Against the Manual: Sound/Prototypes

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Gegen die Gebrauchsanweisung: Klang/Prototypen Dieser Vortragstext thematisiert Positionen zu Klangkunst und Sound und beschäftigt sich aus Perspektiven der Cultural und der Sound Studies mit musikalischen Prototypen-Maschinen seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Schwerpunkte dabei sind neben theoretischen Überlegungen zu Raum und Klang Instrumente wie die Intonarumori, das Trautonium und der ANS, Fieldrecordings sowie Komponist_innen wie Maryanne Amacher und Francisco López. Musik war nie nur das Werk an sich, es ging immer auch um Materialien, Werkzeuge und die damit verbundenen Produktionsbedingungen. 1913 hatte Luigi Russolo sein wegweisendes Manifest L’Arte dei Rumori / Die Kunst der Geräusche veröffentlicht und für Musik, die heutzutage mit hosentaschengroßen Geräten wie dem iPad und der »Buddha Machine« oder mit Circuit Bending produziert wird, brauchte es früher tonnenschwere Geräte. War elektronische Musik einst eine Angelegenheit von Ingenieuren, ist sie heutzutage allgemein verfügbares »Spiel«-Zeug. Prototypen repräsentieren aber nicht nur Maschinen in einem Vorstadium, sondern kartografieren politische Utopien, soziale (Un-)Möglichkeiten, kulturelle Notwendigkeiten und ästhetische Appropriationen. Gegen die Gebrauchsanweisung traversiert Maschinen und Konzepte, in denen sich Musik, Kunst und veränderte Interaktionen überschneiden. Dieser Vortrag beinhaltete neben Bildern auch Musik- und Videobeispiele. Aus urheberrechtlichen Gründen werden hier nur die jeweiligen Hyperlinks angeführt. Es wird empfohlen, diese Videos anzusehen, da sie wichtige Zusatzinformationen bieten. Adaptierter Text der gleichnamigen Soundlecture, Festival Klangkunsttage, November 2014, Wien http://www.klangkunsttage.at Against the Manual: Sound/Prototypes This lecture paper deals with positionings of sound art and sound. Based on perspectives of Cultural and of Sound Studies, it discusses prototypical music machines from the beginning of the 20 th century until today. Apart from theoretical considerations on space and sound, instruments like the Intonarumori, the Trautonium and the ANS, fieldrecordings, as well as composers like Maryanne Amacher and Francisco López will be outlined. Music never was a piece or work as such, but also significantly displayed materials, tools and conditions of production surrounding them. In 1913, Luigi Russolo had published his ground-breaking manifest L’Arte dei Rumori / The Art of Noises, and music productions, realized nowadays by pocket-sized devices like an iPad and a »Buddha Machine« or by circuit bending, required ton-heavy machines back then. Whereas electronic music once used to be an issue for engineers, presently it can be considered as an omnipresent tool. However, prototypes not only represent machines in a certain pre-stadium. They also set out topics of political utopias, social (im-)possibilities, cultural necessities, and aesthetic appropriations. Against the Manual traverses machines as well as concepts, in which music, art, and altered interactions coincide with each other. Besides of images, this lecture comprised audio and video examples too. Due to copyright reasons, only the respective hyperlinks are cited. It is recommended to watch these videos, as they provide some important accompanying information. Adapted text of the same-titled sound lecture, Festival Klangkunsttage, November 2014, Vienna http://www.klangkunsttage.at

Transcript of Against the Manual: Sound/Prototypes

Gegen die Gebrauchsanweisung: Klang/Prototypen

Dieser Vortragstext thematisiert Positionen zu Klangkunst und Sound und beschäftigt sich aus Perspektiven

der Cultural und der Sound Studies mit musikalischen Prototypen-Maschinen seit Beginn des 20.

Jahrhunderts. Schwerpunkte dabei sind neben theoretischen Überlegungen zu Raum und Klang Instrumente wie die Intonarumori, das Trautonium und der ANS, Fieldrecordings sowie Komponist_innen wie Maryanne

Amacher und Francisco López. Musik war nie nur das Werk an sich, es ging immer auch um Materialien, Werkzeuge und die damit

verbundenen Produktionsbedingungen. 1913 hatte Luigi Russolo sein wegweisendes Manifest L’Arte dei Rumori / Die Kunst der Geräusche veröffentlicht und für Musik, die heutzutage mit hosentaschengroßen Geräten wie dem iPad und der »Buddha Machine« oder mit Circuit Bending produziert wird, brauchte es früher

tonnenschwere Geräte. War elektronische Musik einst eine Angelegenheit von Ingenieuren, ist sie heutzutage allgemein verfügbares »Spiel«-Zeug.

Prototypen repräsentieren aber nicht nur Maschinen in einem Vorstadium, sondern kartografieren

politische Utopien, soziale (Un-)Möglichkeiten, kulturelle Notwendigkeiten und ästhetische Appropriationen. Gegen die Gebrauchsanweisung traversiert Maschinen und Konzepte, in denen sich Musik, Kunst und veränderte

Interaktionen überschneiden. Dieser Vortrag beinhaltete neben Bildern auch Musik- und Videobeispiele. Aus urheberrechtlichen

Gründen werden hier nur die jeweiligen Hyperlinks angeführt. Es wird empfohlen, diese Videos anzusehen,

da sie wichtige Zusatzinformationen bieten. Adaptierter Text der gleichnamigen Soundlecture, Festival Klangkunsttage, November 2014, Wien

http://www.klangkunsttage.at

Against the Manual: Sound/Prototypes

This lecture paper deals with positionings of sound art and sound. Based on perspectives of Cultural and of

Sound Studies, it discusses prototypical music machines from the beginning of the 20th century until today.

