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MedIzInIsche InstruMente aus LaurIacuM In den saMMLungen der oberösterreIchIschen LandesMuseen 95 röMIsches österreIch 36, 2013 Kordula GostenčniK MEDIZINISCHE INSTRUMENTE AUS LAURIACUM IN DEN SAMMLUNGEN DER OBERÖSTERREICHISCHEN LANDESMUSEEN 1 EINLEITUNG Die medizinische Versorgung zählte in der Römischen Kaiserzeit zu den Standardeinrich- tungen römischer Städte. 2 Vor allem Grabinschriften nennen Ärzte und Ärztinnen sowie medizinisches Personal sowohl in zivilem als auch militärischem Kontext; 3 der Anteil der Ärztinnen wird auf etwa 5 % geschätzt. 4 Unter archäologischen Funden geben die medi- zinischen Instrumente deutliche Hinweise auf ärztliche Präsenz, die von der Versorgung durch Allgemeinmediziner bis hin zu Spezialisten reichte. Ab der augusteischen Zeit werden medizinische Instrumente im Fundmaterial re- gelmäßig fassbar. Während die meisten Instrumente aus Bronze bestehen, weisen einige auch zwei Metallkomponenten auf, nämlich Bronze und Eisen. Aufgrund der hohen Korrosionsanfälligkeit hält sich Letzteres bei der Bodenlagerung wesentlich schlechter als die diversen Kupferlegierungen, sodass z.B. die meisten Skalpellgriffe ohne Klinge überliefert sind. Dieser Umstand mag auch ein Grund dafür sein, dass bis heute nur wenige Instrumente eindeutig als Brenneisen (ferrum candens) deiniert werden können, 5 obwohl das Kauterisieren ein gängiges Verfahren für die Wundbehandlung, die Behandlung von Entzündungen oder das Stillen von Blutungen war. 6 Abgesehen von den Instrumenten existiert eine überaus umfangreiche und reichhaltige antike medizinische Literatur sowohl in griechischer als auch in lateinischer Sprache, 7 welche einerseits über die verschiedensten theoretischen Denkansätze zur Entstehung von Krankheiten und zu deren Behandlung und Heilung Auskunft gibt, andererseits praktische Anweisungen enthält zum Beispiel für die Durchführung von Operationen, oder Instrumente beschreibt, 8 die sich dadurch unter den Funden identiizieren lassen. 9 1 Die in vorliegendem Aufsatz vorgestellten Instrumente stammen aus den Depots des Oberösterreichischen Landesmuseums in Linz/Leonding sowie aus der Dauerausstellung im Linzer Schloss. Verf. dankt an dieser Stelle Frau Dr. Christine Schwanzar für die Publikationserlaubnis, Dr. Stefan Traxler für Ergän- zungen. Eine umfangreichere Bearbeitung, die auch bronzene Toilettegeräte mit berücksichtigen wird, ist zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen. Der Inhalt des vorliegenden Aufsatzes war Gegenstand eines Vortrages beim Österreichischen ArchäologInnentag in Graz 2012. 2 Aus der Fülle an Sekundärliteratur zum Thema seien die folgenden Überblickswerke aufgeführt: Krug 1985; Jackson 1988; Künzl 2002b; Achner 2009. Zusam- menfassend zum römischen Österreich: Breitwieser 1998; die Instrumente selbst sind nur aus Carnuntum und vom Magdalensberg geschlossen vorgelegt, vgl. Hauff 1993–94 bzw. Gostenčnik 2004. 3 Németh 2006 wertet in einem kurzen Überblick nur jene Inschriften aus, die ἰατρός/medicus und die femini- nen Formen enthalten, nicht aber weitere medizinische Berufe; hingegen ausführlich, wenn auch veraltet, Gummerus 1932; bes. Korpela 1987; vgl. z.B. auch die Versorgungsstatistik zu Pompeji bei Künzl 2002b, 68. 4 Vgl. zu den römischen Ärztinnen Künzl 2002b, 92–99; Künzl 2005, 350. 5 Künzl 1996, 2452. 6 Matthäus 1989, 27 f. 7 Eine Auswahl von Textquellen z.B. bei Müri 1986. 8 Vgl. etwa Jackson 1994, der den Beschreibungen von Instrumenten und Operationen bei A. Cornelius Celsus entsprechende Instrumentenfunde gegenüberstellt; Bliquez 2003 arbeitet die verschiedenen antiken Be- zeichnungen für Löffelsonden heraus. 9 Vgl. etwa Jackson 1991. copyrighted material

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MedIzInIsche InstruMente aus LaurIacuM In den saMMLungen der oberösterreIchIschen LandesMuseen

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röMIsches österreIch 36, 2013

Kordula GostenčniK

MEDIZINISCHE INSTRUMENTE AUS LAURIACUM IN DEN SAMMLUNGEN DER OBERÖSTERREICHISCHEN LANDESMUSEEN1

EINLEITUNG

Die medizinische Versorgung zählte in der Römischen Kaiserzeit zu den Standardeinrich-tungen römischer Städte.2 Vor allem Grabinschriften nennen Ärzte und Ärztinnen sowie medizinisches Personal sowohl in zivilem als auch militärischem Kontext;3 der Anteil der Ärztinnen wird auf etwa 5 % geschätzt.4 Unter archäologischen Funden geben die medi-zinischen Instrumente deutliche Hinweise auf ärztliche Präsenz, die von der Versorgung durch Allgemeinmediziner bis hin zu Spezialisten reichte.

