HISTORIA AUGUSTA WIKIPAEDORUM pag. 301-600

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Nerva Marcus Cocceius Nerva (* 8. November 30 in Narnia in Umbrien; † 27. Januar 98 in Rom) war als Nachfolger Domitians von 96 bis 98 römischer Kaiser. Nerva Museo Nazionale Romano Karriere bis 96 Nerva entstammte wie Vespasian, der Gründer der flavischen Dynastie, der italischen Nobilität, nicht wie dessen Vorgänger der römischen. Seine Familie stammte aus der nördlich von Rom gelegenen etrurischen Stadt Narni. Sein Großvater und Vater waren bedeutende Juristen mit engem Kontakt zum julisch-claudischen Kaiserhaus. Ein Onkel hatte Rubellia Bassa, die Tochter der Iulia Livia und Urenkelin des Tiberius, geheiratet. Als erste Stufen von Nervas cursus honorum lassen sich das Priesteramt eines salius Palatinus nachweisen, ein Kommando über eine Reiterschwadron, das Amt des praefectus urbi während der feriae Latinae und die

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NervaMarcus Cocceius Nerva (* 8. November 30 in Narnia inUmbrien; † 27. Januar 98 in Rom) war als NachfolgerDomitians von 96 bis 98 römischer Kaiser.

NervaMuseo Nazionale Romano

Karriere bis 96

Nerva entstammte wie Vespasian, der Gründer derflavischen Dynastie, der italischen Nobilität, nichtwie dessen Vorgänger der römischen. Seine Familiestammte aus der nördlich von Rom gelegenen etrurischenStadt Narni. Sein Großvater und Vater waren bedeutendeJuristen mit engem Kontakt zum julisch-claudischenKaiserhaus. Ein Onkel hatte Rubellia Bassa, die Tochterder Iulia Livia und Urenkelin des Tiberius, geheiratet.

Als erste Stufen von Nervas cursus honorum lassen sichdas Priesteramt eines salius Palatinus nachweisen, einKommando über eine Reiterschwadron, das Amt despraefectus urbi während der feriae Latinae und die

Quästur (wohl als quaestor Augusti). Im Jahr 65 war eran der Aufdeckung der pisonischen Verschwörungbeteiligt, eines Mordkomplottes von Senatoren gegenKaiser Nero.

-301-Gemeinsam mit dem Prätorianerpräfekten Gaius OfoniusTigellinus und dem Konsular Publius PetroniusTurpilianus erhielt er dafür die ornamenta triumphalia,also alle Ehrungen eines Triumphators bis auf denTriumphzug selbst, der seit Augustus den Kaisernvorbehalten war. Statuen von ihm und Tigellinus wurdenim kaiserlichen Palast aufgestellt – für Personen, dienicht der kaiserlichen Familie angehörten, eine ganzaußergewöhnliche Ehre.[1] Eine weitere EhrenstatueNervas wurde auf dem Forum Romanum aufgestellt. Im Jahr66 erreichte Nerva die Prätur. Auch nach NerosErmordung konnte er unter den flavischen Kaisern eineeinflussreiche Stellung behaupten. Das Konsulatbekleidete er zweimal: gemeinsam mit Vespasian im Jahr71 und mit Domitian im Jahr 90.

Nerva war nicht verheiratet.

Kaiser

Nach der Ermordung Domitians 96 wurde der angeseheneJurist mit Unterstützung der Verschwörer vom Senat am18. September 96 zu dessen Nachfolger erwählt, weil erschon älter und zudem kinderlos war.

Als Antwort auf Domitians Terrorherrschaft ging Nervazu einer neuen Haltung über und verband das Prinzipatmit der Freiheit (principatum ac libertatem).[2]Zunächst wurde über Domitian die damnatio memoriaeverhängt. Dann ließ Nerva diejenigen frei, die wegenVerrats im Gefängnis waren, verbot weitere Anklagenwegen Verrats, verbot die Majestätsprozesse und gab

viel von dem konfiszierten Eigentum zurück. DieSenatoren wurden der kaiserlichen Gerichtsbarkeitentzogen und unterlagen nur der des Senats. Im Senatwurde die geheime Abstimmung eingeführt. Darüber hinausschaffte er unentgeltliche Requirierungen in Italienfür die staatliche Post ab. Durch große Sparsamkeitgelang es ihm, die zerrütteten Staatsfinanzen zusanieren, wofür er auch sein eigenes Vermögen opferte.Seine mildtätige und besonnene Regierung zeigte sich u.a. in der Einrichtung staatlicher Alimentarfonds, diehilfsbedürftigen Kindern Unterhalt und Ausbildungermöglichten. An notleidende römische Bürger wurdewährend seiner Regentschaft Land im Wert von 60Millionen Sesterzen verteilt.

-302-Nerva ließ den von Domitian begonnenen Bau eines neuenForums, das das alte Forum Romanum mit den Kaiserforenverbinden sollte, fertigstellen (forum transitoriumoder Nervaforum). Er bestellte Sextus Iulius Frontinuszum curator aquarum und ernannte ihn 98 zum Konsul.Auch der spätere Historiker Tacitus erlangte unterseiner Regierung ein Konsulat.

Mitte 97 meuterte die Prätorianergarde, die er nichtwie seine Vorgänger mit üppigen Geldgeschenkenüberhäuft hatte. Nerva adoptierte daraufhin am 27.Oktober 97 den aus Spanien stammenden Trajan, einenKommandeur der Armeen an der germanischen Grenze, derbei den Soldaten großes Ansehen und Rückhalt genoss.Damit begründete er das Adoptivkaisertum („Zeitalterder Guten Kaiser“), das jedoch entgegen frühererAnschauung nicht mit einer bewussten Abkehr vomdynastischen Prinzip und aus der schlechten Erfahrung,die Rom mit manchem unzulänglichen dynastischenNachfolger erleiden musste, sondern dem Faktumkaiserlicher Kinderlosigkeit geschuldet war.

Am 1. Januar 98 erlitt Nerva während einerPrivataudienz einen Schlaganfall und starb drei Wochenspäter in seiner Villa in den Gärten des Sallust. Erwar der letzte römische Kaiser, dessen Asche imMausoleum des Augustus auf dem Marsfeld beigesetztwurde. Sein vollständiger Titel zum Zeitpunkt seinesTodes war Imperator Nerva Caesar Augustus Germanicus,Pontifex maximus, Tribuniciae potestatis III, ConsulIV, Imperator II, Pater patriae.

LiteraturJohn D. Grainger: Nerva and the Roman succession crisis of AD 96–99.London 2003, ISBN 0-415-34958-3.Bruno Grenzheuser: Kaiser und Senat in der Zeit von Nero bis Nerva.Dissertation, Münster 1964.

Weblinks Commons: Nerva – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienDavid Wend: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch) aus DeImperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).

Anmerkungen1↑ Götz Lahusen: Römische Bildnisse. Auftraggeber – Funktionen –Standorte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, S.131.2↑ Tacitus, Agricola 3, 1.

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Marcus Cornelius NigrinusCuriatius Maternus

Marcus Cornelius Nigrinus Curiatius Maternus (* vor 60n. Chr.; † nach 97 n. Chr.) war ein römischer Militärund Politiker.

Nigrinus war ein Ritter und stammte aus Liria in derTarraconensis. Unter Vespasian wurde er in den Senataufgenommen. Er war Statthalter in der ProvinzAquitania und soll Suffektkonsul um das Jahr 83 gewesensein. Er war konsularer Legat der römischen ProvinzMoesia (Mösien), nach der Teilung der Provinz vonMoesia inferior (Niedermösien). In den Donaukriegenbewährte er sich und wurde zweimal mit den höchstenAuszeichnungen ausgestattet, wenn man von den ornamentatriumphalia absieht; er erhielt nämlich je viercoronae, je vier hastae purae und je vier vexilla.Nigrinus war damit nach derzeitiger Kenntnis derhöchstdekorierte General Domitians.

Den Höhepunkt seiner Laufbahn erreichte Nigrinus mitder Legatur in der Provinz Syria in den Jahren 95 bis97. Er galt als aussichtsreicher Bewerber für dieThronfolge nach Kaiser Nerva und somit als schärfsterKonkurrent Trajans. Infolge eines Usurpationsversuchs −er soll den Prätorianerpräfekten Casperius Aelianusdurch „Bestechung“ zur Rebellion angestiftet haben −wurde Nigrinus aus der Provinz abgezogen. Nach TrajansHerrschaftsantritt zog er sich in seine Heimat Liriazurück.

QuellenEpitome de Caesaribus 12,8Plinius der Jüngere, Briefe 9; 13, 19 f.

LiteraturGéza Alföldy, Helmut Halfmann: M. Cornelius Nigrinus CuriatiusMaternus, General Domitians und Rivale Trajans. In: Chiron 3, 1973,S. 331–373.

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Trajan

Trajan mit Bürgerkrone und Schwertband sowie Ägis mit Medusenhauptund Schlangen als Symbol des göttlichen Herrschaftsanspruchs

(Münchner Glyptothek)

Marcus Ulpius Traianus (* 18. September 53, vielleichtin Italica[1] oder in Rom[2]; † 8. August 117 inSelinus, Kilikien), bekannt als Trajan, war von Januar98 bis 117 römischer Kaiser.

Trajan, der erste römische Kaiser, der aus einerProvinz stammte, gilt in der traditionell von Senatorenverfassten Geschichtsschreibung als bester römischerPrinceps (optimus princeps). Nach den von Verfolgungenund Hinrichtungen römischer Senatoren geprägten letztenRegierungsjahren Domitians und dem Ende der flavischenDynastie wurde mit der kurzen Regierungszeit seines

Vorgängers Nerva und besonders durch Trajan dasAdoptivkaisertum begründet. Mit der EroberungArmeniens, Mesopotamiens und vor allem des Dakerreicheserlebte das Römische Reich unter seiner Herrschaftseine größte Ausdehnung. Innenpolitisch zielte Trajandurch umfangreiche Bau- und Sozialmaßnahmen auf eineStärkung Italiens und Förderung der Romanisierung inden Provinzen des Reiches.

-305-Herkunft und Jugend

Trajan gehörte zu den Nachfahren einer Gruppe vonKolonisten, die 206 v. Chr. von Scipio Africanus inItalica in der Provinz Hispania (später Baetica) imSüden der Iberischen Halbinsel angesiedelt wordenwaren. Seine Vorfahren stammten ursprünglich aus Tuderin Umbrien. Trajan selbst dürfte jedoch eher einStadtrömer als ein Südspanier gewesen sein, denn seinVater stand im Geburtsjahr seines Sohnes am Anfangseiner senatorischen Laufbahn, was einen Aufenthalt inItalica fast ausschließt.[5]

Denar mit dem Porträt Trajans[3]

Sein gleichnamiger Vater hatte wohl unter Claudius alseiner der ersten Nicht-Italiker den Aufstieg in denrömischen Senat geschafft. Im Jahr 70 wurde der ältereTraianus Suffektkonsul und 73/74 wurde er in den Standder Patrizier erhoben. Von etwa 73 bis 78 vertraute ihmKaiser Vespasian die Statthalterschaft in Syrien an,der wichtigsten Militärprovinz im Osten. Dort kämpfteder ältere Traianus zwischen Herbst 73 und Mitte 74erfolgreich gegen die Parther.[6] Er erhielt ornamentatriumphalia, die Auszeichnung eines Triumphators. DurchKonsulat, Zugehörigkeit zum Patriziat und den Rangeines triumphalis vir hatte er seinem Sohn einenleichten Weg in eine senatorische Laufbahn geebnet.Über die Mutter ist wenig bekannt. Vielleicht war sieeine Marcia und kam dann wohl aus einer senatorischenFamilie Italiens, die schon seit tiberischer Zeitkonsularen Rang hatte.[7] Aus der Ehe mit Marcia gingneben dem späteren Kaiser Trajan die vor 50 geboreneUlpia Marciana hervor.

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Anderes Münzbild Trajans mit der Inschrift:

IMP CAES NERVA TRAIAN AUG GERM PM[4] (aus einem Münzfund bei Lyon)

Über Kindheit und Jugend Trajans ist nichts bekannt. Erwird eine standesgemäße Erziehung erhalten haben, dieneben Lesen und Schreiben auch den späteren höherenUnterricht in Grammatik und Rhetorik einschloss. Auchvon Trajans senatorischer Laufbahn gibt es nur wenigeInformationen; er diente wohl Mitte 73 bis Mitte 75 alsMilitärtribun unter seinem Vater in Syrien.[8] DieBehauptung des Plinius, Trajan habe zehn Jahre langdieses Amt bekleidet,[9] wird als unglaubwürdigangesehen[10], da ein Legionstribunat untergewöhnlichen Umständen zwei bis drei Jahre dauerte.Noch unter Vespasian übernahm Trajan wohl 78 alsQuästor sein erstes senatorisches Amt. Danach könnte erseinen Vater als Legat in die Provinz Asia begleitethaben, die der ältere Traianus im Jahr 79/80 oder 80/81als Prokonsul leitete.

Gewaltsames Ende der flavischen Dynastie

Unter Kaiser Domitian bekleidete Trajan wohl 84 diePrätur. Möglicherweise verhinderten Differenzenzwischen Domitian und Trajan, dass Letzterer, wie füreinen Patrizier üblich, zwei bis drei Jahre später dasKonsulat erhielt. Stattdessen wurde er 88 Legat bei derin Nordspanien stationierten Legio VII Gemina. AlsKommandeur dieser Legion beorderte ihn Domitian imWinter 88/89 nach Obergermanien zur Niederschlagung desAufstandes des Lucius Antonius Saturninus in Mainz.

-307-Der Saturninusaufstand war allerdings schon durch AulusBucius Lappius Maximus niedergeschlagen worden, bevorTrajan eintraf. Für sein loyales Verhalten bekleideteer im Jahr 91 gemeinsam mit Manius Acilius Glabrio zumersten Mal das Konsulat – relativ spät für einenPatrizier.[11]

Der Verlust einer römischen Legion im Krieg gegen dieJazygen löste eine innenpolitische Krise aus.[12]

Domitian machte daraufhin als Princeps seine faktischautokratische Stellung gegenüber der römischenOberschicht in aller Klarheit deutlich. In der erstenHälfte der 90er Jahre wurden zahlreiche Prozesse wegenEhebruchs, Majestätsbeleidigung und Hochverratsdurchgeführt.[13] Nach dem August 93 traf eineVerfolgungswelle Personen, bei denen man Zeichen derAblehnung des Regimes zu erkennen meinte.[14] Doch istdie Zahl der hingerichteten Senatoren mit 14 bekanntenNamen sehr viel geringer als unter Claudius.[15] Aufdie zahlreichen Verschwörungen gegen ihn reagierte erebenfalls mit Hinrichtungen. Wie unberechenbar Domitianwurde, zeigte sich, als er im Jahre 95 seinen CousinTitus Flavius Clemens hinrichten ließ. Selbst seineFamilienangehörigen wussten nun, dass sie nicht mehrsicher waren. Die Angst so vieler Personen war dieUrsache für eine weitere Verschwörung gegen Domitianund führte am 18. September 96 zu seiner Ermordung. Anihr waren allerdings keine Senatoren beteiligt,vielmehr handelten Personen aus Domitians engsterUmgebung, wie seine Gemahlin Domitia Longina, diebeiden Prätorianerpräfekten und einige seinerFreigelassenen.[16] Mit Domitians Tod endete dieHerrschaft der flavischen Dynastie.

-308-Beginn des Adoptivkaisertums

Marmorbüste des Marcus Cocceius Nerva (Getty Center, Los Angeles)

Mit dem 66-jährigen Nerva kam im September ein Senatorauf den Thron, der trotz seiner politischen Verdienstezahlreiche Schwächen als Herrscher offenbarte und eintypischer Übergangskandidat war.[17] Die eigentlicheFrage der Nachfolge konnte dadurch offengehalten undein erneuter Bürgerkrieg nach dem Ende der flavischenDynastie – anders als beim Ende Neros – verhindertwerden. Nerva war kinderlos und angesichts seinesAlters schien es sicher, dass er keine Dynastie mehrgründen würde. Er verdankte seine Herrschaft denVerschwörern gegen Domitian, obgleich er selbst nichtzu ihrem engsten Kreis gehörte.[18] Nerva war imGegensatz zu Domitian bei den Soldaten nicht beliebt.[19] Er hatte zu keinem Zeitpunkt seiner LaufbahnLegionen kommandiert. Um die Gunst der Truppen bemühtesich der neue Kaiser kaum. Auch im Senat war NervasHerrschaft nicht unumstritten.

-309-Die Unzufriedenheit im Heer und in der Prätorianergardeund die nur schwache Akzeptanz Nervas im Senat bildetenden Nährboden für die Krisen seiner Regierungszeit.Gleich zu Beginn von Nervas Herrschaft setzte diePrätorianergarde unter ihrem Präfekten CasperiusAelianus aus Wut über die Ermordung Domitians den neuenKaiser in dessen Palast gefangen und zwang ihn,Domitians Mörder hinzurichten. Damit wurden jene Männerbeseitigt, die Nerva erst den Weg zur Herrschaftbereitet hatten,[20] und Nerva verlor als Kaiser vielvon seiner Autorität.[21] Noch im Jahre 96 wurde eineVerschwörung gegen ihn aufgedeckt.

Erst jetzt begann der eigentliche Kampf um die Macht.In dieser Zeit bemühten sich zwei Fraktionen innerhalbdes Senats darum, dass Nerva ihren Kandidaten alsNachfolger designierte. Einer der möglichen Kandidatenwar Cornelius Nigrinus, ein hochdekorierter GeneralDomitians und spätestens seit 95 Statthalter in derProvinz Syrien, wo die stärkste Armee des Ostens stand.Die andere Fraktion bildeten Senatoren, die eher Trajanzuneigten. Zu diesen Senatoren zählten wohl SextusIulius Frontinus, Lucius Iulius Ursus, Gnaeus DomitiusTullus, Lucius Licinius Sura und Titus VestriciusSpuriana.[22] Was diese Senatoren dazu veranlassthatte, Trajan auszuwählen und sich damit gegenCornelius Nigrinus auszusprechen, ist nicht bekannt.

Unter Nerva erhielt Trajan Anfang 97 dieStatthalterschaft in Germania superior. Dies warvielleicht schon Teil eines Plans, der die drohendeUsurpation durch Nigrinus verhindern sollte, da inObergermanien drei Legionen und zahlreicheAuxiliareinheiten stationiert waren, insgesamt im Jahr

96/97 etwa 35.000 Mann.[23] Der dortige Gouverneurkommandierte jedenfalls das Italien am nächstengelegene große Heer. Dieses konnte er gegen den Kaiseroder auch zu dessen Schutz einsetzen. Während derWirren des Jahres 97, als offenbar zwei Gruppen um dieMacht kämpften, blieb Trajan in seiner Provinz. ImOktober 97 erhielt er die Nachricht, er sei von Nervaadoptiert worden. Plinius berichtet hierüber stilisiertim Panegyricus, wonach Trajan seine Herrschaft einerplötzlichen göttlichen Eingebung verdankte, die Nervaangeblich gezeigt hatte, Trajan sei derjenige, den eradoptieren solle.[24]

-310-Durch seine Adoption wurde Trajan zum Teilhaber derHerrschaft, wodurch jeder Widerstand gegen Nervazusammenbrach. Trajan wurde als Nachfolgerherausgestellt, indem er die zentralen kaiserlichenKompetenzen (imperium proconsulare und tribuniciapotestas), den Vornamen bzw. Titel Caesar und denBeinamen Germanicus erhielt. Das Jahr 98 begann Trajangemeinsam mit Nerva als ordentlicher Konsul. DieNachricht von Nervas Tod am 28. Januar 98 erhieltTrajan in Köln. Angeblich war es sein Großneffe undspätere Kaiser Hadrian, der Trajan als erster dieNachricht überbrachte.[25] Als neuer Princeps gingTrajan gegen alle Konkurrenten und Widersacher aus derZeit Nervas vor. Den Prätorianerpräfekten CasperiusAelianus sowie Teile der Prätorianer beorderte er zusich und ließ sie hinrichten.[26] Anders als derPräfekt behielt der mutmaßliche Rivale Nigrinus zwarsein Leben, doch wurde ihm die syrischeStatthalterschaft entzogen, wodurch er seinenmilitärischen Rückhalt verlor. Er zog sich womöglich inseine hispanische Heimat zurück.

Der Prinzipat Trajans

Trajan sorgte dafür, dass Nerva auf Senatsbeschlussdivinisiert und seine sterblichen Überreste imAugustusmausoleum beigesetzt wurden. Trotz des Todesseines Vorgängers blieb Trajan weiterhin am Rhein undkehrte erst zwei Jahre später nach Rom zurück.

Kopf Trajans, Fragment einer überlebensgroßen Statue (MünchnerGlyptothek)

-311-Die lange Abwesenheit des Princeps von Rom warungewöhnlich und scheint in der Hauptstadt dieErwartung eines Germanenkrieges geweckt zu haben.[27]Zu seinem Nachfolger für die Statthalterschaft derGermania superior ernannte Trajan seinen comes IuliusUrsus Servianus, mit der Verwaltung Niedergermaniensbetraute er Lucius Licinius Sura, zwei Kommandeure, dieauch später zu den wichtigsten Stützen seinerHerrschaft gehören sollten. Das Jahr 98 verbrachteTrajan mit Inspektionsreisen an Rhein und Donau.Größere militärische Ereignisse fanden während seinesAufenthalts am Rhein nicht statt. Das zweijährige

Unternehmen diente vor allem der Sicherung des Friedensan den Nordgrenzen des Reichs. In dieser Zeit wurde derBau von Straßen in den rechtsrheinischen Gebietenvorangetrieben, die Infrastruktur des Hinterlandesgestärkt und Verteidigungsanlagen wurden ausgebaut.Eine von Mainz über Baden-Baden und Offenburg zur Donauführende Straße wurde unter ihm fertiggestellt, ebensodie Verbindung Mainz–Köln–Vetera–Nymwegen. Im Winter98/99 erreichte Trajan die Donau und betrieb Maßnahmenzum Ausbau und zur Festigung der Reichsgrenze. Dabeisetzte er die Grenzpolitik Domitians fort, der denSchwerpunkt schon vom Rhein zur Donau verlegt hatte. Indieser Zeit begann Trajan auch mit der Errichtung desNeckar-Odenwald-Limes. Die zweijährige Inspektionsreisesollte auch die Gefolgschaft der Grenztruppen und derProvinzbewohner sichern.

Oft wurde angenommen, der eigentliche Zweck derTruppeninspektionen seien Vorbereitungen für einenKrieg gegen die Daker gewesen.[28] Doch berichten dieQuellen nichts darüber, was die eigentliche Zielsetzungder Rhein- und Donaureise zwingend mit dem erstenDakerkrieg verbindet. Im Herbst 99 kehrte Trajan nachRom zurück. Obwohl es nicht zu einem Germanenkrieg kam,wurde das zweijährige Unternehmen zur Sicherung desFriedens an den Nordgrenzen des Reichs in Rom als Siegverkündet und gefeiert.[29]

Verhältnis zum Senat

Trajan gestaltete seine Herrschaft bewusst alsGegenbild zu Domitian. Gegenüber den Senatoren warseine Herrschaft von Wohlwollen und Kooperationgeprägt. Schon in seinen ersten Briefen vom Rhein ausschwor er, dass er keinen Senator ohne Verfahren vordem Senat werde hinrichten lassen,[30] woran er sichoffensichtlich auch hielt. Dies war zwar bereits seitmehreren Regierungswechseln übliche Praxis gewesen,doch hatte Domitian mit dieser Tradition gebrochen undkeinen Eid abgelegt.

-312-Trajans Rückkehr aus den Donauprovinzen im Jahr 99vollzog sich ohne Prunk. Er zog demonstrativ bescheidenzu Fuß in Rom ein. Die ihn erwartenden Senatoren wurdenmit einem Kuss begrüßt. Bereits in den ersten Wochenseiner Herrschaft ließ Trajan auf Münzen verkünden,dass er seine Herrschaft vom Senat erhalten habe.[31]Anders als Domitian und mehreren seiner Vorgänger wurdeTrajan nicht vorgeworfen, sich am Vermögen der Bürger,speziell der Senatoren, zu bereichern. Zwar schaffteTrajan die sogenannten Majestätsprozesse nicht ab, ließsie gegen Senatoren jedoch nicht zu. Um Verstimmungenzu vermeiden, wurden hohe Positionen auch mit unterDomitian geförderten Rittern und Senatoren besetzt.Trajan demonstrierte seine moderatio (Mäßigung), als erden vom Senat angetragenen Titel Pater patriae zunächstablehnte. Erst im Herbst 98 nahm er den Titel an. DiePraxis der Flavier, ständig ein ordentliches Konsulatzu bekleiden, führte er nicht fort. Während seinerHerrschaft war Trajan nur vier weitere Male Konsul(100, 101, 103, 112). Die beiden Senatoren SextusIulius Frontinus und Lucius Iulius Ursus durften gar imJahr 100 mit dem dritten Konsulat genauso vieleKonsulate bekleiden wie der Princeps. Dies war eineaußergewöhnliche Ehrung, denn der Vorrang des Princepsdrückte sich gewöhnlich in der höheren Zahl derKonsulate gegenüber allen anderen Senatoren aus.[32]Als Grund dieser außergewöhnlichen Ehrung wird dieRolle der beiden Senatoren bei der Regelung derNachfolge angesehen.[33] Dennoch war Trajans Dominanzgegenüber dem Senat und seine faktische Macht nichtgemindert. Allein der Kaiser sicherte die Herrschaftüber das Reich. Auch Plinius erkennt: Sunt quidemcuncta sub unius arbitrio („es hängt doch alles vomWillen eines Einzelnen ab“).[34]

Da Trajan nicht der leibliche Sohn Nervas war, konntedie Idee des Besten (optimus), der aus allen Guten(boni, d. h. den Senatoren) durch Adoption im Konsensmit dem Senat zur Herrschaft gelangt war, propagiert

werden,[35] obwohl der Senat daran keinen Anteil hatte.Im Oktober 99 schwor Trajan bei seiner drittenDesignation zum Konsul auf dem Marsfeld stehend vor densitzenden Konsuln den Eid auf die Republik, dass dieGötter ihn strafen mögen, sollte er wissentlich gegendie Republik handeln. Durch diese Zeichen und Gestender scheinbaren Gleichrangigkeit betonte er dieideologische Stellung des Senates als Mitte des Staatesund seine kaiserliche Position als primus inter pares,so dass Plinius den Kaiser begeistert als „einen vonuns“ (unum ille […] ex nobis[36]) bezeichnen konnte,der nicht über den Gesetzen stehe, sondern vielmehrsich ihnen unterordne (non est princeps supra leges,sed leges supra principem[37]).

-313-Trajan setzte nicht nur im Umgang mit dem Senat neueAkzente. Auch die Ideologisierung des Prinzipatsgeschah in bewusster Distanzierung von der als Tyranneiempfundenen Herrschaft Domitians. Gefeierte neueSchlagworte neben den alten Kardinaltugenden wieclementia (Milde), iustitia (Gerechtigkeit), pietas(Frömmigkeit), virtus (militärische Tüchtigkeit) warenLeitbegriffe wie moderatio (Mäßigung), comitas(Freundlichkeit), temperantia (Selbstbeherrschung),mansuetudo (Sanftmut), humanitas (Menschlichkeit), vorallem aber die civilitas als Qualität derBürgerlichkeit schlechthin. Bereits vor dem 1.September 100 hatten Senat und Volk von Rom Trajan denbisher und auch später einmaligen Ehrentitel OptimusPrinceps, bester und edelster Princeps, verliehen.[38]Seit dem Jahr 103 wurde der Name Optimus Princeps aufMünzen propagiert.[39]

Dakerkriege→ Hauptartikel: Dakerkriege

Erster Dakerkrieg

Schlachtenszene des Ersten Dakischen Krieges, Relief der Trajanssäule

Nach römischem Selbstverständnis durfte ein Kaiser nur„gerechte Kriege“ (bella iusta) führen. Offiziell gabdaher das Verhalten des Dakerkönigs Decebalus denAnlass zum Krieg gegen das Dakerreich. Ihm wurdevorgeworfen, gegen die Bestimmungen desFriedensvertrages von 89 verstoßen zu haben.[40] Dietieferen Gründe sind wohl in der Bedrohung derStabilität der Donaugrenze und der Sicherheit derrömischen Balkanhalbinsel gegenüber dem Machtgebildedes Dakerreiches zu sehen.[41]

-314-Aber auch Kriegsruhm zur Legitimation seiner Herrschaftspielte für Trajan eine wesentliche Rolle.[42] ImFrühjahr 101 eröffnete er den Krieg gegen die Daker.[43] Am 25. März 101 brach Trajan mit Einheiten derhauptstädtischen Garde auf. In der Schlacht von Tapaeentbrannte die einzige große Auseinandersetzung desErsten Dakerkrieges; sie brachte Trajan seinen erstenbedeutenden Sieg ein.[44]

Doch hatte der Dakerkönig keine vernichtende Niederlagehinnehmen müssen und befahl einem bedeutenden Teilseiner Reitertruppen, in die römische Provinz Moesiainferior (Niedermösien) einzufallen. Mit diesemEntlastungsangriff hoffte er wohl, die Unterstützung

der dortigen stammesverwandten Bevölkerung für sich zugewinnen.[45] Dies zwang Trajan und seine Truppen, sichzurückzuziehen und sich nach Niedermösien zu begeben.Auch die folgende Schlacht konnte Trajan für sichentscheiden. Daraufhin wandte er sich wieder Dacia(Dakien) zu und verstärkte die dortigen Truppen um eineweitere Legion. Es gelang ihm, das Feldzeichenzurückzugewinnen, das die Daker bei ihrem Sieg überCornelius Fuscus im Jahre 86 erbeutet hatten.[46]Mittlerweile war auch Decebalus’ Schwester von ManiusLaberius Maximus in Tilișca gefangen genommen worden.

Diese Ereignisse veranlassten Decebalus, Trajan umFrieden zu ersuchen. Trajan ließ sich darauf ein. DieBedingungen des Friedensvertrages[47] umfassten dieAblieferung der Waffen und Kriegsmaschinen der Dakersowie die Zurücksendung der römischenMilitäringenieure, die ihm Domitian im Rahmen desFriedens von 89 zur Verfügung gestellt hatte. Decebalusmusste seine Festungen schleifen lassen, sich aus allenbesetzten Gebieten zurückziehen und sich außenpolitischRom vollständig unterordnen. Noch 102 nahm Trajan denSiegerbeinamen Dacicus an, zog nach Rom und feierteeinen Triumph. Zwar hatte nun Rom größere Teile derspäteren Provinz Dacia bereits unter Kontrolle, dochwar die offizielle Vorverlegung der Reichsgrenzen unddie Errichtung einer Provinz wahrscheinlich noch nichtverkündet.[48]

-315-Zweiter Dakerkrieg

Nach dem Friedensschluss mit Trajan bemühte sich derDakerkönig um den Aufbau eines gegen Rom gerichtetenBündnisses mit seinen Nachbarn.[49] Er beschaffte sichferner Waffen und nahm erneut Überläufer auf, erneuerteseine Verteidigungsanlagen und ging mit Gewalt gegendie mit Rom verbündeten Jazygen vor. Die Erkenntnis,dass sich Decebalus weder durch harte Friedensverträgenoch durch militärische Überwachung dazu bringen ließ,sich Rom unterzuordnen, konnte nur die Zerschlagung desDakerreiches und die Einrichtung einer römischenProvinz zur Folge haben. Der Zweite Dakerkrieg wurdewiederum durch eine Kriegserklärung des Senatsausgelöst.[50]

Schlachtenszene zwischen Dakern und Römern, Kopie nach einem Reliefder Trajanssäule

Zu Beginn des Krieges standen 14 Legionen bereit, fastdie Hälfte der zu dieser Zeit im Römischen Reichaufgestellten Legionen. Decebalus’ Versuche, denFrieden auf diplomatischem Wege zu erneuern sowie diebenachbarten Völker zum Kriegseintritt zu bewegen,

scheiterten. Zahlreiche hochrangige dakischeGefolgsleute verließen ihn.

-316-Noch bevor der Kaiser auf dem Kriegsschauplatz eintraf,musste Decebalus einsehen, dass er den Krieg nichtgewinnen konnte. In seiner verzweifelten Lage schickteer einen Überläufer zu Trajan, der sich noch in Moesienaufhielt, um ihn ermorden zu lassen.[51] Doch auchdieses Vorhaben scheiterte.

Das Tropaeum Traiani, monumentales Siegesdenkmal bei Adamclisi in derDobrudscha

Daraufhin traf er sich mit dem General PompeiusLonginus zu Kapitulationsverhandlungen, nahm ihn jedochmit einigen seiner Begleiter gefangen. Er forderte fürLonginus’ Freilassung die Räumung aller römischbesetzten Gebiete bis zur Donau und Entschädigung fürsämtliche Kriegskosten. Die hohen Forderungen schlugTrajan zunächst weder ab noch akzeptierte er sie.Longinus selbst versuchte durch Selbstmord dieVerzögerung des römischen Vormarsches zu beenden.

Dennoch konnte die römische Kampagne erst im Frühjahr106 fortgeführt werden. Die römische Armee rückte insdakische Reichszentrum vor und besiegte diegegnerischen Verbände. Decebalus gelang zwar zunächstdie Flucht, doch wurde er von einem Verfolgertruppunter der Führung des Tiberius Claudius Maximuseingeholt und konnte sich nur durch Selbstmord derGefangennahme entziehen. Das abgeschlagene Haupt wurdeTrajan überbracht. Er ließ das Haupt als Zeichen fürden vollständigen Sieg Roms und zur Demütigung desFeindes auf der Gemonischen Treppe zur Schau stellen.

-317-Das Gebiet wurde 106 als Provinz Dacia einemStatthalter mit zwei Legionen unterstellt. 106/107wurde die römische Kolonie Colonia Ulpia TraianaAugusta Dacia Sarmizegetusa als Ersatz für die alteKönigsstadt gegründet. Die erhebliche Dezimierung derdakischen Bevölkerung glichen Siedler aus allen Teilendes Reichs aus, aber auch Veteranen wurden angesiedelt.Da alle Siedler Latein sprachen, wurde Dacia sprachlichso schnell romanisiert wie keine andere Provinz. InAdamclisi ließ der Kaiser mit dem Tropaeum Traiani einmonumentales Siegesdenkmal errichten, das als eines derbedeutendsten Staatsmonumente in den Provinzen gilt.[52]

Im Sommer 107 feierte Trajan einen zweiten Triumph überdie Daker. Die gewaltige römische Kriegsbeute soll sichauf 50.000 Kriegsgefangene, 500.000 Pfund (165.000 kg)Gold und 1.000.000 Pfund (331.000 kg) Silber belaufen.[53] Mit Hilfe des dakischen Goldes veranstalteteTrajan verschwenderische Spiele im Circus und imAmphitheater. Allein in den Jahren 108 und 109 kämpftenwährend der Veranstaltungen aus Anlass des ZweitenDakerkrieges 4.941 Gladiatorenpaare.[54] LuciusLicinius Sura, der in beiden Dakerkriegen einehervorragende Rolle gespielt hatte, wurde dieaußerordentliche Ehre eines dritten Konsulats zuteil.

Italienpolitik

Die sechs Jahre von 107 bis 113 zwischen denDakerkriegen und dem Partherkrieg waren die längsteZeit, die Trajan nicht in den Provinzen, sondern in Romverbrachte. Seine Politik war dabei durch Paternalismusund die besondere Förderung Italiens geprägt. BereitsNerva hatte Italien einen besonderen Rang eingeräumtund dies auch öffentlich durch Münzen kundgetan. Trajanführte diese Politik fort. Durch ein Edikt wurdenKandidaten für senatorische Ämter verpflichtet,mindestens ein Drittel ihres Besitzes in Land innerhalbItaliens anzulegen.[55] In Italien entfaltete Trajaneine rege Bautätigkeit. Ähnlich wie seine Vorgängerverbesserte auch er das Straßennetz. 112 stellte er dieVia Traiana von Benevent nach Brundisium fertig. Damitsollte die Via Appia entlastet werden, die mitBrundisium denselben Zielpunkt hatte. Außerdem wurdendie Reisemöglichkeiten in weiten Teilen Italiens durcheine bessere Erschließung des Ostens von Apulien undCalabria verbessert. Den Anfang der Via Traiana inBenevent markiert ein Ehrenbogen, dessen Bildprogrammdie Fürsorge des Kaisers für die Bevölkerung Italienshervorhebt.

-318-Nördlich von Ostia ließ er einen neuen Hafen bauen, denPortus Traiani, um die Lebensmittelversorgung Roms zusichern und die Anlandung von Massengütern wie Weizen,Baumaterial und Marmor vom Einfluss des Wetters wenigerabhängig zu machen.[56] Neubauten oder Erweiterungenvon Häfen gab es zudem in Ancona, Centumcellae undTerracina. Der herausragende Stellenwert Italiens impolitischen Denken und Handeln Trajans schlug sich auchin den Münzen nieder. Auf ihnen war die Devise Italiarest(ituta) („Wiederherstellung Italiens“) eingeprägt.Besondere Münzen mit der Aufschrift von Provinzen gabes unter Trajan nur, wenn diese in seinerRegierungszeit für das Reich neu erworben worden waren.

Andere Provinzen, die schon lange zum Imperiumgehörten, wurden auf Münzen nicht aufgeführt.

Kurz nach Beginn seiner Herrschaft begann Trajaneindrucksvolle Bauten zur Verschönerung Roms, zumNutzen der Bevölkerung und zu seinem eigenen Ruhmerrichten zu lassen. Hohe Aufmerksamkeit widmete erdabei der Sanierung der Infrastruktur in denitalienischen Städten. Das Wasserleitungssystem ließ erausbauen und renovieren. Die im Jahr 109fertiggestellte und fast 60 Kilometer langeWasserleitung Aqua Traiana führte aus der Gegend desLago di Bracciano im Norden Roms Wasser in denStadtteil rechts des Tiber. Mit der Aqua Traiana bandTrajan die sozial eher schlecht gestellten Wohnviertelder Regio Transtiberium an die Wasserversorgung an. Biszum Jahr 109 entstanden Thermen von bisher unbekanntenAusmaßen. Die in der Nähe der Vergnügungsbauten desKolosseums, des Ludus Magnus und der Titusthermenerrichteten Trajansthermen übertrafen die Größe derTitusthermen um das Vierfache.[57] Dabei wurde auch derGroßteil von Neros Goldenem Haus überbaut. DieRückführung des Geländes in den öffentlichen Nutzen warbeabsichtigt und verstärkte, im Gegensatz zum„schlechten“ Kaiser Nero, das Bild des optimusprinceps. Zur Einweihung der Trajansthermen im Jahr 112wurden 117 Tage lang Spiele veranstaltet, bei denen8.000 Gladidatoren und 10.000 Tiere kämpften.[58]Ähnlich wie Augustus ließ Trajan auch Naumachien,nachgestellte Seeschlachten, aufführen.

Der monumentalste Baukomplex war allerdings das ForumTraiani, das Trajan zwischen 107 und 113 durch denArchitekten Apollodor von Damaskus konstruieren ließ.Mit einer Länge von 300 und einer Breite von 185 Meternübertraf es alle bisherigen Kaiserforen in Rombeträchtlich. Anders als die Kaiserforen seinerVorgänger konnte keine die familiäre Herkunfterklärende Gottheit und auch kein Rächergott oder einepersönliche kaiserliche Schutzgottheit auf dem ForumTraiani den zentralen Platz beanspruchen.

-319-Vielmehr wurden Militär und Senat als Stützen derkaiserlichen Macht bedacht, und auch die Sorge für dasVolk erhielt ihren Ausdruck. Das eigentlicheSiegeszeichen war die auf dem Trajansforum errichteteTrajanssäule. Das fast 200 Meter lange Reliefbanddokumentierte in zwei großen Abschnitten mit zahllosenDetails und Einzelszenen die beiden Dakerkriege. DasTrajansforum war mit den sogenannten Trajansmärktenverknüpft, ein an das Forum angrenzendes, in sichgeschlossenes Geschäftsviertel, das seit seinerFreilegung in den 1930er-Jahren zu den bedeutendstenerhaltenen römischen Profanbauten gezählt wird.[59]

Trajanssäule auf dem Trajansforum in Rom

In Rom gewährte Trajan 5.000 Kindern Anteil ankostenloser Getreideverteilung.[60] Das umfassendste

Unternehmen zur Stärkung Italiens war jedoch dieAlimentarinstitution. Bereits unter Nerva hatte eserste Ansätze dazu gegeben, aber erst Trajan führte siein größerem Ausmaß fort.

-320-Diese Alimentarstiftung sicherte durch Zinsen undDarlehen, die Trajan Grundbesitzern gewährte,vermutlich hunderttausenden Jungen und Mädchenmonatliche Unterstützung.[61] Ziel war offensichtlicheine Erhöhung der Geburtenrate in Italien und eineStärkung der römischen Wehrkraft.[62] Zur StärkungItaliens wurden mit der legio II Traiana und der legioXXX Ulpia auch zwei neue Legionen aufgestellt. Aufeiner Bronzetafel für die Stadt Veleia, etwa 30 km vomheutigen Piacenza entfernt, sind entsprechendeRegelungen der sogenannten alimenta überliefert.Insgesamt erhielten dort aus der traianischen alimenta300 Kinder eine Zahlung, 264 Jungen je 16 Sesterzen proMonat und 36 Mädchen je 12. Bisher sind über 50 Orte inweiten Teilen Italiens für diese kaiserliche Maßnahmebezeugt.[63] Die Alimentarinstitution war weder Teileiner umfassenden Wirtschaftspolitik noch aktuellesKrisenmanagement. Vor allem handelte es sich nicht umein Programm zur Unterstützung der Armen Italiens,vielmehr sollte die von Trajan betriebene Unterstützungdas Bild eines fürsorgenden Princeps projizieren.[64]Die Alimentarstiftung hatte bis weit in das 3.Jahrhundert Bestand.[54]

Städtegründungen

Trajan war bemüht, den inneren Ausbau des Reichsvoranzutreiben. Der römische Staat stützte sich aufStädte als unterste Verwaltungseinheiten, die ihm dieHerrschaftsausübung erleichterten. Man überließ ihnenhinsichtlich der lokalen Selbstverwaltung besonders aufden Gebieten der Steuereinziehung, der niederenGerichtsbarkeit und der Rekrutierung Kompetenzen. Die

trajanischen Städtegründungen bzw. die Erhebungen zuhöheren Stadtrechtsformen haben ihre geographischenSchwerpunkte in den germanischen Provinzen (Germaniainferior und im Norden der Germania superior), in denProvinzen der mittleren und unteren Donau von Pannonia(Pannonien) bis Niedermösien und Thracia (Thrakien) undschließlich in der Provinz Africa Proconsularis.[65]

In Niedergermanien gründete Trajan in der Nähe desheutigen Xanten die Kolonie Ulpia Traiana. Ebenfallswurde die Hauptstadt der Bataver, Ulpia NoviomagusBatavorum (Nijmegen), neu gegründet und organisiert.Damit konnte Trajan sich die Gefolgschaftniedergermanischer Stämme sichern, die ihm fortanwieder als kaiserliche Kavallerieeinheit dienten. Inder Germania superior erfolgte nach der Verlegung vonTruppen an den Limes eine zivile Strukturierung derProvinz.

-322-Es entstanden im Rhein-Main-Neckar-Gebiet die CivitasMattiacorum mit dem Hauptort Aquae Mattiacorum(Wiesbaden), die Civitas Ulpia Sueborum Nicrensium(Hauptort Lopodunum/Ladenburg) und die CivitasTaunensium mit dem Hauptort Nida (Frankfurt-Heddernheim). In Pannonien wurde nach der Verlegung derLegio XIII Gemina, die an einem der beiden Dakerkriegeteilgenommen hatte und in der neugeschaffenen Provinzverblieb, die Colonia Ulpia Traiana Poetovio gegründet.In Thrakien beabsichtigte Trajan die Verwaltung desLandes weitgehend den neugeschaffenen Städten zuübertragen. Sechs Städte haben ihren Ursprung bzw.erfuhren eine Veränderung ihrer Rechtsform intrajanischer Zeit. Traianopolis (östlich des heutigenAlexandroupolis), Augusta Traiana (Stara Zagora),Plotinopolis (bei Didymoteichon) und Marcianopolis(Dewnja). Den Städten Pautalia (Kjustendil), Serdica(Sofia) und Topeiros (bei Xanthi) und evtl. Bizye(Viza) wurde von Trajan das Stadtrecht verliehen.