Apart from theoretical considerations on space and sound, instruments like the Intonarumori, the Trautonium and the ANS, fieldrecordings, as well as composers like Maryanne Amacher and Francisco López

will be outlined. Music never was a piece or work as such, but also significantly displayed materials, tools and conditions of

production surrounding them. In 1913, Luigi Russolo had published his ground-breaking manifest L’Arte dei Rumori / The Art of Noises, and music productions, realized nowadays by pocket-sized devices like an iPad and a »Buddha Machine« or by circuit bending, required ton-heavy machines back then. Whereas electronic music

once used to be an issue for engineers, presently it can be considered as an omnipresent tool. However, prototypes not only represent machines in a certain pre-stadium. They also set out topics of

political utopias, social (im-)possibilities, cultural necessities, and aesthetic appropriations. Against the Manual traverses machines as well as concepts, in which music, art, and altered interactions coincide with each other.

Besides of images, this lecture comprised audio and video examples too. Due to copyright reasons, only

the respective hyperlinks are cited. It is recommended to watch these videos, as they provide some important accompanying information.

Adapted text of the same-titled sound lecture, Festival Klangkunsttage, November 2014, Vienna

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Klang/Raum

Whereas visual culture rests on a degree of distanciation between the observer and

the direct object of the gaze, auditory experience is marked by a greater degree of

spatial intimacy and material permeability. Yet the separation of the listener from

the original sound source can engender its own forms of acoustic alienation.

Matthew Gandy: »Acoustic terrain« (2014: 12)

Der Drang nach Neuem veranlasste Musiker_innen, Künstler_innen oder Ingenieure immer schon dazu, an

den Grenzlinien zwischen Basteln und Forschen ihre Instrumentarien zu Peilsendern für die Audiosignale aus

der Zukunft aufzurüsten. Strom wurde zum Klingen gebracht und man stieß in die molekulare Materie des

Sounds vor. Welten wurden zugänglich gemacht, von denen nie ein Mensch zuvor gehört hatte. Zoomen wir

im Weiteren in diese räumliche Intimität und akustische Entfremdung hinein: Verfremdung als eine

Möglichkeit künstlerisch-musikalischer Appropriation.

Musik, Technologie, Physik und soziale Formationen schließen sich dabei gegenseitig kurz. Die

antiquierten Rezeptorstränge der Ohren lösen sich auf und das größte menschliche Organ, die Haut,

transformiert sich zu einer Hörmuschel-Apparatur. Um es mit William S. Burroughs auszudrücken:

Gebrauchsanweisungen sind dazu da, dass man mit Schere und Kleber aus ihnen Cut-Ups macht (Hegarty

2007: 185). Während, um mit Adorno zu sprechen, der Fetischcharakter von konventioneller Musik in ihrer

Warenhaftigkeit liegt, da sie dadurch zu beliebiger Zeit für den Konsumenten/Hörer abrufbar ist, stellen

Prototypen musikalische Zustände her, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie in einer unbestimmten

Zukunft liegen und ihr diesbezüglicher Konnex noch nicht eingelöst wurde: »Der Fetischcharakter ergibt sich

aus der Unfähigkeit, sie zu hören.« (Diederichsen 2014: 120).

Dieser futuristische Brennstoff wird in den Prototypen-Soundmaschinen gezündet. Prototypen sind

sowohl indexikalische wie symbolische Zeichen einer industrialisierten Maschinenwelt, in der Stille die

Abwesenheit von Musik, und Lärm ein Vorstadium eines auditiven Codesystems darstellen. Das sowohl

atmosphärische wie subatomare Rauschen ist die genuine Information. Die Decodierung von Informationen

wird in jenem »Noise« bereitstellt, der in dem berühmten Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver1

zwischen Sender und Empfänger liegt. Diese Störung des Status quo durch den unbekannten Faktor »Noch-

nicht-Wissen« nannte Heinz von Foerster den »blinden Fleck in der Beobachtung«, später verdichtet zu dem

Prinzip »order from noise«2: »Wenn man Konsistenz und Vollständigkeit beweisen will, muss man das System

verlassen.« (Foerster 1993: 288).

Die urbanen Lärmkulissen von Luigi Russolo, die geisterhaften Sounds des Synthesizers ANS, die

sogenannten telematischen Soundinstallationen von Maryanne Amacher oder diverse Spielarten von

Fieldrecordings befreien Klänge davon, »Musik« zu sein zu müssen. Die Kondensierung des Alltags zu einem

singulären oder vielmehr signifikanten Moment ist es, welche rückwirkend diese Erfahrung so speziell und

nicht reproduzierbar erscheinen lässt. Genau darum geht es, wenn man versucht, Klang als eine soziale

1 Vgl. Claude Shannon/Warren Weaver: The Mathematical Theory of Communication. Urbana: University of Illinois 1949. 2 Vgl. Heinz von Foerster: »Über selbstorganisierende Systeme und ihre Umwelten«, in: Foerster (1993), 211–232. Orig. publiziert 1960.