Ab der augusteischen Zeit werden medizinische Instrumente im Fundmaterial re-gelmäßig fassbar. Während die meisten Instrumente aus Bronze bestehen, weisen einige auch zwei Metallkomponenten auf, nämlich Bronze und Eisen. Aufgrund der hohen Korrosionsanfälligkeit hält sich Letzteres bei der Bodenlagerung wesentlich schlechter als die diversen Kupferlegierungen, sodass z.B. die meisten Skalpellgriffe ohne Klinge überliefert sind. Dieser Umstand mag auch ein Grund dafür sein, dass bis heute nur wenige Instrumente eindeutig als Brenneisen (ferrum candens) deiniert werden können,5 obwohl das Kauterisieren ein gängiges Verfahren für die Wundbehandlung, die Behandlung von Entzündungen oder das Stillen von Blutungen war.6

Abgesehen von den Instrumenten existiert eine überaus umfangreiche und reichhaltige antike medizinische Literatur sowohl in griechischer als auch in lateinischer Sprache,7 welche einerseits über die verschiedensten theoretischen Denkansätze zur Entstehung von Krankheiten und zu deren Behandlung und Heilung Auskunft gibt, andererseits praktische Anweisungen enthält zum Beispiel für die Durchführung von Operationen, oder Instrumente beschreibt,8 die sich dadurch unter den Funden identiizieren lassen.9

1 Die in vorliegendem Aufsatz vorgestellten Instrumente stammen aus den Depots des Oberösterreichischen Landesmuseums in Linz/Leonding sowie aus der Dauerausstellung im Linzer Schloss. Verf. dankt an dieser Stelle Frau Dr. Christine Schwanzar für die Publikationserlaubnis, Dr. Stefan Traxler für Ergän-zungen. Eine umfangreichere Bearbeitung, die auch bronzene Toilettegeräte mit berücksichtigen wird, ist zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen. Der Inhalt des vorliegenden Aufsatzes war Gegenstand eines Vortrages beim Österreichischen ArchäologInnentag in Graz 2012.

2 Aus der Fülle an Sekundärliteratur zum Thema seien die folgenden Überblickswerke aufgeführt: Krug 1985; Jackson 1988; Künzl 2002b; Achner 2009. Zusam-menfassend zum römischen Österreich: Breitwieser 1998; die Instrumente selbst sind nur aus Carnuntum und vom Magdalensberg geschlossen vorgelegt, vgl.

Hauff 1993–94 bzw. Gostenčnik 2004. 3 Németh 2006 wertet in einem kurzen Überblick nur

jene Inschriften aus, die ἰατρός/medicus und die femini-nen Formen enthalten, nicht aber weitere medizinische Berufe; hingegen ausführlich, wenn auch veraltet, Gummerus 1932; bes. Korpela 1987; vgl. z.B. auch die Versorgungsstatistik zu Pompeji bei Künzl 2002b, 68.

4 Vgl. zu den römischen Ärztinnen Künzl 2002b, 92–99; Künzl 2005, 350.

5 Künzl 1996, 2452. 6 Matthäus 1989, 27 f. 7 Eine Auswahl von Textquellen z.B. bei Müri 1986. 8 Vgl. etwa Jackson 1994, der den Beschreibungen von

Instrumenten und Operationen bei A. Cornelius Celsus entsprechende Instrumentenfunde gegenüberstellt; Bliquez 2003 arbeitet die verschiedenen antiken Be-zeichnungen für Löffelsonden heraus.

9 Vgl. etwa Jackson 1991.

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PRIMÄRE UND SEKUNDÄRE MEDIZINISCHE INSTRUMENTE

Die meisten der in der archäologischen Literatur als „medizinische Instrumente“ bezeich-neten Funde sind tatsächlich Toilettegeräte. Die verschiedenen Sonden wie Spatel- oder Löffelsonden oder die zahllosen Ohrlöffelchen fanden sowohl in der Kosmetik als auch in der Medizin Verwendung. Welcher Domäne man diese Objekt zuordnen kann, d.h. Medizin oder Kosmetik, hängt vom jeweiligen Fundkontext ab, sofern dieser überhaupt eindeutig ist.

Um eine klare Trennung zwischen den Geräten vornehmen zu können, spricht man daher von primären medizinischen Instrumenten, wenn es sich um Instrumente im eigent-lichen Sinn handelt, die tatsächlich von der ärztlichen Tätigkeit herrühren; hingegen von sekundären bei jenen, die auch als Toilettegeräte fungieren konnten. Die folgende Tabelle enthält eine Auswahl aus beiden Gruppen zur Verdeutlichung:10

primäre medizinische Instrumente sekundäre Instrumente/Toilettegeräte

Skalpelle, chirurgische Messer Löffel-, Spatel- und Ohrsonden

Katheter Ohrlöffelchen

Knochenheber Balsamare

Knochenmeißel sog. „Arzneikästchen“ und alle runden Büchsen

medizinische Pinzetten und Klammern Salbenreibplatten

scharfe und stumpfe Haken Stößel und Reibstäbchen

Starnadeln Pinzetten

Zäpfchenzangen (für Mandelentfernung)

Zahn- und Knochenzangen

Aderlasslanzette

Schröpfköpfe

Specula (Gynäkologie, etc.)

Lithotomieinstrumente (für Blasensteinschnitt)

Spezialinstrumente (Trepanierinstrumente, etc.)