In Nordafrika wurden Lepcis Magna, Hadrumetum undeventuell Leptis Minus als wirtschaftlich blühende undweitgehend romanisierte Städte zu Titularkolonienerhoben. In Numidien wurde der Statthalter LuciusMunatius Gallus angewiesen, die Stadt Thamugadi alsColonia Marciana Traiana durch die Ansiedlung vonVeteranen der Legio XXX Ulpia Victrix zu gründen. DieStadt entwickelte sich zu einer der bedeutendstenStädte Nordafrikas.

Trajan und Plinius

Am 1. September 100 hielt Plinius der Jüngere beiseinem Antritt als Suffektkonsul den Panegyricus, eineLobrede auf die nach der Schreckensherrschaft Domitiansdurch Nerva und Trajan eingeleitete Ära. Pliniusschrieb Trajan zahlreiche Taten und Tugenden zu undgrenzte ihn von den schlechten Principes, insbesonderevon Domitian, ab. Zwischen den Jahren 109 und 113verwaltete Plinius für eineinhalb Jahre die ProvinzPontus et Bithynia in Nordwestkleinasien.Wahrscheinlich aus militärischen Gesichtspunkten wurdePlinius direkt im Auftrag des Kaisers als legatusAugusti pro praetore dort tätig, denn Trajan bereiteteden Partherkrieg vor, und Nordwestkleinasien warDurchmarschgebiet von der nördlichen bis zur östlichenReichsgrenze. Während dieser Zeit entwickelte er einerege Korrespondenz mit Trajan. Dieses Corpus umfasst107 Briefe und ist als zehntes und letztes Buch einerSammlung von Kunstbriefen des Plinius überliefertworden. Die Korrespondenz ist somit eine einzigartigeQuelle über die römische Provinzialverwaltung und dasLeben in einer griechischsprachigen Provinz imRömischen Reich.

-323-Der Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan über denamtlichen Umgang mit Christen stellt das wichtigste,weil einzig erhaltene Zeugnis über den Verfahrensablaufvon Christenprozessen dar, das nicht von christlichen

Autoren vermittelt ist und dazu amtlichen Charakterbesitzt.[66] Plinius beginnt seine Anfrage,[67] indemer seine Unsicherheit und sein Nichtwissen besondershervorhebt. Er stellt fest, dass er vor seinerStatthalterschaft niemals an Christenprozessenmitgewirkt habe, und begründet damit, dass er nichtwisse, was und wie weit üblicherweise bestraft werde.Trajan solle ihn nun in seiner Unwissenheit lenken. Sobittet Plinius den Princeps, ihn darüber zu belehren,was der eigentliche Strafgrund sei (quid puniri soleat)– das Christsein als solches (nomen Christianum) oderdie Verbrechen, die damit verbunden seien (flagitiacohaerentia nomini). Plinius’ Brief gilt auch derFrage, wie weit Verbrechen vor Gericht untersucht undnachgewiesen werden müssten (quatenus quaeri soleat).In seiner Antwort[68] billigte Trajan einedifferenzierte Vorgehensweise. Trajan bestätigte dasbisherige Verfahren, Christen allein aufgrund ihresBekenntnisses hinzurichten. Wer aber aussagte, keinChrist zu sein, und das durch ein Opfer für die Götterbezeugte, sollte Verzeihung erhalten. Doch sollte nichtnach Christen gefahndet werden (conquirendi non sunt).Ausdrücklich tadelte der Princeps seinen Statthalterdafür, anonyme Anzeigen entgegengenommen zu haben, denndas sei ein schlechtes Beispiel und „unserem Zeitalternicht angemessen“ (nec nostri saeculi est).

Dynastische Politik

Trajan war bereits vor seiner Adoption seit etwa 75/76mit Pompeia Plotina verheiratet. Sie erhielt spätestensum das Jahr 105 den Titel Augusta. Die Ehe der beidenwar jedoch ohne Nachkommen geblieben, die für einereibungslose Fortsetzung der Herrschaft hätten sorgenkönnen. Doch dachte Trajan nicht daran, sich wegen derKinderlosigkeit von Plotina scheiden zu lassen, dennPlotina war reich, gebildet und hatte nicht nur inihrer Heimatprovinz Gallia Narbonensis weitverzweigteFamilien- und Freundschaftsverbindungen. DieKinderlosigkeit war jedoch kein entschiedener Nachteil,

denn nach der Ideologie vom Besten, der im Idealfallaus allen zum Wohl aller auszuwählen war, hätte einleiblicher Sohn der Wahl des Besten im Wege gestanden.[69] Trajan ließ seine Schwester Ulpia Marciana nachihrem Tod am 29. August 112 noch vor ihrer Bestattungdurch Senatsbeschluss zur Diva erheben.

-324-Zur selben Zeit wurde Marcianas Tochter Matidia zurAugusta. Wohl zwischen Mai 113 und August 114 wurdeauch Trajans gleichnamiger Vater zum Gott erklärt.[70]Die trajanische Familie hatte sich somit eine breiteLegitimierung auch durch göttliche Abkunft geschaffen.Trajan wurde so zum Sohn von zwei vergöttlichtenVätern. Mit Ausnahme von Philippus Arabs ist diegöttliche Erhöhung des Vaters, der nicht selbst Kaiserwar, singulär in der Geschichte des römischenKaisertums.[71]

Marcianas Tochter Matidia und deren Töchter Sabina undMatidia die Jüngere spielten eine bedeutende Rolle inTrajans dynastischer Politik. Sabina heiratete im Jahr100 Trajans späteren Nachfolger Hadrian. Hadrian wurdedamit der nächste männliche Verwandte und somitAnwärter auf die künftige Nachfolge. Bereits seitseinem zehnten Lebensjahr wurde Hadrian unter dieVormundschaft seiner Landsleute Trajan und AciliusAttianus gestellt. Doch wurde er erst kurz vor TrajansTod adoptiert.

Partherkrieg

Ein Streit um die Einsetzung des armenischen Königsführte jahrzehntelang zu schweren Spannungen zwischenRom und Parthien. Großarmenien galt zwar alsKlientelreich Roms, doch beanspruchten auch die Partherhierüber die Vorherrschaft. Bereits in dieRegierungszeit des Augustus fielen bewaffnete

Auseinandersetzungen zwischen Römern und Parthern überdie Vorherrschaft in Armenien. Das Ergebnis des letztenKrieges im Jahre 66 war, dass der armenische König dieKrone weiterhin vom römischen Kaiser zu empfangen habe.Der Partherkönig Chosroes versuchte nun Einfluss überArmenien zu gewinnen. Er vertrieb den bisherigen vonRom eingesetzten armenischen König und ersetzte ihnohne Trajans Einwilligung durch Parthamsiris. Damit boter der römischen Seite einen Anlass oder – wie derGeschichtsschreiber Cassius Dio meint – einen Vorwandzum Krieg. Cassius Dio behauptet, das wahre Motiv sei TrajansRuhmsucht gewesen.[72] Er betont die Absicht desKaisers, den Eroberungszug Alexanders des Großennachzuahmen (sogenannte Alexander-Imitatio),[73] undden Fehlschlag dieses Vorhabens. Diese kritischeEinschätzung der Kriegspolitik Trajans spiegeltmöglicherweise eine am Hof von dessen NachfolgerHadrian propagierte Position wider, die derRechtfertigung von Hadrians umstrittener Abkehr vonTrajans Orientpolitik dienen sollte.[74]

-325-

Panzerstatue Trajans. Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen

Ob Trajan schon vor dem Ausbruch der armenischen Kriseeinen Angriff plante und systematisch vorbereitete, istunklar. Einzelne Anzeichen sprechen dafür; so zeigenMünzen, die 111 im Umlauf kamen, dass die EroberungDakiens nicht das Ende der römischenExpansionsbestrebungen war. Obwohl ein überzeugenderBeweis für die Annahme eines von Trajan langfristiggeplanten Angriffskriegs fehlt, wird diese Hypothesevon zahlreichen Historikern für plausibel gehalten. AlsKriegsgründe kommen wirtschaftliche Motive (Kontrolleder Handelswege durch Mesopotamien) und militärischeÜberlegungen (Erreichung einer besseren Grenzsicherungim Osten) in Betracht.[75]

Trajan brach im Herbst 113 in Richtung Osten auf underreichte Anfang 114 Antiochia in Syrien. Über den nuneinsetzenden Krieg sind die wenigen Fragmente aus derParthergeschichte Arrians sowie die Zusammenfassungenund Ausführungen aus dem Geschichtswerk des Cassius Diodie einzigen heute noch verfügbaren Quellen. Die

einzelnen Ereignisse sind deshalb oft ungewiss; Münzenund Inschriften werden ergänzend zur Rekonstruktion desAblaufs herangezogen.[76]

-326-In Elegia kam es zum Treffen zwischen Parthamsiris undTrajan. Parthamsiris forderte von Trajan, ihn zum KönigArmeniens zu krönen. Doch Trajan war weiterhin nichtbereit, einen ihm nicht genehmen König auf demarmenischen Thron zu belassen. Bei dieser Gelegenheitsoll Trajan verkündet haben, dass er Armenien zurProvinz machen und einen römischen Statthaltereinsetzen werde.[77] Kurz nach seiner Abreise wurde derarmenische König unter ungeklärten Umständenumgebracht. Die folgenden Monate verbrachte Trajandamit, die neue Provinz militärisch zu sichern. GegenEnde des Jahres 114 scheint ganz Armenien unterrömischer Kontrolle gewesen zu sein. Für dieEingliederung Armeniens wurden Trajan auf Beschluss desSenats zahlreiche Ehrungen zuteil, vor allem wurde ihmoffiziell der Titel Optimus verliehen.[78]

Trajan zog indessen weiter nach Süden, verließ Armenienund eroberte die Städte Nisibis und Batnae. Gegen Endedes Jahres wurde außerdem Mesopotamien zur römischenProvinz erklärt. Trajan scheint in dieser Zeitzahlreiche Schlachten geschlagen zu haben, denn erwurde viermal zum Imperator ausgerufen. Den Winter115/116 verbrachte er in Antiochia, wo ein schweresErdbeben ihn fast das Leben kostete. Die inneren Wirrenin Parthien hinderten Chosroes wohl an jedemkonzentrierten Widerstand. Im Januar 116 nahmen dierömischen Truppen ohne Gegenwehr die Hauptstadt derParther, Ktesiphon, ein. Zwar war Chosroes geflohen,doch konnte Trajan eine Tochter von ihm und denparthischen Thron in seine Gewalt bekommen und diesennach Rom schicken. Am 20. Februar 116 kam derSiegername Parthicus zu Germanicus und Dacicus hinzu.Trajan sollte außerdem Triumphe in beliebiger Zahl

feiern dürfen. Die Münzprägung begann die NiederwerfungParthiens (Parthia capta) und die UnterwerfungArmeniens und Mesopotamiens unter die römischeHerrschaft zu verkünden.[79] Doch Trajan drängteweiter. Er fuhr flussabwärts bis zum Persischen Golf.Auf seiner Rückreise erreichte er Babylon, wo er dasSterbehaus Alexanders des Großen besuchte.

-327-Grenzen der antiken Weltmacht

Das Reich zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung unter Trajan

Im Jahr 116 stand Trajan am Persischen Golf. Keinrömischer Kaiser war je so weit nach Osten vorgedrungenund keiner seit Augustus hatte dem Reich so viel neuesGebiet hinzugefügt. Bereits im Jahr 106 hatte derStatthalter der Provinz Syria, Aulus Cornelius Palma

Frontonianus, das Nabatäerreich erobert. Dieses Gebietwurde anschließend als neue Provinz Arabia Petraeaeingerichtet. In den folgenden Jahren wurden Armenien(114) und Mesopotamien (116) neue Provinzen desrömischen Reiches. Eine weitere neue Provinz, Assyria,die Trajan ebenfalls geschaffen haben soll, ist erst inspätantiken Quellen bezeugt; daher ist ihreLokalisierung und mutmaßliche Ausdehnung in derForschung stark umstritten oder es wird ihre Existenzüberhaupt bezweifelt.[80]

Mit seiner Expansionspolitik missachtete Trajan den Ratdes Augustus, das Reich in seinen gegenwärtigen Grenzenzu belassen (consilium coercendi intra terminosimperii).[81] Der Grund für diesen Rat war offenbar dieVorhersage finanzieller Verluste für das Reich im Falleweiterer Eroberungen.[82]

-328-Als Trajan sich noch im Euphratgebiet befand, brach einausgedehnter Aufstand der Juden in Mesopotamien,Syrien, Zypern, Iudaea, Ägypten und in der Cyrenaicaaus. Die Zusammenhänge und die Ziele der Erhebungensind weitgehend unklar. Inzwischen war auch einrömisches Heer unter Führung des Konsulars AppiusMaximus Santra geschlagen worden, was zur Vernichtungzahlreicher römischer Besatzungen führte.Südmesopotamien musste daraufhin geräumt werden. DieParther konnten in kurzer Zeit weite Gebietezurückerobern, doch gelang es den Römern, denparthischen Heerführer Parthamaspates, einen Sohn desPartherkönigs, zum Frontwechsel zu bewegen. ZurBelohnung krönte Trajan Parthamaspates im Jahr 116 inKtesiphon zum Partherkönig, womit er seinen Plan einervollen Eingliederung Mesopotamiens in das römischeProvinzialsystem zumindest zeitweilig aufgab. Den von

den Römern eingesetzten Herrscher akzeptierten dieParther jedoch nicht; er konnte sich militärisch nichtdurchsetzen. Bis zum Tod Trajans im August 117 kam eszu keiner größeren römischen Gegenoffensive mehr.[83]Alle verfügbaren Truppen mussten zur Bekämpfung derjüdischen Aufstände eingesetzt werden. Es trafen nunNachrichten über Aufstände in allen neu erobertenGebieten ein. In Armenien musste Trajan Gebieteabtreten, um sich vorübergehend Ruhe zu verschaffen.Aus Dakien wurden ebenfalls größere Kämpfe gemeldet.Daraufhin entsandte Trajan auch dorthin Truppen. InNordmesopotamien wurde Lusius Quietus mit derNiederschlagung des Aufstandes betraut, wobei erbeträchtliche Erfolge erzielte. Da die römischenTruppen auf allen Schauplätzen ihre Aufgaben zumeistern schienen, konnte Trajan seine Kriegszieleweiter verfolgen. Er zog nordwärts und belagerte diestark befestigte Stadt Hatra, deren Bevölkerung denPartherkönigen besonders ergeben war. Trotz großerAnstrengungen scheiterte die Belagerung jedoch wegender widrigen Bedingungen in der Wüste. Hinzu kamen diefast unlösbaren Probleme der Versorgung und desNachschubs. Trajan musste abziehen. SeinGesundheitszustand verschlechterte sich, so dass ersich entschloss, nach Rom zurückzukehren. Daher kam eingeplanter weiterer Feldzug nach Mesopotamien nicht mehrzustande. In dieser Situation übergab Trajan dieFührung im Osten an Hadrian, indem er ihn zu seinemStatthalter in Syrien machte, wo die Truppen für denPartherkrieg stationiert waren.

-329-Tod und Nachfolge

Trajans Nachfolger Hadrian, Marmorbüste (RömischesNationalmuseum/Palazzo Massimo alle Terme, Rom)

Nach schwerer Krankheit starb Kaiser Trajan am 8.August 117 auf der Rückreise nach Rom in Selinus. Nochauf dem Totenbett soll er seinen Neffen Hadrianadoptiert haben.[84] Die undurchsichtigen Umständedieser behaupteten Designation des Nachfolgers führtenzu zahlreichen Spekulationen, in denen sich auch einestarke Opposition gegen diese Nachfolgeregelungäußerte. Cassius Dio behauptete, Hadrian sei nichtadoptiert worden, vielmehr habe Trajans Frau Plotina,die Hadrian seit langem förderte, zusammen mit demGardepräfekten Attianus die Adoption vorgetäuscht.[85]In der Forschung ist umstritten, ob die Adoptiontatsächlich stattgefunden hat.[86] Hadrian erhielt dieTodesnachricht am 9. August in Syrien. Zwei Tage späterwurde er von den Truppen in Syrien als Kaiserakklamiert; daher feierte er fortan den 11. August (undnicht den Tag der späteren Bestätigung durch den Senat)als seinen dies imperii (Tag des Regierungsantritts).

Trajans Leichnam wurde auf Hadrians Weisung nachPierien gebracht und dort verbrannt. Anschließend wurdeseine Asche in Rom im Sockel der Trajanssäule

beigesetzt. Die Bestattung des Kaisers innerhalb dergeheiligten Stadtgrenze (Pomerium) war ungewöhnlich.Trajan war bis in die Spätantike der einzige Kaiser,der innerhalb der Stadtgrenze beigesetzt wurde.[87]

-330-In republikanischer Zeit war diese Ehrung neben denVestalinnen nur herausragenden Triumphatorenzugestanden worden. Die Quellen trajanischer Zeitüberliefern keinen Hinweis auf den Plan einerBeisetzung, spätere Quellen heben die Besonderheitdieses Aktes hervor. Zudem ließ Hadrian für seinenVorgänger einen Triumphzug durchführen. Der Senatbeschloss Trajans Konsekration; er wurde zum Staatsgotterhoben. Sein offizieller Name lautete nun: divusTraianus Parthicus. Er war damit der letzte Kaiser, dembei der Divinisierung ein Siegertitel beigegeben wurde.

Beim Tod Trajans war Großarmenien, bis auf jenen Teil,den der Kaiser noch im Jahre 116 abgeben musste, wiederin römischer Hand. Lusius Quietus hatte in Mesopotamiendie wichtigsten Stellungen bereits zurückerobert, sodass nur noch an einigen Orten Widerstand zu beseitigengewesen wäre. Hingegen konnte sich in den südlichenTeilen des parthischen Mesopotamien der von Trajaneingesetzte König Parthamaspates ohne römischeUnterstützung nicht halten. Die letzten Erhebungen derJuden im Osten, in Ägypten und in Mesopotamien wurdenvon Hadrian niedergeschlagen. In Dakien und an dermittleren Donau, in Britannien und in Mauretanienbrachen Aufstände aus.

Zu Beginn seiner Regierung verzichtete Hadrian auf dieFortsetzung von Trajans Eroberungspolitik und gab alleGebiete auf, die sein Vorgänger jenseits des Euphratund Tigris erobert hatte. Stattdessen bemühte er sichum die Sicherung des Erreichten und propagierte die PaxRomana in einem Gebiet zwischen Britannien und Syrien,dem Balkanraum und Nordafrika. Mit den Parthern schlosser Frieden, und die Ostgrenze des Reiches wurde wiederauf den Stand des Jahres 113 zurückverlegt. In der

Forschung umstritten ist die Frage, ob dies einradikaler Kurswechsel war oder ob schon Trajan inseinem letzten Lebensjahr einen Kompromissfrieden mitden Parthern angestrebt hatte, bei dem er nur einenTeil seiner Eroberungen behalten hätte.[88]

Die endgültige Aufgabe der neuen östlichen Provinzenstieß auf die Kritik vieler Zeitgenossen, und aus demKreis der führenden Militärs drohte dem neuen Kaisersogar ein Umsturzversuch.[89] Angeblich verschworensich die vier ehemaligen Konsuln Avidius Nigrinus,Cornelius Palma, Publilius Celsus und Lusius Quietus.Alle vier wurden hingerichtet, was das VerhältnisHadrians zum Senat zeitlebens belastete.

-331-Die von Trajan eingerichtete Provinz Dacia mussteschließlich von Kaiser Aurelian im Jahr 271 aufgegeben,das Militär zurückgezogen sowie die römischeBevölkerung evakuiert und am südlichen Donauuferangesiedelt werden.

Unter Hadrian setzte eine Abkehr von Trajans Politikder Stärkung Italiens ein. Anders als sein Vorgängerrückte er die Provinzen in den Vordergrund und stärktederen Selbstbewusstsein. Durch eine ausgedehnteReisetätigkeit verschaffte er sich breiteste Kenntnisüber die lokalen und überregionalen Probleme desReiches. Die Provinzen erscheinen nun auf den Münzenals selbstständige Einheiten und werden gegenüberItalien aufgewertet.

Wirkung

Der „beste Kaiser“

Stehen als historische Darstellungen für die mehr als100 Jahre zwischen Augustus und den Flaviern Suetons

Kaiserbiographien sowie Tacitus’ Annalen und Historienzur Verfügung, die noch durch Werke anderer Generaergänzt werden, wie die Erdbeschreibung Strabons unddie Naturgeschichte des älteren Plinius, so berichtetüber die Regierungszeit Trajans fast ausschließlich dasGeschichtswerk des Senators Cassius Dio aus dem 3.Jahrhundert.[90] Aber auch dessen Darstellung überdiesen Zeitraum ist nur in Auszügen aus byzantinischerZeit erhalten. Knappe Informationen finden sich auch inden Breviarien des 4. Jahrhunderts, während etwa dieKaiserbiographien des Marius Maximus, in denen Trajanbehandelt wurde, verloren gegangen sind. Die dürftigeliterarische Überlieferung wird jedoch durch zahlreichearchäologische, epigraphische und numismatischeZeugnisse ergänzt.

Die antiken Historiker übernahmen bei Konfliktenzwischen dem Senat und dem Princeps oftmals diePosition des Senats, da viele Autoren, die sichhistoriographisch äußerten, dem Senatorenstandangehörten oder zumindest von Mitgliedern des Senatsbei ihrer Schriftstellerei beeinflusst wurden. Das guteVerhältnis, das Trajan zum Senat pflegte, prägte daherauch das Urteil der antiken (und dabei besonders dersenatorischen) Geschichtsschreibung.

-332-Das Bild Trajans als Herrscher und Persönlichkeit wurdebis in die Gegenwart entscheidend durch die gratiarumactio geprägt, die Dankesrede des jüngeren Plinius, diedieser anlässlich des Antrittes zu seinemSuffektkonsulat am 1. September 100 vor dem vollständigversammelten Senat und dem ebenfalls anwesenden Trajangehalten hat. Sie stellt Trajan als exemplum desidealen Herrschers dar. Das extrem günstige Urteilerwuchs dabei vor allem aus der scharfen Abgrenzung zu

Domitian. Sueton prophezeite nach Domitians Tod einglücklicheres Zeitalter.[91] Nach Tacitus begann mitdem Herrschaftsantritt Trajans ein beatissimum saeculum(„äußerst glückliches Zeitalter“).[92]

Die Herrschaftsideologie Trajans als des besten,gerechten und zugleich erfolgreichen und kriegerischenHerrschers war so eindringlich, dass sein Bild auchnicht durch das letztlich erfolglose Ende desPartherkrieges verdüstert wurde. Die nachfolgendenKaiser sollten noch jahrzehntelang keine eigenen Söhnehaben und waren damit gezwungen, den im Staatevermeintlich Besten als Thronfolger zu adoptieren. Zudiesem Zweck mussten sie sich auf eine ungebrocheneReihe von als gut angesehenen Vorgängern berufen, diemit Trajan und seinem Adoptivvater Nerva begonnenhatte. Dies führte dazu, dass jeder Herrscher bei allseiner Unzulänglichkeit in positiver Erinnerunggehalten werden musste.

Seit 114 galt Trajan als optimus („der Beste“)schlechthin. Kein Herrscher seit Augustus entsprach demIdealbild, das nach republikanischen Vorstellungen vonrömischen Senatoren, aber auch von griechischenIntellektuellen entworfen wurde, so sehr wie Trajan.Dieses Idealbild setzte sich wesentlich aus denTugenden (virtutes) Milde (clementia), Gerechtigkeit(iustitia) und pflichtgemäßem Verhalten gegenüberGöttern und Menschen (pietas) zusammen. Das Urteil überTrajans Grenz- und Außenpolitik war dadurch bestimmt,dass kein römischer Kaiser vor ihm so weit in den Ostenvorgedrungen war und keiner seit Augustus dem Reich soviel neues Gebiet hinzuerobert hatte. Wie die großenFeldherren der Römischen Republik habe er nachalthergebrachtem römischen Ideal seine militärischeTüchtigkeit (virtus) bewusst zur militärischenExpansion eingesetzt.

Nur vereinzelt ist Kritik an Trajan überliefert.Fronto, der Lucius Verus in seinem Werk Principia

historiae als Eroberer im Osten inszenierte, setztezugleich Trajan herab.

-333-Er warf ihm vor, Soldaten für seine persönlichen Zielegeopfert, mit einem problematischen Klientelkönigverhandelt zu haben, den er später, statt Milde waltenzu lassen, getötet habe, und zwei Kommandeure imPartherkrieg nicht gerettet zu haben. Zudem stellte erTrajans Trunksucht heraus. Allerdings wurden dieerhaltenen Reste der Schriften Frontos erst im 19.Jahrhundert entdeckt und hatten keinen Einfluss auf daspositive Trajan-Bild.[93]

In der Spätantike galt Trajans Herrschaft als die besteder römischen Kaiserzeit. Der Zuruf von Senatoren aneinen neuen Princeps „Mögest du glücklicher sein alsAugustus und besser als Trajan“ (felicior Augusto,melior Traiano)[94] wurde zum geflügelten Wort.Konstantin der Große suchte Trajan vor allem inÄußerlichkeiten nachzuahmen, wie durch die bartloseDarstellung seines Porträts, durch die Münzlegendeoptimo principi oder durch den an Trajan orientiertenEinzug in die Ewige Stadt. Obwohl sein Sohn ConstantiusII. bei seinem Besuch in Rom wegen christlicherVorbehalte das übrige heidnische Stadtbild demonstrativkeines Blickes würdigte, lobte er das Trajansforum als„einzigartiges Bauwerk unter dem Himmel“ und entschiedsich, die Stadt unversehrt zu lassen.[95] Theodosius I.täuschte über seine spanische Herkunft für sich undsein Haus eine verwandtschaftliche Verbindung zu Trajanvor. Trajan galt in der Spätantike als ein Herrscher,der zu seiner Zeit die Rolle des Kaisers vorbildlichausgefüllt hatte. Er hatte als propagator finium(„Erweiterer der Grenzen“) das Reich gemehrt, alsprinceps die Freiheit von Senat und römischem Volkgewährleistet und auf diese Weise nach der

Schreckensherrschaft Domitians innenpolitischesecuritas herbeigeführt.[96]

Keiner der römischen Kaiser vor Konstantin dem Großenwird in der christlichen Tradition so geschätzt wieTrajan, obwohl er Prozesse gegen Christen wegen ihresGlaubens befürwortet hatte.[97] Orosius nahm den Kaisersogar vor dem Vorwurf, ein Christenverfolger zu sein,in Schutz und stellte ihn als Opfer falscher Berichtedar.[98] Im Frühmittelalter entstand die Trajanlegendevom gerechten Herrscher. Obgleich er auf einem Feldzugwar, habe er einer Witwe beigestanden, die ihnangesichts der Ermordung ihres Sohnes um Hilfe bat. Aufsolche Berichte hin soll Papst Gregor I. von dem Kaiserso beeindruckt gewesen sein, dass er für das Seelenheildes Heiden gebetet habe, bis dieser aus der Höllebefreit wurde. Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr dieLegende einige Variationen.

-334-So habe der erfundene Sohn des Trajan selbst den Toddes Sohnes der Witwe verschuldet. Als Sühne für denVerlust sei dieser hierauf vom Kaiser der Witwe alsEntschädigung übergeben worden. Auch schwankt dieÜberlieferung darüber, was den Papst zur Fürbitteveranlasst habe. So sei ein Schädel Trajans mitunversehrter Zunge aufgefunden worden, der den Wunschdes Kaisers, erlöst zu werden, dem herbeieilenden Papstmitteilte. Einer anderen Tradition zufolge sei derPapst durch die Gerechtigkeit des Kaisers zur Fürbitteauf dem Trajansforum veranlasst worden.

Die Trajanlegende erfuhr ihre weiteste Verbreitung imSpätmittelalter. Die Aufnahme eines Heiden, derangeblich Christen verfolgt habe, in den Himmel hattezahlreiche kritische und skeptische Stimmenhervorgerufen. Am Ende aller Disputationen stand dieErkenntnis, dass es sich bei der Aufnahme Trajans nurum eine äußerst seltene Ausnahme von der Regelgehandelt haben konnte. Auf die Trajanlegende weist

auch Dante in der Divina Comedia hin. Für ihn zeigtedie Trajanlegende, dass die Errettung vor derVerdammnis auch für Menschen möglich war, die nichtexplizit mit der Kirche verbunden waren.[99]

Auf die Gerechtigkeit Trajans nahmen auch die KünstlerHans Sebald Beham (1537), Noël-Nicolas Coypel (1699),Noël Hallé (1765) und Eugène Delacroix (1840) Bezug.Noch bei der Ausgestaltung der Eingangshalle desSupreme Courts in Washington in den 1930er-Jahren solldie Darstellung Trajans als Verkörperung derGerechtigkeit gewählt worden sein.[100]

Trajan in der Forschung

Bedeutende Arbeiten übernahmen die Beurteilung Trajansals idealen Herrscher. Edward Gibbon ließ sich vomAnblick der Ruinen des antiken Rom dazu inspirieren, inseinem Hauptwerk The History of the Decline and Fall ofthe Roman Empire (1776) die Geschichte des Untergangsdes römischen Reiches zu schreiben, für den er dasChristentum als Hauptursache ausmachte. Noch unter demEindruck der Aufklärung stehend, galten ihm dieRegierungszeiten der Adoptivkaiser, jener Five GoodEmperors, unter denen Trajan eine herausragendeStellung einnahm, als die vorbildlichsten derMenschheitsgeschichte bis zu seinem Tag:

-335-„Wenn ein Mensch dazu aufgerufen wäre, sich auf einenAbschnitt in der Weltgeschichte festzulegen, in dessenVerlauf die Lage des Menschengeschlechts dieglücklichste und fortschrittlichste war, so würde er,ohne zu zögern, jenen benennen, welcher vom Tod desDomitian bis zum Amtsantritt des Commodus reichte. Die

gewaltige Ausdehnung des römischen Reiches wurde durchabsolute Macht regiert, unter der Führung vonRechtschaffenheit und Weisheit. Die Heere wurden inSchranken gehalten durch die feste, aber milde Handvier aufeinander folgender Kaiser, derenPersönlichkeiten und Autorität unwillkürliche Achtunggeboten. Die Systeme der Staatsverwaltung wurdenbehutsam aufrechterhalten durch Nerva, Trajan, Hadrianund die Antonine, die sich an der Idee der Freiheiterfreuten und zufrieden waren, sich selbst als dieverantwortlichen Verwalter der Gesetze zu betrachten.“– Edward Gibbon: The history of the Decline and Fall ofthe Roman Empire (1776), Chapter III: The ConstitutionIn The Age Of The Antonines. Part II.

Das positive Bild Trajans war für Gibbon bestimmend fürdie günstige Einschätzung des zweiten Jahrhunderts alseiner glücklichen Zeit. Gibbons Werk übte auf dasmoderne Geschichtsbild der römischen Kaiserzeiterheblichen Einfluss aus.[101] Ein scharfes Urteilfällte hingegen 1883 Theodor Mommsen. Demnach hatTrajan bewusst den Krieg mit den Parthern gesucht undbeabsichtigt, „in maßloser, grenzenloser Eroberungslustnicht nur das Euphrat-, sondern auch das Tigrisgebietin seine Gewalt zu bringen“.[102] Doch blieb bis in die1950er Jahre das Urteil über Trajan durchweg positiv,was der Kaiser insbesondere dem Vergleich mit Domitianverdankt. In dem umfassenden Werk Roberto Paribenis von1927 wird Trajan zur einzigartigen Figur unter denrömischen Principes, seine Regierung zum Höhepunkt desReichs auf allen Gebieten, das saeculum Traiani zumglücklichsten Roms. Paribenis Arbeit, die das Bild desoptimus princeps übernommen und verfestigt hatte,prägte die weitere Forschung für Jahrzehnte. So priesAlfred Heuß in seiner Römischen Geschichte Trajan als„eine der großen Herrschergestalten“ und als „dieideale Verkörperung des humanen Kaiserbegriffs“.[103]Noch in dem rund 50 Jahre später erschienenen Werk vonEugen Cizek ist Paribenis Einfluss spürbar. Cizekstellt Trajan unter den römischen Principes als

einzigartig dar, die Zeit Trajans sei die glücklichsteRoms gewesen.[104]

-336-In den 1960er Jahren setzte, ausgehend von einerRevision des Domitianbildes, durch Beiträge von K. H.Waters über die Kaiser Domitian und Trajan eineGegenströmung ein. In der modernen Forschung wurdenseit Paribenis zweibändiger Monografie vergleichsweisewenige monographische Untersuchungen zu Trajangeschrieben. Doch fanden in diversen Monografienbesondere Schwerpunkte oder Thematiken diesesKaiserlebens Berücksichtigung, wie die nicht-literarischen Dokumente von Mary Smallwood (1966), dieFrauen an Trajans Hof von Hildegard Temporini-GräfinVitzthum (1978) oder die Dakerkriege von Karl Strobel(1984).

In jüngerer Zeit versuchte Martin Fell anhand despanegyrischen Materials und der wenigen Angaben aushistorischen Werken nachzuweisen, dass sich für Trajanein wirkliches Regierungsprogramm herausarbeiten lässt.Die Studie stellte das von Plinius propagierte Idealeines Princeps heraus, um danach die Übereinstimmungdieses Anspruchs mit der Wirklichkeit zu prüfen. Fellstellte fest, dass Trajan in der Tat der optimusprinceps gewesen sei.[105] Auch Julian Bennett (1997)gelangte zu einem insgesamt sehr positiven Urteil überdie Herrschaft Trajans sowohl nach innen – Senat, Volkvon Rom und Italien – wie auch nach außen – Provinzenund Grenzsicherung. Gunnar Seelentag (2004) untersuchtein seiner Studie die Herrschaftsdarstellung Trajans undzwar ausgehend von der herrscherlichen Imago, die sichin der Kommunikation mit Heer, Senat und plebs urbanakonstituiere. In Anlehnung an Egon Flaig (Den Kaiserherausfordern) deutet Seelentag den Prinzipat als„Akzeptanzsystem“, innerhalb dessen der Konsens aller

an der Kommunikation beteiligten politisch relevantenGruppen – Senat, Heer und plebs urbana – dieAnerkennung und Durchsetzung der Herrschaftsordnungvollzog.

In der ersten Gesamtdarstellung Trajans in deutscherSprache ist für Karl Strobel (2010) Trajan nicht deroptimus princeps, als der er in der antikenÜberlieferung im Gegensatz zum pessimus princepsDomitian erscheint. Strobel entwirft von Trajan daskritische Bild eines autokratischen, nach sakralerÜberhöhung strebenden Herrschers. Trajan habe so denvon Domitian begonnenen Weg einer auf sakraler Erhöhungdes Princeps basierenden Herrschaftskonzeptionfortgesetzt.[106]

-337-QuellenCassius Dio: Römische Geschichte. Buch 68 (nur in Auszügen erhalten;englische Übersetzung).Deutsche Übersetzung: Römische Geschichte. Bd. 5. Epitome der Bücher61–80. Übersetzt von Otto Veh. Artemis und Winkler, Düsseldorf 2007,ISBN 978-3-538-03109-8.Juvenal: Satiren (lateinischer Text).Deutsche Übersetzung: Satiren. Lateinisch-deutsch. Herausgegeben,übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Joachim Adamietz. Artemisund Winkler, Düsseldorf 1993, ISBN 3-7608-1671-1.Plinius der Jüngere: Panegyricus (lateinischer Text).Deutsche Übersetzung: Panegyrikus: Lobrede auf den Kaiser Trajan.Herausgegeben, eingeleitet und übersetzt von Werner Kühn. 2. Auflage.Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2008, ISBN 978-3-534-20997-2.Plinius der Jüngere: Epistulae (lateinischer Text).Deutsche Übersetzung: Briefe. Lateinisch-deutsch. Herausgegeben vonHelmut Kasten. 7. Auflage. Artemis und Winkler, Zürich 1995, ISBN 3-7608-1577-4.LiteraturJulian Bennett: Trajan. Optimus Princeps. A Life And Times. 2.Auflage. Routledge, London 2001, ISBN 0-415-16524-5. (Studie, dieanhand von Trajans Leben auch in die politischen Strukturen der Zeit

einführt und die zeitgenössischen Quellen behandelt, allerdings wegenihrer zahlreichen sachlichen Fehler nur bedingt verlässlich ist.[107])Werner Eck: Trajan. 98–117. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Die römischenKaiser. 4., aktualisierte Auflage, C. H. Beck, München 2010, ISBN978-3-406-60911-4, S. 110–124.Werner Eck: An Emperor is Made. Senatorial Politics and Trajan’sAdoption by Nerva in 97. In: Gillian Clark, Tessa Rajak (Hrsg.):Philosophy and Power in the Graeco-Roman World. Oxford UniversityPress, Oxford 2002, S. 211–226.Miriam Griffin: Trajan. In: Alan K. Bowman, Peter Garnsey und DominicRathbone (Hrsg.): The Cambridge Ancient History 11. The High Empire,A. D. 70–192. Cambridge University Press, Cambridge 2000, ISBN 0-521-26335-2, S. 96–131. (Rezension)Martin Fell: Optimus princeps? Anspruch und Wirklichkeit derimperialen Programmatik Kaiser Traians. 2. Auflage. Tuduv, München2001, ISBN 3-88073-586-7.Frank A. Lepper: Trajan’s Parthian war. University Press, Oxford1948, Nachdruck Ares, Chicago 1993, ISBN 0-89005-530-0.Annette Nünnerich-Asmus (Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlativeam Beginn einer Umbruchzeit?. Philipp von Zabern, Mainz 2002, ISBN 3-8053-2780-3 (Rezension).Christian Ronning: Herrscherpanegyrik unter Trajan und Konstantin.Studien zur symbolischen Kommunikation in der römischen Kaiserzeit.Tübingen 2007, ISBN 3-16-149212-9. (Rezension)Egon Schallmayer (Hrsg.): Traian in Germanien, Traian im Reich.Bericht des Dritten Saalburgkolloquiums. Saalburgmuseum, Bad Homburgv. d. h. 1999, ISBN 3-931267-04-0 (Saalburg-Schriften. 5).Gunnar Seelentag: Taten und Tugenden Traians. Herrschaftsdarstellungim Principat. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-515-08539-4 (ausgezeichnet mit dem Bruno-Snell-Preis) (Rezension (engl.)).Karl Strobel: Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans. Studien zurGeschichte des mittleren und unteren Donauraumes in der HohenKaiserzeit. Habelt, Bonn 1984, ISBN 3-7749-2021-4 (Antiquitas. Reihe1, 33).Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte,Friedrich Pustet, Regensburg 2010, ISBN 978-3-7917-2172-9 (Rezensionvon Jan Gering in Frankfurter elektronische Rundschau zurAltertumskunde 15, 2011; PDF; 141 kB).

-339-Klaus-Gunther Wesseling: Trajan. In: Biographisch-BibliographischesKirchenlexikon (BBKL). Band 12, Bautz, Herzberg 1997, ISBN 3-88309-068-9, Sp. 394–410.Graham Wylie: How did Trajan succeed in subduing Parthia where MarkAntony failed? In: The Ancient History Bulletin. 4/2 (1990), S. 37–43(online).Weblinks Commons: Trajan – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur von und über Trajan im Katalog der DeutschenNationalbibliothekHerbert W. Benario: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Anmerkungen1↑ Eutrop 8,2 nennt Italica als Geburtsort. Alle anderen Autorenverweisen nur auf Trajans Herkunft aus Hispania, was eine rechtlicheAussage mit ökonomischen Konsequenzen ist, nicht jedoch eine Aussagezum Geburtsort.2↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte,Regensburg 2010 S. 40.3↑ Harold Mattingly, Edward A. Sydenham u.a.: The Roman ImperialCoinage (= RIC). Band 2, Neudruck London 1968, S. 250f. Nr. 91–108.4↑ IMP[erator] CAES[ar] NERVA TRAIAN AUG[ustus] GERM[anicus]P[ontifex] M[aximus]5↑ Werner Eck: Der Weg zum Kaisertum. In: Annette Nünnerich-Asmus(Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginn einerUmbruchzeit? Mainz 2002, S. 7–20, hier: S. 10.6↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 51.7↑ Werner Eck: Traianus [1], in: Der Neue Pauly 12/1 (2002), Sp. 746–749, hier: Sp. 746.8↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 63.9↑ Plinius, Panegyricus 15,3.10↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 64, 208.11↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 103.12↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 123.13↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 121.14↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 122.15↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 122.16↑ Werner Eck: Domitianus. DNP 3 (1997) Sp. 746–750; Werner Eck: DerWeg zum Kaisertum. In: Annette Nünnerich-Asmus (Hrsg.): Traian. EinKaiser der Superlative am Beginn einer Umbruchzeit? Mainz 2002, S. 7–20, hier: S. 14. Christian Witschel: Domitian 81–96. In: ManfredClauss (Hrsg.), Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits vonCaesar bis Iustinian, München 1997, S. 98–110, hier: S. 106f.Rehabilitierungsversuche Domitians u.a.: Brian W. Jones: The EmperorDomitian. London u.a. 1992; Pat Southern: Domitian. Tragic Tyrant.London 1997.17↑ Zu Nerva: John D. Grainger: Nerva and the Roman succession crisisof AD 96–99. London 2003.18↑ Cassius Dio 67,15,5.19↑ Sueton, Domitian 23.20↑ Cassius Dio 68,3,2.

-338-21↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 162f.22↑ Werner Eck: Der Weg zum Kaisertum. In: Annette Nünnerich-Asmus(Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginn einerUmbruchzeit? Mainz 2002, S. 7–20, hier: S. 16f.23↑ Werner Eck: Der Weg zum Kaisertum. In: Annette Nünnerich-Asmus(Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginn einerUmbruchzeit? Mainz 2002, S. 7–20, hier: S. 15.24↑ Plinius, Panegyricus 8.25↑ Historia Augusta: Hadrian 2,5f.26↑ Cassius Dio 68,5,4.27↑ Martial 10,7.28↑ Karl Strobel: Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans. Studienzur Geschichte des mittleren und unteren Donauraums in der HohenKaiserzeit. Bonn 1984, S. 158f.29↑ Plinius, Panegyricus 12.30↑ Cassius Dio 68,5,2.31↑ Gunnar Seelentag: Taten und Tugenden Trajans.Herrschaftsdarstellung im Prinzipat, Stuttgart 2004, S. 82; AnthonyR. Birley: The Oath not to Put a Senator to Death. In: The ClassicalReview. Band 76, 1962, S. 197–199.32↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 154.33↑ Werner Eck: Der Weg zum Kaisertum. In: Annette Nünnerich-Asmus(Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginn einerUmbruchzeit? Mainz 2002, S. 7–20, hier: S. 16.34↑ Plinius, Epistulae 3,20,12.35↑ Plinius, Panegyricus 88,4.36↑ Plinius, Panegyricus 2,4.37↑ Plinius, Panegyricus 65.38↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte,Regensburg 2010, S. 10, 203.39↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 204.40↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 242.41↑ Karl Strobel: Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans. Studienzur Geschichte des mittleren und unteren Donauraums in der HohenKaiserzeit. Bonn 1984, S. 156.42↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 207.43↑ Zum ersten Dakerkrieg Trajans vgl. auch Karl Strobel: KaiserTraian. Eine Epoche der Weltgeschichte, Regensburg 2010, S. 236–263.44↑ Cassius Dio 68,8,1; Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche derWeltgeschichte. Regensburg 2010, S. 246.45↑ Michael Alexander Speidel: Bellicosissimus Princeps. In: AnnetteNünnerich-Asmus (Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginneiner Umbruchzeit? Mainz 2002, S. 23–40, hier: S. 33.

46↑ Cassius Dio 68,9,3; Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche derWeltgeschichte. Regensburg 2010, S. 252.47↑ Cassius Dio 68,9,5f; Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche derWeltgeschichte. Regensburg 2010, S. 253.