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Skulptur musikalischer Alltagspraxis zu definieren. Klang ist die akustische Erfahrbarmachung eines

bestimmten architektonischen oder gesellschaftlichen Raums. Da jeder Raum spezielle Anforderungen stellt

und sowohl akustisch wie sozial immer anders klingt beziehungsweise determiniert ist, ließe sich Klang und

damit Klangkunst als eine orts- und zeitspezifische akustische Kartografierung beschreiben:

As resonant or amplified solids move and interact, activated by unpredictable systems, the

patterns of sound they create take on the drama of natural emergent phenomena. The effect can

be compared with the optical illusions of the Op Art, yet the experience of seeing and hearing

sounding sculpture could be immersive, more prolonged and emotionally deeper. (Toop 2003:

125)

Noch existiert keine einheitliche Begriffsdefinition darüber, was »Sound« sei.3 Beim »Klang« tut man sich

leichter. Am ehesten ließe sich sagen, dass einerseits Klang auf mathematische, physiologische und

wahrnehmungspsychologische Phänomene des Auditiven, und andererseits Sound auf gesellschaftliche

Formationen verweist und somit in einem Naheverhältnis zu sozialwissenschaftlichen Überlegungen, etwa

aus der Soziologie, den Cultural Studies oder den Sound Studies, steht. In der musikwissenschaftlichen

Diskussion wird hier oft von »Audio-Objekten« gesprochen. Also den, wie es Pierre Schaeffer, der

Mitbegründer der Musique Concrète, formuliert hat, »objets sonores« (vgl. Kane 2007). Ich werde im Verlauf

dieses Vortrags noch darauf zurückkommen.

Zunächst also Klang und Raum. Denn bevor wir zu den Musikmaschinen kommen, möchte ich kurz das

Thema »Raum als akustischer Prototyp« behandeln. In der Film- beziehungsweise der Klangtheorie spricht

man dabei von Akusmatik.4 Für den Moment soll Akusmatik als ein diegetisches Verhältnis – also ein

bestimmtes rezeptionsästhetisches Verhältnis – zwischen einem gesellschaftlichen oder individuellen »Innen«

und seinem »Außen« und vice versa definiert sein.

Konkret geht es um die US-amerikanische Komponistin Maryanne Amacher (1938–2009). Sie studierte

u.a. bei Karlheinz Stockhausen, arbeitete mit John Cage und entwickelte Klangstudien, die sich besonders mit

Mikrofonen, Lautsprechern und dem Raum beschäftigen. Helga de la Motte-Haber schreibt über ihre

Kompositionsmethoden:

Sorgfältig und arbeitsaufwendig untersuchte Amacher die Struktur der jeweiligen Orte, um das

zu schaffen, was sie als »structured borne sound« bezeichnete, der den jeweiligen Ort mit seinen

Schallreflexionen spiegelt, im Unterschied zum »air borne sound«, einer bloßen durch Luft-

3 In Ermangelung eines bislang adäquaten deutschen Begriffs wird sowohl akademisch – siehe die Sound Studies – wie alltagssprachlich von »Sound« gesprochen. Hinzuweisen ist auch auf Diskrepanzen konnotativer Zusammenhänge zwischen englischer und deutscher Verwendung. Kursorisch sei auf folgende Publikationen verwiesen, die unterschiedliche Themen, Begrifflichkeiten und Implikationen von Sound problematisieren: Douglas Kahn: Noise, Water, Meat. A History of Sound in the Arts. Cambridge (MA)/London: MIT Press 2001, Holger Schulze (Hg.): Sound Studies: Traditionen – Methoden – Desiderate. Eine Einführung. Sound Studies Vol. 1. Bielefeld: Transcript 2008, Werner Jauk: pop/musik + medien/kunst. Der musikalisierte Alltag der digital Culture. Osnabrücker Beiträge zur systematischen Musikwissenschaft, hg. von Bernd Enders, Vol. 15. Osnabrück: epOs 2009, Steve Goodman: Sonic Warfare. Sound, Affect and the Ecology of Fear. Cambridge (MA): MIT Press 2010, Marie Thompson/Ian Biddle (Hg.): Sound, Music, Affect. Theorizing Sonic Experience. Bloomsbury: London et al. 2013.Trevor Pinch/Karin Bijsterveld (Hg.): The Oxford Handbook of Sound Studies. New York et al.: Oxford University Press 2013. 4 Exemplarisch hierzu Chion (1994) mit einer der nach wie vor konzisesten Aufarbeitungen: Michel Chion: Audio Vision. Sound on Screen. Ed. and trans. by Claudia Gorbman. With a foreword by Walter Murch. New York: Columbia University Press 1994.

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schwingung transportierten Schallwelle. Die Lautsprecher konnten gegen die Wand gerichtet

angebracht werden, um deren Klangeigenschaften hörbar zu machen. Amacher schuf Klang-

szenarios, die wie auf einer Bühne die akustischen Gestalten inszenierte (»staged«). […] Die

Komponistin steuerte von einem Mischpult aus mehrere Tonbandgeräte, die sich als oberton-

reiche Klangschichtungen in polyphonen Strukturen mit großer Intensität durch die Räume

bewegten. Die Architektur war Ausgangspunkt. (Motte-Haber 2013)

Der Kurator Carsten Seiffarth analysiert in einer Sequenz dieses jetzt zu sehenden Videoportraits über

Amacher anhand einer 2008 von ihr realisierten Arbeit in der Petrikirche in Rostock folgende klangräumliche

Kompositionszugänge:

http://vimeo.com/87401740. Elisabeth Schimana/Lena Tikhonova: Maryanne Amacher. IMAfiction

Video Portrait #06. Institut für Medienarchäologie – IMA, Österreich 2013

Maryanne Amacher stand in der Tradition der Musique Concrète und der Elektroakustik. Die ab den

1950er Jahren vor allem in Paris entwickelte Musique Concrète führte über den Umweg der Tonbandmusik

(Tape Music) dazu, dass abseits von visuellen oder performativen Reizen die akustische Wahrnehmung als

eine Art reines Hören ins Zentrum der Auseinandersetzung gerückt wurde. Dazu waren Erkenntnisse aus der

Schallforschung und der Psychoakustik notwendig. Ab den 1970ern wurde an Szenarios geforscht, wie sich

ein Klangbild möglichst detailgetreu darstellen ließe. Weshalb das sogenannte Acousmonium5 entwickelt

wurde.