Okulistenstempel

Einige Instrumente beider Gruppen seien hier herausgehoben. Bei den primären Instru-menten sind zuvorderst die Skalpelle zu nennen; sie sind in vielen Varianten überliefert und kommen gelegentlich auch in Reliefabbildungen vor,11 sodass der Formenreichtum ihrer eher selten erhaltenen Klingen gut erschließbar ist, der von breiten Exemplaren bis hin zu schlanken, feinen Klingen, z.B. für die Behandlung von Augenkrankheiten, reicht. Katheter sind eine weitere Gruppe, welche uns gar nicht so dünn gesät unter den Funden entgegentritt, denn Erkrankungen des Urogenitaltrakts standen an der Tagesordnung.12 Die medizinische Versorgung der römischen Antike kannte bereits den Blasensteinschnitt (Lithotomie), wofür es Spezialinstrumente gab, die in einigen Exemplaren überliefert sind.13 Ausführliche Beschreibungen dieser Operation inden sich mehrfach in der anti-

10 Vgl. Künzl 1982a, 5 f. bzw. die Gliederung bei Riha 1986.

11 Vgl. u.a. die Beispiele bei Künzl 2002b, Abb. 65.72. 12 Katheter wurden z.B. in Carnuntum gefunden, vgl.

Hauff 1993–94, Taf. 7,33–34; einer der ältesten Kathe-terfunde stammt vom Magdalensberg, vgl. Gostenčnik

2004, Taf. 2,6 bzw. Gallenstein 1876, 86, ein Altfund, der vor Mitte 1. Jh. n. Chr. zu datieren ist (vgl. Mag-dalensberg-Horizont: ca. 50 v. Chr. bis 50 n. Chr.).

13 Künzl 2002b, 74 f. Abb. 97, zeigt ein solches In-strumentarium aus der Umgebung von Rom, heute in Cambridge verwahrt; zur Lithotomie bes. Künzl 1983.

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ken medizinischen Literatur, so bei Aulus Cornelius Celsus (med. 7,26,2–5), der im 1. Jh. n. Chr. in der Zeit des Kaisers Tiberius ein enzyklopädisches Werk verfasste, darunter acht Bücher über die Medizin.14 Celsus beschreibt, abgesehen von einem ausführlichen Kapitel über Augenkrankheiten, z.B. auch den Starstich (med. 7,7,14D–F). Starnadeln sind relativ zahlreich und in mehreren typologischen Varianten überliefert; ein Flussfund aus der Sâone bei Montbellet in Frankreich erbrachte, als bislang einzige Hinweise auf diesen Typ aus der römischen Antike, sogar zwei hohle Nadeln.15

Medizinische Pinzetten und Klammern unterscheiden sich aufgrund ihrer Formgebung bzw. spezieller Vorrichtungen wie gezähnten Greifläche oder vorhandene Fixierringe deutlich von den Toilettegeräten. Ärztliche Instrumentarien konnten ganze Sätze von Pinzetten mit je nach ihrer Zweckbestimmung sehr unterschiedlichen Ausformungen umfassen.16 Zangenartige Geräte wie Zahn- und Knochenzangen oder die gezähnten, als staphylagra und staphylokaustes bezeichnete Zangen, z.B. zur Entfernung der Mandeln, sind gleichfalls gut erschlossen. Weiters existierte eine ganze Reihe von Spezialinstru-menten, darunter solche für die Gynäkologie und Geburtshilfe. Die Multifunktionalität vieler alltäglicher Gebrauchsgegenstände wird deutlich, wenn ein Gerät ohne eigentliche medizinische oder kosmetische Zweckbestimmung für ärztliche Zwecke Verwendung fand wie beispielsweise die bronzenen Spindelhaken; ein solcher Spindelhaken stammt aus einem Instrumentenetui in Pompeji.17

Zu den primären Instrumenten zählen auch diverse Medikamentenbehälter, etwa kleine kreiselartige Tongefäße der frühen Kaiserzeit aus Kleinasien, die ihren Weg bis nach Süd-noricum fanden,18 oder die Okulistenstempel, das sind quadratische bis rechteckige Schie-ferplättchen für das Markieren von Augenarzneien (Kollyrien), die als sehr rudimentäre Beipacktexte aufgefasst werden können und im Idealfall die Inhaltsstoffe des Medikaments anführen.19 Ein Stempel kam auch schon früh in Lauriacum zutage; abweichend von den gängigen kleinen rechteckigen oder quadratischen Platten ist dieser ein Rundstempel.20 Ein kleiner Bleibehälter aus Enns trägt in griechischer Schrift den Inhalt vermerkt, ein Pulver gegen Geschwüre.21

Für die Zuordnung der sekundären Instrumente ist der Fundkontext ausschlaggebend. Aus dem römischen Reich sind nach neueren Angaben etwa 130 Gräber von Ärzten und Ärztinnen aufgrund von Instrumentenbeigaben identiizierbar, darunter auch von Spe­zialisten.22 Die Anzahl der Instrumente variiert dabei beträchtlich, von einem einzigen als pars pro toto bis zu mehreren Dutzend.23 Treten die verschieden Sonden in Arztgräbern auf oder in eindeutigen Fundvergesellschaftungen in Siedlungen, ermöglicht dieser Kon-text deren Zuordnung zum medizinischen Bereich. Die gleichen Sondentypen stammen jedoch in großer Zahl zusammen mit den verschiedensten Toilettegeräten gerade auch aus

14 Zu Leben und Werk des Celsus vgl. Schulze 2001. 15 Künzl 2002b, 77–91, in Abb. 106 die diversen Typen

römischer Starnadeln, Abb. 110 die Funde aus der Sâone; zur antiken Augenmedizin vgl. ausführlich Jackson 1996.