-339-48↑ Michael Alexander Speidel: Bellicosissimus Princeps. In: AnnetteNünnerich-Asmus (Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginneiner Umbruchzeit? Mainz 2002, S. 23–40, hier: S. 33.49↑ Cassius Dio 68,10,3.50↑ Cassius Dio 68,10,3f. Zum Kriegsverlauf siehe: Karl Strobel:Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte. Regensburg 2010, S.264–289.51↑ Cassius Dio 68,11,3.52↑ Karl Strobel: Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans. Studienzur Geschichte des mittleren und unteren Donauraums in der HohenKaiserzeit. Bonn 1984, S. 35.53↑ Karl Strobel: Untersuchungen zu den Dakerkriegen Trajans. Studienzur Geschichte des mittleren und unteren Donauraums in der HohenKaiserzeit. Bonn 1984, S. 221.54↑ Hochspringen nach: a b Werner Eck: Traian. In: Manfred Clauss(Hrsg.): Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesarbis Iustinian. München 1997, S. 110–124, hier: S. 120.55↑ Plinius, Epistulae 6,19,3f.56↑ Werner Eck: Die Stellung Italiens in Traians Reichspolitik. In:Egon Schallmayer (Hrsg.), Traian in Germanien. Traian im Reich, BadHomburg 1999, S. 11–16, hier: S. 13.57↑ Annette Nünnerich-Asmus: Er baute für das Volk?! Diestadtrömischen Bauten des Traian. In: Annette Nünnerich-Asmus(Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginn einerUmbruchzeit? Mainz 2002, S. 97–124, hier: S. 118.58↑ Annette Nünnerich-Asmus: Er baute für das Volk?! Diestadtrömischen Bauten des Traian. In: Annette Nünnerich-Asmus(Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginn einerUmbruchzeit? Mainz 2002, S. 97–124, hier: S. 124.59↑ Björn Gesemann: Die ‚Große Aula‘ der Traiansmärkte in Rom –Überlegungen zur Herkunft und Entwicklung ihres Bautyps. In: AnnetteNünnerich-Asmus (Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginneiner Umbruchzeit? Mainz 2002, S. 145–153, hier: S. 145.60↑ Plinius, Panegyricus 26f. und 34f.61↑ Werner Eck: Traianus. In: Der Neue Pauly Bd. 12/1, (2002), Sp.746–749, hier: Sp. 747.62↑ Werner Eck: Traian. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Die römischenKaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian. München1997, S. 110–124, hier: S. 119.63↑ Gunnar Seelentag: Der Kaiser als Fürsorger. Die italischeAlimentarinstitution. In: Historia, Bd. 57, 2008, S. 208–241, hier:S. 208.

64↑ Gunnar Seelentag: Der Kaiser als Fürsorger. Die italischeAlimentarinstitution. In: Historia, Bd. 57, 2008, S. 208–241, hier:S. 209. Dort weiterer Forschungsstand.65↑ Michael Zahrnt: urbanitas gleich romanitas. Die Städtepolitik desKaisers Trajan. In: Annette Nünnerich-Asmus (Hrsg.): Traian. EinKaiser der Superlative am Beginn einer Umbruchzeit? Mainz 2002, S.51–72, hier: S. 55.66↑ Joachim Molthagen: Christen in der nichtchristlichen Welt desRömischen Reiches der Kaiserzeit (1.–3. Jahrhundert). AusgewählteBeiträge aus Wissenschaft und kirchlicher Praxis, St. Katharinen2005, S. 116–145, hier: S. 116.67↑ Plinius, Epistulae 10,96f.68↑ Plinius, Epistulae 10,97.69↑ Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum: Die Familie der„Adoptivkaiser“ von Traian bis Commodus. In: Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum (Hrsg.): Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bisTheodora. München 2002, S.187–264, hier: S. 190.

-342-70↑ Die Datierung nach Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche derWeltgeschichte. Regensburg 2010, S. 53.71↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 53.72↑ Cassius Dio 68,17,1.73↑ Cassius Dio 68,29,1 und 30,1.74↑ Frank A. Lepper: Trajan’s Parthian war. Oxford 1948, S. 201–204.75↑ Zur Frage der Kriegsgründe siehe Frank A. Lepper: Trajan’sParthian war. Oxford 1948, S. 158–204; Julien Guey: Essai sur laguerre parthique de Trajan (114–117), Bukarest 1937, S. 19ff.; KlausSchippmann: Grundzüge der parthischen Geschichte, Darmstadt 1980, S.60.76↑ Zum Partherkrieg Trajans siehe auch: Karl Strobel: Kaiser Traian.Eine Epoche der Weltgeschichte. Regensburg 2010, S. 348ff.77↑ Cassius Dio 68,20,3.78↑ Cassius Dio 68,23,1.79↑ Münzen mit der Legende PARTHIA CAPTA: RIC Bd. 2, Trajan Nr. 324u. 325; weitere Legenden, die den Sieg über die Parther verkündeten(u.a. ARMENIA ET MESOPOTAMIA IN POTESTATEM P.R. REDACTAE und mit demBeinamen PARTHICO) etwa RIC 310, 642, 667 und 669, BMC III², Nr.1045–1049.80↑ André Maricq: La province d’Assyrie créée par Trajan. A propos dela guerre parthique de Trajan. In: Maricq: Classica et orientalia,Paris 1965, S. 103–111 (identifiziert Assyria mit Südmesopotamien);Chris S. Lightfood: Trajan’s Parthian War and the Fourth-CenturyPerspective. In: Journal of Roman Studies 80, 1990, S. 115–126, hier:121–124 (bestreitet die Einrichtung der Provinz); Maria G. AngeliBertinelli: I Romani oltre l’Eufrate nel II secolo d. C. (leprovincie di Assiria, di Mesopotamia e di Osroene). In: Aufstieg undNiedergang der römischen Welt Bd. 9.1, Berlin 1976, S. 3–45 (vermutet

Assyria zwischen Mesopotamien und Adiabene); Lepper (1948) S. 146(identifiziert Assyria mit Adiabene).81↑ Tacitus: Annalen 1,11.82↑ Michael Alexander Speidel: Bellicosissimus Princeps. In: AnnetteNünnerich-Asmus (Hrsg.): Traian. Ein Kaiser der Superlative am Beginneiner Umbruchzeit? Mainz 2002, S. 23–40, hier: S. 29.83↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustusbis zu Konstantin. 6. Auflage, München 2009, S. 312.84↑ Historia Augusta, Hadrian 4,6.85↑ Cassius Dio 69,1,1.86↑ Eine Übersicht über die gegensätzlichen Forschungsmeinungen zudieser Frage bietet Susanne Mortensen: Hadrian. EineDeutungsgeschichte, Bonn 2004, S. 27–55.87↑ Gunnar Seelentag: Taten und Tugenden Trajans.Herrschaftsdarstellung im Prinzipat, Stuttgart 2004, S. 394.88↑ Maria G. Angeli Bertinelli: I Romani oltre l’Eufrate nel IIsecolo d. C. (le provincie di Assiria, di Mesopotamia e di Osroene).In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt Bd. 9.1, Berlin 1976,S. 22 und Anm. 104 (mit Übersicht über die ältere Literatur zu derKontroverse).89↑ Historia Augusta, Hadrian 5,8 und 7,1ff.90↑ Zur Quellenlage: Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche derWeltgeschichte. Regensburg 2010, S. 14–18.91↑ Sueton, Domitian 23, 2.92↑ Tacitus, Agricola 44,5.93↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 18.94↑ Eutrop 8,5,3.95↑ Ammianus Marcellinus 16,10,15.

-341-96↑ Timo Stickler: Trajan in der Spätantike. In: Egon Schallmayer(Hrsg.): Traian in Germanien. Traian im Reich, Bad Homburg 1999, S.107–113, hier: S. 110.97↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 28.98↑ Orosius 7,12,3.99↑ Divina Comedia, Purgatorio 10,73–93.100↑ Egon Schallmayer (Hrsg.): Traian in Germanien. Traian im Reich,Bad Homburg 1999, Vorwort, S. 6.101↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 30.102↑ Theodor Mommsen: Römische Kaisergeschichte. München 1992, S.389.103↑ Alfred Heuß: Römische Geschichte, 4. ergänzte Auflage,Braunschweig 1976, S. 344ff.104↑ Eugen Cizek: L’Époque de Trajan. Circonstances politiques etproblèmes ideologiques. Paris 1983, S. 21–25 und S. 512–515.105↑ Martin Fell: Optimus princeps? Anspruch und Wirklichkeit derimperialen Programmatik Traians. München 1992, S. 176.106↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 13. Zusammenfassend Jens Gering: Rezension zu:

Karl Strobel: Kaiser Traian – Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010. In: Frankfurter elektronische Rundschau zurAltertumskunde 15 (2011) (online; PDF; 141 kB).107↑ Rezension der 1. Auflage 1997 von Werner Eck, in: ScriptaClassica Israelica. 17, 1998, S. 231–234.

-342-

Hadrian

HadrianKapitolinische Museen

Publius Aelius Hadrianus (Titulatur als Kaiser:Imperator Caesar Traianus Hadrianus Augustus; * 24.Januar 76 in Italica in der Nähe des heutigen Sevillaoder in Rom; † 10. Juli 138 in Baiae) war dervierzehnte römische Kaiser. Er regierte von 117 bis zuseinem Tod.

Hadrian war wie sein weitläufiger Verwandter undkaiserlicher Vorgänger Trajan in Hispanien beheimatet.Er bemühte sich als Herrscher intensiv um die Festigungder Einheit des Römischen Reiches, das er in weitenTeilen ausgiebig bereiste. Durch Zuwendungen undadministrative Maßnahmen auf der Ebene der römischenProvinzen und Städte förderte er den Wohlstand undstärkte die Infrastruktur. Mit der Fixierung desedictum perpetuum gab er dem Justizwesen einenwichtigen Impuls. Da er nur wenige Kriege führte, warseine Regierungszeit für den weitaus größten Teil desReichs eine Epoche des Friedens. Er verzichtete aufEroberungen und gab die von Trajan im Partherkrieggewonnenen Gebiete auf, womit er einen scharfen undumstrittenen Kurswechsel vollzog.

-343-Auf militärischem Gebiet konzentrierte er seineBemühungen auf eine effiziente Organisation derReichsverteidigung. Diesem Zweck dienten insbesondereseine Grenzbefestigungen, darunter der nach ihmbenannte Hadrianswall. Überschattet wurde seineRegierungszeit jedoch von seinem gespannten Verhältniszum Senat, in dem er viele erbitterte Feinde hatte.

Hadrian war vielseitig interessiert und bei derErprobung seiner Talente ehrgeizig. Seine besondereWertschätzung galt der griechischen Kultur,insbesondere der als klassisches Zentrum griechischerBildung berühmten Stadt Athen, die er neben vielenanderen Städten durch eine intensive Bautätigkeitförderte. In seiner Regierungszeit entstandenbedeutende Bauwerke wie die Bibliothek in Athen, dasPantheon und die Engelsburg in Rom, sowie dieHadriansvilla bei Tivoli.

Im Privatleben des Kaisers spielte seine homoerotischeBeziehung zu dem früh verstorbenen Jüngling Antinooseine zentrale Rolle; nach dem Tod seines Geliebtensetzte Hadrian reichsweit dessen kultische Verehrung inGang, die im Osten, aber auch in Italien viel Anklangfand. Hadrians auf zwei Generationen ausgelegteNachfolgeregelung war die Weichenstellung für dieerfolgreiche Fortsetzung der von ihm eingeleitetenReichskonsolidierung unter seinen beiden NachfolgernAntoninus Pius und Mark Aurel.

Iberische Wurzeln und Bindungen

Amphitheater in Italica

-344-Hadrian entstammte einem römischen Geschlecht, das sichbereits in republikanischer Zeit im Zuge der römischenExpansion in Italica in der Provinz Hispania ulterior(später Baetica) im Süden der Iberischen Halbinselangesiedelt hatte. Der unbekannte Verfasser vonHadrians Lebensbeschreibung in der Historia Augusta,der Material aus der heute verlorenen AutobiographieHadrians verwertete, berichtet, die Familie habeursprünglich aus Hadria oder Hatria (jetzt Atri) immittelitalischen Picenum gestammt.

Auf den Namen dieser Stadt, die auch für die Adrianamengebend war, geht demnach der Beiname Hadrianuszurück. Baetica war reich an Mineralien; Korn und Weinwurden dort in großen Mengen angebaut und die Provinzexportierte unter anderem auch die für die römischeKüche essentielle Speisewürze Garum. Einige inHispanien zu Reichtum gelangte einflussreiche Familien,darunter die Ulpii mit Trajan, die Aelii mit Hadrianund die Annii mit Mark Aurel, bildeten durchHeiratsallianzen ein Netzwerk und hielten in Rom beimStreben nach einflussreichen Positionen zusammen.[1]

Zu Hadrians Kindheit ist nichts überliefert. Mit Blickauf seinen frühzeitig ausgeprägten Philhellenismus wirderwogen, dass ihn sein Vater, der Senator PubliusAelius Hadrianus Afer, als möglicher Prokonsul derProvinz Achaea im Kindesalter nach Griechenlandmitgenommen haben könnte.[2] Den Vater, derprätorischen Rang erreicht hatte, verlor er im Altervon zehn Jahren. Hadrian kam danach unter dieVormundschaft Trajans, der ein Cousin seines Vaterswar, sowie unter die des ebenfalls in Italicabeheimateten Ritters Publius Acilius Attianus. AlsVierzehnjähriger fand sich Hadrian nach dem Anlegen dertoga virilis auf den Familienbesitzungen in Italicaein. Er durchlief dort die militärische Grundausbildungund sollte sich wohl mit der Verwaltung derFamiliengüter vertraut machen. Dabei entwickelte eraber eine aus Sicht seines Vormunds Trajan übertriebeneBegeisterung für die Jagd und wurde von ihm nach Romzurückbeordert.[3]

-345-Aufstieg unter Trajans Anleitung

Der Werdegang Hadrians zwischen seiner Rückkehr ausHispanien und seinem Herrschaftsantritt als Kaiser 117beschäftigt die Forschung vor allem unter demGesichtspunkt der ungeklärten Frage, ob er tatsächlichvon Trajan kurz vor dessen Tod adoptiert und zumNachfolger bestimmt worden ist, was schon in der Antikebezweifelt wurde.[4] Anhaltspunkte für eine Klärung vonTrajans Absichten können aus den vorliegendenNachrichten über das Verhältnis der beiden Männer ab

den neunziger Jahren des ersten Jahrhunderts gewonnenwerden.

Kopf Trajans (Fragment einer überlebensgroßen Statue, Glyptothek,München)

Mit achtzehn Jahren wurde Hadrian als decemvirstlitibus iudicandis im Jahr 94 in ein Aufsichtsgremiumbei Gericht berufen. Noch in zwei weiteren Funktionenauf dem Weg in eine senatorische Laufbahn ist erinschriftlich bezeugt: Er diente als Militärtribun erstbei der Legio II Adiutrix in Aquincum (Budapest), dannbei der Legio V Macedonica in der Moesia inferior(Niedermösien). Im Herbst 97 wurde Trajan von dem inRom unter den Druck der Prätorianergarde geratenenNerva adoptiert. Hadrian wurde von seiner Legionbeauftragt, dem designierten Nachfolger des Kaisers dieGlückwünsche zur Adoption zu übermitteln. Er machtesich im Spätherbst auf den Weg an den Rhein, wo sichTrajan aufhielt. Dieser setzte ihn nun für ein drittesMilitärtribunat bei der in Mogontiacum (Mainz)stationierten Legio XXII Primigenia ein.[5]

-346-

Hier ergab sich ein Spannungsverhältnis zu dem für dieProvinz Germania superior neu eingesetzten StatthalterLucius Iulius Ursus Servianus, dem Mann von HadriansSchwester, der nun sein Vorgesetzter war und mit ihm umdie Gunst Trajans rivalisierte. Als Nerva im Januar 98starb und Trajan ihm als Kaiser nachfolgte, setzte sichdie Rivalität zwischen Hadrian und Servianus fort.[6]

Hadrians Bindung an das Kaiserhaus wurde durch seineEhe mit der um zehn Jahre jüngeren Großnichte TrajansVibia Sabina, die er als Vierundzwanzigjährigerheiratete, noch enger. Im selben Jahr 100 gelangteHadrian zur Quästur und damit in den Senat, und zwar inder privilegierten Stellung des quaestor Augusti, demes unter anderem oblag, die Reden des Kaisers zuverlesen.[7] Beim Feldzug gegen den Daker-KönigDecebalus war Hadrian 101 als comes Augusti im Stab desKaisers tätig.

Für 102 ist sein Volkstribunat anzusetzen, für 105 diePrätur, bei deren volksnaher Ausgestaltung durch dieAbhaltung kostenträchtiger Spiele Trajan großzügigaushalf. An Trajans im Juni 105 beginnendem zweitenDakerkrieg nahm Hadrian ebenfalls teil, nunmehr alsBefehlshaber (legatus legionis) der Legio I Minervia.Für seine militärischen Leistungen wurde er von Trajanmit einem Diamanten ausgezeichnet, den dieser von Nervabekommen hatte.[8] In der Folge gelangte er auf denStatthalterposten in Niederpannonien, das gegen dieJazygen gesichert werden musste. Im Alter von 32 Jahrenwurde Hadrian im Jahre 108 Suffektkonsul.

Ob aus dieser Karriere hervorgeht, dass Hadrianplanmäßig auf die Rolle als künftiger NachfolgerTrajans vorbereitet wurde, ist eine nicht eindeutiggeklärte Frage. Trajan hatte ihn nicht von vornhereinzum Patrizier erhoben, was ihm das Überspringen vonVolkstribunat und Ädililität gestattet hätte;[9]dennoch wurde Hadrian ebenso schnell Konsul, wie es beiPatriziern der Fall sein konnte. Er hatte diesengegenüber den Vorteil einer bedeutenden militärischen

Erfahrung, wie sie bei Patriziern in dieser Form nichtüblich war. Trajan verlieh Hadrian bedeutende Vorrechteund Befugnisse, die er aber immer dosierte.[10]

-347-Vielseitige Persönlichkeit

Ehrgeiz ließ Hadrian nicht nur beim raschen Aufstieg inder politischen Laufbahn und auf militärischem Gebieterkennen, sondern auch in diversen anderenBetätigungsfeldern. Seine gute Beherrschung der beidenSprachen Latein und Griechisch sowie seine durchliterarische Quellen und Fragmente überliefertenrhetorischen Qualitäten lassen auf eine intensiveAusbildung in Grammatik und Rhetorik schließen. DenQuellen zufolge verfügte er über Scharfsinn,Wissensdurst, Lerneifer und eine rascheAuffassungsgabe. Diese Angaben werden in der Forschungnicht nur als gängiges Repertoire der Lobpreisung vonHerrschern beurteilt, sondern gelten in Anbetrachtseines Handelns als plausibel.[11] Von derVielseitigkeit seiner Interessen zeugen seineüberlieferten Betätigungsfelder, darunter das Singen,das Spielen eines Saiteninstruments, Malerei,Bildhauerei und Dichtkunst, aber auch Geometrie undArithmetik, Heilkunde und Astronomie. Allerdings istdie Einschätzung seiner konkreten Leistungen im Rahmendieses weiten Betätigungsspektrums umstritten;negativen Bewertungen zufolge war er nur einprofilierungssüchtiger Dilettant, der sich sogar vorden jeweiligen besonderen Könnern eines Fachesaufzuspielen suchte.[12]

Die Palatinsbibliothek in der Villa Adriana

Hadrians Ehe blieb kinderlos. Er soll außerehelicheBeziehungen gehabt haben, doch gibt es keinebestätigten Nachkommen. Anscheinend war er in ersterLinie homoerotisch orientiert, was sich in Erastes-Eromenos-Verhältnissen niederschlug. So wird etwabehauptet, er habe mit den im Hause Trajansanzutreffenden Lustknaben häufig Umgang gehabt.[13]

-348-Von nachhaltiger Bedeutung war seine Beziehung zuAntinoos, einem jungen Bithynier, den Hadrian wohl inKleinasien kennen gelernt hatte. Antinoos gehörteeinige Zeit zum Hofstaat des Kaisers und begleitete ihnauf seinen Reisen, bis er unter nie geklärten Umständenim Nil ertrank.

Von Charakter und Wesensart Hadrians wird in denliterarischen Quellen ein vielfältiges und teilswidersprüchliches Bild gezeichnet. So heißt es in derHistoria Augusta: „Er war zugleich streng und heiter,leutselig und würdevoll, leichtfertig und bedächtig,knauserig und freigebig, in Heuchelei und Verstellungein Meister, grausam und gütig, kurz, immer und injeder Hinsicht wandelbar.“[14] Cassius Dio bescheinigteHadrian unersättlichen Ehrgeiz, Neugier und ungehemmtenTatendrang.[15] Über Schlagfertigkeit und Witz soll erebenfalls verfügt haben.[16] Die phänomenalen

Gedächtnisleistungen, die Hadrian in der HistoriaAugusta zugeschriebenen werden, hält Jörg Fündling, derführende Fachmann für diese Quelle, allerdings fürübertrieben und in dieser Form unglaubhaft. Dazugehören die Behauptungen, Hadrian habe niemandengebraucht, der ihm im Alltag mit Namen aushalf, denn erhabe jeden ihm Begegnenden namentlich zu begrüßengewusst und sogar die Namen aller Legionäre, mit denener je zu tun hatte, im Gedächtnis behalten.[17]

Er habe nur einmal verlesene Namenslistenrekapitulieren und im Einzelfall sogar korrigierenkönnen; auch wenig bekannte neue Bücher habe er nacheinmaliger Lektüre rezitiert.[18] Skeptisch beurteiltFündling auch die Angabe der Historia Augusta, Hadrianhabe gleichzeitig schreiben, diktieren, zuhören und mitseinen Freunden plaudern können.[19] Nach FündlingsAnsicht wollte Hadrians Biograph die DarstellungCaesars durch Plinius den Älteren überbieten, derzufolge der Iulier, während er schrieb, zugleichentweder diktieren oder zuhören konnte.[20]

Die Problematik der angeblichen Adoption durchTrajan

Als Trajans Redenschreiber Sura bald nach HadriansSuffektkonsulat starb, gelangte Hadrian auch in dieseVertrauensstellung nahe beim Herrscher. Auch bei demPartherkrieg, zu dem sich Trajan im Herbst 113entschloss, war Hadrian im Führungsstab vertreten.

-349-Als Trajans Offensive gegen das Partherreich inMesopotamien auf massiven Widerstand stieß undAufstände innerhalb des Römischen Reiches, vor allem inNordafrika, ihrerseits erheblichen Aufwand zurNiederschlagung erforderten, trat Trajan den Rückzug

an, plante die Rückkehr nach Rom und setzte Hadrian alsStatthalter in Syrien ein. Damit wurde diesem auch dieFührung des Heeres im Osten übertragen, eineMachtposition, über die kein anderer möglicherNachfolgekandidat verfügte. Zwei hohe Offiziere, AulusCornelius Palma Frontonianus und Tiberius Iulius CelsusPolemaeanus, die möglicherweise eigeneNachfolgeambitionen verfolgten, hatte Trajan nochselbst aus seinem engeren Machtzirkel entfernt.[21]Somit hatte Hadrian keine ernsthaften Rivalen.[22]

Hadrian war demnach von Trajan auf vielfältige Weisegefördert worden. Offen bleibt aber die Frage, warumTrajan die Adoption, falls er sie überhaupt vollzogenhat, erst unmittelbar vor seinem Tod vornahm. Alsplausibler Grund gilt in der neueren Forschung, dassTrajan angesichts seiner krankheitsbedingteingeschränkten Handlungsfähigkeit eine vorzeitigeEntmachtung befürchtete; die Adoption musste eineUmorientierung der führenden Kreise auf den kommendenMann zur Folge haben und konnte in ihrer Wirkungfaktisch einer Abdankung gleichkommen.[23] Sicher ist,dass Freunde und Verbündete Hadrians in derunmittelbaren Umgebung des sterbenden Kaisers ihrenEinfluss nachdrücklich geltend machten. Zu ihnenzählten die Kaiserin Plotina, Trajans Nichte Matidiaund vor allem der Prätorianerpräfekt Attianus, Hadrianseinstiger Vormund.

Münze Hadrians

-350-Eine weitere Möglichkeit ist, dass Trajan, als er dieSeereise nach Rom antrat, die Adoption dortdurchzuführen gedachte, so wie er selbst einst währendseines Militärkommandos am Rhein von Nerva inAbwesenheit adoptiert worden war. Eine öffentlicheAdoption in Rom hätte Hadrian eine unbezweifelbareLegitimation verschafft. Die Rückreise musste aberwegen Trajans dramatisch schwindender Gesundheit –Schlaganfall und beginnendes Kreislaufversagen – vorder kilikischen Küste bei Selinus abgebrochen werden.

Die Nachricht von der doch noch erfolgten Adoptionstützt sich allein auf das Zeugnis der Plotina und desPrätorianerpräfekten Attianus, deren massiveParteinahme für Hadrian unzweifelhaft ist. Der einzigemöglicherweise unabhängige Zeuge, der KammerdienerTrajans, starb unter merkwürdigen Umständen drei Tagenach dem Kaiser. Daher erhob sich früh der Verdacht,die Adoption sei von Hadrians Förderern vorgetäuschtworden. Dieser Verdacht gilt auch in der modernenForschung nicht als entkräftet.[24] Indem Trajan denrichtigen Zeitpunkt und Rahmen zur Bestimmung einesNachfolgers verpasste, erschwerte er Hadrian denAmtsantritt beträchtlich:

Es gab keine für die römische Öffentlichkeit eindeutigeAnbahnung des Übergangs und praktisch keineÜbergangsfrist, stattdessen in Anbetracht der Umständedes Herrscherwechsels begründbare Zweifel amrechtmäßigen Zustandekommen von Hadrians Prinzipat.[25]Trajan hatte 19 Jahre Zeit gehabt, Hadrian alsNachfolger zu designieren; dass er dies entweder nieoder aber erst in letzter Minute getan hatte, mussteZweifel daran wecken, ob er seinen Großneffen wirklichals neuen Kaiser gewünscht hatte.

Machtübernahme und außenpolitische Wende

Nach offizieller Lesart erfuhr Hadrian am 9. August 117von seiner Adoption durch Trajan und am 11. August vondessen Ableben. Möglicherweise waren aber beideMeldungen bereits in einem aus Selinus am 7. Augustabgeschickten Schreiben enthalten; jedenfalls ließ diezeitliche Staffelung der Bekanntgabe an die Soldatenaber Raum für die geordnete Ausrufung des bereits unterAnnahme des Caesar-Titels adoptierten Hadrian zumKaiser. Wie der 9. August als Adoptionstag wurde auchder Tag der Kaisererhebung (dies imperii), der 11.August, von den syrischen Truppen fortan als Feiertagbegangen.[26]

-351-

Das Römische Reich im Jahr 125

Dem bis dahin übergangenen Senat sandte Hadrianumgehend ein Schreiben, in dem er seine Erhebung durch

Heeresakklamation ohne Senatsvotum damit erklärte, dassder Staat jederzeit eines Herrschers bedürfe; daherhabe man schnell handeln müssen. Mit dieser Begründungsollte eine Brüskierung des Senats möglichst vermiedenwerden. In der Reaktion des Senats wurde Hadrian nichtnur als neuer Prinzeps bestätigt, sondern es wurden ihmauch gleich eine Anzahl besonderer Ehrungen angetragen,darunter der Titel pater patriae („Vater desVaterlandes“), die er aber zunächst ablehnte.

Hadrian begab sich in den zwölf Monaten nach seinerErhebung nicht nach Rom, sondern blieb mit dermilitärischen Reorganisation im Osten und an der Donaubefasst. Einerseits musste er die Legitimation seinerHerrschaft vor der Öffentlichkeit Roms festigen,andererseits traf er außenpolitische und militärischeEntscheidungen, die aus seiner Sicht notwendig waren,aber eine Abkehr von der Expansionspolitik seines sehrpopulären Vorgängers darstellten, mit territorialenEinbußen verbunden waren und daher der Öffentlichkeitnicht leicht zu vermitteln waren.

-352-Ein neuer Herrscher, der zum Rückzug blies, war fürSenat und Volk von Rom eine wenig attraktiveErscheinung, zumal der Senat nach den anfänglichenSiegesmeldungen von Trajans Parther-Feldzug im Ostenfür diesen 116 bereits den Triumph und den SiegernamenParthicus beschlossen hatte. Hadrian gab nun binnenkurzer Zeit sowohl im Osten als auch an der unterenDonau im Bereich der Provinz Dakien weite bisherigeGebietsansprüche Roms preis. Er räumte die von Trajaneroberten und neueingerichteten Provinzen Mesopotamia,Assyria und Armenia, wodurch der Euphrat wiederReichsgrenze wurde.[27] Dies war wohl militärischnotwendig, da die Römer in den 24 Monaten zuvor ohnehinweitgehend die Kontrolle über diese Gebiete verlorenhatten. Auch nördlich der unteren Donau wurden großeTeile der unter Trajan eroberten Gebiete aufgegeben,

etwa am unteren Olt und in Mutenien, im östlichen Teilder Karpaten sowie im Süden Moldaviens.[28]

Während Hadrian diese deutliche außenpolitische Wendevollzog, betonte er – wohl auch wegen der Zweifel anseiner Adoption – die Kontinuität zu seinem Vorgänger,um dessen zahlreiche Anhänger zu besänftigen.[29]Deshalb förderte er die ausgiebige Ehrung Trajans,übernahm zunächst dessen gesamte Titulatur und ließunter anderem Münzen prägen, die ihn mit Trajan – dieMachtübergabe symbolisierend – einander die Händereichend zeigten.[30]

Merkmale von Hadrians Prinzipat

Mit einer im Allgemeinen respektvollen Behandlung desSenats und seiner Politik äußerer Befriedung konnteHadrian sich in die Nachfolge des Augustus und auf denBoden einer neuen Pax Augusta stellen. Die eigene Rolleund Aufgabe sah er speziell darin, das Römische Reichin seinem Zusammenhalt zu stabilisieren, auch indem ersich für die je regionalen Besonderheiteninteressierte, sie gelten ließ und vielfach förderte.Als ein besonderes Charakteristikum seines Prinzipatswerden in der Forschung die mehrjährigen, ausgedehntenReisen Hadrians herausgestellt, einzigartig in derRömischen Kaiserzeit sowohl in ihrem Ausmaß als auch inihrer Konzeption.[31] Auf Münzen ließ er sich als„Wiederhersteller“ und „Bereicherer des Erdkreises“(restitutor orbis terrarum und locupletor orbisterrarum) feiern.[32]

-353-Hadrian verband seine weit ausgreifenden Reisen mitMaßnahmen zur Grenzbefestigung und mit der gründlichenInspektion und Reorganisation der römischen

Heeresverbände, an deren ungeschmälerterEinsatzbereitschaft und Schlagkraft er auch in Zeitenweitgehenden äußeren Friedens energisch festhielt. Alsgrößte militärische Herausforderung seines Prinzipatssollte sich jedoch bereits weit nach Halbzeit seinerHerrschaft eine Erhebung im Innern erweisen: dielangwierige und verlustreiche Niederschlagung desjüdischen Aufstands. Hadrians besonderes Augenmerk undInteresse hatte aber schon vordem der griechischenOsthälfte des Römischen Reiches gegolten, derenhistorische und kulturelle Zusammengehörigkeit erwiederzubeleben suchte. Ein Zentrum seiner reichsweitverteilten, vielfältigen baulichen Initiativen undAusgestaltungsmaßnahmen war darum Athen, zu dem ersich, wie seine vergleichsweise häufigen längerenAufenthalte zeigten, persönlich besonders hingezogenfühlte.

Ein „Goldenes Zeitalter“ – Programm undpolitischer Alltag

Porträt Hadrians (Museo Nazionale Romano)

Vor allem in seinen ersten Regierungsjahren war Hadriandarauf bedacht, als Erbe Trajans erkannt und anerkanntzu werden; mit dessen Erhöhung steigerte er zugleichdas eigene Ansehen. Andererseits wollte er aber auchseine eigene Linie zur Geltung bringen, dabei

insbesondere seine einschneidende außenpolitischeKursänderung in ein möglichst günstiges Licht rückenund dem Römischen Reich ein dazu passendes neuesLeitbild vorgeben.

-354-Als geschichtliche Vorbilder für seine auf Frieden undKonsolidierung konzentrierte Politik dienten HadrianKönig Numa Pompilius, der friedfertige Nachfolger desRomulus, und vor allem Kaiser Augustus, derReorganisator des Römischen Reiches nach Beendigung derBürgerkriege und Begründer des Prinzipats. Ein Kaiser,der die aus dem Gleichgewicht geratene Ordnung desReichs wiederherstellte, konnte sich damit als Erbe desAugustus präsentieren.[33] Mit der im Allgemeinenrespektvollen Behandlung des Senats und seiner Politikäußerer Befriedung konnte sich Hadrian auf den Bodeneiner neuen Pax Augusta stellen.

Die Münzprägungen der Anfangsjahre von HadriansPrinzipat betonten mit vorherrschenden Losungen wieEintracht (concordia), Gerechtigkeit (iustitia) undFrieden (pax) das Ziel stabiler und erfreulicheräußerer und innerer Verhältnisse. Beschworen wurdenzudem Vorstellungen von langer Dauer (aeternitas) undeinem Goldenen Zeitalter (saeculum aureum); der Phoenixsymbolisierte sowohl den wiedergewonnenen Wohlstand alsauch den ewigen Bestand des Reiches.[34] DieOrientierung Hadrians an Augustus zeigte sich auch beimBau des Pantheons, des ersten Großobjekts, das unterihm als Kaiser in Rom fertiggestellt wurde. Dort zeigtsich der Bezug zu Augustus nicht nur in derArchitravinschrift, die mit Agrippa einen wichtigenVertrauten dieses Kaisers nennt, sondern auch durch denVorhof und die Tempelfront der Vorhalle, die deutlichan das Augustusforum erinnern.[35]

Besondere Beachtung schenkte Hadrian nicht nur in Rom,sondern auch während seiner Inspektionsreisen derRechtsprechung. Dabei sorgte er für eineSystematisierung der Rechtsprechungsgrundsätze, indem

er den führenden Juristen seiner Zeit, Publius SalviusIulianus, beauftragte, die prätorische Rechtssetzung,die bis dahin durch ein Edikt nach Amtsantritt derPrätoren jährlich neu gefasst worden war, im edictumperpetuum (wahrscheinlich aus dem Jahre 128) auf einedauerhafte Grundlage zu stellen. Das Edikt bedeutetezwar keine eigentliche Kodifikation, hatte aber großenEinfluss: Der Jurist Ulpian verfasste über 80 BücherKommentare dazu, die später Eingang in JustiniansDigesten fanden. Das edictum perpetuum trug dazu bei,dass der Kaiser immer mehr als Quelle des Rechtsangesehen wurde. Sehr positiv bewertete Karl ChristHadrians Bemühungen um die Rechtsprechung. Dieeinschlägigen Maßnahmen des Herrschers seien nicht vonmonarchischer Willkür, sondern von Sachlichkeit,Objektivität und auch Humanität gekennzeichnet.

-355-Davon hätten insbesondere benachteiligte Gruppen undUnterschichten der römischen Gesellschaft profitiert.Frauen erhielten das Recht, eigenes Vermögen undErbschaften selbst zu verwalten. Die Verheiratung derMädchen bedurfte fortan deren ausdrücklicherEinwilligung.[36]

Als höchster Richter zeigte sich Hadrian offenbarsachkundig und bewältigte ein beeindruckendesArbeitspensum. Im Winterquartier des Jahres 129 soll er130 Gerichtstage abgehalten haben.[37] Nach einerverbreiteten, in verschiedenen Varianten überliefertenAnekdote wurde Hadrian auf einer Reise von einer altenFrau angesprochen und sagte ihr weitereilend, er habekeine Zeit. „Dann höre auf Kaiser zu sein!“, habe ihmdie Frau nachgerufen. Da habe Hadrian angehalten undsie angehört.[38]

Eine nochmalige Stärkung ihrer gesellschaftlichenBedeutung erfuhren unter Hadrian die dem Senatorenstand(ordo senatorius) nachgeordneten Ritter (ordo

equester). In ihre Hand legte der Princeps sämtlichevormals von Freigelassenen geführten zentralenVerwaltungsressorts; unter ihnen suchte er auch diebeiden Gardepräfekten aus, von denen nun einerFachjurist sein musste.[39]

Auf dezentraler Ebene in den Provinzen förderte Hadriandie städtische Selbstverwaltung. Dies kam unter anderemin der Verleihung von Münzrechten und in der Gewährungbedarfsorientierter Stadtverfassungen zum Ausdruck. Beider zentralen Finanz- und Steuerverwaltung des Reicheshingegen setzte er wiederum auf Systematisierung derbisherigen Verfahrensweisen und beriefSpezialbeauftragte für die fiskalischen Interessen desStaates, die advocati fisci.[40]

Stärker auf die kaiserliche Zentralverwaltungausgerichtet wurde Italien, das Hadrian in vierRegionen unterteilte, die fortan der Kontrolle je eineskaiserlichen Legaten unterstanden.[41] Dies ging zuLasten der Senatskompetenzen, da die Legaten zwar ausden Reihen vormaliger Konsuln ausgewählt werdensollten, aber eben nicht vom Senat, sondern vom Kaiser.[42]

-356-Verhältnis zu Senat und Volk

Auch im Verhältnis zum Senat stellte sich Hadrian indie Augustus-Nachfolge: Er bezeugte Achtung vor derInstitution, indem er die Sitzungen besuchte, wenn ersich in Rom aufhielt; er pflegte den Umgang mitSenatoren und stellte denjenigen Mitgliedern des

Senatorenstandes, die finanziell in Bedrängnis geratenwaren, die fehlenden Mittel zur Verfügung. In Fragender politischen Mitgestaltung aber ließ er dem Senatwenig Entscheidungsspielraum und beriet sichstattdessen mit Leuten seines persönlichen Vertrauens.

Schwer belastet wurde das Verhältnis des Kaisers zumSenat zu Beginn und dann wieder am Ende seinesPrinzipats durch die Hinrichtung von im ersten Fallvier, im zweiten Fall mindestens zwei Konsularen.

Bei der ersten Beseitigungsmaßnahme ging es um dieAusschaltung einer Gruppe von vier wichtigenMilitärkommandanten Trajans (Avidius Nigrinus, AulusCornelius Palma Frontonianus, Lucius Publilius Celsusund Lusius Quietus), die im Verdacht standen, HadriansMachtübernahme und seinen außenpolitischen Kurswechselzu missbilligen und gewaltsam dagegen vorgehen zuwollen. Während Hadrian selbst noch nicht wieder inItalien war, leitete der Gardepräfekt Attianus dievielleicht beauftragte Hinrichtungsaktion im Jahr 117an vier unterschiedlichen Orten. Diese Aktion führte zuso starken Spannungen mit dem Senat, dass Hadrian nachseinem Eintreffen in Rom Attianus seines Amtes enthob,um die Senatoren zu beschwichtigen.[43] Im anderenFall, als Hadrian gesundheitlich bereits starkbeeinträchtigt war und sich mit Dispositionen für seineNachfolge befasste, gaben wohl das Verhalten und dieAmbitionen zweier Verwandter des Kaisers, die sich inder Nachfolgeregelung übergangen sahen, den Anstoß zuihrer Hinrichtung. Es handelte sich um Hadrians fastneunzigjährigen Schwager Servianus und dessen EnkelFuscus, Hadrians Großneffen. Den beiden könnte einÜbergang der Kaiserwürde erst auf Servianus und nachdessen Ableben auf Fuscus erreichbar erschienen sein.[44]

-357-

Ein Leitbild Hadrians:Augustus

Vor seiner von schwerer Erkrankung geprägten letztenLebensphase, in der er sich aus der Öffentlichkeitzurückzog, hatte Hadrian versucht, sich als princepscivilis sowohl den Senatoren wie auch einfachen Bürgerngegenüber leutselig, entgegenkommend und hilfsbereit zuzeigen.[45] Man konnte ihn, wie es heißt, untereinfachen Bürgern in öffentlichen Bädern antreffen undmit ihm ins Gespräch kommen. Er machte Krankenbesuchenicht nur bei Senatoren, sondern auch bei ihm wichtigenRittern und bei Freigelassenen, mitunter nicht nureinmal am Tag.[46] Dieses Verhalten machte ihn zwar beiden Rittern und Freigelassenen beliebt, nicht aber beimSenat, der seine Stellung bedroht sah. Hadrians

demonstrative Freigebigkeit und Großzügigkeitbeeindruckten nachhaltig. So berichtet Cassius Dio,dass man ihn nicht erst um Hilfe bitten musste, sonderndass er von sich aus dem jeweiligen Bedarf entsprechendaushalf.[47] Zu seinen abendlichen Tischgesellschaftenlud er Gelehrte, Philosophen und Künstler ein, um mitihnen zu diskutieren.[48] Hadrians politisches undgesellschaftliches Auftreten wird in manchen Quellenals von moderatio (Besonnenheit) und modestia(Mäßigung) gekennzeichnet geschildert; dabei istallerdings mit Übertreibungen, Stilisierungen undTypologisierungen zu rechnen, doch gilt der Grundtenormanchen Forschern als glaubwürdig.[49]-358-Andererseits kursierten über ihn aber auch Anekdoten,die der Tyrannentopik entlehnt waren; und mindestenseinmal kam es beinahe zu einem Skandal, als der Kaiserdem im Circus versammelten Volk befehlen wollte zuschweigen; dies wäre ein schwerer Verstoß gegen diePrinzipatsideologie gewesen, der nur durch den Heroldverhindert wurde.[50] Die lange Abwesenheit desHerrschers aus Rom, zunächst aufgrund seiner Reisen,dann durch den Rückzug in seine Villa, wurde zweifellosals Missachtung des Volkes empfunden. Nur gegenWiderstände im Senat konnte Antoninus Pius später dieVergöttlichung seines Vorgängers durchsetzen.

Reisetätigkeit, Truppeninspektion undGrenzbefestigung

Die ausgedehnten Reisen Hadrians, die auch derBefriedigung seiner weltoffenen Wissbegierde dienten,[51] sollten den Übergang zu einer Neuordnung desReichs unterstützen und absichern. Der allgemeinenBekanntmachung dieses großräumig verteiltenHerrscherwirkens dienten unter anderem Münzprägungen:Adventus-Münzen, welche die Ankunft des Kaisers ineiner Region oder Provinz feierten, Restitutor-Prägungen, die seine Tätigkeit als Wiederhersteller vonStädten, Regionen und Provinzen rühmten, und exercitus-

Münzen anlässlich der Inspektionen derTruppenkontingente verschiedener Provinzen.[52]

Gerade bei der Organisation des militärischen Bereichsmusste Hadrian in der Nachfolge Trajans unterveränderten Bedingungen neue Wege gehen. Hatte Trajandie Truppen bei Expansionsfeldzügen um sich versammeltund sich schon dadurch als Kaiser oft ordnend in ihremZentrum befunden, so ergab sich für Hadrian nun dieLage, dass die erste und wichtigste Stütze seinerHerrschaft vorwiegend an den Außengrenzen des Reichesverteilt stationiert war. Das Aufsuchen der von Italienzum Teil weit entfernten Heeresteile, die Ansprachenvor Ort, Inspektionen, Manöverbegleitung und –auswertung konnten dazu dienen, die Bindung derLegionen an den Kaiser lebendig zu erhalten undVerselbständigungstendenzen von Militäreinheitenvorzubeugen, die sonst fern von Rom kaum wirksam zukontrollieren waren. So aber zeigte der Prinzeps, dasser auch weite Wege nicht scheute und dass man mitseinem Kommen rechnen konnte oder musste. Dabei legtener und sein Gefolge nach neueren Berechnungen ein Tempovor, das bei entsprechend ausgebauten Straßen und Wegenauf Reisebedingungen schließen lässt, die bei einerDurchschnittsgeschwindigkeit von 20–30 Kilometern proTag erst im 19. Jahrhundert wieder erreicht wurden.[53]

-359-An den Truppenstandorten angekommen, beschränkte erseine Inspektionen nicht allein auf die militärischenBelange im engeren Sinn, sondern untersuchte lautCassius Dio auch zum Teil Privatangelegenheiten. Wo dasLagerleben aus seiner Sicht luxuriöse Züge angenommenhatte, traf Hadrian Vorkehrungen dagegen. Dabei teilteer die täglichen Strapazen mit den Soldaten undbeeindruckte damit, dass er barhäuptig jedem Klimatrotzte: dem Schnee im Norden ebenso wie der sengendenSonne Ägyptens. Die von ihm zur Schulung der Disziplinangewandten Methoden und militärischen Übungenüberdauerten sein Jahrhundert.[54]

Hadrianswall (Vallum Hadriani)

Bereits im Vorfeld seiner ersten großen Reise von 121bis 125 ordnete Hadrian Maßnahmen zum Ausbau desObergermanisch-Rätischen Limes an, der durch Palisadenaus halbierten Eichenstämmen eine deutlich sichtbare,befestigte Außengrenze des Römischen Reiches bildensollte: sinnfälliger Ausdruck für HadriansEntscheidung, der Expansionspolitik ein Ende zu setzen.[55] Mit der Inspektion von Truppen undGrenzbefestigungen im Bereich von Donau und Rheinbegann 121 eine vierjährige Abwesenheit Hadrians vonRom. Den Rhein abwärts ziehend und nach Britannienübersetzend begab er sich 122 zu den Truppen, diezwischen Solway Firth und Tyne mit der Errichtung desHadrianswalls beschäftigt waren. Diese Mauer erlaubtedie effektive Kontrolle des gesamten Menschen- undGüterverkehrs; ein System von Festungswerken undVorposten ermöglichte die Kontrolle einesbeträchtlichen Gebiets nördlich und südlich des Walls.[56]

-360-Noch vor dem Winter verließ Hadrian die Insel wiederund reiste durch Gallien, wo ein Aufenthalt in Nîmesbezeugt ist. Auf der Via Domitia erreichte er Spanien,wo er in Tarragona überwinterte und eine Zusammenkunft

von Vertretern aller Regionen und Hauptorte Spaniensorganisierte.[57] Im Jahre 123 setzte er nachNordafrika über und führte Truppeninspektionen durch,bevor er sich wegen einer im Osten drohenden neuenAuseinandersetzung mit den Parthern dorthin auf den Wegmachte und in Verhandlungen am Euphrat eine Beruhigungder Lage erreichte. Die weitere Reiseroute führte überSyrien und diverse kleinasiatische Städte nach Ephesos.[58] Von dort aus erreichte Hadrian auf dem SeewegGriechenland, wo er das ganze Jahr 124 verbrachte,bevor er im Sommer 125 nach Rom zurückkehrte.

