen gegeben werden, sondern Bilder einer Fragestellung entsprechend

im Verhältnis zueinander sortiert werden (Lobinger/Brantner 2015a, 2015b). Es wurde ein erzwungenes Sortierverfahren verwendet, in dem die Teil­

nehmerlnnen die Fotografien auf einer 9-stufigen Skala von -4 (i.iberhaupt nicht authentisch) bis +4 (sehr authentisch) einordnen sollten. Zusätzlich war die Kartenanzahl, die einer Kategorie zugeordnet werden kann, begrenzt; die Verteilung erfolgt dabei einer Quasi-Normalverteilung. Es wurden 33 Bild­

karten mit Selbstbildern vorgelegt; der Schlüssel für die Verteilung der Bild­karten auf die 9 Kategorien sah folgendermaßen aus: 1-2-4-6-7-6-4-2-1.

272

Die Wahrnehmung expressiver Authentizität digitaler Selbstbilder und Selfies

Zusätzlich wurden in einem „intensiv analysis" Setting im Anschluss an die

Sortierungen qualitative Interviews mit den Teilnehmerlnnen geführt. Bei diesen wurden, dem Ansatz der „Visual Elicitation" (Lapenta 2012) entspre­chend, die fertigen Sortierungen als visueller Stimulus verwendet.

Herzstück der Q Methodologie ist die Itemauswahl, d. h., die Reduktion des sogenannten „Councourse" - dem potenziellen Meinungsspektrum - auf

eine handhabbare Anzahl an Statements oder Bildern. Es wurden unter­schiedliche Selbstbilder (Selbstportraits und Selfies) mit unterschiedlichen Motiven (z. B. Spiegel-, Badezimmer-Selfies, semi-professionelle Portraits) und formalen und technischen Darstellungsaspekten - wie die erwähnten Retro-Filter (z. B. Schwarz-Weiß-, Farb-, Low-Fi-Filter), Farbveränderungen, oder besondere Einstellungen - ausgewählt. Die Bilder wurden Me-Alben der Photo-Sharing-Plattform Flickr entnommen. Dabei wurde darauf geach­tet, die Repräsentativität der Itemauswahl zu erhöhen, d. h., das Repertoire digitaler Selbstbilder auf SNS weitestgehend abzudecken. Dazu wurde rele­vante Literatur zur Authentizität von Selbstbildern und jene zu Selbstbildern in SNS gesichtet und möglichst viele für Bildhandeln in sozialen Netzwerken und v. a. für jugendliches Bildhandeln typische Selbstbilder ausgewählt.1

3.1 Ablauf der Untersuchung

Den Teilnehmerlnnen wurde das Sortierschema erklärt und sie wurden gebe­ten, die Bilder zu bewerten. Um den Begriff Authentizität zu vermeiden, und die expressive Authentizität (Banks 2013, Dutton 2005) adäquat zu operatio­nalisieren, lautete die Sortieranweisung: „Wenn Sie sich diese Bilder ansehen, denken Sie, dass die Bilder die Personen so „rüberbringen" wie sie sind? Bei welchen ist das besonders gelungen bzw. trifft das besonders zu? Ordnen Sie

die 33 Bilder von trifft überhaupt nicht Z!' bis trifft voll und ganz Z!' ein." Im An­schluss an die Sortierungen wurden mit Teilnehmerlnnen qualitative Inter­views durchgeführt, in denen die fertigen Sorts als Stimulus für die Frage,

1 Die Bilder wurden zwar von öffentlich zugänglichen Me-Alben der Plattform Flickr bezogen, die Auswahl betraf jedoch nicht typische Flickrbilder. Wie Roth (2013: 119) anmerkt, unterscheiden sich die Bildpraktiken auf SNS und der Fotoplattform Flickr. Während Fotos auf SNS vor allem das „virtuelle Selbstbild" abbildeten, stehe bei Flickr die Fotografie an sich im Zentrum.