Abb. 1: Acousmonium. Institut National de l’Audiovisuel/Groupe de recherches musicales (GRM), Paris, 1980. Foto: Laszlo Ruszka

5 Vgl. Jonathan Prager: L’Interprétation acousmatique. Fondements artistiques et techniques de l’interprétation des œuvres acousmatiques en concert. Online-Publikation 2012, v.a. 12–17, http://www.inagrm.com/sites/default/files/Interpretation-acousmatique_0.pdf (15.5.2015).

5

Diese als Soundsystem aufzufassende, komplexe Apparatur besteht aus gut hundert individuell

ansteuerbaren Lautsprechern. Das Resultat ist ein Soundscape, der so immersiv und plastisch ist, dass er aus

der Akustik allein heraus sozusagen Bilder im Kopf entstehen lässt. Dabei ist auf drei Dinge hinzuweisen:

Erstens war diese Klangmusik nicht nur an das Ohr, sondern den ganze Körper adressiert; zweitens wurde

der Lautsprecher zum Musiker beziehungsweise Interpreten; und drittens zeitigten derartige Anordnungen

komplett andere kompositorische Überlegungen als beispielsweise in der Rockmusik. – Aus offensichtlichen

Gründen würde es wenig Sinn machen, hier jetzt auf einer zweikanaligen Anlage eine Komposition für das

Acousmonium vorzuspielen. Und außerdem existieren keine »echten« Aufnahmen mit ihm. Das

Acousmonium ist, den oben beschriebenen Überlegungen folgend, ein Instrument, das nur in der Live-

Situation erlebt werden kann.

Dass Klänge alles andere als »unschuldig« sind, zeigt das nächste Beispiel. Es handelt sich dabei um einen

Lehrfilm über akustische Kriegsführung während des Zweiten Weltkriegs aus den Archiven der US-Army.

Vielleicht ist das etwas martialisch. Ich habe mich aber bewusst für dieses Filmdokument entschieden, weil es

auf gleich mehreren Ebenen den Einsatz von Klang jenseits des Ästhetisch-Künstlerischen aufzeigt, nämlich

wie ganze militärische Operationen inklusive Geräten, Truppenbewegung und Brückenbau zur Täuschung

des Feindes akustisch simuliert wurden. Dieser Film illustriert meiner Meinung nach gut, wie, generell

gesprochen, kontextbezogen Sound wirken kann (vgl. Deisl 2011). An dieser Stelle sei auch auf das Buch

Sonic Warfare von Steve Goodman6 verwiesen, der sich darin unter anderem eingehend mit Sound als ein

Dispositiv zur Konstituierung von Macht auseinandersetzt.

http://www.youtube.com/watch?v=ZH3eliIXngY. Disinformation – Sonic Warfare. US Army

instructional documentary about sonic warfare and deception techniques. Originalquelle unbekannt

Prototypen

Wir haben nun einige Beispiele dafür gesehen, wie sich Klang einsetzen lässt. Um zu Sounds zu werden,

müssen diese Klänge ja auch irgendwo eingefangen werden. Kommen wir also zu musikalischen Prototypen.

Prototypen sind ewige Baustellen, bezeichnen gesellschaftliche Formationen, welche »under permanent

construction« sind, und zwingen so den Benutzer zu einem oftmals utopischen »do-it-yourself«. Sie

fokussieren auf »Wunschmaschinen«, die dem eigentlichen Werkzeug immer vorausgehen beziehungsweise

von maschinell induzierten Projektionssystemen ableitbar sind. So konstatieren Gilles Deleuze und Félix

Guattari: »Wunschmaschinen können in den künstlerischen Freiräumen der Gesellschaft entstehen, wenn sie

auch anders sich entwickeln und den Formen, denen sie entstammen, nicht gleichen.« (Deleuze/Guattari

1974: 501). Und Diedrich Diederichsen stellt fest, »dass mit maschinellen Musikinstrumenten aller Art eine

genauere Bestimmung und daher auch Benennung von Klängen und Klangdauer möglich geworden war.«

(Diederichsen 2014: 334).

Aufbauend auf der Prämisse von raum- und zeitspezifischen Sound-Eigenschaften, wäre ein musikalischer

Prototyp demnach eine technologische Hyperverkörperlichung, die Alltagserfahrungen in einen

gesellschaftlichen Zukunftsraum transferiert. Wie Jacques Attali (2002) hervorhebt, gehen soziale Ordnungen

6 Steve Goodman: Sonic Warfare. Sound, Affect, and the Ecology of Fear. Cambridge (MA)/London: MIT Press 2009.

6

mit der Musik eine mimetische Beziehung ein. Heißt, dass Musik gesellschaftliche Verhältnisse

vorwegnehmen kann. Attali bezeichnet diesen Zustand als »Noise«. Schlicht deswegen, weil wir heutzutage

noch nicht über jene Strategien verfügen, zukünftige Sounds zu decodieren. Noise ist dabei nicht als eine

Störung, sondern vielmehr als ein Symptom anzusehen. Insofern als dass Noise eine maximale Kompression

von räumlicher und zeitlicher Information sowie eine Form der Entfremdung anzeigt, welche dem »blinden

Fleck in der Beobachtung« im Foerster’schen »order from noise«-Prinzip entspricht.

