1. Symposium ueber die Relevanz von Theater im oeffentlichen Raum des Sommerwerftfestivals in...

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1 Avantgardistisch: Theaterkunst im öffentlichen Raum So funktioniert der Transfer von öffentlichem zu gemeinsamem Raum Was ist wirklich relevant und was ist relativ? Debatten über unsere postmoderne Zeit verstärken sich: Globalisierung, Regionalisierung, Individualisierung und Krankheiten der Konsumgesellschaft, die menschengemachte Zerstörung der Erde. Gemeinschaftliche Rituale und Traditionen werden von Effektivität und Management verdrängt. Theater im öffentlichen Raum bringt solche Themen zur Sprache, zeigt in künstlerischer Weise, was Kultur ausmachen kann, wenn sie nicht fremdbestimmt wird oder institutionalisiert ist. Zudem bietet der öffentliche Raum jedem Menschen freien Zugang und freiwilliges Verbleiben. Das macht es eben aus. „Theater darf nicht danach beurteilt werden, ob es die Gewohnheiten seines Publikums befriedigt, sondern danach, ob es sie zu ändern vermag.“ Berthold Brecht Der öffentliche Raum gilt als Sinnbild für Transparenz, soziale Interaktion im Alltäglichen und spiegelt die Kultur einer Gesellschaft wider. Öffentliche Plätze, Straßen, Parks und andere Anlagen sind Orte der Demokratie. Theater im öffentlichen Raum arbeitet dort, um dem Bürger als Publikum an einer (künstlerisch gestalteten) Wahrnehmung der Realität teilhaben zu lassen, mit der er sonst nicht konfrontiert wird. Plötzlich erscheint ein unbeachteter Ort als Möglichkeit, etwas zu verändern. Eindrücke regen Denkprozesse an, die wiederum erinnernd oder aktivierend wirken können. Theater im öffentlichen Raum ist politisch. Themen wie Krieg, Unterdrückung, Konsum, Armut, Diskriminierung und weitere Motive menschlichen Handelns sind der Fokus vieler Inszenierungen. Theater im öffentlichen Raum muss sich nicht nur Witterungsverhältnissen aussetzen, sondern auch seiner politisch unbequemen Position; denn wer wird schon gerne kritisiert? Eine freie Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit ihren Kritikern umgeht.

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Avantgardistisch: Theaterkunst im öffentlichen Raum So funktioniert der Transfer von öffentlichem zu gemeinsamem Raum

Was ist wirklich relevant und was ist relativ?

Debatten über unsere postmoderne Zeit

verstärken sich: Globalisierung, Regionalisierung,

Individualisierung und Krankheiten der

Konsumgesellschaft, die menschengemachte

Zerstörung der Erde.

Gemeinschaftliche Rituale und Traditionen

werden von Effektivität und Management

verdrängt. Theater im öffentlichen Raum bringt

solche Themen zur Sprache, zeigt in

künstlerischer Weise, was Kultur ausmachen

kann, wenn sie nicht fremdbestimmt wird oder

institutionalisiert ist. Zudem bietet der öffentliche

Raum jedem Menschen freien Zugang und

freiwilliges Verbleiben. Das macht es eben aus.

„Theater darf nicht danach beurteilt werden, ob es die Gewohnheiten seines Publikums

befriedigt, sondern danach, ob es sie zu ändern vermag.“ Berthold Brecht

Der öffentliche Raum gilt als Sinnbild für Transparenz, soziale Interaktion im Alltäglichen

und spiegelt die Kultur einer Gesellschaft wider. Öffentliche Plätze, Straßen, Parks und

andere Anlagen sind Orte der Demokratie. Theater im öffentlichen Raum arbeitet dort,

um dem Bürger als Publikum an einer (künstlerisch gestalteten) Wahrnehmung der

Realität teilhaben zu lassen, mit der er sonst nicht konfrontiert wird. Plötzlich erscheint

ein unbeachteter Ort als Möglichkeit, etwas zu verändern. Eindrücke regen

Denkprozesse an, die wiederum erinnernd oder aktivierend wirken können.