273

Cornelia Brantner und Katharina Lobinger

warum die jeweilige Sortierung in dieser Art und Weise vorgenon11111 11 111

de, verwendet wurden.

3.2 Teilnehmerinnen

Repräsentativität ist nicht das Ziel von Q-sort Studien und die 'l'<; i l 1 wl1111 1

Innenanzahl sollte im Idealfall nicht über jene der Items hin aw.µ,1111

(Watts/Stenner 2012: 73). Den Ansprüchen des purposive Sampli11 ~1, (1 l

vis/Michelle 2011: 568) folgend, wurde darauf geachtet, möglichst vi •11 schiedene subjektive Sichtweisen miteinzubeziehen. Da erwartet wL1rtl ·, d 1

die Wahrnehmung expressiver Authentizität von Selbstbildern nicht 111 11 '" Alter und Geschlecht, sondern auch von der digitalen Expertise un 1 d 1

eigenen digitalen Foto- und Sharingpraktiken abhängt, wurde bei dv1 l 1 il nehmerlnnenauswahl darauf geachtet, ein diesbezüglich möglichst li11 111

Personenspektrum abzudecken. Teilgenommen haben 29 Personen, die in Deutschland oder Ös t ·11 1 11 1

leben; davon sind elf Männer und 18 Frauen, zwischen 13 und 60 Ja hr ·11 , .l 1 Durchschnittsalter liegt bei 32, 1 Jahren.

4 Ergebnisse

Die 29 Q-sorts wurden einer Faktorenanalyse unterzogen. Die Analys ~· '' 111 de Mithilfe des Programms PQMethod durchgeführt; benutzt wurcl · .!11 Varimax Rotationsmethode mit automatischem Flagging der definie r~· 1 11l1 11 Faktoren. Vier Faktoren mit einer geteilten Perspektive auf die Authentiztl 11 von Selbstbildern wurden identifiziert, die insgesamt 55% der Varianz v1 k l.1

ren. 25 Q-sorts laden signifikant auf einen der vier Faktoren, wobei Fak t!l1 ' und 3 bipolar sind, d. h. hier auch negativ ladende Sortierungen enth:dt• 11

sind.2 Für die Interpretation der Faktoren wurde das sogenannte Crib Sl11 , 1

System (Watts/Stenner 2012) gewählt, da hier der Fokus auf jenen Bil<li 111

liegt, die von den jeweiligen Faktoren höher oder niedriger gerankt wurd111 als von den anderen Faktoren. Die vier Gruppen bzw. Faktoren unters h11

den sich z. B. bezüglich Posen oder fotografischem Setting in ihrer B ' wc 1 tung der expressiven Authentizität von Selbstbildern.

2 Faktor 1 hat einen Eigenvalue (EV) von 7,21 und erldärt 25% der Varianz, Fak 101 '

EV 2,8, Varianz 10%, Faktor 3: EV 2,7, Varianz 9%, Faktor 4: EV 3,1, Varianz ·11 11 " ·

274

Die Wahrnehmung expressiver Authentizität digitaler Selbstbilder und Selfies

4.1 Faktor 1: Selfies als Prototypen expressiver Inauthentizität,

Retrofilter erhöhen die Authentizität

16 Personen laden positiv auf Faktor 1. Dies sind zehn Frauen und sechs Männer, zwischen 13 und 50 Jahren. Der Altersdurchschnitt liegt bei 28, 7

Jahren. Dies ist damit in Bezug auf Geschlecht und Alter ein gemischter Faktor. Alle 16 Personen nutzen das Internet täglich, manche mehrere Stun­den. Bis auf zwei Personen fotografieren alle, sie haben jedoch Alles in Allem eine eher geringe Expertise in Digitalfotographie und v. a. in digitaler Nach­bearbeitung. Insgesamt fünf Personen, alle aus der jüngeren Altersgruppe, nutzen Filter und Apps. Sharing Praktiken werden selten angewendet und wenn, dann ebenfalls von den jungen Teilnehmerlnnen, welche angeben, ihre digitalen Bilder vor allem mit „Freunden" und Bekannten zu te il ' 11 .