Dabei handelt es sich keineswegs um Phänomene ausschließlich aus der prä-digitalen Zeit, im Gegenteil.

So ist durch die digitale Revolution seit circa Mitte der 1990er Jahre ein stetiges Zusammenwachsen von

Körper (Mensch) und Maschine (Technologie) festzustellen, wodurch sich Diskurse um maschinell und nicht

mehr (nur) menschlich induzierte Kompositions- und Prozessualisierungslogiken verstärkt haben:

Mit der Beschleunigung der Automatisierung ist die explosionsartige Ankunft des algorith-

mischen Zufalls [eine kompositorische Strategie, die sich bereits in Cages Arbeiten der 1960er

Jahren finden lässt; Amn. H.D.] innerhalb der numerischen Verarbeitung unabwendbar

geworden. Das bedeutet auch, dass anstelle der Herleitung dynamischer Informationsmuster aus

der Materie nicht-strukturierbare Daten innerhalb der Berechenbarkeit selbst erzeugt werden,

dass diese also der automatisierten Vernunft selbst innerlich geworden sind. (Parisi 2014: 185)

Bleiben wir bei diesen Kartografien von Daten, machen wir aber einen historischen Sprung zurück in die

Anfangstage prototypischer Sound-Maschinen. Einer, der musikalisch weit in die Zukunft blickte, war der

italienische Futurist Luigi Russolo. Eigentlich Maler von Beruf, setzte er sich in seinem 1913 publizierten

Manifest L’Arte dei Rumori / Die Kunst der Geräusche vehement dafür ein, Geräusche der Musik gegenüber zu

emanzipieren. Wir sehen hier zwei Bilder (s.u.): Einmal eine von ihm entwickelte Partitur-Notation, die nicht

mehr mit Noten, sondern mit Pitches, also mit Skalen von Intensität, arbeitet. Das zweite Bild zeigt die

sogenannten Intonarumori. Das waren Klangmaschinen, die, wie der Name schon sagt, Geräusche

produzierten. Russolo war wahrscheinlich einer der ersten, der »Mensch« und »Maschine« in einem

akustischen Setting zusammendachte (vgl. Deisl 2010: 18f.). Das kam möglicherweise daher, dass der

Futurismus generell eine starke Affinität zu Maschinen und zur Geschwindigkeit hatte.

Russolo ging es darum, die Musik den konkreten akustischen Lebenserfahrungen anzunähern. So ist sein

erstes großes Werk Risveglio di una città / Das Erwachen einer Stadt (1913), das wir jetzt hören werden, ein – trotz

beziehungsweise in diesem Kontext gerade wegen seiner bruitistischen Klangkaskaden – naturalistisches

Portrait, in dem sich eine Stadt als Klangkörper darstellt. Anders als bei Beispielen aus jener Zeit wie der

Petrograder »Revolutionssymphonie« von 1919 oder dem Film Berlin: Sinfonie der Großstadt (1927) von Walther

Ruttman geht es in Risveglio um eine dezidiert musikalische Deutung einer Stadt, die noch am ehesten mit Eric

Saties Konzepten der »Musique d’ameublement« in Verbindung steht. Ullmaier fasst über Russolos

Geräuschkunst, wohl am besten exemplifiziert an Risveglio, zusammen: »Scheint der historische Vorwurf

bloßer Geräusch-Mimesis […] auch weithin illegitim, so enthält er doch zugleich ein großes, unfreiwilliges

Lob, sofern er nämlich impliziert, dass Russolos Geräuschtöner die Wirklichkeit auch wirklich imitieren.«

(Ullmaier 2000: 94, Kursiv i. Orig.). Und um es sich noch einmal zu vergegenwärtigen: so klang Klangkunst

vor hundert Jahren.

Musik: Luigi Russolo: Risveglio di una città. Aus: Ullmaier (2000), beigelegte CD.

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Abb. 2: Partitur Risveglio di una città (1913). Aus: Ullmaier (2000: 62f.)

Abb. 3: Postkarte, wahrscheinlich 1914, Quelle unbekannt

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Ich möchte nun auf das Trautonium zu sprechen kommen. Das von dem Musiktechnik-Ingenieur

Friedrich Trautwein zwischen 1928 und 1933 an der Berliner Akademie der Künste konzipierte und von dem

Musiker Oskar Sala weiterentwickelte Instrument kann als eine der ersten veritablen Vorstufen des

Synthesizers gelten (vgl. Donhauser 2007: 67–78). Es repräsentiert die visionäre Überlegung, über

Subharmonie-Verfahren, also über einen elektronischen Frequenzteiler, die Simulation einer Polyphonie zu

ermöglichen. Und das gut dreißig Jahre vor den ersten monophonen Synthesizern. Hier wurde auf ein

Manual, wie es jahrhundertelang im Klavierbau eingesetzt worden war, verzichtet. Stattdessen erfolgte die

Tonerzeugung über spannungsgesteuerte Widerstandsdrähte. Sala verwendete es in gut dreihundert Filmen,

die Kompositionen reichen von soundtrack- bis zu geräuschhaften Passagen. Einer der ersten Einsätze fand

für den Film Stürme über dem Mont Blanc (1930) von Arnold Fanck statt, in dem Sala mit dem Trautonium

Motoren-, Flugzeug- und Telegrafenklänge simulierte. Die wohl bekanntesten Trautonium-Geräusche

stammen aus Alfred Hitchcocks Film The Birds (1963). Das beängstigende Kreischen der Vögel wurde mit

diesem Instrument eingespielt. Diese Beispiele zeigen, wie auch schon Russolo zuvor, wie sich die vorher

angesprochenen diegetischen Verhältnisse akusmatischer Musikproduktion darstellen lassen. Heißt: wie sich

in der auditiven Erzählung die Rezeption von ihrer Quelle trennt. Doch lassen wir Sala selbst erzählen:

http://www.youtube.com/watch?v=uaWrdbvhg1Q. Ausschnitt aus der Sendereihe »Musikinstrumente und ihre

Geschichte, Folge 1: Synthesizer«, NDR 1986.