Theater im öffentlichen Raum ist politisch. Themen wie Krieg, Unterdrückung, Konsum,

Armut, Diskriminierung und weitere Motive menschlichen Handelns sind der Fokus vieler

Inszenierungen. Theater im öffentlichen Raum muss sich nicht nur

Witterungsverhältnissen aussetzen, sondern auch seiner politisch unbequemen

Position; denn wer wird schon gerne kritisiert? Eine freie Gesellschaft erkennt man

daran, wie sie mit ihren Kritikern umgeht.

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Die Politik schafft Rahmenbedingungen für viele künstlerische und soziokulturelle

Projekte. Warum aber wird die Sparte des Theaters im öffentlichen Raum noch immer

wie ein Stiefkind der darstellenden Künste behandelt? Hat es mit der „Straße“ zu tun, die

im Vergleich zum Theater immer noch als minderwertig angesehen wird, oder mit der

Art und Weise der Darstellung? Das Theater im öffentlichen Raum wurde in den

sechziger Jahren wiederentdeckt, hat sich Selbstständig gemacht und professionalisiert.

Es zeichnet sich aus durch die Einbindung multidisziplinärer Theaterkünste: Theater,

Tanz, Akrobatik, Pyrotechnik, Installationen und Videoprojektionen, Livemusik, Stelzen-

und Zirkustechniken bilden Gesamtkunstwerke. Sie werden meist vor großen

Menschenmengen gezeigt und mit Begeisterung von den Zuschauern aufgenommen,

die in den institutionellen Räumen von Theatern nicht zu finden sind.

Um die gesellschaftliche Relevanz des Theaters

im öffentlichen Raum ging es im ersten

öffentlichen Symposium, das im Rahmen des

Sommerwerft-Festivals in Frankfurt am Main

stattfand. Es ist das größte internationale

Festival für Theater und Performances im

öffentlichen Raum in der Rhein-Main-Region:

Über 500 Künstler (Musiker, Tänzer, Schauspieler, Performer) und Helfer aus vier

Kontinenten, freier Eintritt, knapp 70.000 Besucher und das seit 13 Jahren.

Gesellschaftlich fand das Symposium

Anklang bei hochkreativen, freien,

emanzipierten, provozierenden und

harmonisierenden Künstlern. Die Politik

wurde vom Vorsitzenden des

Kulturausschusses der Stadt Frankfurt am

Main vertreten.

„Was ist der öffentliche Raum? Wo begegnet darstellende Kunst welchen Interessen?

Welche Intention haben Theater und Kunst auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen, in

Gebäuden und vor Monumenten?“ Antworten darauf gab es in den Beiträgen des

Symposiums, die später mit den Gästen und dem Publikum diskutiert wurden.

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Bernhard Bub, antagon theaterAKTion und künstlerischer Leiter

des Sommerwerft-Festivals, begann mit der Frage „Warum

Theater im öffentlichen Raum?“ Mit der Sommerwerft wird ein

besonderer gesellschaftlicher Kulturraum eröffnet. Hier werden

Kulturformen in die Gesellschaft integriert, entwickelt und geben

so einen Mehrwert für die Gesellschaft. „Es gibt ihn nur peripher, den freien Zugang zu

Kunst und Kultur in der Finanzmetropole. Hier wird er aus Überzeugung geschaffen und

von allen Schichten der Bevölkerung besucht,“ erklärte Bub, der auch Mitgründer des

deutschen Bundesverbandes für Theater im öffentlichen Raum ist.

Arnd Wesemann, Redakteur der Zeitschrift Tanz, sprach über

Ursprung, Entwicklung und Ziele von Theater, die er in seinem Buch

„Immer Feste Tanzen“ erläutert. Er sprach über Identitäten von

Orten, über Theater im öffentlichen Raum als einen Ort der

Versammlung, wo die Menschen durch gemeinschaftliche Aktionen

wie Essen, Trinken, Tanzen und Singen ihr Zusammensein feiern und ihre Freiheit

genießen. Den Ursprung des Theaters sieht er in diesen freien Versammlungen von

Menschen, wo eine besondere Atmosphäre herrscht und ein ungezwungenes

Miteinander die Bürger vereint. Wesemann bemerkte „ Theater sind gebaut worden, weil

die Wohlhabenden der Gesellschaft nicht mehr im Regen stehen wollten.“

Ron Bunzl, amerikanischer Theaterkünstler, der seit über 20 Jahren

in den Niederlanden arbeitet, berichtete über aktuelle site-specific

Performances und Community Art-Projekte. Der Gründer der

Initiative „Voices of the City“ begann vor einigen Jahren,

professionelle Künstler und Laien in dem Projekt „Circ/Us“ (unser Kreis)

zusammenzubringen. Sie inszenieren gemeinsam Geschichten aus den eigenen

Reihen. Diejenigen, die für gewöhnlich nicht gehört werden, finden hier Raum. Zugleich

ist es für die koordinierenden Künstler ein Sinnbild des zeitgenössischen Lebens, der

alltäglichen Performance zwischen finanziellen Balanceakten, Karriere-Akrobatik und

Rollenspielen.