Nach eigenen Angaben macht keine der Personen ihre Bilder öffentl ich zu­

gänglich und sie nutzen Photo Sharing Plattformen nicht. Für Personen in dieser Gruppe ist expressive Authentizität stark mit d<; r

Sichtbarkeit des Produktionsprozesses der Bilder verbunden. Typisch<; S ·1-fies (One-Arm-Lenght Shots und Spiegelselfies), werden von diesem Faktor als unauthentischer als andere Selbstfotografien angesehen, vor allem wenn gleichzeitig offensichtlich für die Kamera eingenommene Posen und Grimas­sen (wie Duckface, Kussmund) und die Fokussierung auf bestimmte Körper­teile oder Kleidung gegeben sind. Dass Faktor 1 also besonders solche Dar­stellungen als nicht authentisch empfindet, unterstreicht auch das Interview mit Melanie3, 47: „Ja, 1veil das absolute Poserbilder sind (...)Die gibt eine Pose vor, die sie vielleicht irgend1vo in einer Zeitung gesehen hat. Ein Teenie, die irgenrfjemanden nach­macht und die aber in Wirklichkeit ivahrscheinlich noch recht kindlich ist."

Posing wird von den Personen in Faktor 1 als Angeberei interpretiert und als Versuch, sein bestes Gesicht zu zeigen. Als authentisch wurden jene Selbstbilder gewertet, die als Schnappschüsse, auf denen die Abgebildeten „natürliche" Gesichtsausdrücke und Posen zeigen, bezeichnet werden kön­nen. Auf die Art der Darstellung verweist auch Michael, 50. Er sieht Bilder,

auf denen die Darstellung zu sehr an Schauspielerei erinnert, als wenig au­thentisch: ,,Ich hab dabei drauf geachtet, ob die Person für mich einen natürlichen Ein­dmck macht oder sich irgendivie bemüht, irgend1ve/che Schauspielereien zu machen." „Po-

3 Alle Sortiererlnnen wurden anonymisiert.

275

Cornelia Brantner und Katharina Lobinger

serbilder" und an medialen „Vor-Bildern" orientierte Fotos setz ·11 : il •,11 1111

Faktor 1 keine glaubhafte Darstellung der Identität um. Retrofilter hatten offenbar ebenfalls - jedoch unbewusst - Einflu ss auf 1 !11

Sortierentscheidung, da viele der von diesem Faktor als authentisch lw r 11 ten Fotos mit Retro- oder Farbfiltern bearbeitet sind. In den Intervi ·w~ \\ 11

den diese Aspekte jedoch nicht thematisiert.

4.2 Faktor 2: Fotografierte Situationen sind authentisch -Fotosituationen sind unauthentisch

Vier Personen laden auf Faktor 2, sie sind zwischen 44 und 60 Jahre al1 11 1111 konstituieren damit den ältesten Faktor der Studie. Interessanterwcis · ~ 1 11.I

drei Männer und nur eine Frau diesem Faktor zugeordnet. Einer der Mii 11111 1

lädt negativ auf den Faktor. Bezüglich ihrer eigenen Fotopraktiken z ·ig1 11

sich die Personen sehr eingeschränkt, sie machen gelegentlich Schnapps 1111·. se, bearbeiten ihre Fotos aber nicht. Die Sharing Praktiken können, wil' 111 Faktor 1, dem zugeordnet werden, was Chalfen (1987) als „home modr' bezeichnet hat: wenn geteilt wird, dann mit Familie und guten Freunden.