Abb. 4: Mixtur-Trautonium, Berlin, 1955. Foto: Musikinstrumenten-Museum Berlin

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Der nächste Fall ist vielleicht auch für Leute interessant, die sich mit Bildkunst beschäftigen. Was wir hier

sehen, sind keine Zeichnungen etwa von Jean Cocteau, sondern Partituren. Genau, grafische Aufzeichnungen

zur Klanggenerierung. Beziehungsweise, um präzise zu sein, Klangspektogramme. Wie kam es dazu?

Abb. 5: Partitur: Coil: ANS. Box (CD + DVD), Threshold House, Großbritannien 2004

Der sowjetische Ingenieur Evgeny Murzin entwickelte zwischen 1937 und 1957 den sogenannten ANS-

Synthesizer. ANS steht für Alexander Nikolajewitsch Skrjabin, ein russischer Komponist, der sich in den

ersten Jahren des 20. Jahrhunderts mit Klangfarbenlehre, synästhetischer Musik und Theosophie beschäftigt

hatte. Im ANS schwang also von Anfang an eine bestimmte

transzendente oder mystische Komponente mit. Da wundert

es wenig, dass Edward Artemiev die Soundtracks für Andrei

Tarkovskys Science-Fiction-Filme Solaris (1972) und Stalker

sechs Jahre später auf dem ANS einspielte und dass die

englische Ritual-Industrialband Coil 2004 ein ganzes Album

mit diesem Synthesizer produzierte (Art Collective The Thing

On The Doorstep 2014: 38).

Murzin hatte die folgenschwere Idee, Musik nicht über

Manuale oder Tastaturen entstehen zu lassen, sondern über

ein opto-elektrisches Verfahren. Im Regulärfall ist der ANS

vollgeräumt mit rotierenden, geschwärzten Glasplatten, auf

denen frequenz- und tonabhängige Sequenzen ausgespart sind.

Ähnlich wie bei der Tonspur im Film oder den Ritzen auf

einer Vinylschallplatte, ist die Klanginformation in diesen

Aussparungen gespeichert. Wie die beiden Bildbeispiele von

Coil und Stanislav Kreitchi zeigen, ist es aber auch möglich, Abb. 6: Stanislav Kreitchi: ANS-Partitur. Foto: Oleg I. Ivanov

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ganze Zeichnungen zur Partitur werden zu lassen. Dabei wird die gesamte Glasplatte durch das Abtastsystem

des ANS gezogen, die Abspielgeschwindigkeit lässt sich durch ein Drehmodul variieren. Der ANS liefert

einen weichem, kosmisch-cinephilen, beinahe traumartigen Sound, der, wie es in dem Dokumentarfilm

Elektro Moskva (2013) (vgl. Deisl 2014) heißt, in einer »menschlichen Stimme« spricht. Es ist das perfekte

Trance-Instrument mit direktem Anschluss an verdrängte Psychogeografien des Selbst. Aufgrund seiner

grafischen Anordnung zur Generierung von Musik kann der ANS zum einen als eine historische Schnittstelle

zwischen optischer Musikproduktion und VJing, und zum anderen als ein direkter Vorfahre des von Nam

June Paik und Shuya Abe 1969–71 konstruierten Video-Synthesizers gelten.

Abb. 7: Filmstill: Elektro Moskva. Regie: Lena Tikhonova/Dominik Spritzendorfer, Rotor Film, Österreich 2013

Hören wir nun zwei Beispiele: Das erste ist ein

Ausschnitt aus dem Soundtrack für den Film Cosmos.

Dieses Stück befindet sich auf der von Artemiev und

Kreitchi 1969 eingespielten Platte ANS – Electronic Music,

die eine der prominentesten Veröffentlichungen des

sowjetischen Labels Melodia mit Klangkunst aus dieser

Frühphase darstellt. Als langjähriger Assistent von Murzin

war der Musiker Stanislav Kreitchi für den ANS das, was

Sala für das Trautonium war: der quasi Beschleuniger.

Und Artemiev kann als das sowjetische Pendant zu

Karlheinz Stockhausen bezeichnet werden. Danach gibt es

einen Ausschnitt aus einem Track des ANS-Albums von

Coil. Die von Peter Christopherson (Coil) produzierten

Visuals finden sich auf der der ANS-Box beigefügten

DVD, die Animationen stammen von einer Frequenzpulsation. Dass man bei diesen Bildern auch an Aura-

Fotografien denken könnte, ist in diesem Zusammenhang wohl nicht zu weit hergeholt.

Abb. 8: Edward Artemiev/Stanislav Kreitchi: АНС – Электронная музыка / ANS – Electronic Music. Melodia, UdSSR 1969

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Edward Artemiev/Stanislav Kreitchi: »Cosmos«. АНС – Электронная музыка / ANS –

Electronic Music. Melodia, UdSSR 1969

http://www.youtube.com/watch?v=wDV63-2euIo. Coil: ANS. »Untitled 1«, Box (CD + DVD),

Threshold House, Großbritannien 2004

Fieldrecordings

Als dritten und letzten Punkt will ich über Fieldrecordings sprechen. Denn hier kulminieren einige der vorher

angesprochenen Überlegungen. Fieldrecordings erfreuen sich seit einiger Zeit zunehmender Beliebtheit.