Nach einem Nordafrika-Besuch 128 begab sich Hadrianüber Athen erneut auf eine Reise in die Osthälfte desReiches. Besuchsorte und Durchgangsstationen waren diekleinasiatischen Regionen Karien, Phrygien, Kappadokienund Kilikien, bevor er in Antiochia den Winterverbrachte. Im Jahre 130 war er in den Provinzen Arabiaund Judäa unterwegs. In Ägypten zog er, die altenStädte besuchend, nilaufwärts. Nach dem Tod desAntinoos reiste er von Alexandria aus zu Schiff entlangder syrischen und kleinasiatischen Küste mitZwischenaufenthalten nach Norden. Im Sommer und Herbst131 weilte er entweder anhaltend in denWestküstenregionen Kleinasiens[59] oder weiter nördlichin Thrakien, Moesien, Dakien und Makedonien.[60] DenWinter und das Frühjahr 132 verbrachte er letztmals inAthen, bevor er dann, durch den jüdischen Aufstandalarmiert, entweder nach Rom zurückkehrte oder sich inJudäa selbst ein Bild der Lage machte.[61]

Auf die Wohlfahrt der Gebiete, die der Kaiseraufsuchte, wirkten sich seine Reisen gesamthaft positivaus. Er initiierte viele Projekte, nachdem er sich vorOrt von ihrer Notwendigkeit überzeugt hatte.[62] Lokalehistorische und kulturelle Traditionspflege förderteer, indem er dafür sorgte, dass repräsentative alteBauten restauriert, örtliche Spiele und Kulte erneuertsowie Grabanlagen bedeutender Persönlichkeiten instandgesetzt wurden. Auch infrastrukturelle Verbesserungenbei Straßennetz, Hafenanlagen und Brückenbauten

verbanden sich mit Hadrians Reiseaktivitäten. AndereFragen, etwa die nach belebenden wirtschaftlichenAuswirkungen der Kaiserreisen, sind in der Forschungungeklärt.[63] Münzprägungen in zusammenhängendenEmissionen aus Hadrians letzten Regierungsjahrenbilanzierten den Ertrag der großen Reisen für dieBevölkerung auf vollkommen neuartige Weise, einTatenbericht von eigener Art.

-361-Von den sogenannten Provinzmünzen gibt es drei Arten:eine, welche die Personifikation eines Reichsteilszeigt und den Namen des Kaisers nennt, eine andere, diean die Ankunft des Kaisers im jeweiligen Gebieterinnert, wobei Hadrian und die jeweiligePersonifikation einander gegenüberstehen, und einedritte, die dem Kaiser als dem ‚Erneuerer’ einesReichteils gewidmet ist und ihn eine vor ihm kniendeFrauengestalt aufrichten lässt.[64]

Philhellenismus

Hadrian in griechischer Kleidung

Neben Rom als Herrschaftszentrum, das er nichtvernachlässigen durfte, galt Hadrians Freigebigkeit unddauerhafte Zuwendung in außergewöhnlichem MaßeGriechenland und insbesondere Athen. Sein vielleichtschon früh ausgeprägter Philhellenismus, der ihm denBeinamen Graeculus („Griechlein“) eintrug, bestimmtenicht allein seine ästhetischen Neigungen, sondernzeigte sich auch in seinem Äußeren, in Akzenten seinerLebens- und Umfeldgestaltung sowie im politischenWollen und Wirken.

-362-Dabei markiert der Ausdruck Graeculus auch eine gewissespöttische Distanz der römischen Oberschicht zumreichhaltigen und anspruchsvollen griechischenBildungsgut. Schon in republikanischer Zeit hatte eineallzu intensive Beschäftigung etwa mit griechischer

Philosophie als für einen jungen Römer schädlichgegolten.[65]

Andererseits fand der heranwachsende Hadrian in Romunter Domitian, der selbst Gedichte geschrieben und alsKaiser in Athen das Amt des Archonten übernommen hatte,ein der griechischen Kultur durchaus aufgeschlossenesKlima vor. Seit 86 veranstaltete Domitian imvierjährigen Turnus einen Wettstreit für Poeten undMusiker, Athleten und Reiter, dem er griechischgekleidet in einer neu erbauten Arena für 15.000Zuschauer selbst vorsaß.[66]

An Hadrians äußerem Erscheinungsbild auffällig und mitTrajan deutlich kontrastierend waren Frisur und Bart.Hadrians gelockte Stirn – mit aufwendig gekräuseltenHaaren im Gegensatz zu Trajans „Gabelfrisur“ – war dereine, sein Bart der andere augenfällige Unterschied.Mit seiner Barttracht veränderte Hadrian die Mode desReiches für über ein Jahrhundert. Er konnte sich damitTrajan gegenüber als eigene Persönlichkeit zur Geltungbringen und mit dem „Griechenbart“ oder „Bildungsbart“zugleich Akzente in kultureller Hinsicht setzen.[67]

Sobald sich für Hadrian nach vollständiger Absolvierungder Ämterlaufbahn und in einer Pause von Trajansmilitärischen Großaktionen die Gelegenheit ergab,suchte er 111/112 Athen auf, ließ sich dort dasBürgerrecht verleihen und wurde zum Archonten gewählt,was von seinen Vorgängern nur Domitian und von seinenNachfolgern erst wieder Gallienus beschieden war, dieallerdings im Gegensatz zu ihm zur Zeit ihresArchontats bereits amtierende Kaiser waren.[68]

-363-Für die Zeit in der Mitte seines viertenLebensjahrzehnts war Hadrian von anderweitigen Aufgabenund Verpflichtungen anscheinend weitgehend entbundenund konnte sich mehr als sonst seinen Neigungenzuwenden, Kontakte herstellen und pflegen. So dürfte erin dieser Zeit den stoischen Philosophen Epiktetaufgesucht und gesprochen haben. Durch Vermittlungseines Freundes Quintus Sosius Senecio, der auch mitPlinius dem Jüngeren befreundet war, oder des Favorinuskönnte er mit Plutarch zusammengekommen sein undhäufiger mit dem Sophisten Polemon von Laodikeia inKontakt gestanden haben. Auch an den Epikureern hatteHadrian offenbar Interesse, wie sich spätestens 121nachweisen lässt, als er an einer Neuregelung bei derBesetzung der Schulleitung beteiligt war.[69] Eineklare Zuordnung Hadrians zu einer bestimmtenphilosophischen Schule ergibt sich daraus nicht. AlsEklektiker dürfte er eine Auswahl des für ihnBedeutsamen getroffen haben: Epikureisches vielleichtmit Blick auf den eigenen Freundeskreis, stoischeElemente eher im Hinblick auf die staatlichenObliegenheiten.[70]

Auch in religiöser Hinsicht nahm Hadrian die weitzurückreichende Athener Tradition für sich selbst an.Er war nach Augustus der zweite römische Kaiser, dersich in die Mysterien von Eleusis einweihen ließ. SeineEinweihung auf der ersten Stufe könnte bereits in dieZeit seines Archontats fallen.[71] Eine spätere, wohlauf die zweite Einweihungsstufe (Epopteia) bezogeneMünzprägung, die auf der Vorderseite Augustus zeigt,trägt auf der Rückseite außer der Abbildung einerGetreidegarbe die Aufschrift Hadrianus Aug(ustus)p(ater) p(atriae) ren. Dabei steht ren. für renatus(„wiedergeboren“); Hadrian firmierte also im Zeichen

der eleusinischen Mysterien als Wiedergeborener.[72]Unter die Epopten dürfte er demnach anlässlich einesder weiteren Athen-Aufenthalte 124 oder 128 aufgenommenworden sein.

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Ruinen des Olympieions

Während Griechenland in großen Teilen der römischenOberschicht damals nur als ein zu Erbauungszweckenbesichtigenswertes kulturgeschichtlich-musealesEnsemble betrachtet wurde,[73] arbeitete Hadrian daraufhin, die Griechen als östlichen Bevölkerungspol desRömischen Reiches zu neuer Einheit und Stärke und zumehr Selbstbewusstsein zu führen. Während seinerInspektionsreisen durch die griechischen Provinzenlöste er mit der Abhaltung von Spielen und Wettkämpfen

einen Festrausch aus. Kein anderer Kaiser gab so vielenSpielen seinen Namen wie er mit den Hadrianeen.[74] Mitbedeutenden baulichen Neuerungen und infrastrukturellenVerbesserungsmaßnahmen sorgte er dafür, Athen alsMetropole der Griechen wiederzubeleben. Mit dem aufsein Betreiben nach Jahrhunderten endlich vollendetenBau des Olympieions, das er als kultisches Zentrumeines Panhellenions vorsah, einer repräsentativenVersammlung aller Griechen im Römischen Reich, knüpfteHadrian an das gut ein halbes Jahrtausendzurückliegende Synhedrion an, dessen Kompetenzen in derÄra der größten Machtentfaltung der AttischenDemokratie unter Perikles nach Athen verlagert wordenwaren.[75] Die Athener dankten Hadrian seine Zuwendung,indem sie den ersten Aufenthalt des Kaisers als denBeginn einer neuen Stadtära feierten.[76]

-365-

Das Tor heute, Blick nach Süden (stadtauswärts)

Dem entsprach offenbar in hohem Maße HadriansSelbstverständnis und die Art seiner Selbstinszenierungim öffentlichen Raum.

Am Übergang der Stadt zum Olympieion-Bezirk wurde zuseinen Ehren 132 das Hadrianstor errichtet. Die anbeiden Torseiten angebrachten Inschriften verwieseneinerseits auf Theseus als Athens Gründungsheros,andererseits auf Hadrian als den Gründer der neuenStadt. Indem Hadrian hier ohne die sonst üblichezusätzliche Titulatur erschien, übte er sich nicht sosehr in Bescheidenheit, sondern stellte sich mit demkultisch verehrten Stadtgründer Theseus, der ebenfallsohne besonderen Rang und Titel genannt wurde, erkennbarauf eine Stufe.[77]

Die Athener zeigten sich dem Kaiser auch in andererHinsicht demonstrativ dankbar, wie die große Zahl derEhrenstatuen verdeutlicht, die für Hadrian nachgewiesensind. Es gab allein in Athen mehrere hundert Porträtsdes Kaisers in Marmor oder Bronze. In Milet erhielt erauf Beschluss des Rats jährlich eine neue, sodass dortam Ende seiner Regierungszeit 22 Statuen oder BüstenHadrians standen. Der Archäologe Götz Lahusen schätzt,dass es in der Antike 15.000 bis 30.000 Bildnisse vonihm gab; heute sind etwa 250 davon bekannt.[78] Hadrianseinerseits gründete noch 135 in Rom das Athenäum.

-366-Eine machtpolitische Komponente von Hadrians Engagementfür die Griechen bestand darin, dass diegriechischsprachigen Provinzen als Widerlager undruhender Pol im Hinterland der orientalischenmilitärischen Brennpunkte und Konfliktzonen wirkten.Dies war die politische und strategische Seite vonHadrians Philhellenentum.[79] Eine Verlagerung des

politischen Machtzentrums in den östlichen Reichsteilhat Hadrian aber nicht angestrebt.[80]

Die Bedeutung des Panhellenions als politisches Binde-und Stärkungsmittel griechischer Einheit hielt sichohnehin in Grenzen. Ungewiss sind sowohl Gründungsdatumund Sitz der Versammlung wie auch ihr Ziel. Vielleichtsollten die griechischen Poleis untereinanderharmonisiert und zugleich über Athen enger an Rom undden Westen gebunden werden. Außer kulturellen Kontaktenscheint nach Hadrians Tod nicht viel geblieben zu sein.[81]

Bautätigkeit

Der Prinzipat Hadrians war verbunden mit einemanhaltenden Aufschwung von Baumaßnahmen verschiedensterArt, die nicht nur Rom und Athen galten, sondern denStädten und Regionen überall im Reich. Die Bautätigkeitwurde eine von Hadrians Prioritäten. Dazu trugen sowohlpolitische und dynastische Erwägungen als auch dastiefe persönliche Interesse des Kaisers an Architekturbei.[82] Einige der in Hadrians Ära entstandenen Bautenstellen einen Wende- und Höhepunkt römischerArchitektur dar.[83]

Hadriantempel in Ephesos

-367-Frühe Studien der Malerei und Modellierkunst sowieHadrians Interesse an Architektur sind bei Cassius Diobezeugt.[84] Auch zeigte Hadrian anscheinend keineScheu, mit eigenen Konstruktionsvorstellungen undEntwürfen auch unter Meistern des Faches aufzuwarten.Cassius Dio berichtet von einer herben Abfuhr, die derberühmte Architekt Apollodor von Damaskus demvielleicht etwas vorwitzigen jungen Mann erteilte.Apollodor soll Hadrian, der ihn in seinen AusführungenTrajan gegenüber unterbrochen hatte, zurechtgewiesenhaben: „Verzieh dich und zeichne deine Kürbisse. Duverstehst nichts von diesen Dingen.“[85]Mit der Umsetzung eines eigenen Bauprogramms begannHadrian schon bald nach dem Herrschaftsantritt sowohlin Rom als auch in Athen und auf dem Familienbesitz beiTibur. Der Betrieb auf diesen wie zahlreichen weiterenBaustellen lief über lange Zeit parallel und teils überHadrians Tod hinaus, so im Falle des Tempels der Venusund der Roma und beim Hadriansmausoleum. Damit ließsich speziell in Rom ein dauerndes Engagement desKaisers für die Metropole auch in den langen Zeitenseiner Abwesenheit vor Augen führen.[86]

Auf die Inspektionsreisen in die Provinzen des Reichesbegleitete ihn nicht nur die für den Schriftverkehrzuständige kaiserliche Kanzlei, der anfänglich nochSueton vorstand, sondern auch eine Auswahl vonBaufachleuten aller Art.[87] Wie der Archäologe HeinerKnell feststellt, stand in kaum einer anderenZeitspanne der Antike die aufblühende Baukultur untereinem so günstigen Stern wie unter Hadrian; damalsentstanden Bauwerke, „die zu Fixpunkten einerGeschichte der römischen Architektur geworden sind“.[88]

Fassade des Pantheons

-368-Ein markantes erhaltenes Monument dieserarchitektonischen Blütezeit ist das 110 durchBlitzschlag zerstörte und unter Hadrian neu konzipiertePantheon, das bereits Mitte der 120er Jahrefertiggestellt war und von Hadrian für Empfänge undGerichtssitzungen öffentlich genutzt wurde. Die Lagedes Pantheons auf einer Achse mit dem gut siebenhundertMeter entfernten Eingang des gegenüberliegendenAugustusmausoleums deutet wiederum auf ein Bekenntniszum Erbe des Augustus, zumal Agrippa das Pantheon wohlursprünglich als ein Heiligtum für die Familie desAugustus und die ihr verbundenen Schutzgötterkonzipiert hatte.[89] Spektakulär ist der Bau mitseinem Innenraum, der von der größten nicht verstärktenBetonkuppel der Welt überwölbt ist. Voraussetzung dafürwar eine „Betonrevolution“, die der römischenBautechnik Gebäudekonstruktionen ermöglichte, wie siein der Menschheitsgeschichte bis dahin noch nichtvorgekommen waren.[90] Neben den Ziegeln (figlinae) warbzw. wurde Beton (opus caementicium) grundlegendesBaumaterial. Die Führungsklasse einschließlich derKaiserfamilie investierte in dieses Gewerbe, besondersdie Ziegelproduktion.[91]

Bauplatz und Ruinen des Doppeltempels der Venus und der Roma

Auf andere Weise beeindruckend neuartig nahm sich fürdie Römer die Anlage des Doppeltempels für Venus undRoma auf der Velia, einem der ursprünglichen siebenHügel Roms, aus. Die Verbindung zweier Göttinnen warunüblich und es gab auch kaum Präzedenzfälle für einenso bedeutenden Kult der Roma in ihrer eigenen Stadt.Mit diesem Bau erschien Hadrian als neuer Romulus(Stadtgründer).[92] Während die Cellae desDoppeltempels jeweils dem italischen Tempeltypusentsprachen, folgte die beide Cellae umschließendeSäulenringhalle dem griechischen Tempeltypus. Eshandelte sich dabei um die bei weitem größteTempelanlage in Rom. In ihr konnte diekulturübergreifende Ausdehnung des Römisches Reichesebenso versinnbildlicht werden wie eine darausgewonnene kulturelle Einheit und Identität.[93]

-369-Als Hadrian die Pläne Apollodor zur Prüfung undStellungnahme zukommen ließ, soll dieser – wiederumnach dem Bericht Cassius Dios – drastisch Kritik geübtund sich neuerlich Hadrians Zorn zugezogen haben. DieÜberlieferung, wonach Hadrian erst für die Verbannungund sodann auch noch für den Tod Apollodors im Exilgesorgt habe, gilt in der neueren Forschung jedoch alsäußerst unglaubwürdig.[94] Schon bei der Erschließungdes Bauplatzes für den Doppeltempel wurde den Römernein unvergesslicher Anblick geboten: Der unter Neroangefertigte und dort aufgestellte Koloss, eine 35Meter hohe Bronzestatue von über 200 Tonnen geschätztemMindestgewicht,[95] die man mit dem Sonnengott Sol

verband, wurde auf technisch ungeklärte Weise unterEinsatz von 24 Elefanten angeblich aufrecht stehendumgesetzt.[96]

Garten der Villa Hadrians in Tibur (heute Tivoli)

Annähernd auf freiem Feld konnte Hadrian seinenAmbitionen als Bauherr auf dem Landsitz bei Tibur,dessen allein baulich erschlossene Fläche sich heuteüber etwa 40 Hektar erstreckt, nachgehen. Das Geländeist zum großen Teil zerstört, doch ist dieHadriansvilla Teil des UNESCO-Weltkulturerbes und nichtzuletzt aufgrund der eklektischen Zusammenstellungunterschiedlichster Baustile (römisch, griechisch,ägyptisch) einzigartig. Die Villa, ein ausgedehnterPalast und Alternativsitz der Regierung, erschien fastwie eine kleine Stadt. In der Planung und denKonstruktionstechniken wurden neuartige Experimentegewagt. Durch ihren Formenreichtum und die Pracht ihresDekors wurde die Villa in der Folgezeit zu einer derSaatstätten für die Entwicklung von Kunst undArchitektur.[97] Die neuen Möglichkeiten im Betonbaukamen auch hier vielfältig zum Einsatz, so zum Beispielin Kuppeln und Halbkuppeln, in die man bei derEntwicklung neuartiger Formen der Raumausleuchtungvariationsreiche Öffnungen schnitt.[98] -370-In Verbindung mit stark wechselnden Raumgrößen und -gestaltungsformen sowie mit einer vielfältigen

Innenausschmückung begleitete den Besucher bei einemRundgang ein stetes Überraschungsmoment, das sich auchim Perspektivwechsel von den Innenräumen zu Ausblickenauf Gärten und Landschaft Geltung verschaffte. Sosetzte die Villa für die römische Architektur einenneuen Standard.[99]

Der Eingang zum Augustusmausoleum

Bereits in den ersten Jahren seines Prinzipats trafHadrian Vorsorge für den eigenen Tod und dieGrablegung, indem er etwa parallel mit dem Baubeginndes Doppeltempels der Venus und Roma die Errichtung desmonumentalen Mausoleums auf der dem Marsfeldgegenüberliegenden Uferseite des Tibers betrieb.[100]Dort bildete es aber schließlich vor allem das optischeGegenstück zu dem ebenfalls zylindrischen Hauptteil desAugustusmausoleums, das wenige hundert Meternordöstlich auf dem anderen Tiberufer lag.[101] Beieiner Gesamthöhe des Monuments von etwa 50 Metern hattedie allein 31 Meter hohe Trommel an der Basis einenDurchmesser von 74 Metern. Die wohl 123 begonnene undim Kern bis heute erhaltene Konstruktion ruhte aufeiner Betonplattform von ungefähr zwei Metern Dicke.[102] Die Rekonstruktion der Aufbauten und figuralenAusstattung oberhalb des Grundbaus ist nicht mehrmöglich.[103]

-371-Eine Zusammenschau des von Hadrian realisiertenBauprogramms lässt erkennen, dass er auch darin diecharakteristischen Kulturmerkmale unterschiedlicherTeile des Römischen Reiches zu einer Synthesezusammenzuführen suchte – sehr deutlich etwa in deranspielungs- und zitatereichen architektonischenVielfalt der Hadriansvilla bei Tibur. Doch auch Rom undAthen wurden von Hadrian architektonisch aufeinanderverwiesen. Der römische Doppeltempel der Venus und Romahatte in der Außenansicht griechisches Gepräge, währendbeispielsweise die für Athen gestifteteHadriansbibliothek hinsichtlich der Säulengestaltungeine typisch römische Architektur transferierte.[104]

Antinoos

Zu den aufsehenerregenden Besonderheiten von HadriansPrinzipat und zu den das Bild dieses Kaisers nachhaltigbestimmenden Faktoren zählt seine Beziehung zu demgriechischen Jüngling Antinoos. Der Zeitpunkt ihresZustandekommens ist nicht überliefert. Cassius Dio undder Verfasser der Historia Augusta beschäftigten sichmit Antinoos erst anlässlich der Umstände seines Todesund der Reaktionen Hadrians darauf. Diese fielenbezüglich der Trauer des Kaisers und der damiteinhergehenden Schaffung eines Antinoos-Kults soungewöhnlich aus, dass die Hadrian-Forschung dadurch zuvielerlei Deutungen angeregt bzw. herausgefordertwurde.

Antinoosbüste aus der Villa Hadriana in Tivoli, heute im Louvre

-372-Da zwischen den beiden unzweifelhaft eine Erastes-Eromenos-Beziehung bestand, hat sich Antinooswahrscheinlich etwa von seinem fünfzehnten Lebensjahrbis zu seinem Tode als rund Zwanzigjähriger in der Nähedes Kaisers aufgehalten. Diese Annahme wird vonbildlichen Darstellungen des Antinoos gestützt. Erstammte aus dem bithynischen Mantineion beiClaudiopolis. Hadrian dürfte ihm während seinesAufenthalts in Kleinasien 123/124 begegnet sein.[105]

Antinoos als Osiris

Für das zeitgenössische Umfeld war nicht so sehr diehomoerotische Neigung Hadrians zu dem Heranwachsendenirritierend – solche Verhältnisse gab es auch beiTrajan –, sondern der Umgang des Kaisers mit dem Toddes Geliebten, der ihn anhaltend tief traurig machteund den er nach Frauenart beweinte – anders als den Todseiner Schwester Paulina, der auch in diese Zeit fiel.Als auffällige Diskrepanz registriert wurde auch dashöchst unterschiedliche Ausmaß der postumen Ehrungen,die Hadrian Antinoos und Paulina gewährte. Dies wurdeals unschickliche Vernachlässigung der Schwesterwahrgenommen.[106] Anstößig war sowohl das Übermaß derTrauer als auch der Umstand, dass der Verstorbene alsbloßer Lustknabe und daher nicht betrauernswert galt.[107]

-373-

Antinoos als Kaiserpriester

So wenig diese Formen der Trauerarbeit des Herrscherszu römischer Denkart passen mochten, so dubios warendie Umstände, unter denen Antinoos zu Tode kam: Nebendem natürlichen Tod durch Sturz in den Nil undanschließendes Ertrinken, wie von Hadrian wohl selbstdargestellt, kamen alternative Deutungen in Betracht,denen zufolge Antinoos entweder sich für Hadrianopferte oder in unhaltbarer Lage den Freitod suchte.[108]

-374-Die Annahme des Opfertods gründet in magischenVorstellungen, wonach das Leben des Kaisers verlängertwerden konnte, wenn ein anderer das seine für ihnopferte. Aus eigenem Antrieb könnte Antinoos den Todgesucht haben, weil er als nun Erwachsener diebisherige Beziehung zu Hadrian nicht fortsetzen konnte,da er die spezifische Attraktivität einesHeranwachsenden verloren hatte.[109]

Ort und Zeitpunkt von Antinoos’ Tod im Nil kamenHadrians Bestrebungen um Vergöttlichung und kultischeVerehrung des toten Geliebten entgegen. In Ägypten botsich die Angleichung des Antinoos an den Gott Osirisan. Dazu trug der Umstand bei, dass sich sein Tod etwaum den Jahrestag von Osiris’ Ertrinken ereignete. Nacheiner ägyptischen Überlieferung, die Antinoos gekannthaben dürfte, erlangten im Nil Ertrunkene göttlicheEhren. Der Gedanke, mit dem eigenen Leben das einesanderen zu retten, war Griechen und Römern vertraut.[110]

Nahe der Stelle, wo Antinoos ertrunken war, gründeteHadrian am 30. Oktober 130 die Stadt Antinoupolis, dieum den Begräbnisort und Grabtempel des Antinoos herumemporwuchs, und zwar getreu dem Muster von Naukratis,der ältesten griechischen Siedlung in Ägypten.Möglicherweise hatte er für den aktuellen Aufenthalt amNil ohnehin eine Stadtgründung für griechische Siedlervorgesehen. Das lag auf der Linie seinerHellenisierungspolitik in den östlichen Provinzen desReiches. Zudem mochte ein weiterer Hafen auf demrechten Nilufer wirtschaftliche Impulse mit sichbringen.[111] Antinoupolis reihte sich unter eineVielzahl von Stadtneugründungen ein, die Hadrian auchteilweise mit dem eigenen Namen ausstattete. SeitAugustus hatte kein Kaiser Städtegründungen in sogroßer Zahl und über derart viele Provinzen verteiltvorgenommen.[112]

Die postume Vergöttlichung ihrer Geliebten hattenbereits einzelne hellenistische Herrscher betrieben.Die Vorlage dafür hatte Alexander der Große gegeben,als er seinen Geliebten Hephaistion nach dessen Tod mitEhrungen einschließlich eines Heroenkults überhäufte,womit er ebenfalls auf Kritik stieß. Neu an dem vonHadrian für Antinoos errichteten Kult war aber dasflächendeckende Ausmaß sowie die Einbeziehung desKatasterismos; Hadrian gab an, den Stern des Antinoosgesehen zu haben.[113]

-375-Über die konkrete Ausgestaltung des Antinoos-Kultskönnte beraten worden sein, nachdem die kaiserlicheGesellschaft für einen mehrmonatigen Aufenthalt nachAlexandria zurückgekehrt war. Reden und Gedichte zurTröstung Hadrians mochten dabei mancherlei Anregungenfür die spätere Antinoos-Ikonografie geboten haben.[114]

Der Antinoos-Kult fand in verschiedenen Spielartenenorme Verbreitung. Der als Statue vielerorts präsenteJüngling wurde demonstrativ eng mit dem Kaiserhausassoziiert, wie ein Stirnreif unterstreicht, auf demNerva und Hadrian erscheinen. Dabei überwog dieVerehrung als Heros die göttlichen Ehren im engerenSinn; meist erscheint Antinoos als Hermes-Äquivalent,als Osiris-Dionysos oder als Schutzherr von Saaten[115]Etwa 100 Marmorbildnisse des Antinoos hat dieArchäologie zutage gefördert. Nur von Augustus undHadrian selbst sind aus der klassischen Antike nochmehr solcher Bildnisse überliefert.[116] FrühereAnnahmen, dass der Antinoos-Kult nur im griechischenOstteil des Römischen Reiches verbreitet war, wurdenunterdessen widerlegt: Aus Italien sind mehr Antinoos-Statuen bekannt als aus Griechenland und Kleinasien.[117] Nicht nur dem Kaiserhaus nahestehende,

gesellschaftlich führende Kreise förderten denAntinoos-Kult; er hatte auch unter den Massen eineAnhängerschaft, die mit ihm auch die Hoffnung auf einewiges Leben verband. Lampen, Bronzegefäße und andereGegenstände des täglichen Lebens zeugen von derAufnahme des Antinoos-Kults in der breiten Bevölkerungund ihren Auswirkungen auf die Alltagsikonografie.[118]Auch mit festlichen Spielen, den Antinóeia, wurde dieAntinoos-Verehrung gefördert, nicht nur inAntinoupolis, sondern etwa auch in Athen, wo solcheSpiele noch im frühen 3. Jahrhundert abgehalten wurden.[119] Unklar ist, ob die Entwicklung des Kults vonAnfang an so geplant war. Jedenfalls ermöglichte dieAntinoos-Verehrung der griechischen Bevölkerung desReiches, ihre eigene Identität zu feiern und zugleichihre Loyalität zu Rom auszudrücken, was denZusammenhalt des Reiches stärkte.[120]

-376-Jüdischer Aufstand

Hadrian hielt während der gesamten Dauer seinerHerrschaft an seinem Befriedungs- undStabilisierungskurs im Hinblick auf Außengrenzen undNachbarn des Römischen Reiches fest. Dennoch kam esschließlich zu schwerwiegenden militärischenAuseinandersetzungen, die sich im Inneren des Reichsabspielten, in der Provinz Judäa. Dort brach 132 derBar-Kochba-Aufstand aus, dessen Niederschlagung bis 136dauerte. Nach dem Jüdischen Krieg 66–70 und demDiasporaaufstand 116/117, mit dessen Ausläufern Hadrian

bei seinem Amtsantritt noch zu tun hatte, war dies derdritte und letzte Feldzug römischer Kaiser gegenjüdisches Autonomiestreben und den damit verbundenenbewaffneten Selbstbehauptungswillen. Hadrian folgte indieser Frage der von seinen Vorgängern eingeschlagenenLinie, die auf Unterordnung der Juden und Christenunter die römischen Gesetze und Normen zielte. Anstelleder traditionellen Abgabe für den Jerusalemer Tempel,den die Römer 71 im Jüdischen Krieg zerstört hatten,war den Juden danach eine entsprechende Abgabe für denTempel des Jupiter Capitolinus auferlegt worden, einfortdauernder Stein des Anstoßes für alle, die sich derAnpassung verweigerten.[121]

Der 70 n. Chr. zerstörte jüdische Tempel im Modell

Gegenstand einer Forschungskontroverse ist die Frage,ob Hadrian zum Ausbruch des Aufstands beigetragen hat,indem er ein Beschneidungsverbot erließ, eine den Judenfrüher erteilte Erlaubnis, den zerstörten JerusalemerTempel wieder aufzubauen, rückgängig machte undbeschloss, Jerusalem als römische Kolonie mit dem NamenAelia Capitolina (was den Stadt- an seinenFamiliennamen band) neu zu erbauen. Diese drei Gründefür den Ausbruch des Krieges werden in römischen undjüdischen Quellen genannt bzw. sind aus ihnenerschlossen worden.[122]

-377-Nach dem aktuellen Forschungsstand ergibt sich aber einanderes Bild: Die These vom zunächst erlaubten, dann

verbotenen Tempelbau gilt heute als widerlegt,[123] dasBeschneidungsverbot wurde wahrscheinlich erst nach demAusbruch des Aufstands verhängt[124] und die Gründungvon Aelia Capitolina war – falls sie tatsächlich schonvor Kriegsausbruch erfolgte – nur einer der Umstände,die den Aufständischen inakzeptabel erschienen. Zugrößeren Konflikten zwischen Juden und Römern scheintes vorher nicht gekommen zu sein, denn die Römer wurdenvom Aufstand überrascht.[125] Dieser war keineUnternehmung des gesamten jüdischen Volkes, sondern esgab unter den Juden eine römerfreundliche und einerömerfeindliche Richtung. Die Römerfreunde waren mitder Eingliederung des jüdischen Volkes in die römischeund griechische Kultur einverstanden, während sich dieGegenseite aus religiösem Grund der von Hadriangewünschten Assimilation radikal widersetzte.Anfänglich wurde die Rebellion nur von einermöglicherweise relativ kleinen römerfeindlichen, strengreligiös gesinnten Gruppe in Gang gesetzt, späterweitete sie sich stark aus.[126] Nach dem BerichtCassius Dios war die Erhebung von langer Handvorbereitet worden, indem Waffen gesammelt undWaffenlager sowie geheime Rückzugsorte räumlichverteilt angelegt worden waren.[127]

Als der Aufstand 132 losbrach, erwiesen sich die beidenvor Ort stationierten römischen Legionen binnen kurzemals unterlegen, sodass Hadrian Heeresteile undmilitärisches Führungspersonal aus anderen Provinzennach Judäa beorderte, darunter den als besonders fähigangesehenen Kommandeur Sextus Iulius Severus, der ausBritannien am Schauplatz eintraf. Unklar ist, obHadrian bis 134 selbst an der expeditio Iudaicateilnahm; einige Indizien sprechen dafür.[128]Zweifellos war die enorme Truppenmobilisierung für dieKämpfe in Judäa eine Reaktion auf hohe römischeVerluste. Als Hinweis darauf wird auch der Umstandgedeutet, dass Hadrian in einer Botschaft an den Senatauf die übliche Bekundung verzichtete, dass er selbstund die Legionen wohlauf seien.[129] DerVergeltungsfeldzug der Römer, als sie schließlich

wieder die Oberhand in Judäa gewannen, war gnadenlos.Bei den Kämpfen, in denen nahezu hundert Dörfer undBergfesten einzeln genommen werden mussten, fanden über500.000 Juden den Tod, das Land blieb menschenleer undzerstört zurück. Aus Iudaea wurde die Provinz SyriaPalaestina. Hadrian bewertete den schließlichen Sieg sohoch, dass er im Dezember 135 die zweite imperatorischeAkklamation entgegennahm; doch verzichtete er auf einenTriumph.[130]

-378-Die Tora und der jüdische Kalender wurden verboten, manließ jüdische Gelehrte hinrichten und Schriftrollen,die den Juden heilig waren, auf dem Tempelbergverbrennen. Am früheren Tempelheiligtum wurden StatuenJupiters und des Kaisers errichtet. Aelia Capitolinadurften die Juden zunächst nicht betreten. Spätererhielten sie die Zutrittserlaubnis einmal jährlich am9. Av, um Niederlage, Tempelzerstörung und Vertreibungzu betrauern.

Tod und Nachfolge

Anfang des Jahres 136 erkrankte Hadrian als nunSechzigjähriger so schwer, dass er den gewohnten Alltagaufgeben musste und fortan weitgehend ans Bettgefesselt blieb.[131] Als Ursache kommt einebluthochdruckbedingte Arterienverkalkung derHerzkranzgefäße in Betracht, die schließlich den Toddurch Nekrose in den mangeldurchbluteten Gliedmaßen unddurch Ersticken herbeigeführt haben könnte.[132] Damitstellte sich dringlich das Problem derNachfolgeregelung. In der zweiten Jahreshälfte 136präsentierte Hadrian der Öffentlichkeit Lucius CeioniusCommodus, der zwar amtierender Konsul, aber doch einÜberraschungskandidat war. Er war der Schwiegersohn desAvidius Nigrinus, eines der nach HadriansHerrschaftsantritt hingerichteten vier KommandeureTrajans. Ceionius hatte einen fünfjährigen Sohn, der in

die voraussichtliche Thronfolge einbezogen war.Hadrians Motive für diese Wahl sind ebenso ungeklärtwie die von ihm dabei für seinen mutmaßlichenNeffen[133] Mark Aurel vorgesehene Rolle. Mark Aurelwurde auf Betreiben des Kaisers 136 mit einer Tochterdes Ceionius verlobt und während des Latinerfestes alsFünfzehnjähriger mit dem Amt des temporärenStadtpräfekten (praefectus urbi feriarum Latinarumcausa) betraut.[134]

Die Adoption des Ceionius, der mit dem Caesar-Titel nunoffiziell Herrschaftsanwärter war, wurde durch Spieleund Geldzuwendungen an Volk und Soldaten in aller Formöffentlich begangen. Danach begab sich der von Hadrianmit der tribunizischen Gewalt und dem imperiumproconsulare für Ober- und Niederpannonienausgestattete, militärisch noch wenig versiertepräsumptive Nachfolger zu den an der latent unruhigenDonaugrenze stationierten Heeresteilen. Dort mochte eraus Hadrians Sicht wohl besonders lohnende militärischeErfahrungen sammeln und wichtige Kontakte in dieFührungsebene herstellen.

-379-Gesundheitlich war der vermutlich bereits länger anTuberkulose Leidende in dem rauen pannonischen Klimaallerdings nicht gut aufgehoben.[135] Nach Romzurückgekehrt verstarb Ceionius nach starkem,anhaltenden Blutverlust bereits am 1. Januar 138.[136]

Tiber mit pons Aelius

Diese erste, nun gescheiterte Nachfolgeregelung fand inRom wenig Verständnis. Erbitterung erzeugte die damiteinhergehende Beseitigung von Hadrians SchwagerServianus und dessen Neffen Fuscus, die eigenerHerrschaftsambitionen verdächtigt wurden. Hadrian sahsich angesichts seiner Hinfälligkeit zu einer zügigenNeuregelung seiner Nachfolge gezwungen. Am 24. Januar138, seinem 62. Geburtstag, gab er vom Krankenbett ausprominenten Senatoren seine Absichten bekannt, die am25. Februar in den offiziellen Adoptionsakt mündeten:Neuer Caesar wurde der Hadrians Beraterstab bereitslänger angehörige Antoninus Pius, Konsul bereits 120,auch er im militärischen Bereich weit weniger erfahrenals in Verwaltungsangelegenheiten, doch als 134/35bewährter Prokonsul in der Provinz Asia ein auch inSenatskreisen angesehener Mann.[137] Die Adoption desAntoninus verband Hadrian mit der Bedingung, dass derneue Caesar in einem Gesamtvorgang seinerseits dieDoppeladoption Mark Aurels und des Ceionius-SprösslingsLucius Verus vollzog, was noch am selben Tag geschah.Damit war Mark Aurel als der neun Jahre ältere derbeiden Adoptivbrüder zum künftigen Nachfolger desAntoninus ausersehen. Antoninus selbst unterstrichdiese Abfolge zusätzlich, indem er nach Hadrians TodMark Aurel die Verlobung mit der Ceionius-Tochter lösenließ und ihm die eigene Tochter zur Frau gab.[138]

-380-Die eigene körperliche Verfassung wurde Hadrianzunehmend unerträglich, sodass er das Ende immerdringlicher herbeiwünschte. Mit durch Wassereinlagerungaufgedunsenem Körper und von Atemnot gepeinigt suchteer nach Möglichkeiten, die Qualen zu beenden. Er bateinzelne in seinem Umfeld mehrfach, ihm Gift zuverschaffen oder einen Dolch, wies einen Sklaven an,ihm an vorbezeichneter Stelle das Schwert in den Leibzu stoßen, und reagierte zornig auf die allseitigeWeigerung, seinen Tod vorzeitig herbeizuführen.[139]Antoninus ließ dies jedoch nicht zu, weil er, derAdoptivsohn, anderenfalls als Vatermörder anzusehengewesen wäre. Es lag aber auch imLegitimationsinteresse seiner eigenen bevorstehendenHerrschaft, dass Hadrian nicht durch Suizid endete,womit er sich unter die „schlechten Kaiser“ wie Othound Nero eingereiht, die Vergöttlichung verwirkt unddamit Antoninus den Status des divi filius („Sohn desVergöttlichten“) vorenthalten hätte.[140]

Hadrians Mausoleum

In die von Krankheit und Todeserwartung geprägte letztePhase von Hadrians Leben gehört sein als authentischgeltendes animula-Gedicht:[141]

animula vagula blandula,

hospes comesque corporis,quo nunc abibis? in locapallidula rigida nubila –nec ut soles dabis iocos.

-381-Kleine Seele, schweifende, zärtliche,

Gast und Gefährtin des Leibes,Wohin wirst du nun entschwinden? An Orte,

die bleich sind, starr und düster,Und du wirst nicht mehr wie gewohnt scherzen.

Nach seinem letzten Aufenthalt in Rom ließ sich Hadriannicht in seine Villa nach Tibur, sondern auf einenLandsitz in Baiae am Golf von Neapel bringen, wo er am10. Juli 138 verschied. Nach der Darstellung derHistoria Augusta ließ Antoninus die Asche seinesVorgängers nicht sogleich von Baiae nach Romüberführen, sondern wegen Hadrians Verhasstheit beiVolk und Senat vorläufig unter Ausschluss derÖffentlichkeit auf Ciceros einstigem Landsitz inPuteoli beisetzen. Dies gilt aber in der Forschung alsunwahrscheinlich.[142] Auch ein langwieriges Ringen vonAntoninus Pius um die Vergöttlichung Hadrians mit einemsich weigernden Senat wirkt kaum glaubhaft; zwar hatteder Verstorbene erbitterte Feinde, doch empfahl es sichfür Antoninus, das Programm des Machtwechsels zügigabzuwickeln, und er verfügte über alle dafürerforderlichen Mittel.[143]

Quellenlage

Die einzige erzählende Quelle, die der Überlieferungzufolge zu Hadrians Lebzeiten verfasst wurde, war seineAutobiographie, von der aber nur ein an Antoninus Piusgerichteter Brief als Auftakt erhalten ist, in dem

Hadrian sein nahes Ende anspricht und dem Nachfolgerfür dessen Fürsorge dankt. Die anderen überliefertenOriginalzeugnisse Hadrians – fragmentarisch auf Steinoder Papyrus erhaltene Reden, Briefe und Reskriptesowie lateinische und griechische Gedichte – stellenjedoch eine beachtliche Materialsammlung dar.[144]Aufschlüsse liefern ferner die aus Hadrians Prinzipaterhaltenen Münzen.

Die aus dem 3. Jahrhundert stammende RömischeGeschichte von Cassius Dio ist in dem Hadrianbetreffenden 69. Buch nur in Fragmenten und Exzerptenaus byzantinischer Zeit überliefert. Ebenfalls im 3.Jahrhundert verfasste Marius Maximus eine Sammlung vonKaiserbiographien im Anschluss an diejenige Suetons,der mit Domitian geendet hatte; sie enthielt auch eineLebensbeschreibung Hadrians. Dieses Werk ist nichterhalten und nur bruchstückhaft erschließbar. Inmehreren spätantiken Breviarien (so in den CaesaresAurelius Victors) finden sich nur knappe Informationenüber Hadrian.