Für Faktor 2 sind - im Unterschied zu Faktor 1 - durchaus auch jen · l ~ t!

der authentisch, in denen Posen eingenommen werden und in denen K;i 111 t ras zu sehen sind. Die Fotos sollen natürlich und aus der Situation hcrnll'. entstanden sein, ob dabei eine Kamera sichtbar ist, ist nicht von Belang, l 111

Peter, 44, macht dies das Foto sogar authentischer: „Guck mal die, alle fPm11 nen], die, ah, in der Hand eine Kamera haben, die sind alles Natürliche."

Das authentischste Bild zeigt den One-Arm-Length Shot eines Shisha rau

chenden jungen Mannes, aber auch Duckface-Bilder, Badezimmer-Selfi ·i-.,

und Bilder mit Grimassen (wie Zunge zeigen) werden von Faktor 2 als au

thentischer gesehen als bei anderen Faktoren.

Fotos, die Personen in alltäglichen Situationen oder in besonderen Mo menten und Ereignissen (wie Urlaubsreisen) darstellen, werden als authcn tisch angesehen. Den Unterschied macht nicht, ob eine Person auf dem FOICl Posen zeigt, sondern die fotografierte Situation: Die Gruppe findet Fotm. dann unauthentisch, wenn die Situationen eigens zum Zweck des Foto

machens inszeniert werden. Fotofilter zeigen dagegen keinen Einfluss auf die Bewertung der Authentizität.

276

Die Wahrnehmung expressiver Authentizität digitaler Selbstbilder und Selfies

4.3 Faktor 3: Darstellungstechniken und vermutete Bildbearbeitung bestimmen die wahrgenommene Authentizität

Faktor 3 kann als Teenager-Faktor bezeichnet werden, die G rut pc b<.;sll.: hl

aus zwei 14- bzw. 15-jährigen Mädchen und einem 14-jährigen J ung-n, wolwi auch dieser Faktor bipolar ist. Digitale Fotopraktiken sind Bcstancll ·il ih re. Alltags, die Mädchen schießen auch häufig Selfies mit ihren Mobil1 ·lcfn 11 t-·11 ,

Alle drei geben an, ihre Bilder nur mit Freunden zu teilen . Fi.ir cli ·s ·n l'r1klol' ist - anders als für Faktor 2 - die Fotosituation unwichtig L1n 1 an 1 ·1· nl. 111 Faktor 1 sind auch Posen und Selfies erlaubt. Hier machen die [ arst · llu11g~

techniken und die vermutete Bildbearbeitung den großen Unt ·rs hi · 1 i11 d ·1 Beurteilung der Authentizität aus. Dies kann jedoch sowo hl pox iti v als :t u l li negativ gesehen werden.

Für die junge Gruppe haben etwa Retrofilter eine hohe B d ·ut ung r"1r di · Sortierentscheidung, jedoch divergiert sie in der auf diesem l ri tc ri L1111 1 <.: ru ­henden Sortierentscheidung: für ein Mädchen erhöhen die Filter di e expres­sive Authentizität, für die beiden anderen Teenager vermindern Filter diese.

Karl (14, lädt negativ) bewertet die expressive Authentizität also danach, ob ein Filter verwendet wurde oder nicht, für ihn macht alleine diese Bear­beitung das Foto unauthentisch: „Wenn man mit dem Handy ein Foto macht, kann man natürlich bestimmte Spezjaleffekte einstellen (. .. ) [ich schaue] nach Kontrasten, nach hervorgehobenen Farben, nach besonderen Lichteinfallen und nach einfach Bildern, die man so einfach nicht schießen konnte."