Vielleicht weil es vermeintlich recht einfach ist, sie herzustellen. Man geht in die Natur, nimmt ein bisschen

Atmosphäre oder Tiere auf und schon ist eine Aufnahme fertig. Aber Fieldrecordings gestalten sich als

hochkomplexe Unterfangen. Neben dem dokumentarischen Ansatz stellen sich Fragen danach, inwiefern sich

das Material als Audio-Objekt klassifizieren lässt, welcher Ausschnitt von Welt gewählt wird und wie der

signifikante raumzeitliche Moment der Aufnahme mit dem dargestellten Ambiente konvergiert. Im Fall von

Fieldrecordings lässt sich der Prototypen-Begriff nun auf das Dokumentarische beziehungsweise auf seine

Durchmischung zwischen »Realität« und »Fiktion« anwenden.

Bei der Dokumentation hat man es im Sinne eines »Soundscapes«7 mit der Bioakustik zu tun, einem

Forschungsfeld, das sich der akustischen Typologisierung von vornehmlich tierischen Habitaten widmet.8

Etwa: Wie orientieren sich Fledermäuse in der Dunkelheit? Der von ihnen ausgesandte Ultraschall wird erst

durch technische Apparaturen für das menschliche Ohr wahrnehmbar. Über den Aufnahmeprozess von

Fledermäusen mittels biosonarer »Echolocation« (Echo-Ortung) schreibt Kate E. Jones: »Many species have

evolved sophisticated sonar systems to help them navigate and find food, which is especially useful when

hunting aerial insects in the pitch dark. This ›echolocation‹ system works by bats interpreting echoes as their

calls bounce off objects, and then calculating exactly what and where things are.« (Jones 2014: 49).

Bei derartigen Aufnahmen haben wir es mit einem explorativ-dokumentarischen Zugang zu »natürlich«

vorhandenen Klangphänomenen zu tun. Der Grund, warum ich die Bioakustik hier erwähne, ist der, dass

dokumentarische Fieldrecordings Aufschlüsse über Klänge geben können, die Menschen nur deswegen hören

können, weil es ein »Maschinen-Hören« gibt. Dokumentarische Fieldrecordings haben die Messbarkeit der

Natur anhand von akustischen Parametern zur Absicht. Die von Fledermäusen genutzte Echo-Ortung wird

auch in der Sonar-Technologie – etwa für Ölbohrungen oder zur Schiffs- und Flugzeugpeilung – verwendet.

Sie kann darüber hinaus, wie beim österreichischen Musiker Franz Pomassl, zu Kunst werden, indem er etwa

Echolote für die Musikproduktion verwendet.

Hören wir uns also an, was Fledermäuse zu sagen haben.

Kate E. Jones: »Bats«. Fieldrecordings, London Juni 2010. Echolocations diverser Fledermaus-Rufe. Acoustic

City, beigelegte CD

7 Vgl. R. Murray Schafer: Die Ordnung der Klänge. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Übersetzt und neu hg. von Sabine Breitsameter. Mainz: Schott 2010. Orig. publiziert als The Tuning of the World (The Soundscape) 1977.

8 Vgl. exemplarisch: Bernie Krause: The Great Animal Orchestra. Finding the Origins of Music in the World’s wild Places. New York: Little, Brown and Company 2012.

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Abb. 9: Echolocation Zwergfledermaus-Rufe, Spektogramm.

Biodiversity Modelling Research Group, http://www.katejones.org

Ich habe dieses Beispiel deswegen gewählt, weil es einen guten Anschluss zum nächsten herstellt. Der

Klangkünstler Francisco López ist auch studierter Entomologe. Ihm geht es genau nicht um Bioakustik.

Verkürzt ausgedrückt, weiß man bei López nie, wo man sich gerade befindet: in einem tropischen Regenwald

oder doch mitten im Chaos der Großstadt? Noch am ehesten aus der Tradition der Musique Concrète

kommend, stellt López biologische, ethnografische und klangästhetische Prozesse zur Diskussion (vgl. Deisl

2008). Wir sind insofern mit archaischen Sounds konfrontiert, als dass sich das kollektive Gedächtnis durch

die Urbanisierung immer weiter vom Wissen um die Decodierung der Geräuschkulissen der Natur entfernt

hat beziehungsweise diese durch maschinelles Processing nun abrufbar werden. In »Music Dematerialized?«

schreibt López:

Along with the semantic, the symbolic, the iconic ..., another layer of musical »reality« sneaked

into the sound recordings: the sonic, the phenomenological, the Schaefferian concrète. […] Music

as heard and memorized by machines. When we hear what machines have heard and memorized, we

might experience a revelation: the unfolding of the non-representational layers of sonic reality.

Even more, the questioning of music »reality« itself. In my view, this is the true, natural, and

fruitful cooperation with machines of perception, particularly in their current state. Not the

constant scorn of their »limitations« to replicate that »reality« we seem to know so well, but

rather our deep appreciation of what they have truly become as non-cognitive collaborators in

our constant – perceptive, rational, aesthetic, spiritual ... – quest in our interaction with reality.

(López 2014: 97, Kursiv i. Orig.)

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Bevor ich mit dem Track »kőllt« von Francisco López meinen Vortrag beende, nun noch eine Zusammen-

fassung:

Über musikalische Prototypen wie die Intonarumori, das Trautonium oder den ANS erschlossen sich

Klangwelten, die weit über eine »Abbildung« von Musik hinausreichen. Wie bei Maryanne Amacher und dem

Acousmonium gezeigt, spielt außerdem der Raum eine entscheidende Rolle für die Wahrnehmung von Klang.