-382-

Denkmal des Nobelpreisträgers Theodor Mommsen vor der Humboldt-Universität (1909)

Die höchst umstrittene Hauptquelle für Leben undHerrschaft Hadrians ist seine Lebensbeschreibung (vita

Hadriani) in der Historia Augusta (HA), diewahrscheinlich erst Ende des 4. Jahrhunderts entstandenist. In diese Darstellung sind Informationen aus heuteverlorenen Quellen wie dem Werk des Marius Maximuseingeflossen, doch hat der unbekannte spätantikeVerfasser Material eingebracht, für das Herkunft ausglaubwürdigen Quellen nicht anzunehmen ist, sondern dasvornehmlich dem Gestaltungswillen desGeschichtsschreibers zuzurechnen ist. Theodor Mommsensah in der HA „eine der elendesten Sudeleien“ unter demantiken Schrifttum.[145]

Der aus diesem Eindruck abgeleiteten Forderung Mommsensnach akribischer Prüfung und Kommentierung jedereinzelnen Aussage durch umfassenden Vergleich sowohlinnerhalb der HA-Viten als auch mit dem verfügbarenQuellenmaterial außerhalb der HA[146] ist Jörg Fündlingin seinem zweibändigen Kommentar zur vita Hadriani derHA nachgekommen. In der Biographie Hadrians, die in derForschung zu den relativ zuverlässigsten HA-Vitengezählt wird, hat Fündling mindestens ein Viertel desGesamtumfangs als unzuverlässig ausgewiesen, darunter18,6 Prozent als mit hoher Sicherheit fiktiv undweitere 11,2 Prozent, deren Quellenwert als sehrzweifelhaft anzusehen ist.[147] Mit diesem Ergebnistritt Fündling einer neueren Tendenz entgegen, dieVielzahl der in der HA-Forschung kontrovers vertretenenPositionen mit dem „Überspringen sämtlicherQuellenprobleme“ zu beantworten, „als wären dieseirrelevant für den Inhalt, weil sowieso unlösbar“.[148]

-383-Rezeption

Antike

Hadrians Vielseitigkeit und sein teilswidersprüchliches Erscheinungsbild bestimmen auch dasSpektrum der über ihn gefällten Urteile. Imzeitgenössischen Umfeld ist auffällig, dass sich Mark

Aurel weder im ersten Buch seiner Selbstbetrachtungen,in dem er seinen wichtigen Lehrern und Förderernumfänglich dankt, noch an anderer Stelle in dieserGedankensammlung näher mit Hadrian befasst, dem er dochdurch das vorgegebene Adoptionsarrangement den eigenenAufstieg zur Herrschaft verdankte.[149]

Cassius Dio bescheinigt Hadrian eine insgesamtmenschenfreundliche Herrschaftsausübung und einumgängliches Naturell, aber auch einen unstillbarenEhrgeiz, der sich auf die verschiedensten Bereicheerstreckte. Unter seinen Eifersüchteleien hätten vieleFachspezialisten diverser Richtungen zu leiden gehabt.Den Architekten Apollodoros, der seinen Zorn erregthabe, habe er erst in die Verbannung geschickt undspäter umbringen lassen. Als charakteristischeEigenschaften Hadrians nennt Cassius Dio u. a.Übergenauigkeit und zudringliche Neugier einerseits,Umsicht, Großzügigkeit und vielfältige Geschicklichkeitandererseits.[150] Wegen der Hinrichtungen zu Beginnund am Ende seiner Regierungszeit habe ihn das Volknach seinem Tode gehasst, trotz seiner beachtlichenLeistungen in den Zeiten dazwischen.[151]

Die antiken Christen beurteilten Hadrian vor allem inzweierlei Hinsicht negativ: wegen seiner suizidalenAbsichten und Tatvorbereitungen sowie wegen seinerhomoerotischen Neigungen, die im Verhältnis zu Antinoosund im Antinoos-Kult unübersehbar hervortraten. Diegöttliche Verehrung des als Lustknabe eingestuftenGeliebten Hadrians war für die Christen so provokant,dass Antinoos bis ins späte 4. Jahrhundert zu denHauptzielen christlicher Angriffe auf das „Heidentum“zählte.[152] An der Beziehung Hadrians zu Antinoosnahmen insbesondere Tertullian, Origenes, Athanasiusund Prudentius Anstoß.[153]

-384-Jörg Fündling meint, die vielseitigen Interessen undteils widersprüchlichen Züge Hadrians erschwerten eineUrteilsbildung über die Persönlichkeit – sowohl für denAutor der Historia Augusta als auch für die Nachwelt.Die angetroffene „Fülle intellektueller Ansprüche undbrennenden Ehrgeizes“ wirke einschüchternd, dieBeschäftigung mit Fehlern und AbsonderlichkeitenHadrians für den Betrachter hingegen entlastend, weilauf ein menschliches Maß zurückführend. Letztlich seidie Darstellung des Verfassers der Historia AugustaAusdruck seiner Dankbarkeit für die Reize exzentrischerPersönlichkeiten.[154] Doch blieb Hadrian auch nachseinem Tod noch vielen verhasst; das überwiegendpositive Bild des Kaisers, das bis heute seineWahrnehmung prägt, scheint erst später entstanden zusein.

Forschungsgeschichte

Reste des Hadrianeums, heute Sitz der römischen Börse

Einen Überblick über die Forschungsgeschichte seit demErscheinen der ersten großen Hadrian-Monographie vonFerdinand Gregorovius 1851 gibt Susanne Mortensen. Alswirkungsgeschichtlich ehedem besonders wichtig hebt sieErnst Kornemann mit seinem negativen Urteil zu HadriansAußenpolitik sowie Wilhelm Weber hervor. Weber sei ineiner umfassenden Auseinandersetzung mit HadriansWirken zu einem insgesamt ausgewogeneren Urteilgelangt, dann aber unter dem Einfluss dernationalsozialistischen „Blut- und Rassenlehre“ auch zu„Überzeichnungen und Fehldeutungen“.[155]

-385-Weber sah in Hadrian einen typischen „Spanier“ „mitseiner Verachtung des Körpers, seiner Pflege desherrischen Geistes, seinem Willen zu strengster Zuchtund seinem Drang, der Macht des Übersinnlichen in derWelt sich hinzugeben, mit ihr sich zu vereinigen, mitseiner Organisationskraft, die sich nie ausgibt, immerNeues ersinnt und mit immer neuen Mitteln das Erdachtezu verwirklichen strebt“.[156] 1923 legte Bernard W.Henderson mit The Life and principate of the emperorHadrian A. D. 76–138 für Jahrzehnte die letzteumfangreiche Hadrianmonografie vor.

Für die Hadrian-Rezeption nach dem Zweiten Weltkriegkonstatiert Mortensen, es sei zu einer verstärktenSpezialisierung auf lokal oder thematisch eng begrenzteFragestellungen gekommen. Kennzeichnend sei eineäußerst nüchterne Darstellungsweise mit weitgehendemVerzicht auf Werturteile.[157] Neuerdings seien aberwaghalsige Hypothesen und psychologisierende Konstruktevorgetragen worden; sie erstreckten sich vor allem aufThemen, die bei lückenhafter oder widersprüchlicherQuellenlage eine Rekonstruktion historischerWirklichkeit unmöglich machten.[158] Für die seriöseForschung resümiert Mortensen mit Blick vornehmlich aufdie Bereiche Außenpolitik, Militärwesen, Förderung des

Hellenentums und Reisetätigkeit, infolge des neugewählten breiteren Blickwinkels entstehe der Eindruck,Hadrian sei für die Probleme seiner Zeit sensibelgewesen und habe angemessen auf Missstände undNotwendigkeiten reagiert.[159]

Anthony R. Birley legte 1997 mit Hadrian. The restlessemperor die seither maßgebliche Darstellung derErgebnisse der Hadrianforschung vor.[160] Deutlich wirdHadrians Bewunderung für den ersten Princeps Augustusund sein Bestreben, sich als zweiter Augustus zupräsentieren. Seine rastlosen Reisen machten Hadrianzum „sichtbarsten“ Kaiser, den das Römische Reichjemals hatte.[161]

Robin Lane Fox hat 2005 seine Darstellung derklassischen Antike, die mit der Zeit Homers einsetzt,mit Hadrian abgeschlossen, weil dieser Herrscher selbstviele Vorlieben klassischer Prägung habe erkennenlassen, sich aber auch als einziger Kaiser auf seinenReisen ein Gesamtbild der griechisch-römischen Welt auserster Hand verschafft habe. Lane Fox sieht Hadrian beiseiner panhellenischen Mission ambitionierter noch alsehedem Perikles und findet ihn aus Quellenzeugnissen amdeutlichsten fassbar in der Kommunikation mit denProvinzen, aus denen er vielfältige Eingaben ständig zubeantworten hatte.[162]

-386-Fast alle Darstellungen sehen Hadrians Prinzipat wegendes außenpolitischen Kurswechsels als Zäsur oderEpochenwende an. Karl Christ hebt hervor, Hadrian habeden militärischen Schutzschild des etwa 60 MillionenEinwohner umfassenden Imperiums geordnet und gestrafftund die Verteidigungsbereitschaft des 30 Legionen undrund 350 Hilfstruppenteile zählenden Heeressystematisch gesteigert. Er bescheinigt Hadrian einefortschrittliche Gesamtkonzeption. Der Kaiser habe dietiefe Zäsur bewusst herbeigeführt. Dabei habe erkeineswegs nur impulsiv auf das Zusammentreffen nicht

kalkulierter Katastrophen reagiert, sondern sich füreine kohärente, neue, langfristig angelegte Politikentschieden, die tatsächlich die Entwicklung des Reichsauf Jahrzehnte festgelegt habe.[163]

2008 brachte die Großausstellung Hadrian: Empire andconflict in London den bisherigen Höhepunkt derHadrianforschung.

Belletristik

Eine bekannte belletristische Darstellung Hadriansbietet der erstmals 1951 veröffentlichte Roman vonMarguerite Yourcenar Ich zähmte die Wölfin. DieErinnerungen des Kaisers Hadrian. Yourcenar legte darinnach langjähriger Auseinandersetzung mit den Quelleneine fiktive Autobiographie Hadrians in Ichform alsRoman vor. Dieses Buch hat die Wahrnehmung Hadrians ineiner breiteren Öffentlichkeit stark geprägt und wurdezu einem wesentlichen Bestandteil von Hadrians modernerRezeptionsgeschichte.[164]

LiteraturEinführungen und AllgemeinesAnthony R. Birley: Hadrian. The restless emperor. Routledge, Londonu.a. 1997, ISBN 0-415-16544-X (maßgebliche Biographie)Anthony R. Birley: Hadrian. Der rastlose Kaiser. Zabern, Mainz 2006,ISBN 3-8053-3656-X (basierend auf der englischsprachigen Ausgabe,allerdings stark gekürzt und teils umgearbeitet. Rezensionsehepunkte).Anthony R. Birley: Hadrian to the Antonines. In: Alan K. Bowman,Peter Garnsey, Dominic Rathbone (Hrsg.): The Cambridge AncientHistory. 2. Auflage. Bd. 11, Cambridge 2000, S. 132–194, speziell S.132–149.Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustus bisDiokletian. C. H. Beck, München 1995 (und neuere Auflagen), S. 314–332 (Standardwerk zur römischen Kaiserzeit)Anthony Everitt: Hadrian and the Triumph of Rome. Random House, NewYork 2009, ISBN 978-1-4000-6662-9.Jörg Fündling: Kommentar zur Vita Hadriani der Historia Augusta (=Antiquitas, Reihe 4: Beiträge zur Historia-Augusta-Forschung, Serie3: Kommentare, Bände 4.1 und 4.2). Habelt, Bonn 2006, ISBN 3-7749-3390-1 (umfassende Analyse der Vita Hadriani nebst Auswertung derForschungsergebnisse zu Hadrian; Rezension sehepunkte)

-387-Susanne Mortensen: Hadrian. Eine Deutungsgeschichte. Habelt, Bonn2004, ISBN 3-7749-3229-8 (Überblick über die Hadrian-Forschung seitMitte des 19. Jahrhunderts).Thorsten Opper: Hadrian: Machtmensch und Mäzen. Darmstadt 2009, ISBN978-3-8062-2291-3 (englische Originalausgabe: Hadrian: Empire andconflict, London 2008).Michael Zahrnt: Hadrian. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Die römischenKaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian. 4.aktualisierte Auflage. C. H. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-60911-4, S. 124–136.ArchitekturMary Taliaferro Boatwright: Hadrian and the City of Rome. PrincetonUniversity Press, Princeton 1987, ISBN 0-691-03588-1.Heiner Knell: Des Kaisers neue Bauten. Hadrians Architektur in Rom,Athen und Tivoli. Zabern, Mainz 2008, ISBN 978-3-8053-3772-4(Rezension H-Soz-u-Kult).Dietrich Willers: Hadrians panhellenisches Programm. ArchäologischeBeiträge zur Neugestaltung Athens durch Hadrian. Vereinigung derFreunde antiker Kunst, Basel 1990, ISBN 3-909064-16-7.Religionspolitik, Bar-Kochba-AufstandPeter Kuhlmann: Religion und Erinnerung. Die Religionspolitik KaiserHadrians und ihre Rezeption in der antiken Literatur. Vandenhoeck &Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3-525-35571-8.Marco Rizzi (Hrsg.): Hadrian and the Christians. De Gruyter, Berlin2010, ISBN 978-3-11-022470-2 (Rezension sehepunkte) / (Rezension H-Soz-u-Kult).Peter Schäfer: Der Bar-Kokhba-Aufstand. Studien zum zweiten jüdischenKrieg gegen Rom. Mohr (Siebeck), Tübingen 1981, ISBN 3-16-144122-2.

Weblinks Wikisource: Hadrian – Quellen und Volltexte Commons: Hadrian – Album mit Bildern, Videos und AudiodateienLiteratur von und über Hadrian im Katalog der DeutschenNationalbibliothekHerbert W. Benario: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Biografie aus der Historia Augusta (englisch) bei LacusCurtiusBritish Museum – Hadrian: Empire and Conflict

Anmerkungen1↑ Opper 2009, S. 40 f.2↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 233 und 260 mit Hinweis auf Epitome deCaesaribus 14,2.3↑ Birley 2006, S. 10 f.4↑ Cassius Dio 69,1.5↑ Birley 2006, S. 13 f.6↑ Die in der Historia Augusta (Vita Hadriani 2,6) berichteteBegebenheit, der zufolge Hadrians Kutsche von Gefolgsleuten desServianus überfallen und fahruntüchtig gemacht wurde, um zuverhindern, dass Hadrian als Erster Trajan über die Ausrufung zum

Kaiser unterrichten könnte, weist Jörg Fündling jedoch alsunglaubhaft zurück (Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 289–294).7↑ Zu den Datierungsproblemen und -ansätzen bezüglich HadriansÄmterlaufbahn in der Forschungsliteratur siehe Fündling 2006, Bd.4.1, S. 334–351.8↑ Zur Problematisierung und Gewichtung siehe Fündling 2006, Bd. 4.1,S. 341.9↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 335.10↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 351. Zu einem ähnlichen Ergebnishinsichtlich der Karriereförderung Hadrians durch Trajan gelangtMortensen bei ihrer Synopse des neueren Forschungsstands (S. 35/37).11↑ Mortensen 2004, S. 252 f.

-388-12↑ Mortensen 2004, S. 249.13↑ Historia Augusta, Hadrianus 4,5.14↑ Historia Augusta, Hadrianus 14,11. Zitiert nach Mortensen 2004,S. 288.15↑ Cassius Dio 69,3,2 und 69,5,1.16↑ Mortensen 2004, S. 289 mit Hinweis auf Historia Augusta,Hadrianus 20,8.17↑ Fündling kommentiert: „Die HA-Stelle beim Wort nehmen hießeHadrian ein ‚Telefonbuch’ mit gut 40 000 Namen allein für das ersteJahrzehnt seiner Herrschaft mitzugeben, das er jederzeit hätteabrufen können...“ (Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 930 f.).18↑ Historia Augusta, Hadrianus 20,10.19↑ Historia Augusta, Hadrianus 20,11.20↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 932.21↑ Historia Augusta, Hadrianus 4.3; Karl Strobel: Kaiser Traian.Eine Epoche der Weltgeschichte. Regensburg 2010, S. 401.22↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 382.23↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 384; Karl Strobel: Kaiser Traian. EineEpoche der Weltgeschichte. Regensburg 2010, S. 401.24↑ Siehe dazu Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit vonAugustus bis zu Konstantin, München 1988, S. 314.25↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 380–387.26↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 403.27↑ Mortensen 2004, S. 125.28↑ Mortensen 2004, S. 132.29↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 400.30↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 405 f.31↑ Mortensen 2004, S. 179.32↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustusbis zu Konstantin. 5. Aufl., München 2005, S. 320; Mortensen 2004, S.73/190.33↑ Birley 2006, S. 36/69 f.; Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 401.

34↑ Michael Zahrnt: Hadrian. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Dierömischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian.4. aktualisierte Aufl., München 2010, S. 124–136, hier: S. 127 f.35↑ Knell 2008, S. 112.36↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustusbis zu Konstantin. 5. Auflage. München 2005, S. 321 f.37↑ Michael Zahrnt: Hadrian. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Dierömischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian.4. aktualisierte Aufl., München 2010, S. 124–136, hier: S. 133.3↑ Cassius Dio 69,6,3; Birley 2006, S. 57. Diese Geschichte, die derTyrannentopik entstammte und die unter anderem fast wortgleich auchüber Demetrios Poliorketes erzählt wurde (vgl. Plutarch, Vita Demetr.42,7), ist darum kaum als historisch anzusehen.39↑ Karl Christ: Geschichte der Römischen Kaiserzeit. Von Augustusbis zu Konstantin. 5. Auflage. München 2005, S. 322.40↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustusbis zu Konstantin. 5. Auflage. München 2005, S. 323.41↑ Birley 2006, S. 69.

-389-42↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustusbis zu Konstantin. 5. Auflage, München 2005, S. 321.43↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustusbis zu Konstantin. 5. Auflage. München 2005, S. 319; Cassius Dio,69,2,5 f.; Historia Augusta, Hadrianus 7,1–4.44↑ Eingehende Erläuterungen zu diversen ungesichertenDeutungsansätzen bei Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 1005–1024.45↑ Historia Augusta, Hadrianus 20,1.46↑ Historia Augusta, Hadrianus 9,7.47↑ Cassius Dio 69,5,2.48↑ Cassius Dio 69,7,3; Historia Augusta, Hadrianus 16,10.49↑ Mortensen 2004, S. 87.50↑ Cassius Dio 69,6,1f.51↑ Mortensen 2004, S. 193.52↑ Mortensen 2004, S. 191 und 193.53↑ Mortensen 2004, S. 194.54↑ Cassius Dio, Römische Geschichte 69,9,1–4; Birley 2006, S. 42;Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 544–572, in kritischer Auseinandersetzungmit dem Militärexkurs in Historia Augusta, Hadrianus 10,2–11,1.55↑ Birley 2006, S. 41.56↑ Opper 2009, S. 79.57↑ Birley 2006, S. 48 f.58↑ Eine Zusammenstellung in der Forschung entwickelterunterschiedlicher Routenüberlegungen bietet Fündling 2006, Bd. 4.2,S. 622–625.59↑ Birley 2006, S. 96.

60↑ Mortensen 2004, S. 182, mit dem Hinweis, weder die Chronologienoch die Route dieser Reise lasse sich genau ermitteln. Fündling2006, Bd. 4.2, S. 642 stellt fest, dass Hadrian nach Anfang 132dokumentarisch ‚verschollen’ ist und erst wieder am 5. Mai 134 in Romauftaucht.61↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 676.62↑ Mortensen 2004, S. 197 und 199.63↑ Mortensen 2004, S. 195/201 f.64↑ Michael Zahrnt: Hadrian. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Dierömischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian.4. aktualisierte Aufl., München 2010, S. 124–136, hier: S. 128.65↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 258.66↑ Birley 2006, S. 8; Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 259.67↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 1128–1131; Paul Zanker, Die Maske desSokrates: Das Bild des Intellektuellen in der antiken Kunst. München1995, S. 206–221.68↑ Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte.Regensburg 2010, S. 400.69↑ Historia Augusta, Hadrianus 16,10; Birley 2006, S. 8; Fündling2006, Bd. 4.2, S. 804–810.70↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 804 f./807.71↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 627.72↑ Birley 2006, S. 77.73↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 263.74↑ Mortensen 2004, S. 228 f.

-390-75↑ Birley 2006, S. 78 und Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 634 verweisenals historische Vorlage zudem auf den von Perikles herbeigeführtenVolksbeschluss zur Abhaltung eines Kongresses aller im Bunde gegendie Perser vereinten Griechen in Athen, der dann am Boykott Spartasscheiterte (Plutarch, Perikles 17).Hochspringen ↑ Michael Zahrnt: Hadrian. In: Manfred Clauss (Hrsg.):Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesar bisIustinian. 4. aktualisierte Aufl., München 2010, S. 124–136, hier: S.130.76↑ Knell 2008, S. 78; Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 631.77↑ Götz Lahusen: Römische Bildnisse. Auftraggeber – Funktionen –Standorte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, S.194f.78↑ Opper 2009, S. 70.79↑ Mortensen 2004, S. 237.80↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 632–634.81↑ Opper 2009, S. 100.82↑ Knell 2008, S. 17.83↑ Cassius Dio 69,3,2.

84↑ Cassius Dio 69,4,2; Übersetzung nach Opper 2009, S. 102.85↑ Knell 2008, S. 111.86↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 902. Karl Christ: Geschichte derrömischen Kaiserzeit. Von Augustus bis zu Konstantin. 5. Auflage.München 2005, S. 323 verweist auf einen Stab von Bauspezialisten inseiner Begleitung, die im ganzen Reich die Bautätigkeit stimulierten.Opper 2009, S. 103 folgert: „Wir können ihn daher beschreiben alsumgeben von einer Schar Architekten, Ingenieuren und anderen höchstfähigen Fachleuten […] und damit befasst, Projekte zu initiieren,Pläne und Skizzen zu prüfen, stets engagiert, herausfordernd,kritisierend, anspruchsvoll.“87↑ Knell 2008, S. 111.88↑ Opper 2009, S. 112/125; Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 891 f.89↑ Opper 2009, S. 101/109.90↑ Opper 2009, S. 101.91↑ Opper 2009, S. 125.92↑ Knell 2008, S. 112.93↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 910; Opper 2009, S. 102.94↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 903.95↑ Historia Augusta, Hadrianus 19,12; Opper 2009, S. 125 f. Fündling2006, Bd. 4.2, S. 901–904, hier: 903 f. bezweifelt dies: „Dieschwersten bekannten Massen, die in dieser Zeit an einem Stück bewegtwurden, sind die ca. 50 römische Fuß langen Säulen vom Tempel derVenus und Roma selbst – ihr Gewicht wird auf ca. 100 Tonnengeschätzt, vor der Endbearbeitung sicher noch etwas mehr. Unterantiken Bedingungen ist es kaum vorstellbar, die noch größere Massedes Colossus könnte (statt zerlegt zu werden) die Reise in derSenkrechten zurückgelegt […] haben. […] Aller Wahrscheinlichkeit iststantem atque suspensum damit eine Erfindung […]“96↑ Opper 2009, S. 132.97↑ Opper 2009, S. 149.98↑ Opper 2009, S. 153.99↑ Nach Umbauten und Errichtung eines Verbindungsganges zum Vatikan,des Passetto, wurde es unter dem Namen Engelsburg bekannt. Es dienteden Päpsten bei den in früherer Zeit häufigen Einfällen fremderMächte, zum Beispiel dem Sacco di Roma 1527, als Schutzburg.100↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 899; Opper 2009, S. 208. Knell 2008,S. 112 meint, das Hadriansmausoleum sei dem Mausoleum des Augustus soähnlich, als sollte mit ihm auf eine nahezu brüderlicheVerwandtschaft beider Bauten und ihrer Grabherren hingewiesen werden.

-391-101↑ Opper 2009, S. 213.102↑ Opper 2009, S. 215.103↑ Knell 2008, S. 113.104↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 687/689.105↑ Cassius Dio 69,11,4; Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 690.106↑ Fündling 2006, S. 692.107↑ Cassius Dio 69,11,2 f.; Historia Augusta, Hadrianus 14,6.108↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 692–695; Birley 2006, S. 90.

109↑ Birley 2006, S. 90 f.110↑ Opper 2009, S. 174.111↑ Michael Zahrnt: Hadrian. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Dierömischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian.4. aktualisierte Aufl., München 2010, S. 124–136, hier: S. 135.112↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 696/698.113↑ Opper 2009, S. 177.114↑ Vielleicht zeichenhaft für die Unsterblichkeit undWiedergeburtshoffnungen des Prinzeps. (Fündling 2006, Bd. 4.2, S.698.)115↑ Opper 2009, S. 186. Allein sieben Statuen des Antinoos stammenaus Tibur (Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 700).116↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 697.117↑ Opper 2009, S. 189.118↑ Opper 2009, S. 188.119↑ Opper 2009, S. 191.120↑ Opper 2009, S. 90.121↑ Cassius Dio 69,12,1 f.; Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 670–74;Birley 2006, S. 95; Opper 2009, S. 90.122↑ Peter Schäfer: Der Bar Kokhba-Aufstand. Tübingen 1981, S. 29–34.123↑ Siehe die einschlägigen Untersuchungen von Peter Kuhlmann:Religion und Erinnerung. Göttingen 2002, S. 133–136 und PeterSchäfer: Der Bar Kokhba-Aufstand, Tübingen 1981, S. 38–50 sowieAharon Oppenheimer: The Ban on Circumcision as a Cause of the Revolt:A Reconsideration. In: Peter Schäfer (Hrsg.): The Bar Kokhba WarReconsidered, Tübingen 2003, S. 55–69 und Ra’anan Abusch: NegotiatingDifference: Genital Mutilation in Roman Slave Law and the History ofthe Bar Kokhba Revolt. In: Peter Schäfer (Hrsg.): The Bar Kokhba WarReconsidered, Tübingen 2003, S. 71–91. Vgl. ferner Giovanni BattistaBazzana: The Bar Kokhba Revolt and Hadrian’s Religious Policy. In:Marco Rizzi (Hrsg.): Hadrian and the Christians, Berlin 2010, S. 85–109.124↑ Peter Schäfer: Der Bar Kokhba-Aufstand. Tübingen 1981, S. 29–50.125↑ Peter Schäfer: Der Bar Kokhba-Aufstand, Tübingen 1981, S. 47–50.)126↑ Cassius Dio 69,12,3; Opper 2009, S. 89.127↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 676.128↑ Cassius Dio 69,14,3; Birley 2006, S. 101.129↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. 5. Auflage.München 2005, S. 328.130↑ Historia Augusta, Hadrianus 23,1; Cassius Dio 69,17,1; Fündling2006, Bd. 4.2, S. 1004.131↑ Fündling 2006, S. 1017.132↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 1074 f.133↑ Birley 2006, S. 108.134↑ Opper 2009, S. 217; Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 1042 f.

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135↑ Laut Historia Augusta, Hadrianus 23,14 hat Hadrian angesichtsder instabilen Gesundheit des gewählten Nachfolgers geklagt: „Wirhaben uns an eine baufällige Wand gelehnt und vierhundert MillionenSesterze hinausgeworfen, die wir dem Volk und den Soldaten aus Anlassvon Commodus’ Adoption gestiftet haben.“136↑ Cassius Dio 69,20; Birley 2006, S. 110; Fündling 2006, Bd. 4.2,S. 1057.137↑ Historia Augusta, Marcus Aurelius 6,2; Fündling 2006, Bd. 4.2,S. 1066.138↑ Cassius Dio 69,22; Historia Augusta, Hadrianus 24,8; Fündling2006, Bd. 4.2, S. 1088–90.139↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 1089 f.140↑ Historia Augusta, Hadrianus 25. Vgl. auch Jens Holzhausen:Hadrians nous und seine animula (PDF; 734 kB). In: Rheinisches Museumfür Philologie 143, 2000, S. 96–109. Das Diminutiv animula(„Seelchen“, von anima „Seele“) könnte auf einen „Ton freundlicherHerablassung“ des „Vernunft-Ich“ gegenüber der Seele gestimmt sein;siehe dazu Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 1116.141↑ Historia Augusta, Hadrianus 25,7; Fündling 2006, Bd. 4.2, S.1106 f.142↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 1108/1153–56.143↑ Birley 2006, S. 5.144↑ Theodor Mommsen: Die Scriptores historiae Augustae. In: Hermes,Band 25, 1890, S. 228–292, hier: S. 229 (online).145↑ Theodor Mommsen: Die Scriptores historiae Augustae. In: Hermes,Band 25, 1890, S. 228–292, hier: S. 281.146↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 85.147↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 7.148↑ Birley 2006, S. 112. Fündling registriert eine Handvoll eherbeiläufiger Namensnennungen Hadrians in den Selbstbetrachtungen MarkAurels: 4,33; 8,5; 8,25; 8,37;10,27 (Fündling 2006, Bd. 4.2, S.1076).149↑ Cassius Dio 69,2–5.150↑ Cassius Dio 69,23.151↑ Fündling 2006, Bd. 4.2, S. 697.152↑ Mortensen 2004, S. 314.153↑ Fündling 2006, Bd. 4.1, S. 208.154↑ Mortensen 2004, S. 11–13.155↑ Zitiert nach Mortensen 2004, S. 13.156↑ Mortensen 2004, S. 15.157↑ Mortensen 2004, S. 350.158↑ Mortensen 2004, S. 352.159↑ Vgl. Mortensen 2004, S. 19.160↑ Anthony R. Birley: Hadrian. The restless emperor. London 1999,S. 307; deutsche Ausgabe: Birley 2006, S. 113.161↑ Robin Lane Fox: Die klassische Welt. Eine Weltgeschichte vonHomer bis Hadrian. Stuttgart 2010, S. 16–18 und 22 (englischeOriginalausgabe: The Classical World. An Epic History from Homer toHadrian, London 2005).162↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustusbis zu Konstantin. 5. Auflage. München 2005, S. 318 und 325.

163↑ Opper 2009, S. 29; Anthony R. Birley: Hadrian. The restlessemperor. London 1997, S. 9 und S. 314 Anm. 13.

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Antoninus Pius

Antoninus PiusMünchner Glyptothek

Denar des Antoninus Pius

Antoninus Pius (* 19. September 86 bei Lanuvium; † 7.März 161 bei Lanuvium) war vom 10. Juli 138 bis zuseinem Tod römischer Kaiser. Das Römische Reich erlebteunter ihm, dem vierten der sechs Adoptivkaiser undBegründer der Antoninischen Dynastie, seine letztelängere Friedensperiode. Sein Geburtsname war TitusAurelius Fulvus Boionius Arrius Antoninus. Als Kaisernannte er sich Titus Aelius Hadrianus AntoninusAugustus Pius.

-394-Abstammung und Aufstieg

Antoninus’ Familie stammte aus Nemausus (Nîmes) imsüdlichen Gallien (Provinz Gallia Narbonensis). SeineEltern waren Titus Aurelius Fulvus, der 89 das Konsulatbekleidete, und Arria Fadilla, die Tochter deszweimaligen Suffektkonsuls Gnaeus Arrius Antoninus.Antoninus wuchs in Lorium bei Rom auf und heiratete um110 Annia Galeria Faustina. Er durchlief eine normalesenatorische Karriere (Quästor 111, Prätor 117, Konsul120, Prokonsul der Provinz Asia 135/136 oder ein Jahrfrüher). Hadrian machte Antoninus zu einem der vierehemaligen Konsuln, die in Italien für dieRechtsprechung zuständig waren, und zum Mitglied seinesThronrats (consilium).

Hadrian bestimmte ihn am 24. Januar 138 zu seinemNachfolger, ließ ihn zum Caesar erheben und adoptierteihn am 25. Februar, nachdem der vorgesehene Thronerbeund Caesar Lucius Aelius gestorben war. Antoninussollte zugleich einen Neffen seiner Frau, Marcus AnniusVerus (den späteren Kaiser Mark Aurel), und den Sohndes Aelius (später als Lucius Verus bekannt)adoptieren. Offensichtlich sollte der bereits 51-jährige nur als Platzhalter dienen; und zwar mutmaßlichfür Annius Verus, seinen angeheirateten Neffen (unddamit wohl nächsten männlichen Verwandten), der selbst

noch zu jung für das Kaisertum war. Es sprichtallerdings einiges dafür, dass der sterbenskrankeHadrian eigentlich den noch jüngeren Lucius Verusbevorzugen wollte. Nach dem Tod Hadrians im Sommerdesselben Jahres wurde Antoninus sein Nachfolger alsAugustus und Imperator. Antoninus griff alsbaldentscheidend in die von Hadrian festgelegte Regelungein und hob Mark Aurel stärker gegenüber Lucius Verushervor: Das einzige überlebende Kind aus seiner Ehe mitFaustina, die jüngere Faustina, die auf Hadrians Wunschim Februar 138 mit Lucius Verus verlobt worden war,verheiratete Antoninus nach Hadrians Tod stattdessenmit Mark Aurel.

-395-Regierungszeit

Die Regierungszeit des Antoninus Pius war nach Augustusdie zweitlängste eines römischen Kaisers vor derSpätantike, obwohl er eigentlich nur alsÜbergangskaiser vorgesehen war.

Antoninuswall

Außenpolitik und Militär

In der Forschung wird erwogen, dass Hadrian denmilitärisch nicht besonders hervorgetretenen Antoninusals seinen Nachfolger auswählte, weil er sich von ihmeine Fortsetzung seiner auf Konsolidierung des Reiches,nicht auf Expansion angelegten Politik versprach.Allerdings ließ Antoninus schon am Beginn seinerRegierungszeit, vielleicht schon ab 139, spätestens inden Jahren 142 bis 144, durch Quintus Lollius Urbicusdie Grenze in Britannien zu dem nach ihm benanntenAntoninuswall vorverlegen, der etwa 160 km weiternördlich als der von seinem Vorgänger errichteteHadrianswall vom Firth of Forth zum Firth of Clydeverläuft. Der Kaiser ließ sich nochmals als Imperatorakklamieren; vermutlich wollte er durch einenmilitärischen Erfolg Zweifel an seiner Eignung zumHerrscher zerstreuen. Umstritten ist aufgrund derschlechten Quellenlage, ob Antoninus, der anlässlichder Operationen Gedenkmünzen schlagen ließ, überdiesauch einen Triumphzug abhielt.

-396-Auch in Obergermanien wurde vermutlich im Jahre 159 derLimes um 25 bis 30 Kilometer nach Osten vorverlegt. Vongrößeren Krisen blieb das Reich verschont, aber Unruhenund kleinere Konflikte gab es an weiteren Grenzen desReiches, so in Mauretanien, Oberägypten und Dakien. DieHerrschaft des Antoninus war also keine reineFriedenszeit. An der mittleren Donau trug Antoninusdurch die Einsetzung eines quadischen Königs zurGrenzsicherung bei (Münzprägungen tragen die Legenderex Quadis datus, „den Quaden wurde ein Königgegeben“). Im Osten bauten sich gegen Ende derRegierungszeit wegen der Besetzung des armenischenThrons Spannungen mit den Parthern auf; seit etwa 158wurden Truppen und erfahrene Heerführer an die römischeOstgrenze verlegt.[1] Unmittelbar nach Antoninus’ Todbrach unter seinen Nachfolgern der Krieg aus, ebensoeinige Jahre später an der Donaugrenze. Ob Antoninus andiesen Entwicklungen eine Mitschuld trug, ist in derForschung umstritten.

Innenpolitik

Im Inneren pflegte Antoninus im Gegensatz zu seinemVorgänger ein demonstrativ gutes Verhältnis zum Senat.Seitdem er im ersten Jahr seiner Regierung dieVergöttlichung Hadrians durchgesetzt hatte, trug er denBeinamen Pius („der Fromme“). 145 n. Chr. weihte er denzu Ehren Hadrians errichteten Tempel ein, das sog.Hadrianeum. Anders als die Kaiser vor und nach ihmverließ Antoninus Italien während seiner Regierungszeitnie, kümmerte sich aber durch seine Statthalter oderBriefe (von denen einige inschriftlich in Städten wieEphesos erhalten sind) um die Verwaltung des Reiches.

Ein Sesterz (ca. 141–143) mit dem Bild des Antoninus Pius. Auf derRückseite ist Antoninus Pius dargestellt, wie er die Hand auf den

Kopf des armenischen Herrschers hält.

-397-Tod und Begräbnis

Der späten (unzuverlässigen) Überlieferung zufolge sahAntoninus seinen eigenen Tod kommen und ließ in derNacht seines Sterbens die kleine Statue der GöttinFortuna aus seinem Schlafgemach in das seinesNachfolgers Mark Aurel bringen. An die Prätorianer, diebei Kaiserwechseln und ungeklärten Machtfragen immernervös waren, ließ er die Parole „Gleichmut“ ausgeben.[2]

Der Leichnam des Antoninus Pius wurde imHadriansmausoleum (der späteren Engelsburg) beigesetzt.

Quellen

Für die lange Regierungszeit des Antoninus ist dieQuellenlage ungünstig. Der ruhige Verlauf seinerHerrschaftszeit, der Mangel an spektakulärenEreignissen, das Ausbleiben größerer militärischerAuseinandersetzungen dürften zur relativen Kargheit derBerichte der antiken Geschichtsschreiber wesentlichbeigetragen haben.[3] Die Hauptquelle ist diespätantike Biographie des Kaisers in der HistoriaAugusta. Dieses Geschichtswerk gilt generell alsunzuverlässig, denn manche seiner Lebensbeschreibungen

von Kaisern bieten frei erfundene Angaben. Die kurzeDarstellung der Regierung des Antoninus gehört jedochzu den wertvollen Teilen des Werks; sie ist imAllgemeinen glaubwürdig, denn sie enthält Material ausguter älterer Überlieferung.[4] Cassius Dio behandeltedie Zeit im siebzigsten Buch seines Geschichtswerks,das aber nur fragmentarisch erhalten ist.[5] Weitereliterarische Quellen sind die Briefe des MarcusCornelius Fronto und die Selbstbetrachtungen MarkAurels. Hinzu kommen numismatische und archäologischeZeugnisse. Die Münzen liefern wertvolle Informationenüber die Selbstdarstellung des Kaisers.

Rezeption

Antike

Der zurückhaltende Regierungsstil des Antoninus fand inder Führungsschicht des Reichs große Anerkennung. Beider römischen Stadtbevölkerung hingegen scheint seineMilde seiner Autorität geschadet zu haben. Einespätantike Quelle, die Epitome de Caesaribus,berichtet, der Kaiser sei, als man eine bevorstehendeVersorgungskrise befürchtet habe, mit Steinen beworfenworden und habe daraufhin, statt den Aufruhrniederzuschlagen, der Menge die Lage erklärt und siedamit beruhigt.[6]Die Konsekration des Antoninus erfolgte schonanlässlich der Feierlichkeiten bei seiner Beisetzung.[7] Der von ihm für die 141 verstorbene Faustinaerbaute Tempel auf dem Forum Romanum wurde nach seinemTod auch seinem Kult gewidmet; der Tempel des AntoninusPius und der Faustina gehört heute zu den am bestenerhaltenen römischen Tempeln. Außerdem wurde ihm zuEhren eine Säule auf dem Marsfeld errichtet. Von ihrist nur die Basis erhalten.

Von seinem Nachfolger Mark Aurel wurde Antoninusausführlich gerühmt und das Urteil der antiken

Geschichtsschreiber über seinen Charakter und seineRegierung fiel einhellig sehr positiv aus.

Moderne

Hinsichtlich der Innen-, Rechts- und Finanzpolitikteilt die moderne Forschung im Wesentlichen diegünstige Einschätzung der Leistungen des Kaisers in denQuellen und würdigt die Erfolge seinerkonsensorientierten Vorgehensweise. Auch dieBerechtigung der sehr vorteilhaften antiken Urteileüber seinen Charakter wird nicht bezweifelt. Dierühmenden Worte Mark Aurels werden oft ausführlichzitiert.[8] Willy Hüttl, der 1933–1936 eineumfangreiche wissenschaftliche Biographie des Kaisersveröffentlichte, ein zweibändiges, jahrzehntelangmaßgebliches Standardwerk, nannte ihn eine deridealsten Herrschergestalten unter den römischenKaisern.[9] Ernst Kornemann (1939) bezeichnete ihn als„einen tüchtigen Juristen und Verwaltungsbeamten“.[10]Alfred Heuß (1960) konstatierte, Antoninus sei „einäußerst gewissenhafter Mensch von strengerPflichtauffassung“ gewesen; er habe das monarchischeIdeal des Zeitalters erfüllt.[11] Anthony Birley (1966)meinte, Antoninus habe „das Beispiel eines großenCharakters auf dem Thron“ gegeben.[12] Karl Christ(1988) stellte fest, die „zentralen Bereiche, nämlichFinanzpolitik und Staatsverwaltung“ hätten unterAntoninus „eine geradezu reibungslose Perfektion“erlangt. Der Kaiser sei den Erwartungen der auf Friedenund Wohlstand hoffenden Bevölkerung „in geradezuvollkommener Weise“ entgegengekommen: „Denn sein großerErfolg als Herrscher, seine allgemeine Beliebtheit,beruhen eben darin, dass Forderungen und Wünsche seinerZeit in ungewöhnlicher Form mit seinen eigenenIntentionen übereinstimmten, ja dass er sie in höchstemMaße verkörperte.“[13] Ähnlich urteilte HildegardTemporini-Gräfin Vitzthum (1997).

-399-Sie schrieb, Antoninus sei „ein perfekter Verwalter“gewesen: „Die gefestigten Verwaltungsstrukturenfunktionierten mit gleichbleibender Zuverlässigkeit.Trotz großer Freigebigkeit in Rom und den Provinzenhinterließ Antoninus gut gefüllte Staatskassen.“[14]Auf dem Gebiet der Kultur- und Religionspolitik wirddie konservative Haltung des Kaisers und seine Betonungdes Römertums – im Gegensatz zu Hadrians Begeisterungfür die griechische Kultur – hervorgehoben. SeineTraditionspflege wird teils als sinnvoll, teils alsunzeitgemäß beurteilt. Alfred von Domaszewski (1909)bemerkte, Antoninus habe „die Festbräuche einergänzlich erstarrten Religion der grauen Urzeit“erneuert.[15] Ernst Kornemann (1939) meinte, Antoninushabe „die Gefahr erkannt, die dem römisch-italischenPrimat im Reiche vom Hellenismus und vomhellenistischen Orientalismus her“ gedroht habe. Erhabe nicht an „Hadrians romantischem Treiben“festgehalten, sondern „Wandlung zu schaffen versuchtdurch die Wiederbelebung des altrömischen Glaubens undder hohen Tugenden der Altvorderen“.[16] Karl Christ(1988) schrieb, in der Religionspolitik habe sich ein„betonter, stark ausgeprägter Archaismus“ gespiegelt,der für Antoninus charakteristisch sei.[17] HildegardTemporini-Gräfin Vitzthum (1997) wies darauf hin, dasskein Kaiser seit Augustus „so stark wie er für dieRückbesinnung auf die kultischen und mythischen WurzelnRoms gewirkt“ habe.[18] Bernard Rémy (2005) wandte sichgegen die Vorstellung, Antoninus habe einen borniertenKonservatismus gepflegt und versucht, längstaufgegebene Riten zu erneuern.[19]

Unterschiedlich und meist ungünstig beurteilen dieHistoriker die Militär- und Außenpolitik. Verbreitetist unter ihnen die Auffassung, Antoninus’ Mangel anmilitärischer Erfahrung habe zu einer Vernachlässigungder Sicherheitspolitik geführt. Er habe nicht bemerkt,dass eine kritische Situation entstanden sei, derenmilitärische Bewältigung schließlich seinem Nachfolger

aufgebürdet worden sei. Schon Theodor Mommsen urteilte1883 in einer Vorlesung, Antoninus sei „übertriebenfriedliebend“ gewesen.[20] Alfred von Domaszewski(1909) bemängelte eine Lockerung der militärischenDisziplin: „Die eiserne Zucht (…) wich einerallzubereiten Nachsicht.“[21] Besonders entschiedenvertrat Ernst Kornemann diese Auffassung. Er schrieb1939, die Gesinnung des Kaisers sei pazifistischgewesen, er sei gänzlich unsoldatisch gewesen und dahersei seine Außenpolitik verfehlt gewesen: „Er lebte,außenpolitisch gesehen, völlig in den Wolken.“[22] AuchAnthony Birley (1966) äußerte die Ansicht, Antoninushabe militärischen Fragen zu wenig Interesse geschenkt.[23]

-400-Hermann Bengtson (1973) meinte, „infolge derschwächlichen Außenpolitik“ seien „die Keime deskünftigen Niedergangs“ gesät worden.[24] HildegardTemporini-Gräfin Vitzthum (1997) hingegen hielt dieseKritik für überzogen, denn sie finde in den Quellenkeine Basis; die modernen kritischen Beurteiler hättensich zu weit von den Quellen entfernt.[25]

LiteraturMichael Grant: The Antonines. The Roman Empire in Transition. London1994.Willy Hüttl: Antoninus Pius. 2 Bände, New York 1975 (Nachdruck derAusgabe Prag 1933 und 1936), ISBN 0-405-07089-6 (grundlegend).Bernard Rémy: Antonine le Pieux, 138–161. Le siècle d’or de Rome.Fayard, Paris 2005, ISBN 2-213-62317-1.Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum: Antoninus Pius. In: ManfredClauss (Hrsg.): Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits vonCaesar bis Iustinian. 4., aktualisierte Auflage. Beck, München 2010,ISBN 978-3-406-60911-4, S. 137–144.Sabine Walentowski: Kommentar zur Vita Antoninus Pius der HistoriaAugusta (= Antiquitas. Reihe 4: Beiträge zur Historia-Augusta-Forschung, Serie 3: Kommentare, 3). Habelt, Bonn 1998, ISBN 3-7749-2835-5.Peter Weiß: Die vorbildliche Kaiserehe. Zwei Senatsbeschlüsse beimTod der älteren und der jüngeren Faustina, neue Paradigmen und dieHerausbildung des „antoninischen“ Prinzipats. In: Chiron 38, 2008, S.1–45.

Weblinks

Commons: Antoninus Pius – Album mit Bildern, Videos und AudiodateienLiteratur von und über Antoninus Pius im Katalog der DeutschenNationalbibliothekRichard D. Weigel: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch) ausDe Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).