Die in Italien lebende Niederländerin und Theaterdirektorin Michèle Kramers

zeigte mit eindrucksvollen Bildern ihre jahrzehntelange Arbeit im Ensemble

Theatre en Vol aus Sardinien. „Bewusstseinsveränderung durch Theater im

öffentlichen Raum“ war das Thema ihres Vortrages.

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Auch die Theaterdirektorin und Kulturforscherin aus Finnland, Merja

Pennanen, die Community-Projekte im öffentlichen Raum umsetzt, sprach

von “sharing for change”. Ihre spezifischen Aktionen im öffentlichen Raum

sollen den Zuschauer teilhaben lassen, Wahrnehmungen verändern und

die Menschen in Bewegung setzen können.

Der Choreograf und M.A. in performing Arts, Mitglied von antagon

theaterAKTion, Frank Händeler, der in den Jahren 2012 und 2013 ein

Favela-Projekt in Salvador/Brasilien leitete, sprach über die Relevanz von

Publikumspartizipation: Anteilnahme durch Teilnahme als wichtiger Schritt

eines gemeinschaftlichen Verständnisses. Durch die Einbeziehung des

Publikums am dramaturgischen Geschehen wird ihm ein Bewusstsein für

Veränderungen eröffnet. Statt passiv und fremdbestimmt zu bleiben, erhält es die

Chance zum Mitgestalten und Miterleben. Zudem verbindet diese Art der kreativen

Zusammenarbeit alle Bevölkerungsgruppen, besonders bei Theater-Festivals im

öffentlichen Raum. Beispielhaft stellte Händeler das experimentelle Geschehen

„antagon Body-Painting“ vor, das während des Sommerwerft-Festivals stattfand. Bei

dieser Performance bemalten sich Groß und Klein, Jung und Alt gegenseitig und führten

eigenst ausgedachte Aufgaben künstlerisch, unter Begleitung von Livemusik, vor.

Auch Sebastian Popp, Kulturausschussvorsitzender der Stadt Frankfurt

am Main und Stadtverordneter der Grünen im Römer, war auf dem

Podium. Er informierte über die neuen Kulturrichtlinien der Stadt und ist

überzeugt, dass das zeitgenössische Theater im öffentlichen Raum

unterstützt und gestärkt werden soll. „Aus kulturpolitischer Sicht

betrachtet ist die Theaterarbeit im öffentlichen Raum ein bedeutender

Bestandteil für die Gesellschaft“, so Popp. Sie treibe die Innovationskraft einer

lebendigen Kulturlandschaft voran und schaffe Raum für wichtige Experimente.

Künstler, insbesondere diejenigen der freien Szenen, geben mit

ihren Arbeiten die Kraft von Kunst und Kultur an den Zuschauer,

den Beobachter weiter. Auch während des Symposiums wurden

künstlerische Aktionen integriert, die den Beobachter innehalten

ließen.

Beispielweise zeigte Shusaku Takeuchi aus Japan mit seinem

Butoh-Solo “Butterfly” eindrucksvoll die Wirkung von Theater im

öffentlichen Raum. Präsentiert wurde ein Dokumentarfilm über seine

Performance „Friedenszug“, die wenige Stunden zuvor auf der

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Fußgängerbrücke „Eiserner Steg“ umgesetzt wurde. Die Aktualität von Theaterkunst im

öffentlichen Raum mit ihren vielseitigen Möglichkeiten, direkt in der Gemeinschaft zu

agieren, wurde damit parallel verdeutlicht.

Das Symposium der Sommerwerft war ein wichtiger Moment, um faktisch, praktisch und

fachkundig eine Auseinandersetzung zwischen Kunst, Politik und dem anwesenden

Publikum zu reflektieren. Die gesellschaftliche Relevanz wurde in den Berichten und

Diskussionen dieses Tages bestätigt.