16 Einen solchen Satz aus einem Arztgrab in Reims bringt Künzl 1996, Abb. XXVI.

17 Bliquez 1994, 128 Nr. 82, mit anderen Instrumenten in einer runden Büchse gefunden.

18 Vgl. Gostenčnik 2004, Taf. 20,1–5; keine der bekann-ten Parallelen ist beschriftet, sodass der Inhalt, weniger als 50 ml, unklar bleibt.

19 Voinot 1999 legte die bis dahin bekannten Beispiele geschlossen vor.

20 CIL XIII 10051; Voinot 1999, 267 Nr. 216; vgl. auch Deringer 1954, 150 Abb. 83,1.

21 Nach Galen XII 986 (Kühn) bestehend aus Pfeffer, Myrrhe, Alaun und Granatapfel, vgl. Ruprechtsberger 1974 bzw. Breitwieser 1998, 68 f.

22 Künzl 1982a; Künzl 2005, 350 Anm. 6. 23 Künzl 1982a, passim.

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Frauengräbern. Bei den zahllosen Siedlungsfunden ohne eindeutigen Kontext, das heißt bei solchen aus Schutt- und Planierschichten, muss die Zuordnung letztlich offen bleiben, auch wenn man beim überwiegenden Anteil von Toilettegeräten wird ausgehen können.

Neben den Arztgräbern liefern Katastrophenbefunde wichtige Daten; sie frieren in einer Momentaufnahme den jeweiligen Zustand ein und konservieren diesen so für die Nachwelt. Abgesehen von den vielen Instrumenten aus Pompeji,24 die Einblicke in die medizinische Versorgung der frühen Kaiserzeit liefern, ist für die Zeit um die Mitte des 3. Jh.s n. Chr. eine niedergebrannte Arztpraxis aus Rimini zu erwähnen.25 Diese domus ei-nes wohlhabenden Arztes, in der Praxis- und Wartezimmer neben den Wohnräumen lagen, vermittelt einen Eindruck von der Ausstattung einer solchen Einrichtung für die gehobene Patientenschicht. Die Grundausstattung bildeten über 150 Instrumente, darunter so seltene wie ein Trepanierbogen, verschmolzenes Glas von Balsamarien, die der Aufbewahrung von Medikamenten dienten, weitere Medikamentenbehälter oder Hinweise auf ehemals vor-handene medizinische Literatur. Der Inhaber ist von einem Grafito aus dem Wartezimmer bekannt; vom Namen ist nur der Rest des Cognomens, ergänzt zu [Eut]ych[es] erhalten: Eutyches homo bonus hic habitat. Hic sunt miseri.26 Griechische Grafiti begegnen auf zwei kleinen, vielleicht vom Arzt selbst beschrifteten Tongefäßen und nennen deren Inhalt respektive die Namen der darin verwahrten Medikamente.27

Das gesamte Instrumentarium aus Rimini, obwohl stark beschädigt und teils ineinan-der verschmolzen, bildet eine wertvolle Basis für die Beurteilung der typologischen und chronologischen Entwicklung von der augusteischen Zeit bis in das 3. Jh. n. Chr. Die rö-mischen medizinischen Instrumente treten uns in der frühen Kaiserzeit bereits vollständig ausgereift im Fundmaterial entgegen. Bis dahin aber lässt sich ihre Entstehung anhand von Originalfunden kaum nachvollziehen, wiewohl die hellenistische medizinische Literatur eine ganze Reihe von Instrumenten nennt. Die meisten Instrumente haben ihre Wurzeln im hellenistischen Osten und weniger im römisch-republikanischen Umfeld. Die einmal gefundenen funktionellen Formen der Instrumente wurden kaum verbessert wie die Funde von der frühen Kaiserzeit bis in die Spätantike veranschaulichen. Auch davon gibt der Instrumentenfund aus der Arztpraxis in Rimini beredtes Zeugnis.

Als Standesabzeichen galt in der Antike seit dem griechischen Altertum nicht wie heute der Äskulapstab, sondern der Schröpfkopf (cucurbita); die typologische Entwicklung der Schröpfköpfe ist, als Ausnahme unter den Instrumenten, seit der griechischen Klassik nachvollziehbar.28 Es sei hier der Grabstein des Freigelassenen Q. Pompeius Eutychus aus Flavia Solva angeführt, der aufgrund der dargestellten Schröpfköpfe als Arzt identiizierbar wird, während die Inschrift selbst seinen ausgeübten Beruf nicht erwähnt.29 Das Cognomen begegnete auch beim Arzt aus Rimini; es zählt anscheinend aber nicht zu den als „Be-rufsnamen“ bezeichneten Cognomina kaiserzeitlicher Ärzte.30 Ob die auffallend häuigen griechischen Cognomina römischer Ärzte eine Herkunft aus dem griechischsprachigen

24 Bliquez 1994; vgl. auch Künzl 2002b, 56–68. 25 Vgl. die Beiträge in Carolis 2009; Überblick in Carolis.

u.a. 2009; zuletzt Jackson 2009 zu den Instrumenten. 26 Ortalli 2009, 36 f. Abb. 27; der Grafito ist stark ergänzt. 27 Jackson 2002, 22 Abb. unten links; Ortalli 2009,

Abb. 36–37; Gazzaniga 2009, 98 mit Abb.; die Form erinnert deutlich an die frühkaiserzeitlichen Behält-nisse aus Kleinasien am Magdalensberg (vgl. oben Anm. 18) und dürfte sich als Arzneibehälter weiter tradiert haben.