Anmerkungen1↑ Peter Weiß: Militärdiplome und Reichsgeschichte. Der Konsulat desL. Neratius Proculus und die Vorgeschichte des Partherkriegs unterMarc Aurel und Lucius Verus. In: Rudolf Haensch, Johannes Heinrichs(Hrsg.): Herrschen und Verwalten. Der Alltag der römischenAdministration in der Hohen Kaiserzeit, Köln 2007, S. 160–172.2↑ Historia Augusta, Antoninus Pius 12, 5–6.3↑ Anthony Birley: Hadrian to the Antonines. In: The CambridgeAncient History, 2. Auflage, Bd. 11, Cambridge 2000, S. 132–194,hier: 149.4↑ Historia Augusta, Antoninus Pius (Text und englische Übersetzung).5↑ Cassius Dio 70 (englische Übersetzung).6↑ Epitome de Caesaribus 15,9.7↑ Zum Verlauf siehe Anthony Birley: Mark Aurel, München 1968, S.211f.8↑ Siehe z. B. Paul von Rohden: Aurelius 138. In: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE), Band II 2,Stuttgart 1896, Sp. 2493–2510, hier: 2505f., 2508–2510; Alfred vonDomaszewski: Geschichte der römischen Kaiser, Bd. 2, Leipzig 1909, S.213-216; Theodor Mommsen: Römische Kaisergeschichte, München 1992, S.406; Rudolf Hanslik: Antoninus 1. In: Der Kleine Pauly, Bd. 1,Stuttgart 1964, Sp. 407–409, hier: 408; Anthony Birley: Hadrian tothe Antonines. In: The Cambridge Ancient History, 2. Auflage, Bd. 11,Cambridge 2000, S. 132–194, hier: 153f.; Bernard Rémy: Antonin lePieux 138–161, Paris 2005, S. 286f.9↑ Willy Hüttl: Antoninus Pius, Bd. 1, Prag 1936, S. 352.

-401-10↑ Ernst Kornemann: Römische Geschichte, Bd. 2, 6. Auflage,Stuttgart 1970 (1. Auflage 1939), S. 276.11↑ Alfred Heuß: Römische Geschichte, 4. Auflage, Braunschweig 1976(1. Auflage 1960), S. 352.12↑ Anthony Birley: Mark Aurel, München 1968 (englischeOriginalausgabe 1966), S. 205f.13↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, 3. Auflage,München 1995 (1. Auflage 1988), S. 330f.15↑ Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum: Antoninus Pius. In: ManfredClauss (Hrsg.): Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits vonCaesar bis Iustinian, München 1997, S. 137–144, hier: 143.16↑ Alfred von Domaszewski: Geschichte der römischen Kaiser, Bd. 2,Leipzig 1909, S. 214.17↑ Ernst Kornemann: Römische Geschichte, Bd. 2, 6. Auflage,Stuttgart 1970 (1. Auflage 1939), S. 276.

18↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, 3. Auflage,München 1995, S. 330.19↑ Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum: Antoninus Pius. In: ManfredClauss (Hrsg.): Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits vonCaesar bis Iustinian, München 1997, S. 137–144, hier: 141.20↑ Bernard Rémy: Antonin le Pieux 138–161, Paris 2005, S. 274, 286,288.21↑ Theodor Mommsen: Römische Kaisergeschichte, München 1992, S. 391.22↑ Alfred von Domaszewski: Geschichte der römischen Kaiser, Bd. 2,Leipzig 1909, S. 213.23↑ Ernst Kornemann: Römische Geschichte, Bd. 2, 6. Auflage,Stuttgart 1970 (1. Auflage 1939), S. 276, 279.24↑ Anthony Birley: Mark Aurel, München 1968 (englischeOriginalausgabe 1966), S. 206.25↑ Hermann Bengtson: Römische Geschichte, München 1973, S. 307.26↑ Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum: Antoninus Pius. In: ManfredClauss (Hrsg.): Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits vonCaesar bis Iustinian, München 1997, S. 137–144, hier: 137, 144.

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Mark Aurel

Mark AurelGlyptothek München

Mark Aurel[1] (* 26. April 121 in Rom; † 17. März 180in Vindobona oder eventuell Sirmium), auch Marc Aureloder Marcus Aurelius, war von 161 bis 180 römischerKaiser und als Philosoph der letzte bedeutendeVertreter der jüngeren Stoa. Als Princeps undNachfolger seines Adoptivvaters Antoninus Pius nannteer sich selbst Marcus Aurelius Antoninus Augustus.[2]Mit seiner Regierungszeit endete in mancherlei Hinsichteine Phase innerer und äußerer Stabilität undProsperität für das Römische Reich, die Ära dersogenannten Adoptivkaiser. Mark Aurel war der letztevon ihnen, denn in seinem Sohn Commodus stand einleiblicher Erbe der Herrscherfunktion bereit.

Innenpolitische Akzente setzte Mark Aurel inGesetzgebung und Rechtsprechung bei der Erleichterungdes Loses von Benachteiligten der damaligen römischenGesellschaft, vor allem der Sklaven und Frauen.Außergewöhnlichen Herausforderungen hatte er sichhinsichtlich einer katastrophalen Tiberüberschwemmungzu stellen sowie in der Konfrontation mit derAntoninischen Pest und angesichts spontanerChristenverfolgungen innerhalb des Römischen Reiches.

-403-Herkunft und Jugend

Der spätere Kaiser Mark Aurel wurde als Marcus AnniusCatilius Severus in Rom geboren. Sein Urgroßvater waraus den hispanischen Provinzen nach Rom gekommen. UnterKaiser Vespasian hatte er es bis zum Praetor gebracht.Marcus Annius Verus, der Großvater Mark Aurels,bekleidete bereits dreimal das Amt des Konsuls. Erverheiratete seinen Sohn, der ebenfalls Annius Verushieß – Mark Aurels Vater also –, mit Domitia Lucilla,einer Verwandten Kaiser Hadrians, deren Familie durchden Besitz von Ziegeleien reich geworden war. Nach demfrühen Tod des Vaters (128) wuchs Marcus im Haus seinesGroßvaters auf. Am 17. März 136 nahm er anlässlichseiner Verlobung mit Ceionia, der Tochter des im selbenJahr zum Nachfolger Hadrians bestimmten Lucius AeliusCaesar, den Namen Marcus Annius Verus an. Marcus wurdeso in die Familie des voraussichtlichen Thronfolgerseingebunden.

Mark Aurel als Knabe

An den Reichsgrenzen musste er nach einer längerenFriedenszeit wieder an mehreren Fronten gegeneindringende Feinde vorgehen. Insbesondere waren derOsten des Reiches durch die Parther, über die Mark

Aurels Mitkaiser Lucius Verus triumphierte, und derDonauraum durch diverse Germanen-Stämme bedroht. Seinletztes Lebensjahrzehnt verbrachte Mark Aurel dahervorwiegend im Feldlager. Hier verfasste er dieSelbstbetrachtungen, die ihn der Nachwelt alsPhilosophenkaiser präsentieren und die mitunter zurWeltliteratur gezählt werden.[3]

-404-Das in der Ämterlaufbahn erworbene Ansehen der Familieund das ernsthafte Naturell des jungen Marcus hattenihm angeblich schon früh die Beachtung Kaiser Hadrianseingebracht,[4] der ihn wegen seiner Wahrheitsliebescherzhaft mit dem Spitznamen Verissimus („derWahrhaftigste“, der Superlativ von verus) belegt habensoll und ihn wohl bereits als Achtjährigen in dasPriesterkollegium der Salier aufnehmen ließ.[5] Im Zugeseiner durch den plötzlichen Tod des Lucius AeliusCaesar nötig gewordenen zweiten Nachfolgeregelungadoptierte der todkranke Hadrian dann am 25. Februar138 den Senator Antoninus Pius mit der Maßgabe, dassdieser wiederum Lucius Verus, den Sohn desVerstorbenen, und Mark Aurel, Antoninus’ angeheiratetenNeffen und nächsten männlichen Verwandten, zuadoptieren hatte. Dieser hieß nach der Adoption durchAntoninus nun Marcus Aelius Aurelius Verus. LuciusVerus wurde zugleich mit Faustina, der einzigen Tochterdes Antoninus, verlobt und dadurch sichtbarherausgehoben. Andererseits sprachen derAltersvorsprung und die Nähe zu Antoninus für MarkAurel als künftigen Thronerben.[6]

Deutsche Übersetzung der Selbstbetrachtungen, Hamburg 1727

Nach dem Tode Hadrians im Juli desselben Jahres zog dernun siebzehnjährige Mark Aurel zu Antoninus Pius,seinem Adoptivvater und neuem Kaiser, in denRegierungspalast. Antoninus veränderte sofort dieRegelungen Hadrians: Er löste sogleich die Verlobungzwischen Lucius Verus und Faustina und verlobte diesestattdessen mit Mark Aurel (die Verbindung mit Ceioniawurde zuvor gelöst), der damit eindeutig an die ersteStelle rückte. Schwerpunkte der Ausbildung warenzunächst Studien zur griechischen und lateinischenRhetorik bei den Lehrern Herodes Atticus und MarcusCornelius Fronto.

-405-Mit letzterem führte er einen regen Briefwechsel, derin Teilen erhalten ist. 139 wurde Mark Aurel zum Caesarerhoben und damit formell zum Thronfolger designiert.Erneut weit vorfristig, nämlich schon mit 18 Jahren,bekleidete er im folgenden Jahr sein erstes Konsulat.Anscheinend ging es Antoninus Pius darum, Mark Aurel sofrüh wie möglich in eine unangreifbare Position zubringen.[7] Dies war auch deshalb notwendig, weil dieNachfolge im Prinzipat grundsätzlich zu Lebzeiten desVorgängers geregelt werden musste, um reibungslosverlaufen zu können, denn eine Vererbung derkaiserlichen Macht war formal eigentlich nichtvorgesehen. Es war daher üblich, den gewünschten

Nachfolger im Vorfeld durch Ehrungen und die Verleihungwichtiger Titel und Vollmachten eindeutig zukennzeichnen.

Philosophische Orientierung

Was das Verhältnis Mark Aurels zur Philosophiebetrifft, so fällt es grundsätzlich schwer, zwischenkaiserlicher Selbstinszenierung und authentischerNeigung zu unterscheiden. Die stoischen Philosophenunter seinen Lehrern mögen entscheidend zu einerWendung beigetragen haben, die er bereits alsZwölfjähriger genommen haben soll, als er sich in denMantel der Philosophen kleidete und fortan aufunbequemer Bretterunterlage nächtigte, nur durch einvon der Mutter noch mit Mühe verordnetes Tierfellgepolstert.[8] Hier hat offenbar eine Lebenshaltungihren Anfang genommen, die in den auf Griechischverfassten Selbstbetrachtungen (ta eis heautòn) derspäten Jahre festgehalten wurde. Dabei dürften dieGrundlagen der dort formulierten Überzeugungen bereitsfrühzeitig gegolten haben, denn sie fußten auf einerbald 500-jährigen und gleichwohl lebendigen Traditionstoischen Philosophierens. Qualifizierungsprozess undHerrschaftspraxis sind gerade darum in engemZusammenhang mit seinen Selbstbetrachtungen zu sehen,weil die Einheit von Denken und Handeln, von Wort undTat für seine Daseinsauffassung vorrangig war:

„Es kommt nicht darauf an, über die notwendigen Eigenschaften einesguten Mannes dich zu besprechen – vielmehr ein solcher zu sein.“ (X, 16)

„Du kannst nicht im Schreiben und Lesen unterrichten, wenn du es nichtselber kannst; viel weniger lehren, wie man recht leben soll, wenn du esnicht selber tust.“ (XI, 29)

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Ebenso deutlich akzentuiert hat Mark Aurel dasBewusstsein für Wahrheit und Wirklichkeit, das schonHadrian an ihm geschätzt haben soll:

„Kann mir jemand überzeugend dartun, dass ich nicht richtig urteile oderverfahre, so will ich’s mit Freuden anders machen. Suche ich ja nur dieWahrheit, sie, von der niemand je Schaden erlitten hat. Wohl aber erleidetderjenige Schaden, der auf seinem Irrtum und auf seiner Unwissenheitbeharrt.“ (VI, 21)

„So oft du an der Unverschämtheit jemandes Anstoß nimmst, frage dichsogleich: Ist es auch möglich, daß es in der Welt keine unverschämtenLeute gibt? Das ist nicht möglich. Verlange also nicht das Unmögliche.“ (IX,42)

Der Stellenwert dieser Notate für die Lebenspraxis MarkAurels erschließt sich aus dem Entstehungszusammenhangder Selbstbetrachtungen. Es handelte sich um eine Formgeistiger Übungen, die darauf zielten, eine mit denGrundsätzen der Stoa übereinstimmende Lebensführung imBewusstsein wachzuhalten und zu aktualisieren sowieabweichende Emotionen zu kontrollieren. Darum ging esu.a. auch in der Einstellung zu den Mitmenschen:

„Die Menschen sind füreinander da. Also belehre oder dulde sie.“ (VIII, 59)

„Willst du dir ein Vergnügen machen, so betrachte die Vorzüge deinerZeitgenossen, so die Tatkraft des einen, die Bescheidenheit des andern, dieFreigebigkeit eines Dritten und so an einem Vierten wieder eine andereTugend. Denn nichts erfreut so sehr wie die Muster der Tugenden, die ausden Handlungen unserer Zeitgenossen uns in reicher Fülle in die Augenfallen. Darum habe sie auch stets vor Augen.“ (VI, 48)

Vielerlei Unangenehmes zu verarbeiten,Schicksalsschläge durchzustehen und mit der eigenenUnvollkommenheit auszukommen, auch dazu qualifiziertenihn Reflexionen im Geiste der Stoa in besonderem Maße:

-407-„Rührt ein Übel von dir selbst her, warum tust du’s? Kommt es von einemandern, wem machst du Vorwürfe? Etwa den Atomen oder den Göttern?Beides ist unsinnig. Hier ist niemand anzuklagen. Denn, kannst du, sobessere den Urheber; kannst du das aber nicht, so bessere wenigstens dieSache selbst; kannst du aber auch das nicht, wozu frommt dir dasAnklagen? Denn ohne Zweck soll man nichts tun.“ (VIII, 17)

„Empfinde keinen Ekel, laß deinen Eifer und Mut nicht sinken, wenn es dirnicht vollständig gelingt, alles nach richtigen Grundsätzen auszuführen;fange vielmehr, wenn dir etwas mißlungen ist, von neuem an und seizufrieden, wenn die Mehrzahl deiner Handlungen der Menschennaturgemäß ist, und behalte das lieb, worauf du zurückkommst.“ (V, 9)

Mitunter ist kritisch gegen Mark AurelsSelbstbetrachtungen eingewandt worden, dass sie derphilosophischen Originalität entbehrten. Dabei wurde inder Regel außer Acht gelassen, dass ein Anspruch aufOriginalität im gemeinten Sinne mit den AufzeichnungenMark Aurels zweifellos gar nicht verbunden war.

Einarbeitung in die Regierungsgeschäfte

Eine bessere Vorbereitung auf politischeVerantwortungsübernahme, als sie Mark Aurel durchlaufenhat, ist in Hinblick auf die Innenpolitik kaumvorstellbar. Bis zum Antritt der eigenen Herrschafthatte er 23 Jahre lang (138-161) die umfassend genutzteGelegenheit, sich auf die Anforderungen des Amteseinzustellen, sich in die Verwaltungsstrukturen desRömischen Reiches einzuarbeiten und alle wichtigenBewerber und Inhaber einflussreicher Ämterkennenzulernen. Er erlangte dabei angeblich einen sosicheren Blick für die menschliche und aufgabenbezogeneEignung der Amtsträger und Postenkandidaten, dassAntoninus Pius sich schließlich in allenStellenbesetzungsfragen auf das Urteil des Marcus

gestützt haben soll. Die von Hadrian aufeinanderVerwiesenen harmonierten laut den Quellen auch vonihrem Naturell her. Die Charakterisierung desAntoninus, die Mark Aurel im Ersten Buch derSelbstbetrachtungen gibt, dürfte sowohl dieVorbildfunktion wie auch die Wesensverwandtschaft zumAusdruck bringen, die den Jüngeren mit seinemAdoptivvater verbunden hat:

-408-„An meinem Vater bemerkte ich Sanftmut, verbunden mit einer strengenUnbeugsamkeit in seinen nach reiflicher Erwägung gewonnenen Urteilen.Er verachtete den eitlen Ruhm, den beanspruchte Ehrenbezeigungenverleihen, liebte die Arbeit und die Ausdauer, hörte bereitwilligstgemeinnützige Vorschläge anderer, behandelte stets jeden nach Verdienst,hatte das richtige Gefühl, wo Strenge oder Nachgiebigkeit angebracht ist,verzichtete auf unnatürliche Liebe und lebte nur dem Staatswohl. […]Niemand konnte sagen, er sei ein Sophist, ein Einfältiger, ein Pedant,sondern jeder erkannte in ihm einen reifen und vollkommenen Mann,erhaben über Schmeicheleien, fähig, sowohl seine eigenen Angelegenheitenals die der andern zu besorgen. Dazu ehrte er die wahren Philosophen undzeigte sich nichtsdestoweniger nachsichtig gegen diejenigen, die es nurzum Scheine waren. Im Umgang war er höchst angenehm, er scherztegern, jedoch ohne Übertreibung.“ (I, 16)

Zusätzliche verwandtschaftliche Bande wurden dadurchhergestellt, dass Mark Aurel eine bestehende Verlobungzu lösen hatte, um Faustina, die Tochter des Antoninus,zu heiraten, die von Hadrian, wie gesagt, als Frau desLucius Verus vorgesehen gewesen war. Aus dieser Ehegingen insgesamt 13 Kinder hervor, die in der Mehrzahlallerdings noch im Kindesalter starben.

Auffällig ist, dass Antoninus entgegen der Traditiondes Prinzipats darauf verzichtete, den Nachfolger auchmilitärisch auszubilden und den an den Grenzen desImperiums stationierten Truppen vorzustellen. DieGründe, warum Antoninus seinen Adoptivsohn in 23 Jahren

niemals von seiner Seite weichen ließ, sind umstritten.Glaubt man nicht der offiziellen Lesart, dass derKaiser Mark Aurel zu sehr geliebt habe, um ihn auch nureinen Tag aus den Augen zu lassen, so kommt imGegenteil auch Misstrauen als Erklärung in Frage:Möglicherweise wünschte Antoninus nicht, dass MarkAurel sich zu früh eine eigene Machtbasis bei denSoldaten schaffen könnte. Die militärischeUnerfahrenheit, die die Konsequenz aus diesem Verhaltenwar, sollte sich später durchaus rächen, da Mark Aurel(im Unterschied zu Lucius Verus) als Feldherr stetseher unglücklich agierte.

-409-Bereits im Dezember 147 war Mark Aurel durch dieVerleihung der tribunicia potestas und des imperiumproconsulare zum Mitregenten avanciert. Mit dem Todedes Antoninus Pius 161 ging das Kaisertum dann auf MarkAurel über, der fast unverzüglich seinen AdoptivbruderLucius Verus zum formal (fast) gleichberechtigtenMitkaiser erhob. An auctoritas freilich war Marcusüberlegen, zumal er auch das Amt des Pontifex maximusfür sich behielt. Verus, der ja einst von Hadrian alsHauptkaiser vorgesehen gewesen war, hat sich offenbarzeitlebens in dieses Arrangement gefügt; 164 heirateteer die Tochter Mark Aurels, Lucilla. Über die Ernennungdes Lucius Verus zum Mit- bzw. Unterkaiser ist oftgerätselt worden, aber letztlich hatte Mark Aureleigentlich nur die Wahl, ihn entweder zum Mitherrscherzu machen oder zu beseitigen; anderenfalls wäre Verusnotwendigerweise eine Gefahr für das Regime geworden.Da Mark Aurel offenbar nicht wie Hadrian oder Tiberiuseinen politischen Mord einen Schatten auf seinenHerrschaftsbeginn werfen lassen wollte, entschied er

sich dafür, Lucius Verus stattdessen in das System zuintegrieren.

Beide Kaiser standen binnen kurzem einer im Vergleichzu den vorhergehenden Jahrzehnten des äußeren Friedensveränderten Situation gegenüber, als ab 161 die Partherdie Ostgrenze des Römischen Reiches in Frage stelltenund die Germanen im Donauraum von 168 an ernsthaft dieNordgrenze bedrängten. Die Aufgabenteilung der beidenKaiser ergab, dass Mark Aurel faktisch das Reichregierte, während seinem Adoptivbruder Lucius Verus biszu seinem Tode die Durchführung wichtigerMilitäroperationen oblag.

-410-Der Prinzipat des Mark Aurel

Politische Leitsätze

Mark Aurel als Imperator

Das über alle geschichtlichen Epochen hinwegfortwirkende Charisma Mark Aurels liegt nicht zuletztbegründet in dem mit ihm verbundenen Bild des„Philosophen auf dem Thron“ und in der als beispielhaftangesehenen Verknüpfung von politischer Philosophie undHerrschaftspraxis.

-411-Die Belege für das politische Denken Mark Aurels undfür seine Selbstdarstellung sind denSelbstbetrachtungen zu entnehmen. Manches davon

erscheint wie zeitlos und in der Gegenwart nichtüberholt. In welchem Maße die Aussagen des Kaisers alsauthentische Selbstzeugnisse seiner Regierungspraxis zugelten haben, bleibt offen; die historischeQuellenkritik stößt hier an ihre Grenzen. Von Bedeutungist, dass das Ideal eines Philosophenherrschers zuallen Zeiten die Phantasie der Menschen bewegt hat unddass Mark Aurel für viele zur Verkörperung diesesLeitbilds wurde. Er führt unter anderem aus:

„Severus war mir ein Beispiel in der Liebe zu unseren Verwandten wie auchin der Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe […], durch ihn bekam ich einenBegriff, was zu einem freien Staate gehört, wo vollkommeneRechtsgleichheit für alle ohne Unterschied herrscht und nichts höhergeachtet wird als die Freiheit der Bürger.“ (I, 14)

Freiheit und Gerechtigkeit, vor allem im Sinne gleichenRechts für alle, gehörten also zu den angeblich frühangeeigneten und stets propagierten politischenLeitvorstellungen Mark Aurels. Gegen die Versuchungenabsolutistischen Machtmissbrauchs, denen er in seinerStellung unvermeidlich ausgesetzt war, schützten ihn,so seine Behauptung, sein philosophischerReflexionshintergrund und Selbstermahnungen wie diefolgende:

„Hüte dich, dass du nicht ein tyrannischer Kaiser wirst! Nimm einen solchenAnstrich nicht an, denn es geschieht so leicht. […] Ringe danach, dass duder Mann bleibest, zu dem dich die Philosophie bilden wollte.“ (VI, 30)

Nur zu bewusst war Mark Aurel sich der Grenzen seinerpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten und derHinfälligkeit utopischer Gesellschaftsmodelle:

„Hoffe auch nicht auf einen platonischen Staat, sondern sei zufrieden,wenn es auch nur ein klein wenig vorwärts geht, und halte auch einensolchen kleinen Fortschritt nicht für unbedeutend. Denn wer kann dieGrundsätze der Leute ändern? Was ist aber ohne eine Änderung derGrundsätze anders zu erwarten als ein Knechtsdienst unter Seufzen, einerheuchelter Gehorsam?“ (IX, 29)

-412-Dass Mentalitäten nicht ohne weiteres formbar unddisponibel sind und daher im politischen Handelnberücksichtigt werden müssen, war für Mark Aurel klar,weil er der senatorischen Freiheit gerade auch in derMeinungsäußerung Priorität einräumte. Damit folgte erim Grunde der bereits unter Augustus und anderenKaisern formulierten Idee, dass die aristokratischelibertas unter einem guten princeps geachtet werdenmüsse. Gemeint war damit, wie gesagt, das Recht derfreien Meinungsäußerung, nicht etwa politischeMitbestimmung, die auch Mark Aurel dem Senat oder demVolk natürlich nie eingeräumt hat.

Worauf es ihm nach eigener Aussage ankam, war inhellenistischer philosophischer Tradition einvernunftgeleiteter und gemeinwohlorientierterMachtgebrauch, der mit den Grenzen der eigenenKompetenz rechnete und dem größeren Sachverstand denVortritt ließ bzw. die Problemlösung übertrug:

„Reicht mein Verstand zu diesem Geschäft hin oder nicht? Reicht er hin, soverwende ich ihn dazu als ein von der Allnatur mir verliehenes Werkzeug.Im entgegengesetzten Falle überlasse ich das Werk dem, der es besserausrichten kann, wenn anders es nicht zu meinen Pflichten gehört, oder ichvollbringe es, so gut ich’s vermag, und nehme dabei einen andern zu Hilfe,der, von meiner Geisteskraft unterstützt, vollbringen kann, was demGemeinwohl gerade jetzt dienlich und zuträglich ist.“ (VII, 5)

In der Rechtspflege lag für Mark Aurel, wie für dieprincipes vor ihm, der Kern der gutengesellschaftlichen Ordnung und der Bereich, für den ersich persönlich am meisten verantwortlich fühlte:

„Wenn du Scharfsinn besitzest, so zeige ihn in weisen Urteilen.“ (VIII, 38)

Mark Aurel hat seinem Dasein auch eine kosmopolitischeKomponente zugeordnet und sogar bereits einökologisches Bewusstsein aufscheinen lassen:

„Meine Natur aber ist eine vernünftige und für das Gemeinwesenbestimmte; meine Stadt und mein Vaterland aber ist, insofern ich Antoninheiße, Rom, insofern ich ein Mensch bin, die Welt. Nur das also, was diesenStaaten frommt, ist für mich ein Gut.“ (VI, 44)

-413-„Die Allnatur aber hat außerhalb ihres eigenen Kreises nichts. Das istgerade das Bewundernswerte an ihrer Kunstfertigkeit, daß sie in ihrerSelbstbegrenzung alles, was in ihr zu verderben, zu veralten undunbrauchbar zu werden droht, in ihr eigenes Wesen umwandelt und ebendaraus wieder andere neue Gegenstände bildet. Sie bedarf zu diesemZweck ebensowenig eines außer ihr befindlichen Stoffes, als sie eine Stättenötig hat, um das Morsche dorthin zu werfen. Sie hat vielmehr an ihremeigenen Raum, ihrem eigenen Stoff und an ihrer eigenen Kunstfertigkeitgenug.“ (VIII, 50)

Innenpolitik

Denar des Mark Aurel

Innere Belastungen für das Römische Reich ergaben sichbereits in der Anfangsphase der Regierungszeit MarkAurels aus einer verheerenden Tiberüberschwemmung undvor allem aus einer Pestepidemie (so genannteAntoninische Pest), die 166/167 von den aus dem Ostenzurückkehrenden Truppen eingeschleppt worden war undnahezu das ganze Römische Reich und auch die dichtbesiedelte Hauptstadt Rom heimsuchte.

-414-Seiner Selbstdarstellung als Stoiker auf demKaiserthron entsprechend, konzentrierte Mark Aurel seinRegierungshandeln, solange ihm dies möglich war, aufdie inneren Strukturen des Reiches. Das besondereAugenmerk galt dabei den Schwachen und Benachteiligtender römischen Gesellschaft, den Sklaven, Frauen undKindern, deren Situation er zu erleichtern suchte. Mehrals die Hälfte der überlieferten Gesetzgebungsakte des„Philosophen auf dem Kaiserthron“ zielten aufVerbesserung der Rechtsstellung und Freiheitsfähigkeitdieser Bevölkerungsgruppen. In gleicher Richtung hat erauch als oberstes Rechtsprechungsorgan des Reichesgewirkt, ein Amt, das er mit mustergültiger Sorgfaltund beispielloser Hingabe ausgeübt hat.

Die Anzahl der Gerichtstage pro Jahr wurde auf seineAnordnung erhöht, so dass schließlich 230 Tage fürVerhandlungen und Schlichtungstermine vorgesehen waren.Als er 168 selber gegen die Germanen ins Feld zog – mitLucius Verus zunächst noch, nach dessen Tod 169 aberganz auf sich gestellt –, hat er seine richterlicheTätigkeit vor Ort fortgesetzt. Die Prozessbeteiligtenmussten ggf. zur Verhandlung im Feldlager anreisen. DerHistoriker Cassius Dio berichtet darüber:

„Sooft ihm der Krieg etwas freie Zeit ließ, sprach er Recht. Den Rednern ließer die Wasseruhren [wie sie bei Gericht gebräuchlich waren] reichlichfüllen, und er beschäftigte sich sehr ausführlich mit den einleitendenUntersuchungen und Vernehmungen, um ein allseits gerechtes Urteil zufällen. So verwandte er oft bis zu elf oder zwölf Tage auf die Verhandlungeines einzigen Falles, obwohl er manchmal sogar nachts Sitzungen abhielt.Denn er war fleißig und widmete sich den Aufgaben seines Amtes mit dergrößten Sorgfalt. Nie sprach, schrieb oder tat er etwas, als ob es sich umetwas Unwichtiges handle, sondern verbrachte bisweilen ganze Tage überirgend einer winzigen Kleinigkeit, weil er glaubte, es stehe einem Kaisernicht an, etwas nur obenhin zu tun. Er war nämlich davon überzeugt, daßschon das geringste Versehen ein schlechtes Licht auch auf all seineübrigen Handlungen werfen werde.“[9]

Tiberüberschwemmung, Pestepidemie, Kriegskosten: Es warin einer äußerst bedrängten Lage, dass Mark Aurel sichauch in der Führung des Staatshaushalts zu bewährenhatte. Eine mit der Verminderung des Edelmetallgehaltsder Münzen verbundene verdeckte Inflation war untersolchen Umständen wohl kaum vermeidbar.

-415-Ansonsten aber trug der Kaiser durch vorbildlicheZurückhaltung in der eigenen Lebensführung dazu bei,dass Ausgabenbegrenzungen etwa im Bereich derZirkusspiele dem Volk vermittelbar waren. Auch zurKriegsfinanzierung leistete das Kaiserhaus seinenBeitrag, indem eine Vielzahl wertvoller Gegenstände auskaiserlichen Besitzständen auf dem Forum zurVersteigerung gebracht wurden. Der Historiker CassiusDio (Senator unter Commodus; unter Severus AlexanderStatthalter der Provinzen Africa, Dalmatien undOberpannonien) zeigte sich besonders beeindruckt vonMark Aurels Auftreten gegenüber den im Feldesiegreichen Soldaten, die als Siegprämie eineSonderzahlung verlangten. Der Kaiser lehnte dies striktab und verwies darauf, dass jede solche Zahlung u.a.den Eltern und Verwandten der Legionäre abgepresstwerden müsste.

Denar des Marcus Aurelius, Rückseite mit der gefangenen ArmeniaMilitärische Herausforderungen[Bearbeiten]

Schon zur Regierungszeit des Antoninus Pius hatte derPartherkönig Vologaeses IV. wohl einen Krieg gegen Romvorbereitet, um den römischen Einfluss in Armenienzurückzudrängen. Ob die Aggressionen dabei von denParthern ausgingen, oder ob ihr Angriff eher einPräventivschlag gegen die Römer war, die bereits seit158/159 vermehrt Truppen im Osten hatten aufmarschierenlassen, ist umstritten. Vielleicht haben derThronwechsel und das noch unerprobte Doppelkaisertumvon Mark Aurel und Lucius Verus die Parther ermutigt,unverzüglich loszuschlagen. Als der römischeStatthalter von Kappadokien eine schwere Niederlageerlitt, wurde Lucius Verus mit einem Heer in den Ostenentsandt. Verus, den noch vor der Einschiffung einelängere Erkrankung bei Canusium festhielt, gelangteerst Ende 162 nach Antiochia am Orontes und widmetesich dort zunächst der Reorganisation desdemoralisierten Heeres und der Koordination desNachschubs (siehe auch Partherkrieg des Lucius Verus).Wie Mark Aurel hatte er persönlich keinerleimilitärische Erfahrung.

-416-Die operative Führung der römischen Gegenoffensive, die163 begann, oblag daher hauptsächlich erfahrenenOffizieren wie dem aus Syrien stammenden AvidiusCassius. Die Römer drangen schließlich nach Armenienvor, wo der prorömische Arsakidenprinz Sohaemus alsKönig eingesetzt wurde. 164 begann die römischeHauptoffensive in Mesopotamien; die Osrhoene wurde

besetzt, und schließlich fiel 165 sogar die parthischeDoppelhauptstadt Seleukia-Ktesiphon in römische Hand,wobei die Königsburg zerstört wurde. Römische Truppendrangen sogar zeitweilig bis nach Medien vor. Der Kriegkonnte im Jahr darauf siegreich beendet werden. Dieswar ein gewaltiger Erfolg für Lucius Verus, der aberklug genug war, den anschließenden Triumph mit demsenior Augustus Mark Aurel zu teilen, damit dieRangordnung gewahrt blieb. Rom konnte aufgrund derPestepidemie (siehe oben) aber wohl keinen dauerhaftenGewinn aus dem Sieg ziehen: Ob Nordmesopotamien in denfolgenden Jahrzehnten von den Römern kontrolliertwurde, ist unklar.

Mark-Aurel-Säule, Piazza Colonna, Rom

-417-

War bis zum Sieg über die Parther die Lage im Donau-Grenzraum zwar auch bereits angespannt, aber doch imWesentlichen beherrschbar geblieben, so änderte sichdies 167/168, als in Pannonien gegen die einfallendenLangobarden und Obier eine erste Schlacht geschlagenwerden musste. Dies geschah auch im Zeichen einerSchwächung durch die Antoninische Pest, vermutlich eineForm der Pocken, die die vom östlichen Kriegsschauplatzzurückgekehrten Legionäre eingeschleppt hatten. DerStatthalter von Oberpannonien trat danach inVerhandlungen mit den Germanen, erreichte aber nur einevorübergehende Beruhigung der Lage mit Hilfe desMarkomannenkönigs Ballomar. Denn bereits 169 drangenBallomars Markomannen gemeinsam mit den Quaden bis überdie Alpen nach Norditalien vor und zerstörten die StadtOpitergium. Noch auf Ammianus Marcellinus, den großenHistoriker der Spätantike, verfehlte der Einbruch derGermanen nicht seine Wirkung.[10] Aus spätererPerspektive konnten diese Ereignisse wie Vorboten dergroßen Völkerwanderung wirken.

In Rom suchte Mark Aurel der nun neben derPestdepression zusätzlich um sich greifendenKriegsfurcht mit religiösen Mitteln beizukommen: „DieOpferaltäre rauchten, man schlachtete inmitten derHungersnot in Massen ausgesuchte Tiere. […] Gleich eineWoche lang wurden die Statuen der Götter als Festgästemit Köstlichkeiten bewirtet und zugleich um Erbarmenangefleht.“[11] Mark Aurel machte sich nun auch selbstbereit, mit den Truppen ins Feld zu ziehen. Hatte seitden Zeiten Trajans kein Kaiser mehr an der Spitze derArmee im Krieg gestanden, so kam nun dieMilitärmonarchie als Ursprung des Prinzipats wiederdeutlich zum Vorschein. Die kämpfende Truppe verlangtenach der Anwesenheit eines Kaisers, andernfalls drohtenUsurpationen.

Beide Augusti, Mark Aurel und Lucius Verus, fanden sich168 an der Donaufront ein, um Truppeninspektionendurchzuführen und die Lage zu sondieren. Als Ergebniswurde in der Folge eine spezifische

Militärverwaltungszone mit großenVerteidigungsstützpunkten eingerichtet, die praetenturaItaliae et Alpium. Das Hauptquartier befand sich zudieser Zeit unweit östlich von Opitergium in Aquileia.Als auch hier die Pest sich ausbreitete, reisten dieImperatoren auf Anraten von Mark Aurels Leibarzt Galennach Rom ab. Auf diesem Wege verstarb Lucius VerusAnfang 169, angeblich infolge eines Schlaganfalls.Seine nun verwitwete Tochter Lucilla vermählte MarkAurel gegen deren Widerstand mit Tiberius ClaudiusPompeianus, einem besonders fähigen Offizier syrischerHerkunft, den er für die Germanenkriege an sich bindenwollte.

-418-Die Datierung der militärischen Operationen im Zuge derMarkomannenkriege steht unter dem Vorbehalt einer nichtsehr ergiebigen Quellenlage, deren Deutung eher auf –mehr oder minder große – Wahrscheinlichkeitenhinausläuft als auf gesichertes Wissen.

170 überrannten Germanen und Jazygen das strategischexponierte Dacia (Dakien) und stießen anschließend bisnach Moesia superior (Obermösien) vor. Wohl ebenfallsin dieser Zeit scheiterte eine Offensive unter MarkAurel äußerst verlustreich: 20.000 Legionäre kamendabei ums Leben. Auch zwei neu ausgehobene Legionenkonnten zunächst nicht verhindern, dass die gesamteDonaufront bedenklich bröckelte; in anderen Teilen desReiches kam es zu Aufständen und Räubereinfällen. ImSüdwesten erhoben sich die Mauren, überwanden dieGrenzkastelle und verwüsteten die spanischen Provinzen,sodass Südspanien für zwei Jahre Kriegsgebiet blieb.[12] Der Osten wurde zu einem großen Militärdistriktzusammengefasst und Avidius Cassius unterstellt.

179 ließ Mark Aurel an der germanischen Donaugrenze,u.a. zur Abwehr der Markomannen, für die VII. italischeLegion ein befestigtes Lager errichten, aus dem späterdie Stadt Regensburg hervorging.

Markomannenkriege: Mark Aurel begnadigt Germanenhäuptlinge

-419-Nur mit bedeutenden Anstrengungen auch hinsichtlich derKriegsfinanzierung (s.o.) und unter temporärerAusweitung der Rekrutierungsbasis des Heeres z.B. aufGladiatoren-Sklaven gelang es den Römern in der Folge,auch im germanischen Vorfeld jenseits der Donau wiederFuß zu fassen, die Angreifer zurückzuschlagen und dieverschiedenen germanischen Stämme je nach Einschätzungihrer Zuverlässigkeit durch unterschiedlich bevorzugteBehandlung bei Vertragsschlüssen gegeneinanderauszuspielen. In Teilen wurden sie nun auch alsHilfstruppen der Römer an den jeweils aktuellenKriegsschauplätzen verwendet. Außerdem kam es zuallerdings wenig erfolgreichen Versuchen, begrenztegermanische Bevölkerungskontingente durch Ansiedlunginnerhalb der Reichsgrenzen zu integrieren.

Die Lager im Grenzbereich, von denen aus Mark Aurel diemilitärischen Operationen leitete, wechselten mit denErfordernissen der Situation. Als Noricum wiedervollständig in römischer Hand war, verlegte er seinHauptquartier nach Carnuntum. Weitere Standquartiere

befanden sich in Sirmium und Vindobona. Für mehrere imZuge der Markomannenkriege an der Donau stationierteLegionen wurden neue Lager gegründet, so 179 CastraRegina, das heutige Regensburg.

In einer Offensive eroberten die Römer 172 die RegionMoravia (Mähren), womit die ebenfalls feindlichgesinnten Sarmaten von den Quaden abgeschnitten waren,und unterwarfen schließlich bis ins Jahr 174 auch dieMarkomannen und Quaden. Die Gefahr, die von den Jazygenausgegangen war, wurde gebannt, als Marcus von Sirmiumaus gegen sie vorging.

Der wiederholte Hinweis in der Marcusbiographie derHistoria Augusta, Mark Aurel habe jenseits der Donaudie Einrichtung zweier neuer Provinzen, Marcomannia undSarmatia, geplant, wird in der Forschung angesichtsmangelnder Bestätigung aus anderen Quellen angezweifeltund kontrovers diskutiert. Einerseits hättenGebirgszüge wie das Riesengebirge eine leichter zuverteidigende Grenze ergeben können, als es die Donauwar; andererseits hätten Einrichtung und Ausbau zweierneuer Provinzen Ressourcen erfordert, die in dergegebenen, auf das Äußerste gespannten Lage kaum zurVerfügung standen. Sollte Mark Aurel sich abertatsächlich mit solchen Absichten getragen haben, dannwurde er 175 durch den Usurpator Avidius Cassius und180 durch den eigenen Tod an dem Versuch ihrerVerwirklichung gehindert.

-420-Die „Gesandtschaft“ nach China

In chinesischen Quellen findet man einen Bericht übereine römische „Gesandtschaft“, die 166 China erreichte.Die Männer brachten Geschenke mit und gaben an, vonAndongni (chinesisch 安安安, Pinyin āndōngní), dem Königvon Daqin (Rom), (chinesisch 安 安 , W.-G. Ta-ts’in )

geschickt worden zu sein. Mit Andongni (Antoninus)können nur Antoninus Pius (in diesem Fall hätte dieReise jedoch über fünf Jahre gedauert) oder Mark Aurelgemeint sein. Allerdings dürfte es sich bei den„Gesandten“ nur um herkömmliche römische Kaufleutegehandelt haben, nicht um offizielle Botschafter. Diechinesischen Quellen notieren, dass die Geschenke, diedie Römer überreicht hätten, wenig eindrucksvoll (eshandelte sich um Waren, die aus Südasien stammten,nicht aus dem Imperium Romanum) und von geringem Wertgewesen seien (siehe auch Römisch-chinesischeBeziehungen).

Christenverfolgungen

Obwohl sich die spätere christliche Überlieferunginsgesamt dem positiven Urteil über den Kaiseranschloss, kam es in der Regierungszeit Mark Aurels zuden härtesten Christenverfolgungen seit Nero. In denJahren 166–168 – vermutlich im Zusammenhang mit derPestepidemie – waren Christen zunächst in dem durch diePartherkriege in Mitleidenschaft gezogenen Ostteil desRömischen Reiches Opfer örtlichen Volkszorns, nichtjedoch einer staatlich gelenkten Initiative. Mark Aurelhielt gegenüber den Christen zunächst an der Liniefest, die seit Trajan galt: Sie sollten nichtbehördlich belangt werden, solange sie auf öffentlicheBekenntnisse zu ihrem Glauben verzichteten. ImPrivatleben konnten sie ihr Christentum demnach in derRegel ungestört praktizieren. Unter krisenhaftveränderten äußeren und inneren Bedingungengewährleistete diese Regelung jedoch nicht überall diepersönliche Sicherheit. So konnten beispielsweiseErlasse mit Aufforderungen an die Bevölkerung, dieStaatsgötter angesichts der Pest durch Opfer zuversöhnen, zu Aversionen gegenüber den Christen führen,die solche Opfer aus Glaubensgründen eigentlichverweigern mussten. In diesem Fall wurden siehingerichtet. Es gab aber auch lapsi, die den

Märtyrertod vermieden und vor den Behörden ihrenGlauben verleugneten.

-421-Weitere Christenverfolgungen fanden im Herbst 177 inGallien statt. Hierbei waren die bereits erwähntenangespannten Staatsfinanzen als mitursächlichanzusehen. Gladiatoren für die Veranstaltung vonZirkusspielen wurden zunehmend knapp und teuer, da sieteilweise zu Verstärkung der Legionen im Krieg gegendie Germanen verwendet wurden. So stiegen die Kostenfür die Veranstaltung derartiger Spiele, die von denAmtsinhabern der städtischen Selbstverwaltungen in denProvinzen zu bestreiten waren, über das erträgliche Maßhinaus. Diesbezügliche Beschwerden aus Gallien dürftendazu geführt haben, dass Kaiser und Senat ein Dekreterließen, wonach zum Tode verurteilte Verbrecherkünftig zu Billigpreisen als Gladiatoren in der Arenaeingesetzt werden durften. In Lugdunum (Lyon) machtensich daraufhin Teile der Bevölkerung daran, Christenaufzuspüren und sie im Zusammenwirken mit den örtlichenZuständigen aburteilen zu lassen, sofern sie ihremBekenntnis nicht abschworen. Auch einefremdenfeindliche Komponente könnte zusätzlich beidiesen Vorgängen eine Rolle gespielt haben, denn unterden Märtyrern waren griechische Namen zahlreichvertreten. Da Lugdunum zudem ein Zentrum der paganenReligion in Gallien war und eine Stadt, in der viele indiesem Zusammenhang ihren Lebensunterhalt bestritten,dürfte den Christen hier ohnehin eine verbreiteteAblehnung entgegengebracht worden sein. Der zuständigeProkurator sicherte die Verurteilung der bekennendenChristen jedenfalls durch eine Anfrage in Rom ab. Dasfolgende kaiserliche Reskript verwies auf die seitTrajan gängige Regelung, folglich erlitt dieTodesstrafe, wer sich öffentlich zum Christentumbekannte. Als Verschärfung gegenüber der trajanischen

Praxis hat allerdings zu gelten, dass Mark Aurelgestattete, aktiv nach Christen zu fahnden, statt nurauf private Anzeigen zu reagieren.