Die Sommerwerft selbst, als Ort für Theater im öffentlichen Raum, präsentierte viele

Momente der Reflektion über gesellschaftliche Prozesse. Die Wiederaufnahme der

Performance „Gernika“ von Theatre en Vol in Koproduktion mit antagon Theateraktion,

ist nur eines der Beispiele für moralisch-politisches Engagement von Künstlern. Das

kriegskritische Stück über die Bombardierung der baskischen Stadt im Jahr 1937 trägt

den Untertitel „Azione teatrale in quattro movimenti“, auf deutsch: Theateraktion in vier

(musikalischen) Sätzen bzw. politischen Bewegungen.

Zur Partizipation trugen Aktionen im Kultur-Freiraum der Sommerwerft bei. Künstler,

Stand-Up-Performer und weitere Darsteller boten den Besuchern der Sommerwerft

Aufführungen inmitten des großen Biergartens, auf dem Rasen – über das gesamte

Gelände verteilt.

Highlights des Festivals waren auch die

Abendveranstaltungen von antagon theaterAKTion. Das

Ensemble präsentierte „Time Out“ und „F.A.U.S.T. III, The

Price of Happiness/Theater über Geld“. Die Inszenierung

von F.A.U.S.T. III, mit seinem provozierenden Thema über

Gefahren und Auswirkungen unserer Konsumgesellschaft,

wurde im Rahmen der Kulisse beinahe unbeschreiblich verstärkt: Ein Stück im

öffentlichen Raum, direkt vor dem Neubau der Europäischen Zentralbank. An zwei

Tagen erlebten über 5000 Zuschauer diesen Auftritt.

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Dieses frei zugängliche Festival bringt Menschen zusammen. Theaterkunst im

öffentlichen Raum bietet Gelegenheiten, demokratische Prozesse einzuleiten –

Partizipation zu fördern. Es ist ein Festival, auf dem die Vielfalt der künstlerischen

Darbietungen, des gesellschaftlichen Zusammenseins gefeiert wurde – eine Kultur der

Gemeinschaft war in diesen Tagen Realität in Frankfurt am Main.

Die Dynamik, die dieses Genre entwickelt hat, zeigt vielfältig variable

Einsatzmöglichkeiten von Theater im alltäglichen Raum. Zu sehen ist diese Kunst

horizontal und vertikal, entlang Wänden, im Wasser und in der Luft. Sie verbindet alle

Elemente und erobert alle Räume als Kulturraum. Theater im öffentlichen Raum ist

avantgardistisch, experimentell und progressiv. Es ist gesellschaftsrelevant.

Hinweis: Im Rahmen des 25-jährigen Bestehens von antagon theaterAKTion als

Frankfurter Theater im öffentlichen Raum 2015 ist ein dreitägiges Symposium geplant.

Sicher ist: Fakten und Philosophien werden dabei nicht nur vorgetragen, sondern er-

und gelebt.

Zitate der Künstler des Symposiums:

• „One of our main aims is to give the audience the capacity of imagination and

how to change space. ... Our purpose ist to engage the audiance to move with

us“ Michèle Kramers

• „Wie nutzen wir Eindrücke im öffentlichen Raum?“ Merja Penannen

• „Theatrale Momente werden durch die Bühne gezähmt. Im öffentlichen Raum

entzieht man sich der Zähmung. Auf der Suche nach dem Authentischen ist die

Institution das Gegenteil davon.“ Arnd Wesemann

• „Ein Berechtigungsgrund für Theaterkunst ist, Menschen wachzurütteln. Durch

‚Storytelling’ in der Theaterpraxis teilen wir unsere Eindrücke und Auffassungen

mit.“ Ron Bunzl

• „Wir erinnern nicht nur gesellschaftliche Rituale, sondern initiieren sie, indem wir

Menschen am Fluss zusammenbringen.“ Bernhard Bub

• „Passives Zuschauen ist vorbei – der moderne Mensch will erleben und

mitmachen und falls er sich dessen noch nicht bewusst ist, so bieten wir ihm die

Gelegenheit es herauszufinden. Öffentliches Theater ist ein Ort zur

Bewusstseinsbildung und offen für Experimente“. Frank Händeler