28 Künzl 1982b; vgl. die Beispiele aus einem Arztgrab in Bingen bei Künzl 1996, 2590 Abb. VII.

29 CIL III 5377 = ILLPRON 1409; Dietz 1956; Hainz- mann – Pochmarksi 1994, 158–161 Nr. 53; vgl. zu den Grabinschriften von Medizinern und sonstigem medizinischem Personal aus dem römischen Österreich Breitwieser 1998, 42–65.

30 So bei Solin 1995, nach welchem Ärzte mitunter Namen berühmter griechischer Vorgänger wählten.

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Raum andeuten könnten, bleibe dahingestellt; bei dem Arzt aus Rimini wird es sich wohl um einen „native speaker“ gehandelt haben, der die griechischen Grafiti vermutlich selbst auf die Medikamentenbehältnisse in seiner Praxis geschrieben hat.31

Aus dem römischen Österreich ist eine kleine Anzahl von Inschriften überliefert, die Ärzte bzw. medizinisches Personal nennen; in einer Inschrift aus Brescia ist darüber hinaus ein medicus der 2. italischen Legion namens L. Caelius Arrianus fassbar, der in Lauriacum stationiert gewesen sein wird und im dortigen valetudinarium seinen Dienst tat.32

MEDIZINISCHE INSTRUMENTE AUS LAURIACUM

H. Deringer publizierte 1954 eine größere Anzahl von Geräten aus dem Ennser Muse-um, die überwiegend zu den Toilettegeräten zählen und in der Hauptsache verschiedene Sonden, kleine Pinzetten und Löffel umfassen.33 Ausnahmen davon sind ein tauschierter Skalpellgriff des 2./3. Jh.s mit Rankendekor34 sowie der genannte Okulistenstempel.35 Die in den Depots in Linz-Leonding verwahrten bzw. im Linzer Schloss ausgestellten Funde, die hier vorgestellt werden, stammen nur zum Teil aus gut dokumentierten Grabungen. Einiges wurde bei Altgrabungen ohne genaue Beobachtung gesammelt, weshalb Notizen zu Fundvergesellschaftungen etwa mit weiteren medizinischen Instrumenten oder Hinweise auf die Herkunft aus Gräbern fehlen. Die Funde aus der Zivilstadt, die bei den Grabungen der 1950er Jahre zutage traten, sind in allen Fällen Einzelfunde.

KATALOG36

31 Vgl. Anm. 27. 32 CIL V 4367; vgl. Breitwieser 1998, 45–47. 33 Deringer 1954; zu den Funden im Museum Lauriacum

in Enns weiters Ubl 1997, 154–162. Nicht weiter nach- gegangen wurde der Frage nach möglichen Instru-mentenfunden im Zuge der umfangreichen Grabungen des Denkmalamtes in den zivilen Siedlungsbereichen Lauriacums seit den 1970er Jahren.

34 Vgl. zur Gruppe der tauschierten Instrumente und de- ren Datierungsansätze Künzl 2002b, 100–104; Ubl 1997, 155 Kat.-Nr. IV/F3.

35 Deringer 1954, Abb. 81,2 und 83,1; das a.a.O. 144–146 Abb. 81,1 als Pterygotom angesprochene Gerät in Silber ist eine Kombination aus Ohrlöffelchen und Zahnstocher, vgl. Künzl 1996, 2487 und 2551.

36 Im Katalog werden folgende Abkürzungen verwendet: FO = Fundort; VO = Verwahrort; Inv.-Nr. = Inventar-nummer; L = Länge; alle Instrumente bestehen aus Kupferlegierungen.

1 Skalpellgriff (Abb. 1/1) FO: Enns VO: OÖLM, Depot, Inv.-Nr. B100 L 13,2 cm; schlanker, facettierter Griff; schmaler Spa-

tel mit Mittelgrat und trapezförmigem Querschnitt; Reste der eisernen Klinge in der Kerbe; Griff endet an der Kerbe mit Proilierung.

2 Skalpellgriff (Abb. 1/2) FO: Lauriacum, Zivilstadt 1954 VO: OÖLM, Depot; Inv.-Nr. B20119 L 12,0 cm; schlanker, facettierter Griff mit abgewin-

keltem Spatel und eisernem Klingenrest in der Kerbe; Griff endet an der Kerbe leicht abgerundet.

3 Gezähnte Pinzette (Abb. 2/3) FO: Enns VO: Linz, Schlossmuseum, Inv.-Nr. B53 L 14,0 cm; Pinzette mit proiliertem Griff und ein-

wärts gebogenen, gezähnten Greiflächen.

4 Gezähnte Pinzette (Abb. 2/4) FO: Enns, Westbahn; VO: Linz, Schlossmuseum, Inv.-Nr. B51 L 14,5 cm; Pinzette mit proiliertem Griff und abge-

winkelten, breiten Greiflächen mit Zähnung.5 Pinzette/Heber (Abb. 2/5) FO: Lauriacum, Zivilstadt 1952 VO: OÖLM, Depot, Inv.-Nr. P637/52, LZ 43 L 17,4 cm; kombiniertes Instrument aus Pinzette

und Heber, ein Arm abgebrochen; am Heber Rillen erkennbar, an der Greifläche der Pinzette nur einige feine Haarlinien; Griffteil proiliert.