4.4 Faktor 4: Fotokunst macht Selbstbilder unauthentisch

Zwei Personen, eine 26-jährige Frau und ein 49-jähriger Mann, laden auf diesen sowohl in Bezug auf Alter als auch Geschlecht gemischten Faktor. Der Mann gibt an, sehr selten und wenn, dann mit dem Smartphone zu foto­grafieren, die Bilder nicht zu bearbeiten und auch (fast) nicht zu teilen. Auch Selfies hat er bislang äußerst selten aufgenommen. Die Frau nutzt ihr Smart­

phone für Schnappschüsse, hin und wieder auch eine Digital- und Lomoka­mera, fotografiert sich aber nie selbst. Ihre Bilder teilt sie nach eigenen An­gaben nur via Whatsapp oder Email mit Freunden.

Ähnlich wie in Faktor 2 geben beide Sortiererlnnen an, auf Inszenierun­gen geachtet zu haben, allerdings mit anderen Interpretationen dessen, was

277

Coroelia Brantner und Katharina Lobinger

als inszeniert gilt. Von beiden Faktoren wird auch das gleiche Bild al ~ 111 1 unauthentischsten eingestuft. Diest-s zeigt ein extremes Close-up ·in<'I v• piercten, scheinbar blutigen Lippe. Sven, 49, meint bezüglich dieses Bil 1

„mir kommt das it;gend1vie JVie der Ausschnitt eines künstlerischen Fotos vol'. S , 11

beruft sich im Interview immer wieder auf „Kunstfotos", „künstlerische f ."11/111

oder „künstlerische Ausdrücke", die die Personen auf den Fotos zeigen. Da11111 erklärt sich auch der Unterschied ztl Faktor 2, der vor allem die Fotositu '11i1111 bewertet hatte. Faktor 4 wertet dagegen jene Bilder als unauthentisch, di · 1 11

perfekt ersduenen, unabhängig vorl der Fotosituation. Bezüglich des auth l· t1 tischsten Bildes - es zeigt einen ]VIann, der sich mit der Kamera vor cl ·111 Gesicht (vermutlich) in einem Mc)torradspiegel fotografiert - meint Svl· t 1

„1veil das kein Kunstfoto ist, 1veil er im Foto zu sehen ist. Wenn das jetZf ein ver-zen1n Foto 1väre, diese Radkappe oder JVas er ,1a .fatogrqfiert, ha"tt ich mir gedacht, ja das ist c/11 Kunstfoto, aber nach dem er drin ist, und seine Kleidung erscheint mir als sehr autl.m1

fisch." Retrofilter beeinflussen die Sortierentscheidung offensichtlich nicht, l:t

Bilder mit Filter auf beiden Spekm:n der Skala zu finden sind.

5 Fazit

Die Analyse hat vier Gruppen mit unterscl:iiedlichen und teilweise konträren Sicl:itweisen auf die expressive visuelle Authentizität von digitalen Selbstbil­dern aufgedeckt. Posen werden je: nach Faktor als unauthentische oder als normalisierte authentische Darstt:fürngskonvention interpretiert. Mit Aus­nahme des dritten Faktors waren vor allem die Bildinl:ialte mit den dargestell­

ten Motiven und Situationen aussc:hlaggebend für die Bewertung der Authen­tizität und nicht der Bildstil, d. h. die formale Darstellungsweise.

Für Personen in Faktor 1 ist e:Kpressive Authentizität stark mit der Sicht­barkeit des Produktionsprozesse~> der Bilder verbunden. Typische Selfies, also solche, die im Anschluss an Mitchell (1995) und Mendel­son/Papacharissi (2010) als „Meta-Fotografie" bezeicl:inet wurden, werden

von Personen in dieser Grupp<:'. als unauthentischer gewertet als andere Selbstfotografien. Dies trifft vor allem zu, wenn offensichtlich für die Kame­

ra eingenommene Posen und Gri!nassen (wie Duckface, Kussmund) und die Fokussierung auf bestimmte Körperteile oder Kleidung gegeben sind. Diese Bilder sind oft in einer Ästhetik fotografiert, die auf der Ikonografie der