Nachdem die Christen, die ihrem Glauben nichtabschwören wollten, in Lugdunum 177 in der Arenagetötet worden waren, sind weitere Christenverfolgungenin der Regierungszeit Mark Aurels nicht überliefert.Dies kann angesichts des Umstandes, dass er bereitszweieinhalb Jahre später verstarb, ein Zufall sein.Vielleicht hat er aber auch nach Kenntnisnahme desGeschehensablaufs entsprechende Vorkehrungen getroffen.[13]

-422-Die Usurpation des Avidius Cassius und das

Nachfolgeproblem

Mark Aurel beim rituellen Opfer an den kapitolinischen Jupiter

Im Jahre 175 erhob sich als Usurpator der syrischeStatthalter Avidius Cassius. Die Hintergründe sindnicht ganz klar, doch wird sowohl von Cassius Dio alsauch in der (allerdings oft sehr unzuverlässigen)Historia Augusta angeführt, Faustina, die Frau desKaisers, habe in Sorge um die angeschlagene Gesundheitihres Mannes Kontakt zu Avidius Cassius aufgenommen.Faustina hatte wohl um das Weiterbestehen der Dynastiegefürchtet, da der einzig überlebende Sohn Commodusnoch zu jung war. Wahrscheinlich spielte aber auchFaustinas Furcht vor einem Rangverlust eine Rolle,sollte jemand anders nach dem Tod Mark Aurels Kaiserwerden. Eventuell wurde die Rebellion dann durch dasGerücht ausgelöst, Mark Aurel sei gestorben; im Ostenfand Avidius Cassius, der sich als General imPartherkrieg bewährt hatte, bald großen Zuspruch.Denkbar ist, dass Cassius hoffte, eine ähnlicheStellung zugestanden zu bekommen wie einst LuciusVerus. Als er jedoch erkannte, dass der Kaiser noch amLeben und nicht kompromissbereit war, machte er denFehler, sich ihm nicht zu unterwerfen, und ließ esstattdessen auf einen Kampf ankommen. Angesichts desÜbergewichts der Donaulegionen, bei denen er keineAnerkennung fand, war die Lage für Cassius zwar wenigaussichtsreich, aber auch nicht aussichtslos.

-423-Zu einem Bürgerkrieg kam es aber gar nicht erst, daCassius kurz darauf von Tätern aus den eigenen Reihenermordet wurde. Noch an der Donaugrenze ließ Mark Aurelseinen Sohn Commodus aus Rom kommen, erhob ihn zumprinceps iuventutis, schloss mit den Sarmaten Friedenund zog in den Osten des Reichs, um die Lage in dendortigen Provinzen nach dem Aufstand des AvidiusCassius zu beruhigen. Bei dieser Reise starb MarkAurels Ehefrau Faustina im Alter von 46 Jahren. Man hatihr Untreue gegenüber ihrem Gatten nachgesagt.Vielleicht im Wissen darum hatte Mark Aurel sie an dieDonaufront kommen lassen und sie zur „Mutter des

Feldlagers“ erhoben. Auch nach ihrem Tod verweigerte erihr ein ehrendes Andenken nicht, was ihn aberandererseits nicht hinderte, alsbald eine Konkubine zuerwählen. Die Rückreise führte den Kaiser über Athen,wo er für die vier großen, traditionsreichenPhilosophenschulen (die Platonische Akademie, dasAristotelische Lykeion, die Stoa und den Epikureismus)je einen Lehrstuhl stiftete.

Commodus

Am 23. Dezember des Jahres 176 feierte Mark Aurelzusammen mit Commodus in Rom den Triumph über dieGermanen und Sarmaten (siehe oben). Am 1. Januar 177machte er Commodus (der Zwillingsbruder Titus AureliusFulvus Antoninus war als Vierjähriger, der ein Jahrjüngere Bruder Annius Verus Caesar mit sieben Jahrenverstorben) zum gleichberechtigten Mitkaiser(Augustus), das Oberpontifikat behielt er sichallerdings selbst vor, um wie einst gegenüber LuciusVerus seinen Vorrang zu verdeutlichen. Es war dennochdas für alle Welt unübersehbare Signal: Commodus würdeMark Aurel nachfolgen.

-424-Dies ist Marcus in der Literatur, die Commodusüberwiegend als schlechten Kaiser beurteilt, teilweiseals gravierende Schwäche ausgelegt worden: Wäre esnicht gerade an ihm gewesen, die Tradition seiner

Amtsvorgänger fortzusetzen und vermittels einerAdoption die Geschicke des Reiches in die bestmöglichenHände zu übergeben? Hatte sich Commodus nicht schon injungen Jahren durch unkalkulierbares, auf Genusssuchtangelegtes Verhalten für Herrschaftsaufgabendisqualifiziert? Die rein dynastische Nachfolgeregelungscheint bis heute vielen so gar nicht zum sonstigenAgieren des idealisierten Philosophenkaisers zu passen.

Solche Fragen könnte Mark Aurel sich tatsächlich alsErster gestellt – und letztlich mit sich selbstausgemacht haben. Zweierlei macht seine Entscheidungerklärbar: Keiner der Adoptivkaiser vor ihm besaß einenleiblichen männlichen Erben, den er hätte zumNachfolger machen können. Commodus′ Anspruch – er warmit dem Titel Caesar bereits als Fünfjähriger 166 alsNachfolgeanwärter designiert worden – war daher durchdie von den Amtsvorgängern Mark Aurels während deslaufenden Jahrhunderts eingeübte Adoptionspraxis nichtin Frage gestellt, auch wenn die Kaiserwürde formalnicht erblich war (siehe Prinzipat). Gerade derUmstand, dass die kinderlosen Kaiser die Notwendigkeitsahen, ihre Nachfolger zu adoptieren, belegt imGegenteil die faktische Bedeutung des dynastischenDenkens. Den endgültigen Ausschlag gegeben hat aberwohl – nach dem Gang der Ereignisse zu urteilen – derUsurpationsversuch des Avidius Cassius, der zeigte,dass die angeschlagene Gesundheit bzw. das Ableben desKaisers (175 als Gerücht bereits gezielt gestreut) beiungeregelter Nachfolgefrage zum Bürgerkrieg hätteführen können. Als verbindliche und möglichstunanfechtbare Lösung bot sich in der gegebenenSituation nur Commodus an. Nichts deutet darauf hin,dass Mark Aurel jemals mit dem Gedanken gespielt habenkönnte, seinen Sohn nicht zu seinem Nachfolger zumachen. Dessen Sukzession war für alle Beteiligtenschlicht eine Selbstverständlichkeit: Als Privaterbedes Kaisers verfügte Commodus über gewaltige Geldmittelund die Loyalität der Soldaten; solange er lebte, warer als Thronfolger unvermeidlich. Hätte Mark Aureltatsächlich zugunsten z. B. eines seiner Schwiegersöhne

Commodus nicht zum Zuge kommen lassen, so wäre dies, soFündling und andere Forscher, im Sinne derMachtsicherung des neuen Herrschers einem Todesurteilgegen den eigenen Sohn gleichgekommen bzw. hätte einenBürgerkrieg provoziert.

-425-Mark Aurel, der die problematischen Wesenszüge seinesSohnes wahrgenommen haben mag, blieb wohl immerhin dieHoffnung, dass Commodus nach der Pubertät in seineAufgaben hineinwachsen würde. Reisen und Feldzügeseines Vaters hatte er jedenfalls von Mitte des Jahres175 an – und bis zu dessen Ende im März 180 – alsbereits bestätigter Thronfolger zu begleiten: So wieAntoninus ihn nicht aus den Augen gelassen hatte, sobehielt nun auch Mark Aurel den Commodus stets anseiner Seite. Seine Ausbildung konzentrierte sich nunstark auf das Militärische, und nicht zufällig bliebCommodus zeitlebens sehr beliebt bei den Legionen.Gleichwohl blieben Art und Dauer seiner Vorbereitungauf die Herrscherrolle hinter den Möglichkeiten, dieMark Aurel zur Verfügung gestanden hatten, zurück.Commodus’ spätere Selbstinszenierung alskeulenschwingender Herkules und Gladiator ist fürFündling übrigens weniger abwegig, als es auf denersten Blick scheint. Fündling zufolge firmierteHerkules auch als Sinnbild eines rastlosen Herrschers,der die Welt in Übereinstimmung mit stoischenGrundsätzen von Plagen reinigt: „Das Spektakel desblutbespritzten Commodus mag ein Versuch gewesen sein,aus dem Vorbild etwas Eigenes zu machen, ein auf denHund gekommener Stoizismus.“[14]

Tod und Nachwirkung

Reiterstatue Mark Aurels, Kapitolinische Museen, Rom-426-Am 3. August 178 brachen Mark Aurel und Commodus zumzweiten Markomannenkrieg auf. Auf diesem Feldzug starbder Kaiser am 17. März 180, vermutlich in Vindobona,dem heutigen Wien (Tertullian nennt allerdings Sirmiumals Sterbeort) an einer uns nicht weiter bekanntenKrankheit. Einige Wissenschaftler gehen jedoch von derAntoninischen Pest als Todesursache aus[15], anderevermuten ein Krebsleiden. Mit Ausbruch der Krankheitund in Erwartung des nahen Todes ließ der Kaiser seinenSohn Commodus rufen und mahnte ihn angeblich, denFeldzug bis zum Sieg fortzusetzen. Commodus habe es indieser Situation – möglicherweise aus Angst vorAnsteckung – eilig gehabt, sich wieder zu entfernen.Daraufhin soll Mark Aurel, um das eigene Ende zubeschleunigen, das Essen und Trinken verweigert habenund bald darauf verschieden sein. Seinen klagendenFreunden entgegnete er der Überlieferung nach: „Wasweint ihr um mich? Weint um die Pest und dasSterbenmüssen aller!“[16] Seine Asche wurde in Rom imMausoleum Kaiser Hadrians, der späteren Engelsburg,beigesetzt. Ihm zu Ehren ließ der Senat von Rom

irgendwann zwischen 176 und 193 eine Ehrensäule (Mark-Aurel-Säule) errichten. Diese ist auf der nach ihrbenannten Piazza Colonna in Rom zu finden.

Die bekannteste Darstellung Mark Aurels ist seinbronzenes Reiterstandbild, das seit der Renaissance aufdem von Michelangelo gestalteten Platz (Piazza delCampidoglio) des Kapitols in Rom aufgestellt ist (jetztin Nachbildung, das Original im benachbarten Museum).Dieses Reiterstandbild ist, seit der Einführung desEuro im Jahr 2002, auf der 50-Cent-Münze deritalienischen Version dieser Währung abgebildet. Einweiterer Abguss der Reiterstatue steht in Tulln an derDonau. Die Statue soll an die jahrhundertelangeAnwesenheit der Römer an der Donaugrenze erinnern.

Das Bild, das Mark Aurel als Herrscher geboten hatte,sowie seine überlieferten philosophischen Reflexionenhaben ihm unter Zeitgenossen und Nachgeborenen vielfachRespekt und Bewunderung eingetragen, in breitenBevölkerungskreisen des Römischen Reiches wie unterAristokraten und Herrschern. Die durchaus vorhandenenproblematischen Aspekte seiner Herrschaft tratendagegen früh in den Hintergrund, und der Kaiser wurdezum Idealherrscher verklärt.

-427-In seine Nachfolge stellten sich außer Commodus etwaSeptimius Severus, der sich selbst (fiktiv) zum SohnMark Aurels erklärte, und die übrigen Severer, waseiniges zur Idealisierung Mark Aurels beigetragen habendürfte, bedeutete dies doch, dass noch Jahrzehnte nachseinem Tod römische Herrscher versuchten, ihn alsVorbild und angeblichen Vorfahren für sich in Anspruchzu nehmen. Noch in der Spätantike tat dies derebenfalls philosophisch interessierte Julian. Die MarkAurel bezeugte Verehrung mag noch verstärkt worden seindurch die nach seiner Regierungszeit einsetzenden

Turbulenzen, die seinen Tod im Rückblick als Zäsurerscheinen ließen – mit den Worten des Senators undHistorikers Cassius Dio als Abstieg in ein Zeitaltervon „Eisen und Rost“.[17] Auch den Christen galt erspäter – trotz der Christenverfolgungen in seinerRegierungszeit – als guter Kaiser.

In der Neuzeit wurde Mark Aurel wiederentdeckt underneut als Idealherrscher verehrt. Fündling schreibt:„Während der Aufklärung wurde er geradezu Modeautor,der besonders Voltaire begeisterte. Vernunft,Humanität, Pflichtgefühl und ein nichtchristlicherGottesbegriff: So sollte ein König sein.“[18]EdwardGibbon vertrat in seinem berühmten Werk History of theDecline and Fall of the Roman Empire in Anlehnung anCassius Dio die Meinung, dass mit dem Tod Mark Aurelsein goldenes Zeitalter geendet habe.[19] Von derNeuzeit bis in die Gegenwart haben sich bedeutendePersönlichkeiten als seine Anhänger bekannt, darunterpolitisch Verantwortliche wie der aufgeklärtepreußische Monarch Friedrich II. oder der deutscheAltbundeskanzler Helmut Schmidt, aber auch russischeLiteraten wie Anton Tschechow oder derLiteraturnobelpreisträger Joseph Brodsky.

Seine eigene Sicht zur Frage des Nachruhms ergibt sichaus den Selbstbetrachtungen:

„Einst gebräuchliche Worte sind jetzt unverständliche Ausdrücke. So geht esauch mit den Namen ehemals hochgepriesener Männer, wie Camillus,Kaeso, Volesus, Leonnatus, und in kurzer Zeit wird das auch mit einemScipio und Cato, nachher mit Augustus und dann mit Hadrian undAntoninus der Fall sein. Alles vergeht und wird bald zum Märchen und sinktrasch in völlige Vergessenheit…“

– Mark Aurel: Selbstbetrachtungen IV, 33

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QuellenNeben den Selbstbetrachtungen (siehe unten):Historia Augusta, Vita des Marcus Aurelius, Teil 1 und Teil 2(lateinischer Text und englische Übersetzung bei LacusCurtius)Cassius Dio, Buch 71 und 72 (englische Übersetzung)Fronto: EpistulaeEusebius von Caesarea, Historia ecclesiastica, 5. BuchEine detailliertere Darstellung der Quellensituation bietet Birley.[20]Die SelbstbetrachtungenF. C. Schneider (Übers.): Meditationen. Breslau 1857: E-Text beiProject Gutenberg; E-Text bei zeno.orgWilhelm Capelle (Übers.): Selbstbetrachtungen. Kröners Taschenausgabe4, 13. Aufl. Stuttgart 2001, ISBN 3-520-00412-7[21]Rainer Nickel (Übers.): Wege zu sich selbst. Piper, München 2003,ISBN 3-492-23816-5dsb. Übers. & Hg.: Marc Aurel: Selbstbetrachtungen. Marku AntōninuAutokratoros ta eis eauton. Griechisch & Deutsch. Sammlung Tusculum.2. Aufl. Mannheim 2010 Artemis & Winkler ISBN 978-3-538-03541-6Albert Wittstock, Übers.: Marc Aurel: Selbstbetrachtungen. Reclam,Stuttgart 1949; Nachdruck 1995 ISBN 3-15-001241-4[22]Otto Kiefer (Übers. & Einl.): Marc Aurel: Selbstbetrachtungen. EugenDiederichs, Jena 1903; 2. Aufl. 1920; folgende Aufl. immer im InselVerlag, zuletzt 2008[23]Es sei auch auf die englische Ausgabe mit Übersetzung und Kommentarvon Farquharson hingewiesen:

A. S. L. Farquharson: The Meditations of the Emperor MarcusAntoninus. 2 Bde., Oxford 1944[24]

LiteraturHistorisch-biografische LiteraturMarcel van Ackeren (Hrsg.): A Companion to Marcus Aurelius.Blackwell, Oxford u. a. 2012 (aktuelle und recht umfassendewissenschaftliche Einführung mit Beiträgen von internationalenExperten.).Anthony R. Birley: Mark Aurel. Kaiser und Philosoph. 2.,durchgesehene und erweiterte Auflage. Beck, München 1977, ISBN 3-406-06760-3. Überarbeitete Ausgabe auf Englisch: Marcus Aurelius. Abiography. Batsford, London 1987, ISBN 0-7134-5428-8 (Standardwerk,inzwischen aber teilweise überholt).Susanne Börner: Marc Aurel im Spiegel seiner Münzen und Medaillons.Eine vergleichende Analyse der stadtrömischen Prägungen zwischen 138und 180 n. Chr. (= Antiquitas. Reihe I, Bände 58). Habelt Verlag,Bonn 2012, ISBN 978-3-7749-3769-7.Detlev von der Burg (Hrsg.): Marc Aurel. Der Reiter auf dem Kapitol.Hirmer, München 1999, ISBN 3-7774-8340-0 (kunsthistorische Studie zurReiterstatue).Richard P. Duncan-Jones: The impact of the Antonine plague. In:Journal of Roman Archaeology. Band 9, 1996, S. 108–136.Jörg Fündling: Marc Aurel. Kaiser und Philosoph. Primus Verlag,Darmstadt 2008, ISBN 978-3-89678-609-8 (Rezension).

Pierre Grimal: Marc Aurèle. Paris 1991.Richard Klein (Hrsg.): Marc Aurel. Darmstadt 1979, ISBN 3-534-07802-0(wichtige Aufsatzsammlung zur älteren Forschung).Cornelius Motschmann: Die Religionspolitik Marc Aurels (= Hermes-Einzelschriften. Band 88). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2002, ISBN3-515-08166-6.Klaus Rosen: Marc Aurel. 3. Auflage. Rowohlt, Reinbek 2004, ISBN 3-499-50539-8 (knappe, aber nützliche Einführung).Klaus Rosen: Die angebliche Samtherrschaft von Marc Aurel und LuciusVerus. Ein Beitrag der Historia Augusta zum Staatsrecht der RömischenKaiserzeit. In: Historiae Augustae Colloquia. Nov. Ser. I, Macerata1991, S. 271–285.

-429-Greg R. Stanton: Marcus Aurelius, Lucius Verus, and Commodus. 1962–1972. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Band II 2,1975, S. 478–549 (älterer Forschungsüberblick).Sekundärliteratur zu den SelbstbetrachtungenMarcel van Ackeren: Die Philosophie Marc Aurels. 2 Bände, de Gruyter,Berlin/New York 2011.Pierre Hadot: Die innere Burg. Anleitung zu einer Lektüre MarcAurels. Eichborn, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-8218-0642-7(wichtiges Standardwerk).R. B. Rutherford: The meditations of Marcus Aurelius. A study.Clarendon Press, Oxford 1989, ISBN 0-19-814755-4.

Weblinks Commons: Mark Aurel – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien Wikiquote: Mark Aurel – Zitate Wikisource: Mark Aurel – Quellen und VolltexteLiteratur von und über Mark Aurel im Katalog der DeutschenNationalbibliothekInformationen zu Mark, Aurel im BAM-PortalHerbert W. Benario: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Rachana Kamtekar: Eintrag In: Edward N. Zalta (Hrsg.): StanfordEncyclopedia of PhilosophyJohn Sellars: Eintrag in der Internet Encyclopedia of PhilosophyLinksammlung und Literaturangaben auf der Seite der FreienUniversität BerlinMark Aurel: Selbstbetrachtungen. In: Projekt Gutenberg-DE.

Anmerkungen1↑ Annähernd gleich oft findet sich die Schreibung „Marc Aurel“.Marcus Annius Verus (oder Marcus Catilius Severus, wie er auchgenannt wurde) nahm nach seiner Adoption durch Kaiser Antoninus Piusden Namen Marcus Aelius Aurelius Verus an (die alternative Benennungals Aurelius Caesar Augusti Pii Filius ist ebenfalls überliefert).2↑ Name ohne kaiserliche Titulatur. Sein vollständiger Name nebstTitulatur zum Zeitpunkt seines Todes lautete Imperator Caesar Marcus

Aurelius Antoninus Augustus Germanicus Sarmaticus, Pontifex Maximus,Tribuniciae potestatis XXXIV, Imperator X, Consul III, Pater patriae.3↑ Alle nachfolgenden Zitate aus den Selbstbetrachtungen entstammender Übertragung von Albert Wittstock; siehe dazu: Literatur4↑ Fündling hebt hervor, dass die Geburt des Marcus schon deshalb vonspeziellem Interesse für Hadrian war, weil Mark Aurels GroßvaterAnnius Verus wegen seiner loyalen Haltung sowie in seinen Funktionenals amtierender Konsul und Stadtpräfekt (und damit als einziger inRom über Truppen verfügender Angehöriger des Senatorenstandes) demkinderlosen Herrscher angeblich besonders nahestand: „Falls derkleine Annius überlebte, würde man über ihn nachdenken müssen …“(Fündling, S. 17).5↑ Mit weniger als 16 Jahren war vor Mark Aurel niemand in diesenKreis gewählt worden. Die Ausnahme ging vermutlich auf Hadrian alsPontifex Maximus zurück (Fündling, S. 24).6↑ Bei Jörg Fündling heißt es: Hadrian wählte Antoninus, „ohnelebenden Sohn, aber mit einem Neffen aus mächtiger Familie, den derKaiser aufmerksam beobachtet und ausgezeichnet hatte“. Es sei zufragen, ob Antoninus ohne Marcus überhaupt zu haben war. Sobalddieser aber in die Erbfolge integriert war, begünstigten derAltersvorsprung vor Lucius, der Adoptivvater Antoninus und jedesverstreichende Jahr den Marcus gegenüber Lucius. „Der Initiatormusste das wissen. Andererseits sicherte Hadrian, indem er beide zuBrüdern machte, Lucius’ Zukunft in einem gewissen Maß durch denAppell an Antoninus’ wie Marcus’ pietas...“ (Jörg Fündling: Kommentarzur Vita Hadriani der Historia Augusta. Bonn 2006, Bd. 4.2, S. 1068–1070)-430-7↑ Fündling, S. 38.8↑ Historia Augusta, Marcus Aurelius 2, 6; Birley, S. 619↑ Zitiert nach Birley 1977, S. 326f.10↑ Vgl. Ammian 29,6,111↑ Fündling, S. 97.12↑ Fündling, S. 110.13↑ Vgl. Paul Keresztes: War Marc Aurel ein Christenverfolger?. In:Richard Klein (Hrsg.): Marc Aurel. Wiss. Buchges., Darmstadt 1979,ISBN 3-534-07802-0, S. 261–303.14↑ Fündling, S. 173f.15↑ Stefan Winkle: Kulturgeschichte der Seuchen. Düsseldorf 1997. S.434.16↑ Historia Augusta, Marcus Aurelius 28,4; Übersetzung nachFündling, S. 171, der ebenda resümiert: „So wählte er sein Endegewissermaßen doch noch selbst.“17↑ Fündling, S. 178: „Dass Marcus’ Zeit für Dio den letzten festenPunkt jenes Verhältnisses von Kaiser und Senat verkörperte, zu demRom zurückkehren sollte, steht fest.“18↑ Fündling, S. 180, der seine durchaus nicht apologetisch gemeintebiographische Darstellung an das Ziel gebunden hat, Mark Aurel imKontext von „Bedingtheit, Abhängigkeit, Zwang, Denkhindernisse(n),Konventionen und automatische(n) Abläufe(n)“ zu betrachten (S. 12).19↑ Vgl. Gibbon, Decline and Fall, Kapitel 1.

20↑ Birley, Mark Aurel, 1977, S. 409ff.; bzw. Marcus Aurelius, 1987,S. 226ff.21↑ Die Ausgaben von 1933 bis zur 12. Aufl. 1983 (seit 1973 mit derangegebenen ISBN) mit einem Vorwort Capelles von 60 Seiten, dasausführlich Leben und Werk, philosophische Herkunft (Stoa) undEinordnung, historische Situation sowie die Überlieferung des Textesdarstellt. Ebenso umfangreiche Anmerkungen Capelles zum Text imAnhang. Die Ausgaben seit 2008 mit einem neuen Vorwort von JörgFündling (anstelle Capelles), übrige Teile unverändert, der 2008 auchdie Monographie bei Primus/WBG verfaßt hat. Übers. und Anm. weiterhinvon Capelle. – Seit 2009 auch wohlfeile sowie elektronische Ausgabenund auf Tonträger22↑ ca. 1949–1989 auch bei Reclam, Leipzig, Hg. Hans-Joachim Diesner,zuletzt ISBN 3-379-00442-123↑ ab 1992 mit Vorw. von Klaus Sallmann24↑ Zahlreiche Nachdrucke, auch ohne Originaltext und Kommentar

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Lucius Verus

Büste des Lucius Verus (Metropolitan Museum of Art)

Lucius Aurelius Verus (vorher auch Lucius CeioniusCommodus, Lucius Aelius Commodus, Lucius AeliusAurelius Commodus; * 15. Dezember 130; † 169 inAltinum) war gemeinsam mit Mark Aurel von 161 bis zuseinem Tod römischer Kaiser.

Abstammung und Erziehung

Verus war der Sohn des Lucius Aelius Caesar, einesMannes aus der Umgebung des Kaisers Hadrian, und seinerFrau Avidia. Verus hieß zuerst wie sein Vater LuciusCeionius Commodus. Als im Jahr 136 sein Vater vonHadrian adoptiert und als Nachfolger designiert wurde,erhielt Verus den Namen Lucius Aelius Commodus. Bereitsim Januar 138 starb Aelius Caesar aber, und dertodkranke Hadrian machte stattdessen Antoninus Pius zuseinem Nachfolger, allerdings unter der Bedingung, dassAntoninus seinerseits Lucius Verus adoptierte. Diesgeschah am 25. Februar 138. Verus erhielt dasGentilnomen Aurelius und hieß nun Lucius AeliusAurelius Commodus. Im selben Atemzug wurde er aufHadrians Geheiß mit Faustina, der Tochter desAntoninus, verlobt; nach Ansicht mehrerer Forscher istdies ein klarer Hinweis darauf, dass Hadrian ihn alskünftigen Kaiser und Nachfolger des Antoninusausersehen hatte (so etwa Timothy Barnes).[1] Mark

Aurel, der angeheiratete Neffe des Antoninus, wurde vondiesem ebenfalls adoptiert.

-432-Nach Hadrians Tod bevorzugte Antoninus jedoch MarkAurel gegenüber Verus und löste sofort die Verlobungzwischen Verus und Faustina, die stattdessen im Jahr145 Mark Aurel heiratete. Die von Hadrian offenbarvorgesehene Rangordnung zwischen Verus und Mark Aurelwurde also umgekehrt. Als kaiserlicher Prinz wurdeVerus dennoch sorgfältig durch den berühmten Rhetorikerund Anwalt Marcus Cornelius Fronto erzogen, der Verusund Mark Aurel sehr zugetan war. Von Verus wirdberichtet, er sei ein außergewöhnlicher Schülergewesen, stolz auf seine Leistungen in der Poesie undder freien Rede.

Lucilla

Verus’ politische Karriere begann als Quästor im Jahre153 und dann als Konsul 154, viel eher, als es dasMindestalter von 32 Jahren für diese Aufgabe eigentlichzuließ, und ohne zuvor Prätor gewesen zu sein. 161 warer erneut Konsul, mit Mark Aurel als Seniorpartner. Imselben Jahr starb Antoninus und wurde von Mark Aurelbeerbt. Verus wurde von diesem wenig später zum

Mitkaiser (Augustus) ernannt, ein Vorgang ohnevorheriges Beispiel im Römischen Reich. Verus erhieltals Kaiser den Namen Lucius Aurelius Verus Augustus.

Offiziell hatten beide Männer fast gleicheMachtbefugnisse, tatsächlich aber war es Mark Aurel,der eindeutig die Führung beanspruchte. Die Existenzvon zwei völlig gleichberechtigten Herrschern wäre mitdem Wesen des Prinzipats auch unvereinbar gewesen.

-433-Der Rangunterschied zwischen den beiden Kaisern wurdenach außen unter anderem daran verdeutlicht, dass nurMark Aurel pontifex maximus war; zudem war vonBedeutung, dass Mark Aurel der Urheber des Kaisertums(auctor imperii) seines Mitherrschers war. Veruserhielt die Kontrolle über die Armee im Osten. Um dieAllianz zu festigen, gab Mark Aurel 163 seine TochterLucilla Verus zur Frau, mit der dieser eine Tochter undeventuell weitere Kinder hatte. Zugleich machte dieseHeirat erneut die Hierarchie zwischen den beidenKaisern deutlich: Als sein Schwiegersohn wurde Verusgewissermaßen künstlich um eine Generation gegenüberMark Aurel herabgestuft.

PartherfeldzugHauptartikel: Partherkrieg des Lucius Verus

Büste des Lucius Verus

Zwischen 162 und 166 führte Verus im Osten das Kommandoüber die römische Strafexpedition gegen die Parther,die 161 römische Territorien überfallen hatten,möglicherweise, um einem Angriff zuvorzukommen. Veruswird nachgesagt, er sei ein hervorragender Befehlshabergewesen, ohne Angst, militärische Aufgaben ankompetentere Generäle zu delegieren. Spätere Berichtestellen aber fest, dass Verus auf dem Feldzug nicht dasharte Leben der Soldaten geteilt habe. Er war, wie esheißt, immer umgeben von Schauspielern und Musikern,genoss Bankette in Unmengen und andere Freuden desLebens. Fest steht, dass er sich 162 in die Mysterienvon Eleusis einweihen ließ und damit seinenPhilhellenismus zum Ausdruck brachte.-434-Allem Anschein nach konnte sich seine angeblich solebensfrohe Art ohne Schaden auf die Offiziersrängeübertragen, da die Moral der Truppe hoch war und dieerforderlichen Aktionen der Armee nicht unterbrach:Verus blieb ein kompetenter Feldherr, der seine Zielemit Geschick erreichte, wobei die operative Führungfreilich erfahrenen Offizieren oblag, wie dem SyrerAvidius Cassius; denn weder Verus noch Mark Aurelhatten irgendwelche militärische Erfahrung. 163 stießen

die römischen Truppen gegen die Parther vor und konntendas strategisch wichtige Armenien sichern, wo ein pro-römischer König eingesetzt wurde. Im folgenden Jahrerfolgte der Hauptangriff in Richtung Mesopotamien, undwieder konnten die Parther geschlagen werden.

165 fiel die parthische Hauptstadt Ktesiphon, und derKrieg konnte bald darauf beendet werden, ohne dass sichan der Ostgrenze Roms größere Veränderungen ergaben.Allerdings schleppten die aus dem Osten zurückkehrendenrömischen Truppen eine Seuche in das Reich ein (die sogenannte Antoninische Pest). Nach seiner Rückkehr wurdeVerus am 12. Oktober des Jahres 166 in Rom mit einemTriumphzug gefeiert. Verus teilte den Triumph mitseinem Kaiserkollegen, dem senior Augustus Mark Aurel.Ungewöhnlich, weil unüblich, an der Parade war, dasssie als große Familienfeier Verus, Mark Aurel, ihreSöhne und die unverheirateten Töchter mit umfasste.Beide Augusti führten fortan auch den Titel paterpatriae.

LebensstilDie nächsten beiden Jahre verbrachte Verus in Rom. Diespäteren Quellen berichten: Er fuhr in seinemglamourösen Leben fort und hielt eine Truppe vonSchauspielern und Günstlingen um sich. Er habe sichsogar eine Schenke in sein Haus einbauen lassen, in derer mit seinen Freunden bis in den Morgen gefeiert habe.Er genoss es auch, durch die Stadt zu streifen, sichunters Volk zu mischen, ohne seine Identität zuoffenbaren. Zirkusspiele waren eine weitere Passionseines Lebens, besonders Wagenrennen. Mark Aurelmissbilligte seinen Lebensstil, wie es heißt, aber daVerus seine offiziellen Aufgaben effizient absolvierte,bot er ihm keinen Angriffspunkt.

-435-Denkbar ist allerdings, dass die auffällige Diskrepanzzwischen den unbestreitbaren politischen undmilitärischen Leistungen und dem angeblich soliederlichen Privatleben des Verus bewusst konstruiertoder zumindest übertrieben wurde: Seine Erfolge drohtenMark Aurel, der nichts Vergleichbares vorzuweisenhatte, in den Schatten zu stellen, was die heikleMachtbalance zwischen den beiden Kaisern empfindlichgestört hätte. Kaum zufällig erhob Mark Aurel darumdirekt nach dem Parthersieg 166 seinen erstfünfjährigen Sohn Commodus zum Caesar und machte damitdeutlich, dass dieser - nicht Verus - als seinNachfolger vorgesehen sei.

Tod und Vergöttlichung

Anfang 168 überquerte Verus die Alpen und begab sichauf eine Inspektionsreise zu den römischen Truppen ander Nordgrenze. Nach dem Beginn der Markomannenkriegebezogen die Kaiser Mark Aurel und Lucius Verus imHerbst 168 ihr Hauptquartier in Aquileia inOberitalien, um von hier aus die Kampfhandlungen zuleiten. Zu Beginn des Jahres 169, als die Pestinnerhalb des Heeres wütete, entschlossen sich beideAugusti, nach Rom zurückzukehren. Auf der Reiseerkrankte Verus ganz plötzlich und starb nach wenigenTagen in dem Städtchen Altinum.

Späteren Quellen zufolge zweifelten manche Zeitgenossenan einem natürliche Tod des Verus. Sie verdächtigtenunter anderem seine Schwägerin Faustina und seineGattin Lucilla, seine Ermordung veranlasst zu haben,mit Wissen Mark Aurels. Für derartige Verdächtigungengibt es aber keine stichhaltigen Beweise. Plausiblerist, dass Lucius Verus der Antoninischen Pest, die

aller Wahrscheinlichkeit nach eigentlich einePockenepidemie war, erlegen ist. Nach anderen Angabenwar ein Schlaganfall die Todesursache; dies setztallerdings voraus, dass die Berichte über denausschweifenden Lebenswandel des Kaisers der Realitätentsprechen.

Trotz der wachsenden Differenzen zwischen ihnenbetrauerte Mark Aurel den Verlust seinesAdoptivbruders, der immer demonstrativ loyal zu ihmgestanden hatte. Er begleitete den Leichnam nach Rom,wo er Spiele zu seinen Ehren veranstaltete. Seine Aschewurde im Mausoleum Kaiser Hadrians, der heutigenEngelsburg, beigesetzt. Der Senat erklärte Verus zumGott, der als Divus Verus verehrt werden sollte. DerDivus Verus und der Divus Marcus Antoninus Pius (derdivinisierte Marcus Aurelius) wurden zusammen auch alsDivi fratres verehrt.

-436-Quellen

Die Quellenlage zu Lucius Verus ist relativ schlecht.Weder sind Briefe erhalten noch eigene literarischeWerke oder die Darstellung eines der großen römischenHistoriker. Über den Partherkrieg sollen gleich mehrereAutoren geschrieben haben, so etwa CrepereiusCalpurnianus. Lukian von Samosata machte sich überdiese in seinem Werk Wie man Geschichte schreiben solllustig, da sie sämtlich unzureichendeGeschichtsschreiber seien. Von diesen Werken ist jedochnichts erhalten; es wurde daher sogar erwogen, dassdiese Autoren reine Fiktion Lukians seien.[2]-438-

Denar des Lucius Verus

Deshalb basiert unser Wissen über diesen Kaiser vorallem auf der spätantiken Historia Augusta, in derBiografien zu Verus selbst, zu seinem Mitkaiser MarkAurel und zu seinem Vorgänger Antoninus Pius enthaltensind. Die Historia Augusta ist seit dem 19. Jahrhundertunter Historikern sehr umstritten. Allgemein gilt sieals eher unzuverlässig, da sich darin immer wiederFakten mit erfundenen Anekdoten und offensichtlichunwahren Behauptungen vermischen. Andererseits geltendie Viten zu den Kaisern des 2. Jahrhunderts alszuverlässiger als die zu den Soldatenkaisern.Insbesondere ein Vergleich der Biografien von LuciusVerus und Mark Aurel macht deutlich, dass in derHistoria Augusta die Bewertung der Leistungen derKaiser von der Einschätzung ihres Charakters durch denAutor und von ihrer Lebensweise abhängt: Der anonymeVerfasser hatte also von vornherein die Absicht, denjeweiligen Kaiser in einer bestimmten Weisedarzustellen, und arrangierte und interpretierte seinMaterial dementsprechend. So wird Mark Aurel insgesamtsehr positiv, der angeblich zu lebenslustige LuciusVerus dagegen negativ beurteilt.

-437-Dennoch beinhaltet die Vita des Lucius Verus in derHistoria Augusta in Hinblick auf die Fakten derEreignisgeschichte durchaus wertvolles Material aus

guten Quellen, was vor allem von Ronald Syme undTimothy D. Barnes hervorgehoben wurde.

Offenbar entwickelte sich bereits bald nach dem Tod desKaisers eine dominante Tradition, die sich bemühte,seine militärischen Erfolge durch den Verweis aufpersönliche Laster zu relativieren. Nur wenige Quellenzeichnen daher ein etwas anderes Bild des Verus. Dazugehören vor allem die Briefe seines Freundes undErziehers Marcus Cornelius Fronto.

Hilfreiche Details enthalten auch die römischeGeschichte des Cassius Dio und die Werke des Eutropiusund des Festus. Auch einige frühchristlicheSchriftsteller schreiben über ihn, darunter Anastasius,Orosius und Eusebius. Einen Abgleich der Überlieferungmit der historischen Realität ermöglichen Münzfunde,Inschriften, archäologische Ausgrabungen und im CodexIustinianus enthaltene Gesetze des Lucius Verus. Diehistorische Hilfswissenschaft Numismatik und dieArchäologie sind in diesem Falle von besondererBedeutung, da die Schriftzeugnisse wenig umfangreichsind und nichts von Lucius Verus selbst Verfassteserhalten ist. Die obige Abbildung des Kaisers zeigteine von ihm geprägte Silbermünze (Denar).

LiteraturVgl. auch die im Artikel Mark Aurel angegebenen Literaturhinweise.Timothy D. Barnes: Hadrian and Lucius Verus. In: Journal of RomanStudies 57, 1967, S. 65–79.Karl Strobel: Zeitgeschichte unter den Antoninen: Die Historiker desPartherkrieges des Lucius Verus. In: Aufstieg und Niedergang derrömischen Welt. Bd. II.34.2, 1994, S. 1315–1360.

Weblinks Commons: Lucius Verus – Album mit Bildern, Videos und AudiodateienLiteratur von und über Lucius Verus im Katalog der DeutschenNationalbibliothekPhoebe B. Peacock: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch) ausDe Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Biografie der Historia Augusta (lateinisch und englische Übersetzung)

-438-

Anmerkungen1↑ Timothy D. Barnes: Hadrian and Lucius Verus. In: Journal of RomanStudies 57, 1967, S. 65–79, speziell S. 77–79.2↑ Vgl. die Erörterungen bei Karl Strobel: Zeitgeschichte unter denAntoninen: Die Historiker des Partherkrieges des Lucius Verus. In:Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Bd. II.34.2, 1994, S.1315–1360.

Partherkrieg des Lucius VerusDatum 161–166 n. Chr.Ort. Armenien, Mesopotamien, Syrien und MedienAusgang: Römische Gebietsgewinne im nördlichen MesopotamienFolgen: Die Arsakiden behaupten sich auf dem armenischen Thron, Zerstörung von Seleukia-Ktesiphon. Antoninische Pest.Konfliktparteien: Römisches Reich, PartherreichBefehlshaber: Lucius Verus, Avidius Cassius, Marcus Claudius, Fronto, Vologaeses IV., Chosrhoes

Der Partherkrieg des Lucius Verus war eineAuseinandersetzung zwischen dem Römischen Reich und denParthern in den Jahren 161 bis 166 nach Christus.

Quellenlage

Da es an schriftlichen, zeitgenössischen und direktenQuellen mangelt, ist man in großen Teilen auf Münzenund das Partherdenkmal aus Ephesos angewiesen. EinigeHinweise auf den Partherkrieg gibt auch Lukian vonSamosata in seinem Werk Wie man Geschichte schreiben

soll, in welchem er die Geschichtsschreiber desPartherkriegs für deren Enkomien verspottete, wobeiallerdings möglicherweise manche (wenn nicht sogaralle) der genannten Autoren (siehe CrepereiusCalpurnianus) fiktiv sind.[1] Auch in der HistoriaAugusta, die allerdings oft wenig zuverlässig ist,finden sich einige Informationen.

-439-Verlauf

Vorgeschichte und Kriegsausbruch

Mit dem Kaiserwechsel in Rom glaubte sich derparthische Großkönig Vologaeses IV. offenbar starkgenug, um in die Herrschaftsverhältnisse des römischenKlientelkönigtums Armenien zu seinen Gunsteneinzugreifen. Denkbar ist aber auch, dass er einemrömischen Angriff durch einen Präventivschlagzuvorkommen wollte, denn in den vorangegangenen Jahrenhatte Rom starke Truppen an der Ostgrenze konzentriert.

Vologaeses setzte jedenfalls eigenmächtig einen neuenKönig in Armenien ein, den aus dem parthischenKönigshaus der Arsakiden stammenden Pacorus, undverstieß damit gegen alte Absprachen mit Rom, denenzufolge der armenische König zwar von den Parthernauszusuchen, aber von den Römern einzusetzen war.Gleichzeitig bereitete er sich auf einen römischenGegenschlag vor, der unter Marcus Sedatius Severianus,dem Statthalter von Kappadokien, auch rasch erfolgte.Dieser römischen Vorstoß konnte aber im Frühsommer oder

Spätherbst 161 durch den parthischen FeldherrenChosroes bei Elegeia erfolgreich zurückgeschlagenwerden, wobei Severianus Selbstmord beging und seinHeer innerhalb weniger Tage vollständig aufgeriebenwurde. Nach der römischen Niederlage nutzten dieParther die Situation aus und stießen plündernd bisnach Kappadokien vor.

Die römische Gegenoffensive

Lucius VerusMetropolitan Museum of Art

-440-Das Oberkommando über den römischen Gegenschlag wurdevon Marc Aurel dem iunior Augustus Lucius Verusübertragen, der wohl 162 in Rom aufbrach und Anfang 163sein Hauptquartier in Antiochia am Orontes einrichtete.Noch im selben Jahr eroberte Statius Priscus, einFeldherr des Lucius Verus, Armenien zurück, woraufhinLucius Verus sich mit dem Epitheton Armeniacusschmückte. 165 erzwang dann der römische GeneralAvidius Cassius bei Zeugma den Euphratübergang. In derFolge besetzten verschiedene römische Heeresteilemehrere parthische Gebiete, etwa das FürstentumOsrhoene in Nordmesopotamien sowie die strategischwichtigen Städte Dura-Europos und Nisibis. Noch imselben Jahr nahm Cassius die parthischeDoppelhauptstadt Seleukia-Ktesiphon ein, besetzte und

plünderte Seleukia und brannte in Ktesiphon dieparthische Königsburg nieder. Nach diesem Erfolg nahmLucius Verus auch die Akklamation als Parthicus Maximusentgegen (wohl auf Druck seines Mitkaisers nannte ersich fortan aber nur Parthicus). Da Avidius Cassius 166noch weiter in das Partherreich eindrang und plünderndbis nach Medien vorstieß, fügte Lucius Verus seinerSiegestitulatur schließlich auch noch den Titel Medicushinzu.

Infolge der militärischen Niederlagen bat derparthische Großkönig schließlich um Frieden, der ihmgewährt wurde. Avidius Cassius führte nach diesem Siegdie Truppen in das Römische Reich zurück. Allerdingshatten sich einige seiner Leute mit einer Seucheangesteckt, die im verwüsteten Seleukia-Ktesiphonausgebrochen war. Auf dem Rückweg verbreitete sichdiese Krankheit epidemisch und entwickelte sich zueiner der größten Seuchenkatastrophen des Altertums(die so genannte Antoninische Pest - wahrscheinlich einsehr virulenter Pockenstamm). Am 12. Oktober 166feierten die beiden Kaiser in Rom einen großen Triumph.Große dauerhafte territoriale Erwerbungen blieben zwaraus (wahrscheinlich aufgrund der Schwächung deröstlichen Provinzen infolge der Ausbreitung derKrankheit), doch hatte sich Rom fähig gezeigt, dieOstgrenze zu halten und zu sichern. TeileNordmesopotamiens blieben zudem wohl dauerhaft unterrömischer Kontrolle und wurden schließlich vonSeptimius Severus als die beiden Provinzen Osrhoene undMesopotamia organisiert und so formal Bestandteil desImperium Romanum.

-441-Literatur

Anthony Birley: Mark Aurel. Kaiser und Philosoph. München 1968.Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustus bis zuKonstantin. 2. Auflage, München 1992, S. 332–338.Klaus Schippmann: Grundzüge der parthischen Geschichte. Darmstadt1980.Karl Strobel: Zeitgeschichte unter den Antoninen. Die Historiker desPartherkrieges des Lucius Verus. In: Wolfgang Haase (Hg.): Aufstiegund Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms imSpiegel der neueren Forschung. Teil II: Principat. Band 34, Berlin1993, S. 1315–1360.K.-H. Ziegler: Die Beziehungen zwischen Rom und dem Partherreich. EinBeitrag zur Geschichte des Völkerrechts. Wiesbaden 1964.