6 Ohrsonde/Pinzette (Abb. 2/6) FO: Lauriacum, Zivilstadt 1958 VO: OÖLM, Depot, Inv.-Nr. P85/58 L 11 cm; schlankes kombiniertes Gerät aus kleiner

Ohrsonde und feiner Pinzette; verbogen und in zwei Teile zerbrochen.

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7 Scharfer Haken (Abb. 3/7) FO: Lauriacum-Zivilstadt 1957 VO: OÖLM, Depot, Inv.-Nr. LZ 67 L 12,6 cm; scharfer Haken mit proiliertem Griffteil;

stark verkrustet.

8 Doppelknopfsonde (Abb. 3/8) FO: Lauriacum-Zivilstadt 1951 VO: OÖLM, Depot, Inv.-Nr. P1500 L 15,6 cm; feiner, leicht verbogener Griffteil mit

kleinen knopfartigen Verdickungen an beiden Enden; Patina teils ausgebrochen.

9 Löffelsonde (Abb. 3/9) FO: Lauriacum-Zivilstadt 1954

37 Krug 1993. 38 Künzl 2002a, 12–20, Skalpelle Taf. 5,A19–A21. 39 Vgl. z.B. einen Skalpellfund aus Intercisa bei Künzl

1982a, 116 Abb. 91.

VO: OÖLM, Depot, Inv.-Nr. LZ 45 L 13,2 cm; Sonde mit abgewinkeltem Löffel; Stielan-

satz proiliert; Stiel mit feinen Längsrillen; Knopf abgesetzt, mit Feilspuren am Umbruch; glatte, dun-kelgrüne Patina.

10 Spatelsonde (Abb. 3/10) FO: Lauriacum-Zivilstadt 1959 VO: OÖLM, Depot, Inv.-Nr. P136; L 18,0 cm; Sonde mit langem, schlankem Spatel,

im vorderen Teil in der Achse zweifach perforiert; Stielansatz proiliert, Stiel facettiert, endet in einem mäßig ausgeprägten Knopf; mit glatter, hellgrüner Patina.

Skalpelle (Abb. 1/1–2)

Die beiden bronzenen Skalpellgriffe Kat.-Nr. 1–2, ein Altfund mit der Herkunftsbezeich-nung Enns und ein zweites Skalpell aus den Grabungen in der Zivilstadt von 1954, zählen zu den zierlichen Exemplaren dieser Instrumentengruppe. Die beiden Griffe sind zur Aufnahme der Griffzungen ihrer Eisenklingen am vorderen Ende geschlitzt; bei massiven Skalpellgriffen und anderen medizinischen Instrumenten, die über Steckverbindungen verfügen, haben diese Ausnehmungen häuig die Gestalt eines Schlüssellochs. Die Eisen­ oder Stahlklingen sind allerdings bis auf einen kleinen Rest der Griffzunge wegkorrodiert. Zum besseren Halt konnten Klinge und Griff mit Zinn verlötet sein wie aus einem entspre-chenden Untersuchungsergebnis hervorgeht.37 Die Griffe sind facettiert und mit schmalen Spateln ausgestattet. Abb. 1/1 besitzt beste Parallelen in drei Skalpellen unter den Funden

des sogenannten Arztgrabes aus Ephesos im Röm.-Germ. Zentralmuseum in Mainz (RGZM), das in die erste Hälfte des 3. Jh.s n. Chr. datiert wird; sowohl die Proilierung am vorderen Ende, die Grifffacettierung, die Form des Spatels als auch dessen rhombi-scher Querschnitt sind praktisch identisch.38 Der Griff aus Lauriacum ist etwa 2,5 cm län-ger als die in Mainz verwahrten Beispiele.

Abb. 1/2 unterscheidet sich vom ersten Exemplar insofern etwas, als das vordere Ende einfach abgerundet ist und der Spatel im Querschnitt nur leicht bikonvex gewölbt erscheint. Der Spatel könnte absichtlich verbogen sein, um ein spezielles Hantieren zu ermöglichen.39

Der Fundkomplex des sogenannten Arztgrabes von Ephesos im RGZM, aus ehemaligem Privatbesitz, umfasst unter an-

Abb. 1: Kat.-Nr. 1–2, Skalpelle aus Lauriacum; M 3 : 4 (Zeichnung: K. Gostenčnik)

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derem Instrumente für den Blasensteinschnitt sowie Starnadeln, ein Hinweis darauf, dass diese sehr schlanken Skalpelle in Spezialgebieten der Medizin Einsatz inden konnten.40

Pinzetten/Klammern (Abb. 2/3–4)