Und schließlich weisen auch Fieldrecordings und deren Überführung in soundorientierte Klangphänomene

auf zwei theoretische Positionen hin, die ich mit auf den Weg geben möchte: nämlich Schaeffers »Audio-

Objekte« sowie die »Wunschmaschinen« von Deleuze/Guattari, die sie später Assemblage nannten. Beide

Ansätze weisen auf ein maschinell produktiv gemachtes Unbewusstes hin. Aus der Perspektive aktueller

Sound Studies ließe sich sagen: Prototypen materialisieren gesellschaftliche Kontingenz, sie stecken einen

Möglichkeitsraum ab. Und natürlich lassen sich Prototypen über diesen Umweg auch z.B. in der Soziologie,

der Stadtforschung oder der Kunst implementieren. Vielleicht abschließend so: Die erwähnten Beispiele

zeigen Utopien und Notwendigkeiten eines bestimmten Moments auf, dem die eingangs angesprochene

Entfremdung paradigmatisch eingeschrieben ist, da in ihm das Morgen schon heute wiederhallt.

Abb. 10: Videostill: Francisco López: »kőllt«, Video: Jorge Simonet, 2010

http://www.youtube.com/watch?v=YDF8NzCZ-Xs. Francisco López: »kőllt«. kőllt/kulu, Störung, CD + DVD, Spanien 2010

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Literatur

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Vol. 16. Minneapolis/London: University of Minnesota Press ²2002.

Art Collective The Thing On The Doorstep: »Coil«, in: Robert Jelinek (Hg.): Coil. Wien: Der Konterfei 2014,

34–40.

Deisl, Heinrich: »Moskau unter Strom. Über den Film Elektro Moskva«. Online-Artikel 2014: http://norient.com/de/stories/elektro-moskva (12.5.2015).

Deisl, Heinrich: »Aufrüstung der Frequenzen: Medientheoretische Überlegungen zu Soundkunst, Military-Entertainment-Komplex und Freizeitindustrie«, in: Alois Frotschnig/Hannes Raffaseder (Hg.): Forum Medientechnik – Next Generation, New Ideas. Beiträge der Tagungen 2010/11 an der Fachhochschule St. Pölten.

Boizenburg: Hülsbusch 2011, 146–156.

Deisl, Heinrich: »Das Mensch-Maschine-Interface: Technosoziale Möglichkeitsräume in Musik und Film«, in:

Günther Friesinger et al. (Hg.): Geist in der Maschine. Medien, Prozesse und Räume in der Kybernetik. Wien/ Berlin: Turia + Kant 2010, 11–21.

Deisl, Heinrich: »Expeditionen in Sound-Archäologie: Die akusmatischen Klangräume von Francisco López«.

skug – Journal für Musik #76, 10–12/2008, 20f.

Deleuze, Gilles/Guattari, Félix: »Programmatische Bilanz für Wunschmaschinen«, in: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974.

Diederichsen, Diedrich: Über Pop-Musik. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2014.

Donhauser, Peter: Elektrische Klangmaschinen. Die Pionierzeit in Deutschland und Österreich. Wien: Böhlau 2007.

Foerster, Heinz von: Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke. Hg. von Siegfried J. Schmidt. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993.

Gandy, Matthew: »Acoustic terrains: an introduction«, in: Matthew Gandy/B.J. Nilsen (Hg.): The Acoustic City. Berlin: Jovis 2014, 7–13.

Hegarty, Paul: Noise/Music. A History. London/New York: Continuum 2007.

Kane, Brian: »L’Objet Sonore Maintenant: Pierre Schaeffer, sound objects and the phenomenological reduction«.

Organised Sound, 12 (1), 2007, Cambridge University Press. DOI: 10.1017/S135577180700163X.

Jones, Kate E.: »Sonic Ecology: The undetectable Sounds of the City«, in: Matthew Gandy/B.J. Nilsen (Hg.): The Acoustic City. Berlin: Jovis 2014, 49–54.

López, Francisco: »Music Dematerialized?«, in: Pedro Tudela/Miguel Carvalhais (Hg.): Cochlear Poetics: Writings on Music and Sound Arts. Mono #2. Porto: Research Institute in Art, Design and Society (i2ADS) et al.

2014, 95–102.

Motte-Haber, Helga de la: »Wahrnehmungsgeographien«. Online-Artikel 2013: http://ima.or.at/video-portrait-06-maryanne-amacher (12.5.2015).

Parisi: Luciana: »Automatisierte Architektur«, in: Armen Avanessian/Robin Mackay (Hg.): #Akzeleration#2. Hg. und mit einem Prolog versehen von A. Avanessian und R. Mackay. Aus dem Englischen von Moritz

Gansen und Hannah Wallenfels. Berlin: Merve + Urbanomic 2014, 145–173.

Toop, David: »Humans, are they really necessary? Sound Art, Automata and musical Sculpture«, in: The Wire/ Rob Young (Hg.): Undercurrents. The Hidden Wiring of Modern Music. London/New York: Continuum 2003,

117–130.

Ullmaier, Johannes: Luigi Russolo: Die Kunst der Geräusche. Aus dem Italienischen von Owig DasGupta. Hg.

und mit einem Nachwort versehen von Johannes Ullmaier. Edition Neue Zeitschrift für Musik, hg. von Rolf

W. Stoll. Mainz: Schott Musik International 2000.