278

Die Wahrnehmung expressiver Authenti zität· digt1 .d1 t , II. 11 1

Werbung beruht (Schwarz 2010). Damit wird insges~11111 .1 11 tlt• 1,

sches jugendliches Bildhandeln (Reißmann 2012, Schwl'l rz ' (JJ11 1 111

Gruppe als nicht authentisch empfunden wird. Hier zeig1 . i l li , d 1

tor 1 vor allem die „Poserbilder" Selbstdarstellungen enth alt ·11 , 111 , J, 11

„glaubhafte Vorführung einer bestimmten Persönlichkeit " (/\1 11 1 1

offensichtlich nicht gelungen ist und die dargestellte Iden ti tii l ( "d li t11

1969) von Teilen des Publikums als unauthentisch empfunden w11.I f 1, Weiteren hatten Retrofilter, wenn auch unbewusst, Auswirkung ~w I d tt \ 11

thentizitätsbewertung; diese wurde dadurch erhöht. Für die zweite Gruppe - die älteste in dieser Studie - macht die !arg ·s1 ·II

te Situation den Unterschied in der Bewertung der expressiven Authenti zltiil aus. Für diesen Faktor sind Fotos dann unauthentisch, wenn die Situationen eigens zum Zweck des Fotomachens inszeniert werden. Diese Gruppe ver­wendet Inszenierung „als Synonym von Inauthentizitaf' (Keller 2009: 337), wobei Selbstinszenierung durch Posen durchaus authentisch ist, solange die dargestellte Situation „natürlich" erscheint.

Für die Teenager in Faktor 3 hängt die Beurteilung der expressiven Au­thentizität von Darstellungstechniken und vermuteter Bildbearbeitung ab, die Bildmotive selbst rücken dagegen in den Hintergrund. Die Befragten dieser Gruppe haben selbst Expertise in digitaler Bildbearbeitung und achten in ihren Sortierentscheidungen vor allem auf die Wahl von Filtern und auf Indi­

zien für Bearbeitungen. Da dieser Faktor jedoch bipolar ist, können diese Darstellungstechniken die Authentizität sowohl erhöhen als auch vermin­dern.

Für Personen in Faktor 4 ist die vermutete Inszenierung ausschlaggebend für die Sortierung. Im Unterschied zu Faktor 2 bezieht sich Inszenierung hier

jedoch auf die künstlerische Anmutung der Fotografien; als zu perfekt emp­fundene Bilder sind „Kunstfotos" und für diesen Faktor unauthentisch.

Es konnte gezeigt werden, dass verschiedene, durchaus konträre subjekti­ve Sichtweisen auf die expressive Authentizität von digitalen Selbstfotogra­fien existieren und diese insbesondere von Alter, Fotoexpertise und eigenen Bildpraktiken beeinflusst werden.

Die dargestellten Personen waren den Studienteilnehmerlnnen unbekannt, es waren keine „Freunde" aus den eigenen NS, die hier einer Authentizitäts­Bewertung unterzogen wurden. So konnte 1 tztlich nur die den Selbstdarstel­lungen unbekannter Personen zugeschrieben ' Au thentizität ernlittelt werden.

279

Cornelia Brantner und Katharina Lobinger

In die Bewertung der Authentizität der Selbstdarstellung von „ l'r •u1 11l111

fließen dagegen auch Vorkenntnisse, die aus Offline und/oder O nline 1 1111

takten gespeist wurden, ein. Ob Selbstbild d er Produzentlnm•11 1111.I

Fremdbild der Rezipientlnnen übereinstimmen - worauf A n alyK ·11 1 '"

Freundenetzwerken hinweisen (Back et al. 2010) -, ist für die Zus h rvtl11111

von Authentizität letztlich nicht von Belang. Hier sei nochmals an den 1 1111

struktionscharakter d er Authentizität erinnert, dieser ergibt sich au h ,„111

d er Unmöglichkeit em es o bjektiven Abgleichs von Selbstbi ld 1111 11

F re mdbi ld " (Kelle r 2009: 344).

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