Die beiden Pinzetten/Klammern Kat.-Nr. 3–4, beides Altfunde aus Enns, zeigen gezähnte, ineinander greifende Backen, die das Abzwicken von Wucherungen etc. ermöglichten. Die Form der gezähnten Enden sowohl mit abgewinkelten, ineinander greifenden gezähnten Backen als auch mit einfach abgerundeten gezähnten Enden indet sich bereits unter Bei-spielen aus Pompeji.41 Beide gezähnte Typen konnten auch an einem Instrument kombi-niert sein.42 Gezähnte Pinzetten beider Varianten kommen unter allgemeinmedizinischen Instrumentarien ebenso vor wie unter Spezialinstrumenten; ein in Cambridge verwahrtes Set von Instrumenten für die Lithotomie umfasst eine der Abb. 2/4 vergleichbare Pinzette/Klammer mit längerem Griffteil und annähernd rechtwinkelig umgebrochenen Greiflä-chen.43 Häuiger scheinen indes die Parallelen zu Abb. 2/3 zu sein.44 Letztere besitzt, so-wohl was die Formgebung als auch den Griffdekor anbelangt, ein auffälliges Gegenstück unter den Funden des Arztgrabes aus Reims aus dem 3. Jh. n. Chr., dort jedoch mit glatten Greiflächen.45 Chirurgische Pinzetten konnten mittels eines Fixierringes festgeklemmt werden. Eine Analyse der Schriftquellen macht es indes wahrscheinlich, dass unter den als staphylagra und staphylokaustes bezeichneten Instrumenten die zangenartigen Typen mit Gelenkverbindung und Zähnung zu verstehen sind; die beschriebenen Operationen, bei denen diese Instrumente eingesetzt wurden, beziehen sich auf das Entfernen von Mandeln und Hämorrhoiden.46

Knochenheber/Pinzette (Abb. 2/5)

Sehr selten im Fundmaterial vertreten ist die Kombination von Pinzette und Heber bzw. Knochenheber. Der Fund Kat.-Nr. 5, bei dem ein Greifarm und der Fixierring fehlen, stammt aus der Zivilstadt von Lauriacum und wurde dort 1952 ausgegraben. Parallelen hierzu bietet ein Hortfund des späteren 3. Jh.s bestehend aus medizinischen Instrumenten und einem Münzschatz, der bereits im 19. Jahrhundert in Paris ausgegraben wurde und dessen Münzreihen bis 282 n. Chr. reichen, oder ein weiterer Fund aus dem römischen Militärlager von Lancaster aus dem 2. Jh.47 Ein weiteres Exemplar, mit reichem Dekor, stammt aus einem Grabkomplex mit medizinischen Instrumenten aus Aschersleben im freien Germanien und war als Import dorthin gelangt.48 Das kombinierte Instrument diente der Wundversorgung, dem Entfernen von Splittern/Knochensplittern, dem Versorgen of-fener Knochenbrüche, dem Heben von Muskeln und Sehnen, etc.; möglicherweise wurde es vor allem bei Eingriffen am Schädel eingesetzt.49

40 Künzl 2002a, Taf. 2–5; weitere vergleichbare Skalpelle aus Arztgräbern bei Künzl 1982a, passim.

41 Bliquez 1994, 172–175 Abb. 146–150. 42 Künzl 2002a, Abb. 66 oben. 43 Im Instrumentarium eines Allgemeinmediziners: Hort-

fund aus Paris, späteres 3. Jh., vgl. Sorel 1984, Taf. 17; unter Lithotomieinstrumenten: Künzl 1996, Abb. XIV 5, 1.–3. Jh.; vgl. weiters auch den Fund mit Fixierring aus Silchester bei Jackson 2011, 154 f. Abb. 18d.

44 Vgl. die Beispiele aus Pompeji bei Bliquez 1994, Abb. 146–150; weiters bei Künzl 1996, Abb. XXVI,

1–3, Arztgrab aus Reims, 3. Jh. 45 Künzl 1996, Abb. XXVI, 6. 46 Jackson 1992. 47 Paris: Sorel 1984, Taf. 17; Künzl 1982a, Abb. 51,29;

Lancaster: Jackson 2011, 255 Abb. 18c. 48 Künzl 1982a, 100 Abb. 90,2; Künzl 1996, Abb. XV;

das Grab gehört in das 3. Jh. n. Chr., die Instrumente stammen aus dem 2. Jh. n. Chr.

49 So nach Jackson 2011, 255 mit Literatur.

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Abb. 2: Kat.-Nr. 3–6, Pinzetten/Klammern aus Lauriacum; M 3 : 4 (Zeichnung: K. Gostenčnik)

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Ohrsonde/Pinzette (Abb. 2/6)

Kein eigentlich medizinisches Instrument, wohl aber eine interessante Kombination von Toilettegeräten bietet Kat.-Nr. 6. Parallelen hierzu sind eher selten und aufgrund der fra-gilen Ausführung meistens stark fragmentiert. Aus Augst oder Trier sind solche Pinzetten mit Sondenknopf geläuig.50 Der Fund aus Enns besteht aus einer sehr feinen Pinzette und einer kleinen Ohrsonde.

Scharfer Haken (Abb. 3/7)

Zu dem scharfen Haken Kat.-Nr. 7 gibt es zahlreiche Parallelen mit sehr unterschiedlicher Griffbildung.51 Das Stück ist zwar unrestauriert, die erkennbaren Details zeigen aber, dass

50 Riha 1986, 38 Abb. 14 Taf. 112–115, dort mit 2. Viertel 1. Jh. bis antoninisch datiert. 51 Vgl. etwa jene aus Pompeji bei Bliquez 1994, 124–128 Abb. 35–41; weiters solche aus Grabfunden bei Künzl 1982a,

passim.

Abb. 3: Kat.-Nr. 7–10, Haken und Sonden aus Lauriacum: 7) scharfer Haken; 8) Doppelknopfsonde; 9) Löffelsonde mit abgewinkeltem Löffel; 10) Spatelsonde mit perforiertem Blatt; M 3 : 4

(Zeichnung: K. Gostenčnik)

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es sich am Griff um eine Art der Proilierung handelt, die bereits unter den Funden aus Pompeji geläuig ist. Eine nähere zeitliche Eingrenzung kann aufgrund des fehlenden Fundkontextes nicht gegeben werden.

Doppelknopfsonde (Abb. 3/8)

Die frühesten Vergleichsbeispiele zu dieser als dipyrenos oder dipyrene identiizierten,52 äußerst feinen Doppelknopfsonde Kat.-Nr. 8 kommen mehrfach schon unter den Funden aus Pompeji vor. Weitere Parallelen stammen z.B. aus einem Flussfund aus der Maas in Belgien, wo ein rundes Etui die Instrumente eines Augenarztes enthielt, oder aus dem umfangreichen Instrumentarium des sogenannten Arztgrabes aus Ephesos im RGZM.53 Für Abb. 3/8 kann nur eine allgemeine Datierung vom 1.–3. Jh. gegeben werden. Das In-strument wurde u.a. zum Tasten bei Augenerkrankungen oder solchen der Blase eingesetzt. Celsus (med. 7,4,4A–D) beschreibt die Operation einer Analistel mittels einer gelochten Sonde; dieses Instrument wird mit solchen feinen Exemplaren wie Abb. 3/8 identiiziert.54

Löffelsonde (Abb. 3/9)

Keine primären medizinischen Instrumente sind die zahlreichen Löffelsonden.55 Bei dem Fund aus Enns Kat.-Nr. 9 könnte der auffällig abgewinkelte Löffel ein Hinweis z.B. für das leichtere Einführen von Medikamenten sein oder dem Erwärmen von Substanzen gedient haben, die damit über eine Flamme gehalten werden konnten, was das Exemplar in das medizinische Umfeld rücken würde. Gesichert ist diese Annahme allerdings nicht. Der bereits deutlich abgesetzte Knauf am Stielende spricht vielleicht für einen Datierungsansatz nicht vor dem 3. Jh.56

Spatelsonde (Abb. 3/10)

Die Spatelsonde Kat.­Nr. 10 zeigt ein doppelt gelochtes Blatt. Als Erklärung hierfür indet sich eine Verwendung zum Einführen des Fadens beim Unterbinden von Blutgefäßen oder beim Vernähen von Wunden.57 Ein Unterbindungshaken fand sich im Instrumentarium eines Arztes aus Bingen und zeigt an einem Griff zwei spatelartige Fortsätze mit Lochung.58 Der Fund lässt sich daher im medizinischen Bereich ansiedeln.

HERSTELLER UND WERKSTATTKREISE

Medizinische Instrumente sind einander oft so ähnlich, dass eine Herkunft aus derselben Werkstatt wahrscheinlich ist. Dies gilt besonders für Spezialinstrumente oder für sehr charakteristischen Dekor an Instrumenten.59 Der Vertrieb erfolgte allerdings nicht not-

52 Künzl 2002a, 4 Anm. 33; Jackson 1994, 182. 53 Pompeji: Bliquez 1994, 161f. Abb. 118–121; Flussfund

aus der Maas: Heymans 1979, Abb. 2,4; RGZM: Künzl 2002a, Taf. 7,A36.

54 Jackson 1994, 180. 55 Vgl. zur antiken Terminologie der Löffelsonden bes.

Bliquez 2003. 56 Vgl. Künzl 1992 zu den Charakteristika spätantiker

und byzantinischer Instrumente.

57 Heymans 1979, 98 Nr. 4 Anm. 17 zu dipyrene, mit Ver-weis auf das Arztgrab von Bingen, vgl. Künzl 1982a, 80–85 Abb. 56,17.

58 Vgl. Künzl 1982a, Abb. 56,17. 59 Künzl 1996, 2453–2455; Künzl 2002b, 53 f. bzw.

100–104 zu den tauschierten Instrumenten.

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wendigerweise über Spezialhändler; Skalpelle waren im Warenangebot eines Schmiedes zu haben wie ein entsprechendes Grabrelief aus Ostia deutlich vor Augen führt, und die Toilettegeräte wie einfache Pinzetten und Sonden fanden sich im Warenangebot römischer Händler.60 Medizinische Instrumente trugen darüber hinaus auch keine Herstellerstempel; diese inden sich bestenfalls an Toilettegeräten wie Löffelsonden oder Pinzetten.61

Es wäre möglich, dass unter den hier behandelten Funden aus Lauriacum der bronzene Skalpellgriff Abb. 1/1 aufgrund formaler Übereinstimmungen durchaus aus der gleichen Werkstatt stammt wie die Parallelen aus dem sogenannten Arztgrab von Ephesos im RGZM, ebenso wie die Pinzette Abb. 2/3 und ihr Gegenstück unter den Funden des Arztgrabes von Reims.62 Zumindest aber gehen diese Funde aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit auf gemeinsame Vorbilder zurück.

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60 Terrakottarelief aus Ostia bei Künzl 2002b, Abb. 70; Pinzetten aus einem niedergebrannten Warenmagazin am Magdalensberg in Gostenčnik 2004, Taf. 16,6 und 17,2.

61 Zu speziellen Pinzetten mit Herstellerstempel vgl. Gostenčnik 2001 bzw. Gostenčnik 2002.

62 Vgl. Anm. 44.

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