WeblinksZum Partherdenkmal aus Ephesos:http://homepage.univie.ac.at/elisabeth.trinkl/forum/forum0699/11landsk.htm Ethnikon auf dem Schlachtfries desPartherdenkmals von Ephesoshttp://www.khm.at/de/sammlungen/ephesos-museum/ausgesuchte-meisterwerke/ Kunsthistorisches Museum Wien

Anmerkungen1↑ Vgl. Strobel, Zeitgeschichte unter den Antoninen, S. 1334ff.

-442-

Avidius CassiusGaius Avidius Cassius (* um 130 in Kyrrhos; † Juli 175)war ein römischer Usurpator, der im Jahr 175 kurze ZeitÄgypten und Syrien regierte.

Avidius Cassius war der Sohn des Gaius AvidiusHeliodorus, der seine Abstammung auf die Seleukidenzurückführte und es bis zum praefectus Aegypti gebrachthatte. Cassius machte, unter Antoninus Pius in denrömischen Senat aufgenommen, eine hervorragendemilitärische Karriere - so oblag ihm 162 die operativeFührung des ausgebrochenen Partherkriegs. Die genauenStationen seiner Laufbahn sind unbekannt. 166 wurde erStatthalter von Syrien. Spätestens seit 172 traten auchdie übrigen Provinzen des Ostens hinzu (Cass. Dio 71,4). In dieser Funktion lernte er Kaiser Lucius Verusund dessen Gattin Lucilla näher kennen. 172 beendete erdie Revolte der Boukoloi in Ägypten.175 wurde Cassius nach der vorzeitigen Meldung über denTod Kaiser Mark Aurels zum Römischen Kaiserproklamiert. Als er nach der Information, dass MarkAurel lebte, an der Proklamation festhielt, bereitetedieser den Krieg vor, hoffte aber gleichzeitig, dassCassius dabei nicht getötet oder Selbstmord begehenwürde, damit er die Gelegenheit bekäme, denrebellischen General zu begnadigen.Obwohl Cassius die Kontrolle über einen derwesentlichen Teile des Römischen Reichs erhielt –Ägypten war eine der Kornkammern für die Stadt Rom –,

gelang es ihm nicht, breite Unterstützung für seineRebellion zu bekommen. Der Statthalter von Kappadokien,Martius Verus, blieb Mark Aurel treu. Nach drei Monatenwurde Cassius von einem Centurio ermordet.Quellen[Bearbeiten]

Avidius Cassius ist vor allem aus der RömischenGeschichte des Cassius Dio bekannt, der in 71, 22 überAufstieg und Fall seines Namensvetters berichtet, sowieaus der (nicht allzu zuverlässigen) Biographie derHistoria Augusta (Avidius Cassius; Lucius Verus 7,1;Marcus Aurelius 21,1; 24,5). Münzen des Usurpators sindnicht gefunden worden.

-443-LiteraturM. L. Astarita: Avidio Cassio. Rom 1983.Falko v. Saldern: Studien zur Politik des Commodus. Rahden 2003, 13-23.Jürgen Spiess: Avidius Cassius und der Aufstand des Jahres 175. Diss.München 1975.

WeblinksDie Revolte des Avidius Cassius im DIR-Projekt (englisch)Biographie der Historia Augusta (lateinisch und englischeÜbersetzung)Cassius Dio über die Erhebung des Avidius Cassius (englischeÜbersetzung) bei LacusCurtius

-444-

Commodus

CommodusKapitolinische Museen

Commodus (* 31. August 161 in Lanuvium; † 31. Dezember192 in Rom) war römischer Kaiser von 180 bis 192.

Commodus’ vollständiger Name wechselte mehrmals;geboren wurde er als Lucius Aurelius Commodus, seit derErhebung zum Mitkaiser 177 hieß er Imperator CaesarLucius Aurelius Commodus Augustus, bei der Übernahmeder Alleinherrschaft im März 180 nahm er den NamenAntoninus und im Oktober desselben Jahres auch dasPränomen seines verstorbenen Vaters Mark Aurel an. Erhieß nun Imperator Caesar Marcus Aurelius CommodusAntoninus Augustus. Im Laufe seiner Herrschaft nahm ereine Reihe von Sieges- und Beinamen an. Schon 172erhielt er den Siegesnamen Germanicus, 175 nahm ergemeinsam mit seinem Vater den Siegestitel Sarmaticusan, 177 wurde er Pater Patriae, 182 Germanicus Maximusund schließlich 184 Britannicus. 183 erscheint in derTitulatur erstmals der Beiname Pius und 185 Felix. 191legte er die Namensbestandteile seines Vaters wiederab, übernahm dafür aber den Gentilnamen Hadrians. Nunlautete sein Name Imperator Caesar Lucius AeliusAurelius Commodus Pius Felix Augustus.

-445-Kindheit und Jugend

Commodus als Knabe

Commodus wurde zusammen mit einem früh gestorbenenZwillingsbruder als Sohn des Kaisers Mark Aurel unddessen Frau (zugleich Cousine) Faustina der Jüngerengeboren. Als er auf die Welt kam, war sein Vater seiteinigen Monaten Kaiser, es handelte sich alsogewissermaßen um eine Purpurgeburt – in Rom war derleibis dahin nicht vorgekommen. Anders als spätere Quellenteilweise suggerieren, scheint Mark Aurel nie erwogenzu haben, Commodus nicht als Erben der Machteinzusetzen, im Gegenteil: Bereits im Alter von fünfJahren wurde ihm zusammen mit seinem jüngeren BruderAnnius Verus der Titel Caesar verliehen, womit er alsNachfolgekandidat und formal sogar bereits alsUnterkaiser seines Vaters gekennzeichnet war, bevor erschließlich drei Jahre vor dem Tod seines Vaters zudessen Mitherrscher (Augustus) erhoben wurde und damitalle kaiserlichen Vollmachten innehatte (siehe unten).Einen Teil seiner Jugend verbrachte er an der Seite

Mark Aurels während der Markomannenkriege an der Donau.Nach der gescheiterten Usurpation des Avidius Cassiusim Jahr 175 begleitete er seinen Vater auf eine langeReise in den Osten des Reiches, wo er u. a. mitführenden Vertretern der Zweiten Sophistikzusammentraf.

-446-Erste Jahre als Kaiser

Seit dem besagten Aufstand des Avidius Cassius wurdeCommodus verstärkt und zunehmend an dieRegierungsaufgaben herangeführt und als designierterNachfolger aufgebaut. Bereits 175 wurde er princepsiuventutis, im November 176 folgte erstmals eineAkklamation zum Imperator; kurz darauf führte ergemeinsam mit Mark Aurel einen Triumphzug durch Romdurch, und im Sommer 177 wurde er schließlich zumformal gleichberechtigten Kaiser (Augustus) nebenseinem Vater ausgerufen. Mit diesem zog er im August178 an die Donau, um dort erneut gegen Germanen zukämpfen und militärisches Prestige zu sammeln.

Am 17. März 180 starb sein Vater in einem Militärlageran der Donau. Commodus war damit Alleinherrscher. Erbereitete das Begräbnis seines Vaters vor und schlosszügig Frieden mit den Germanen. Ob er damit von Plänenseines Vaters abwich, der einigen Quellen zufolgegeplant hatte, eine neue Provinz zu errichten, istunklar und wohl eher unwahrscheinlich. Am 22. Oktober180 zog er erneut im Triumph in Rom ein.

Beim römischen Volk war Commodus zunächst offenbarbeliebt, zumal er sich freigiebig zeigte und fürgenügend Brot und Spiele (panem et circenses) sorgte.Da er die durch die Kriege seines Vaters strapaziertenStaatsfinanzen auch durch erhöhte Besteuerung derSenatoren zu sanieren suchte und den Befehlshabern derPrätorianergarde (den Prätorianerpräfekten) viel

Einfluss gab, kam es offenbar zu Spannungen mit demSenat. Die Betonung einer besonderen Nahbeziehung desKaisers zur plebs drückte sich beispielsweise darinaus, dass im Actus Urbis die Formel Populus SenatusqueRomanus („Volk und Senat von Rom“) statt SenatusPopulusque Romanus („Senat und Volk von Rom“) benutztwurde.

Auch die von den Quellen berichtete Vorliebe desKaisers für aufwendige öffentliche Wagenrennen - sowieGladiatorenkämpfe im privaten Rahmen - könnte hiermitin Zusammenhang stehen.

-447-Krisen und übersteigertes Selbstbewusstsein

Denar des Commodus

182 (oder 181) kam es zur so genannten Lucilla-Verschwörung gegen den Kaiser, die jedoch scheiterte,da der mutmaßliche Attentäter versagte. Da der Kreis

der Beteiligten (unter anderem eben Lucilla, dieSchwester des Imperators) klein war, scheinen dieFolgen begrenzt gewesen zu sein. Allerdings kam esaufgrund der anschließenden Hinrichtung einigerAristokraten wohl zu Spannungen mit dem Senat. Fortanleitete anscheinend der mächtige PrätorianerpräfektTigidius Perennis, der ein Vertrauter Marc Aurelsgewesen war, faktisch die Regierungsgeschäfte, bis er185 des Hochverrats bezichtigt und von Soldatenerschlagen wurde. Sein faktischer Nachfolger wurde derFreigelassene Marcus Aurelius Cleander, der seinerseits190 getötet wurde.

Die Regierung des Kaisers wurde gegen Ende immerstärker von Misstrauen und Justizmorden geprägt,insbesondere nach einem erneuten Attentat auf ihn. Feststeht, dass der Kaiser sich recht früh mit dem Senatüberwarf, sich demonstrativ allein auf das Heer und dieplebs urbana stützte und damit das System desPrinzipats in Frage stellte, das auf der Fiktionberuhte, der Senat sei nach wie vor der Herr im Reich.Das brachte dem Kaiser den Hass vieler Aristokratenein; er vernachlässigte laut den – ihm feindlichgesinnten – Quellen die Staatsgeschäfte, übertrug sieMännern, die keine Senatoren waren, sondern Ritter undFreigelassene, und gefiel sich zuletzt insbesondere inder Rolle des Herkules, der sich in der Arena dem Volkzeigte.

-448-So wurde er zum Gegenstand des Spotts der Senatoren,die ihm aber dennoch öffentlich zujubelten. DassCommodus hingegen, wie Herodian und die HistoriaAugusta behaupten und oft von modernen Autorenübernommen wurde, selbst öffentlich als Gladiatoraufgetreten sei, ist falsch: Die beste Quelle, derZeit- und Augenzeuge Cassius Dio, berichtetausdrücklich (Cass. Dio 73,17,2), der Kaiser sei zwarals Wagenlenker aufgetreten und habe auch an Tierhetzen(venationes) teilgenommen; Commodus habe aber nurprivat und ohne Publikum als Gladiator gekämpft und sei

so niemals in die Öffentlichkeit getreten: „Gernekämpfte er als Gladiator, und zwar zu Hause bei sichund in einer Art und Weise, dass er ab und zu einenGegner tötete […]. In der Öffentlichkeit hingegenverzichtete Commodus auf Eisen und Menschenblut.“Allenfalls mit einem Holzschwert bewaffnet kämpfte derKaiser im Circus öffentlich gegen Menschen.

Es sind vor allem die letzten Herrschaftsjahre, indenen Commodus eine exaltierte Politik undSelbstinszenierung betrieb, die sein Bild bei derNachwelt geprägt haben. War schon zuvor ein Monat zuEhren des Commodus umbenannt worden, so benannte er 192alle Monate des Jahres nach seinen verschiedenenEhrennamen um (mit Commodus für April, auch die anderenMonate erhielten neue Namen nach Commodus, wie Lucius,Aelius usw.)[1], die römischen Legionen und anderemilitärische Einheiten erhielten den BeinamenCommodianae, die Stadt Rom wurde in Colonia felixCommodiana umbenannt.

Ermordung

Damnatio memoriae des Kaisers Commodus auf einer Inschrift imRömermuseum Osterburken.

-449-Im Dezember 192 formierte sich aus unklaren Gründen(die Motive, die die Quellen nennen, sind stereotyp und

darum von zweifelhafter Glaubwürdigkeit) im engstenUmfeld des Kaisers eine Verschwörung gegen ihn. Amletzten Tag des Jahres 192 wurde er an seinem Hof unterBeteiligung seiner Konkubine Marcia in seinem Bad voneinem Athleten namens Narcissus erwürgt. Mit ihm endetedie von Antoninus Pius begründete AntoninischeDynastie, Commodus verfiel zunächst der damnatiomemoriae. Dass der Mord relativ spontan erfolgte undnicht von langer Hand vorbereitet war, zeigt derUmstand, dass kein Nachfolger bereitstand. Es folgtedas zweite Vierkaiserjahr (mitunter auch als„Fünfkaiserjahr“ oder – irreführend – gar als„Sechskaiserjahr“ bezeichnet), denn seine NachfolgerPertinax und Didius Julianus wurden nach kurzer Zeitermordet, und außerdem kämpften Septimius Severus,Pescennius Niger und später auch Clodius Albinus um dieKaiserwürde. Da sich Septimius Severus, der schließlichals Sieger hervorging, zum Zwecke seiner Legitimierungdurch eine fiktive Adoption selbst zum Sohn Mark Aurelsmachte, wurde die damnatio seines „Bruders“ Commoduskonsequenterweise wieder aufgehoben.

Filme

Die Figur des Commodus war auch Gegenstand einigerSpielfilme:

Der Untergang des römischen Reiches (USA 1963)Gladiator (USA 2000)

Joaquin Phoenix als Commodus in „GLADIATOR“

-450-LiteraturKarl Christ: Die römische Kaiserzeit. Von Augustus bis Diokletian. 3.Auflage. C. H. Beck, München 2006, ISBN 3-406-47052-1.Alexander Demandt: Das Privatleben der römischen Kaiser. C. H. Beck,München 1997, ISBN 3-406-42510-0.Maria Gherardini: Studien zur Geschichte des Kaisers Commodus.Verband der Wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, Wien 1974(zugleich Dissertation, Graz 1965).Olivier Joram Hekster: Commodus. An emperor at the crossroads.Gieben, Amsterdam 2002, ISBN 90-5063-238-6 (online, PDF, 135 MB).Ralf von den Hoff: Commodus als Hercules. In: Luca Giuliani (Hrsg.):Meisterwerke der antiken Kunst. C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-53095-X (formal falsche ISBN), S. 114–135.Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer: Ein Visionär auf dem Thron? KaiserCommodus, Hercules Romanus. In: Klio 88, 2006, S. 189–215.Falko von Saldern: Studien zur Politik des Commodus. Leidorf, Rahden2003, ISBN 3-89646-833-2. (Rezension)Michael Stahl: Commodus. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Die römischenKaiser. 2. Auflage. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-47288-5, S.159–169.

Weblinks Commons: Commodus – Album mit Bildern, Videos und AudiodateienLiteratur von und über Commodus im Katalog der DeutschenNationalbibliothekDennis Quinn: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch) aus DeImperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Biografie aus der Historia Augusta (englisch)Stefan Priwitzer: Commodus, der Tyrann? Arbeitstechniken und topischeDarstellungen bei antiken Autoren

Anmerkungen1↑ Falko von Saldern: Bemerkungen zur Kalenderreform des Commodus,Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 146, 2004, S. 189–192

-451-Marcus Statius Priscus Licinius

Italicus

Marcus Statius Priscus Licinius Italicus war einrömischer Politiker, Senator und Militär des 2.Jahrhunderts n. Chr.

Statius stammte vielleicht aus Dalmatien, wo die NamenStatius und Priscus weit verbreitet waren. Er begannseine Laufbahn als Präfekt der cohors IV Lingonum um132 in Britannien und wurde dann bald als Tribun derlegio III Gallica in den jüdischen Krieg KaiserHadrians abkommandiert. Danach war er als Tribun in derlegio X Gemina in der römischen Provinz Pannoniasuperior tätig. Später, ebenfalls in Pannonien, war erTribun in der legio I Adiutrix. Es folgten das Kommando

über eine Hilfstruppeneinheit (praefectus equitum alaeI praetorias civium Romanorum), die Prokuratur in denProvinzen Gallia Narbonensis und Aquitania, dieQuästur, das Volkstribunat und die Prätur.

Statius prätorische Laufbahn begann mit den Legaturender legio XIV Gemina in Pannonien und legio XIII Geminain Dakien. Kurz darauf wurde Statius Legat der ProvinzDacia superior (156?–158). Im Jahr 159 wurde Statiusordentlicher Konsul. Nach seinem Konsulat wurde er imJahr 160 curator alvei Tiberis et riparum et cloacarumurbis. In diesem Amt hatte er die Aufsicht über dasTiberbett, seine Ufer und die Abwässer der Stadt.Ungefähr Anfang 161 bis Sommer oder Herbst, bevor ernach Britannien versetzt wurde, war Statius Legat derProvinz Moesia inferior.

Nach seiner Legatur in der Provinz Britannien, wurdeer, wohl in den ersten Monaten des Jahres 162, nachKappadokien abkommandiert, um dort die Stelle desMarcus Sedatius Severianus nach dessen Niederlage gegenVologaeses IV. bei Elegeia zu übernehmen. Als dux desKaisers Lucius Verus beteiligte sich Statius amPartherkrieg, er nahm die alte armenische HauptstadtArtaxata ein und legte die neue Hauptstadt Kainopolisan, wo er eine römische Besatzung zurückließ. Statiusstarb hochbetagt noch während des Krieges.

LiteraturGerhard Winkler: Statius II, 1. In: Der Kleine Pauly. Bd. 5, 1975,Sp. 348.PIR ² S 880

QuellenCIL 6, 1523

-452-

Maternus(Usurpator)

Maternus († März 187 in Rom?) war ein römischerUsurpator, der sich im südlichen Gallien gegen KaiserCommodus erhob.

Maternus, der bei Herodian als Deserteur, Bandit undGlücksritter charakterisiert wird, soll sich im Jahr185 (oder 186) an die Spitze einer Empörung gesetzthaben, die offenbar auch aus sozialen Unruhen geschürtwar, und ließ sich zum Imperator ausrufen.[1] DerAufstand, der auch nach Spanien übergegriffen habensoll, wurde von Pescennius Niger im so genannten bellumdesertorum niedergeschlagen. Maternus entkam nachNorditalien, wo er den Bandenkrieg fortsetzte. Währendder Feier der Großen Göttin im März 187 plante erangeblich einen Mordanschlag auf den Kaiser. Der Planflog auf und Maternus wurde noch vor Beginn derFestlichkeiten hingerichtet. Dieser Vorfall bewogCommodus, seine Leibgarde zu verstärken und sich nochmehr von den Regierungsgeschäften und öffentlichenAuftritten fernzuhalten.

Die Zuverlässigkeit der Darstellung Herodians über dieUsurpation und die Attentatspläne des Maternus wird vonder Forschung teilweise in Zweifel gezogen, dieQuellenlage ist insgesamt widersprüchlich.[2]

QuellenHerodian, Geschichte des Kaisertums nach Marc Aurel 1,10 (engl.)

LiteraturGéza Alföldy: Bellum desertorum. In: Bonner Jahrbücher 171 (1971), S.367–376.Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustus zuKonstantin. 5. Auflage Beck, München 2005, ISBN 3-406-36316-4.Thomas Grünewald: Bandits in the Roman Empire: Myth and Reality.Routledge, London 2004, ISBN 0-415-32744-X (dort S. 133 ff.).Peter Tasler: Commodus. In: Reallexikon der GermanischenAltertumskunde. Bd. 5, S. 68–78 (dort S. 75).

Ralf Urban: Gallia rebellis. Erhebungen in Gallien im Spiegel antikerZeugnisse. Steiner, Stuttgart 1999 (Historia Einzelschriften, 129),ISBN 3-515-07383-3 (dort S. 84f.).

-453-

Pertinax

Aureus des Pertinax

Publius Helvius Pertinax (* 1. August 126 in AlbaPompeia; † 28. März 193 in Rom) war 193 römischerKaiser. Er war der erste Kaiser des zweitenVierkaiserjahres.

Herkunft und Karriere als Ritter

Pertinax war Sohn eines Freigelassenen aus Ligurien. Erwurde zunächst Lehrer und trat um 160 als Offizier indas römische Heer ein, was mit seiner Erhebung in denRitterstand verbunden war. Er diente zunächst alsPräfekt der 7. berittenen gallischen Auxiliarkohorte inSyrien und nahm am Partherkrieg teil. Um 165 wurde er

nach Britannien versetzt und zum Tribun der Legio VIVictrix befördert. Später war er dort Präfekt dertausend Mann starken 1. Tungrer-Kohorte.

Die nächste Karrierestufe war das Kommando einer Alaquingenaria (Einheit von 500 Reitern), wohl in derrömischen Provinz Moesia (Mösien). Darauf wechselte er(wohl 168) zu einer zivilen Tätigkeit als procuratoralimentorum in Norditalien in der niedrigstenGehaltsstufe (60.000 Sesterzen jährlich). Um 169 war erwieder auf einem militärischen Posten, nämlich alsBefehlshaber der Rheinflotte mit einem Jahresgehalt von100.000 Sesterzen. Um 170 war er bereits Prokurator fürdie drei dakischen Provinzen und Moesia superior(Obermösien) in der höchsten Gehaltsklasse (200.000Sesterzen). Seine Karriere verlief also recht schnell.In der Folgezeit bewährte er sich militärisch bei derAbwehr von ins Reich eingefallenen Germanen, die bisnach Italien vorgedrungen waren.

-454-Senator unter Mark Aurel

Wegen seiner militärischen Verdienste und auch dank derUnterstützung eines mächtigen Förderers, deseinflussreichen Senators Tiberius Claudius Pompeianus,wurde Pertinax um 170 durch eine adlectio im Rang einesgewesenen Prätors in den Senat aufgenommen. Pompeianuswar seit 169 der Schwiegersohn des damals regierendenKaisers Mark Aurel. Er stammte aus der Provinz Syria(Syrien) und hatte Pertinax schon in dessen dortigerZeit gekannt und geschätzt. Nunmehr Senator, konntePertinax Legat der Legio I Adiutrix werden, die in derProvinz Pannonia superior (Oberpannonien) stationiertwar. Während der Markomannenkriege erwarb er sichgroßes Ansehen, indem es ihm gelang, die eingedrungenenGermanen völlig aus den Provinzen Raetia (Rätien) undNoricum (Norikum) zu vertreiben. Auch war er an derOffensive auf germanisches Gebiet beteiligt. Für seineVerdienste wurde er 175 mit dem Suffektkonsulat belohnt

und stieg damit in die Nobilität auf. Er verwalteteverschiedene Provinzen als Statthalter, erst Moesiainferior (Niedermösien), dann Dacia (Dakien) undschließlich Syria.

Rolle unter Commodus

Inzwischen hatte im Jahre 180 Kaiser Commodus, der SohnMark Aurels, die Herrschaft angetreten. DessenPrätorianerpräfekt Tigidius Perennis war 182–185faktisch der mächtigste Mann im Reich, er traf diewichtigen Personalentscheidungen und sorgte dafür, dassmanche Karrieren nicht fortgesetzt wurden. Pertinaxwurde gezwungen, sich ins Privatleben zurückzuziehen.Er verbrachte die Jahre der Herrschaft des Perennis inseiner ligurischen Heimat und in Athen. Nach dem Sturzund Tod des Perennis 185 wurde der kaiserlicheFreigelassene Marcus Aurelius Cleander sein Nachfolgerals maßgeblicher Gestalter der Politik des Commodus. ImRahmen des damit verbundenen personalpolitischenKurswechsels konnte Pertinax in den Staatsdienstzurückkehren und war 185–187 Statthalter vonBritannien, wo er sich durch die souveräne Beendigungeiner Soldatenmeuterei erneut Ansehen verschaffte. 188–189 verwaltete er als Proconsul die Provinz Africa,wobei er sich hier durch übertriebene Strenge unbeliebtgemacht haben soll, danach wurde er Stadtpräfekt vonRom und erklomm damit den Höhepunkt einer senatorischenLaufbahn.

-455-190 wurde Commodus’ Günstling Cleander, der sich durchskandalösen Ämterverkauf verhasst gemacht hatte,gestürzt. Cleanders Gegner sorgten angeblich für einekünstliche Getreideverknappung in Rom, für die dieserverantwortlich gemacht wurde, so dass Unruhen undKämpfe ausbrachen. Um die Menge zu beruhigen, ließCommodus Cleander hinrichten. Dem Stadtpräfekten

Pertinax kam in dieser Krise eine Schlüsselrolle zu.Offenbar ging er gestärkt aus den Wirren hervor. 192bekleidete er als Kollege des Kaisers das ordentlicheKonsulat, eine große Ehre.

Erhebung zum Kaiser

191 wurde der neue Prätorianerpräfekt Aemilius Laetusder eigentliche Machthaber im Hintergrund. Erbeschloss, sich des Commodus zu entledigen, um demSchicksal seiner Vorgänger, die den unablässigenIntrigen zum Opfer gefallen waren, zu entgehen undstattdessen selbst einen neuen Kaiser seiner Wahleinzusetzen. Am 31. Dezember 192 wurde Commodus aufVeranlassung des Laetus ermordet. Laetus sorgteumgehend dafür, dass Pertinax zum neuen Kaiserausgerufen wurde.

Da Laetus, der für den Mord an Commodus verantwortlichwar, zugleich derjenige war, der Pertinax alsNachfolger auswählte und durchsetzte, hat man oftvermutet, dass Pertinax selbst an der Verschwörunggegen Commodus beteiligt war. Darüber gehen dieMeinungen auseinander. Die Quellenlage gestattet keinsicheres Urteil.

Regierung und Tod

Pertinax regierte nur knapp drei Monate, in denen es zumehreren Meutereien und Verschwörungen kam. SeinePosition war äußerst prekär, da er keine eigeneMachtbasis hatte, sondern völlig auf das Wohlwollen derPrätorianer und hauptstädtischen Soldaten angewiesenwar, während Laetus angeblich beabsichtigte, weiterhinaus dem Hintergrund die Fäden zu ziehen.

Nach der langen Herrschaft des Commodus, der dieRegierungsgeschäfte vernachlässigt hatte, waren nichtnur die Staatsfinanzen zerrüttet, sondern auch derRespekt vor dem Amt des Kaisers und den traditionellen

Autoritäten war weitgehend abhandengekommen. DassPertinax großes Ansehen bei den Senatoren genoss,militärischen Ruhm vorzuweisen hatte und in derStadtbevölkerung populär war, nutzte ihm unter diesenUmständen wenig.

-456-Er wurde am 28. März 193 von meuternden Soldaten derPrätorianergarde erschlagen. Anscheinend handelte essich nicht um eine Verschwörung oder einen geplantenAufstand, sondern nur um eine chaotische Aktion, dievon der allgemeinen Disziplinlosigkeit ermöglichtwurde: Als Laetus, angeblich auf Befehl des Kaisers,einige Prätorianer aufgrund von Vergehen hinrichtenließ, meuterten die übrigen aus Furcht vor weiterenBestrafungen. Etwa zweihundert von ihnen drangen, ohneauf Widerstand zu stoßen, in den Palast ein. DemPertinax, der sich wie bereits 185 in Britannien auchjetzt den Meuterern mutig und unbewaffnet in den Wegstellte, wäre es durch sein Auftreten und seineAutorität beinahe gelungen, den Aufruhr zu beenden. DerZeitzeuge Cassius Dio berichtet:

In der Hoffnung, die Meuterer durch sein Erscheineneinzuschüchtern und durch seine Worte zu gewinnen, trater den Angreifern entgegen, die sich schon im Innerendes Palastes befanden... Als nun die Soldaten denKaiser erblickten, fühlten sie alle, bis auf eineneinzigen, Scham. Sie senkten ihre Blicke und stecktenbeschämt die Schwerter in die Scheiden. Erst als dereine Mann plötzlich mit dem Ruf „Dies schickt dir dieGarde!“ vorstürmte und Pertinax einen Schwertstreichversetzte, hielten sich auch seine Kameraden nicht mehrzurück und machten den Kaiser nieder (Cass. Dio 74,9,4-10,1).

Der Kaiser Septimius Severus (193–211), der sich imanschließenden Bürgerkrieg schließlich gegen mehrereKonkurrenten durchsetzte, ließ Pertinax, als dessenRächer er auftrat, im Rahmen des Kaiserkults zum Gott(divus) erheben.

Familie

Pertinax war mit Flavia Titiana verheiratet, einerTochter des Titus Flavius Sulpicianus, den er zumStadtpräfekten ernannte. Von ihr hatte er einengleichnamigen Sohn, der als Pertinax Caesar bekanntist, da ihm der Senat, vorgeblich gegen den Willen desVaters, nach dessen Erhebung den Titel Caesar verlieh.Pertinax war laut der Historia Augusta auch nicht damiteinverstanden, dass seine Frau vom Senat den TitelAugusta erhielt, zumal sie in schlechtem Ruf stand;dennoch ist sie inschriftlich und auf Münzen alsAugusta bezeugt, und auch diese Erhebung war inWahrheit sicherlich nicht gegen den Willen des Kaiserserfolgt. Das Ehepaar hatte auch eine Tochter, derenName nicht bekannt ist. Die Familie des Pertinaxüberlebte seine Ermordung.

-457-LiteraturGeza Alföldy: P. Helvius Pertinax und M. Valerius Maximianus. In:Geza Alföldy: Römische Heeresgeschichte. Beiträge 1962–1985. Gieben,Amsterdam 1987, ISBN 90-70265-48-6, S. 326–348 (Mavors 3).Hubert Devijver: Les „militiae equestres“ de P. Helvius Pertinax. In:Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik. 75, 1988, S. 207–214(pdf; 278 KB).Jenő Fitz: Pertinax in Raetien. In: Bayerische Vorgeschichtsblätter.32, 1967, ISSN 0341-3918, S. 40–51.Ernst Hohl: Kaiser Pertinax und die Thronbesteigung seinesNachfolgers im Lichte der Herodiankritik. Nebst einem Anhang:Herodian und der Sturz Plautians. Akademie-Verlag, Berlin 1956(Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zuBerlin, Klasse für Philosophie, Geschichte, Staats-, Rechts- undWirtschaftswissensch. 1956, Nr. 2, ISSN 0065-5155).H.-G. Kolbe: Der Pertinaxstein aus Brühl. In: Bonner Jahrbücher. 162,1962, S. 407–420 (AE 1963, 52), Publikation einer ehrenden Inschrift[Statuenbasis?] der Kölner für Pertinax in Zusammenhang mit seinerTätigkeit bei der Rheinflotte; Text und Übersetzung der Inschrift).Adolf Lippold: Zur Laufbahn des P. Helvius Pertinax. In: JohannesStraub (Hrsg.): Bonner Historia-Augusta Colloquium. 1979/1981.Habelt, Bonn 1983, ISBN 3-7749-1917-8, S. 173–191 (Antiquitas. Reihe4: Beiträge zur Historia-Augusta-Forschung. 15).

Ioan Piso: Fasti Provinciae Daciae. Band 1: Die senatorischenAmtsträger. Habelt, Bonn 1993, ISBN 3-7749-2615-8, S. 117–130(Antiquitas. Reihe 1: Abhandlungen zur Alten Geschichte. 43).Karl Strobel: Commodus und Pertinax. „Perversion der Macht“ und„Restauration des Guten“? In: Herbert Heftner, Kurt Tomaschitz(Hrsg.): Ad Fontes! Festschrift für Gerhard Dobesch zum 65.Geburtstag. Selbstverlag der Herausgeber, Wien 2004, ISBN 3-200-00193-3, S. 519–532.

Weblinks Commons: Pertinax – Album mit Bildern, Videos und AudiodateienMichael L. Meckler: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Biografie aus der Historia Augusta (englisch) bei LacusCurtiusJona Lendering: Publius Helvius Pertinax. In: Livius.org (englisch)

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Didius JulianusMarcus Didius Severus Iulianus (selten auch Julian I.;* 30. Januar 133 oder 2. Februar 137 in Mailand; † 2.Juni 193 in Rom) war vom 28. März 193 bis zu seinem Todrömischer Kaiser. Er war der zweite Kaiser des zweitenVierkaiserjahres.

Nach dem Tod des Pertinax, der von meuternden Gardistenerschlagen worden war, erreichte das römische Kaisertumeinen vorläufigen Tiefpunkt, als die Prätorianer denKaiserthron schlicht an den meistbietenden Senator„versteigerten“. Im Grunde unterschied sich dieserVorgang kaum von früheren, und auch Pertinax hatteversucht, die Garde durch Bestechungen für sich zugewinnen. Dieses Mal wurde dies jedoch offenbar alsallzu ungeniert und anstößig empfunden. Da DidiusIulianus, der ein angesehener Senator, erfahrenerPolitiker und General und durchaus „kaiserfähig“ (capaximperii) war, seine Versprechen jedoch nicht einhaltenkonnte und zahlreiche innere Feinde hatte, wurde erbald ermordet. Sein Andenken wurde unter den auf ihnfolgenden Severern wohl gezielt verdunkelt.

Dupondius des Didius Iulianus

Aufstieg

Didius Iulianus wurde am 30. Januar 133 in Mailand alsSprössling einer der angesehensten Familien der Stadt,der gens Didia, geboren. Sein Vater war der SenatorQuintus Petronius Didius Severus. Seinenordafrikanische Mutter Aemilia Clara war mit SalviusIulianus verwandt, der wiederum unter Hadrian einallseits bekannter Jurist war.

-459-Wie viele Angehörige der Nobilität strebte Iulianuseine politische Karriere an und wurde ungefähr 157,

noch unter Antoninus Pius, nach Bekleidung der Quaesturin den Senat aufgenommen. Um 164 wird er das erste Malals gewesener Prätor genannt. Damit war erqualifiziert, als kaiserlicher Legat Truppen undProvinzen zu kommandieren. Er befehligte um 170 inMogontiacum (Mainz) die Legio XXII Primigenia,[1] bevorer von 172 an drei Jahre lang als Statthalter dieProvinz Gallia Belgica regierte.[2]

Wohl 175 war Iulianus Suffektkonsul und qualifiziertesich damit auch für höchste Ämter. Danach war er wiedervon 176 bis 177 Statthalter – diesmal in Illyrien. 178diente er zeitweilig in Germanien und kehrte danachnach Italien zurück. Nachdem er etwas später von demVorwurf einer Verschwörung gegen Kaiser Commodusfreigesprochen worden war, wurde er als Truppenführerin Niedergermanien und dann als Prokonsul von Bithyniaet Pontus eingesetzt. Anschließend war er Prokonsul derProvinz Africa Proconsularis und bekleidete damit eineder prestigeträchtigsten Positionen im Imperium.

Herrschaft

Übergleiten in den Bürgerkrieg

Nach Pertinax’ Tod eilte der überaus reiche undhochrangige, wenngleich laut Cassius Dio (der unter denSeverern Karriere machte) angeblich unbeliebte Iulianusnach Rom und unterbreitete den Prätorianern eingroßzügiges Angebot. Nach erbittertem Feilschenerteilten die Soldaten schließlich für 25000 Sesterzenpro Soldat Iulianus den Zuschlag; der MitbewerberSulpicianus, der Stadtpräfekt und Schwiegervater desPertinax, ging leer aus, zumal die Prätorianerfürchteten, dass er Pertinax’ Tod rächen könnte.

Nach diesem Handel zwangen die Soldaten den Senat,Iulianus zum neuen Kaiser zu ernennen. Um denVolkszorn, der nun aufkam, zu bändigen, machte Iulianusweitreichende Versprechungen, was jedoch ergebnislos

blieb. Seine Gattin Manlia Scantilla ließ er ebenso wieseine Tochter Didia Clara zur Augusta erheben.

-460-Iulianus soll als Kaiser höflich bis zurUnterwürfigkeit gewesen sein; mit Festen versuchte er,die Senatoren auf seine Seite zu ziehen. Dochgefährlich war – das verkannte er – vor allem derWiderstand innerhalb des Militärs. Bereits nach wenigenTagen äußerte sich der Unmut in der Ausrufung vongleich drei Gegenkaisern durch deren Truppen: ClodiusAlbinus, Pescennius Niger und Septimius Severus – allesStatthalter diverser Provinzen – stellten sich inOpposition zum momentanen Herrscher. Angesichts derKürze der verstrichenen Zeit ist allerdingswahrscheinlich, dass diese bereits gegen Pertinaxhatten rebellieren wollen. Clodius Albinus undSeptimius Severus verbündeten sich jedenfalls vorläufigmiteinander, und die Truppen des Severus marschiertenauf Rom zu.

Zusammenbruch der Verteidigung

Währenddessen reagierte Iulianus auf die Bedrohung (dieRebellen standen bereits in Ravenna, wo u. a. diegesamte zweite Hauptflotte der römischen Marineüberlief) mit Planspielen, die Rom in eine Festungverwandeln sollten. Überall wurden Mauern hochgezogenund Gräben angelegt. Es ging sogar das Gerücht um, dasser Elefanten aus dem Zirkus für die Stadtverteidigungeinsetzen wolle.Iulianus beging nun einen schweren Fehler, indem er fürdiese Wehrmaßnahmen die Prätorianer abordnete. Diehochbezahlten Elitekämpfer, die solche schwerekörperliche Arbeit nicht gewohnt waren, versuchten

angeblich, ihren Aufgaben auf jede nur mögliche Weisezu entkommen. Die Organisation und Vorbereitung derAbwehr lief daher nur sehr zögerlich an.

Tod

Schließlich wurde Septimius Severus vom Senat zumStaatsfeind erklärt. Der Senat schickte eineDelegation, die diesen an seinen Eid zur Reichstreueerinnern sollte. Die meisten Boten liefen allerdingsgleich über, da die militärische Lage aussichtslos war.

Verzweifelt schickte Iulianus nun einen seinerPrätorianerpräfekten los, der Septimius Severus bittensollte, den Posten des Mitkaisers zu akzeptieren.Dieser jedoch ließ den Boten schlicht umbringen undschickte den verängstigten Prätorianern eine Botschaft,in der er folgendes Angebot machte: Wenn die Gardistenihm den Mörder des Pertinax auslieferten und sich ihmanschlössen, garantiere er ihnen die Straffreiheit. DiePrätorianer nahmen das Angebot an. Damit verlorIulianus seinen letzten militärischen Rückhalt und derSieg des Severus stand fest.

-461-Als der Senat am 1. Juni davon erfuhr, wurde vomamtierenden Konsul sofort eine Sondersitzungeinberufen, in der Iulianus in Abwesenheit abgesetztund Septimius Severus zum neuen Alleinherrscher ernanntwurde. Iulianus wurde vom Senat zum Tode verurteilt undverschanzte sich mit seinen letzten Getreuen imkaiserlichen Palast, wurde jedoch am 2. Juni von einemAttentäter, der im Auftrag des Senats handelte,getötet. Cassius Dio zufolge starb er tränenüberströmtmit den Worten: „Aber was habe ich denn getan? Wem habeich je ein Haar gekrümmt?“ Laut der spätantikenHistoria Augusta wurde er im Grab des Salvius Iulianusbeigesetzt. Er verfiel der damnatio memoriae.

LiteraturLutz Benseler: Die Staatsfinanzen im römischen Reich der Kaiserzeitunter Didius Iulianus. Marburg 2004.

Werner Eck: M. Didius Severus Iulianus. In: Der Neue Pauly 3, 1997,S. 542.Richard de Kind: Pertinax oder Didius Julianus? Einige Überlegungenzur Kaiserikonographie von 193 n. Chr. In: Bulletin AntiekeBeschaving 79, 2004, S. 175 ff.J. B. Leaning: Didius Julianus and his Biographer. In: Latomus 48,1989, S. 548 ff.Steve Pasek: Imperator Caesar Didius Iulianus Augustus. SeineRegentschaft und die Usurpationen der Provinzstatthalter (193 n.Chr.). München 2013.Arthur Woodward: The Coinage of Didius Julianus and his Family. In:Numismatic Chronicle 121, 1961, S. 71 ff.

Weblinks Commons: Didius Julianus – Sammlung von Bildern, Videos undAudiodateienMichael L. Meckler: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Biografie aus der Historia Augusta (englisch)Jona Lendering: Artikel. In: Livius.org (englisch)

Einzelnachweise1↑ CIL 6, 411222↑ Vgl. François Chausson, Benoit Rossignol: La carrière de DidiusJulianus: Rhin et Belgique. In: François Chausson (Hrsg.): OccidentsRomains, Paris 2009, S. 301 ff.

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Pescennius Niger

Denarius des Pescennius Niger

Gaius Pescennius Niger (* vermutlich um 135/140,angeblich in Aquinum; † im April 194 in der Nähe vonAntiocheia) war römischer Gegenkaiser von Mitte April193 bis zu seiner entscheidenden Niederlage etwa EndeMärz 194. Er war einer der Kaiser des zweitenVierkaiserjahres, das mitunter fälschlich alsFünfkaiserjahr bezeichnet wird.

Pescennius Niger stammte aus Italien. Seinenangeblichen Geburtsort Aquinum (heute Aquino in derRegion Latium) hat man nur aus einem vagen Hinweis inseiner wenig vertrauenswürdigen Lebensbeschreibung inder Historia Augusta erschlossen; diese Quelle enthältviele Erfindungen, darunter auch falsche Angaben überseine Ämterlaufbahn. Erfunden sind auch die dortgenannten Namen seiner Eltern Annius Fuscus undLampridia. Der Zeitraum seiner Geburt ist nurspekulativ aus seinem mutmaßlichen Alter als Kaisererschlossen. Jedenfalls gehörte er ursprünglich demRitterstand an und wurde unter Kaiser Commodus (180–192) in den frühen achtziger Jahren in den Senataufgenommen. Zur Zeit des Commodus wurde er auchSuffektkonsul. Zuverlässig bezeugt ist, dass er imGrenzgebiet von Dakien, wo er möglicherweiseStatthalter war, an erfolgreichen Kämpfen gegen dieSarmaten beteiligt war. 191–193 war er Statthalter derProvinz Syria.

-463-Erhebung

Nach der Ermordung des Kaisers Pertinax am 28. März 193entstand ein Machtvakuum, da der von den Prätorianernerhobene Nachfolger Didius Iulianus sich keinen Respektverschaffen konnte, von der Bevölkerung Roms abgelehntwurde und auch anderswo keinerlei Anerkennung fand.Niger war in Rom populär, und seine dortigen Anhängerforderten ein Eingreifen des syrischen Heeres und seineEinsetzung zum Kaiser. Etwa Mitte April trafen dieseNachrichten im Osten ein, und Niger berief sogleich inder Provinzhauptstadt Antiocheia eine Soldaten- undVolksversammlung ein, auf der er zum Kaiser erhobenwurde. Die Truppen in Kleinasien und Ägyptenunterstellten sich ihm, so dass er den gesamtenöstlichen Reichsteil unter seine Kontrolle bringenkonnte.

Die Nachricht vom Zusammenbruch der kaiserlichenAutorität in der Hauptstadt war aber auch für andereehrgeizige Befehlshaber das Signal zum Handeln. Schonam 9. April 193 war in Carnuntum im heutigenNiederösterreich, der Hauptstadt der ProvinzOberpannonien, der dortige Statthalter SeptimiusSeverus von seinen Truppen zum Kaiser ausgerufenworden; zudem erhob der Statthalter Britanniens,Clodius Albinus, Anspruch auf die Kaiserwürde.Septimius Severus machte sich alsbald auf den Marschnach Rom, wo er schon vor seinem Eintreffen vom Senatam 1. Juni anerkannt wurde und dann am 9. Juni seinenEinzug hielt. Mit Albinus verständigte er sichdahingehend, dass dieser den Titel Caesar tragen undsich damit als Thronfolger betrachten durfte. DaSeptimius Severus bereits zwei Söhne hatte, war diese

Regelung nicht zukunftsfähig, doch hielt sie ihm fürden bevorstehenden Kampf gegen Niger den Rücken frei.

Bürgerkrieg

Niger war von Anfang an benachteiligt, da seineLegionen quantitativ und qualitativ unterlegen waren.Andererseits war er auch im Westen, zumindest in Rompopulär und verfügte in seinem Machtbereich über vielehoch motivierte Anhänger. Den Partherkönig VologaesesV. konnte er als Verbündeten betrachten, und KönigAbdsamiya des kleinen Reiches von Hatra stellte sogarBogenschützen zur Verfügung.

-464-Nigers Truppen besetzten die Stadt Byzantion undsicherten sich damit den Übergang von Asien nachEuropa. Von dort stießen sie nach Thrakien vor undversuchten das strategisch wichtige Perinthoseinzunehmen. Trotz eines anfänglichen Erfolgs gegen diegegnerische Vorhut mussten sie jedoch bald Thrakienaufgeben und sich nach Byzantion zurückziehen, das vonden severischen Truppen eingeschlossen und belagertwurde. Das Hauptheer des Severus landete an derasiatischen Küste. Bei Kyzikos erlitt der wichtigsteBefehlshaber Nigers, der Statthalter der Provinz Asia,Asellius Aemilianus, gegen Ende 193 eine schwereNiederlage. Er wurde anschließend auf der Fluchtgetötet.

Durch taktisches Ungeschick wurde Niger Ende 193 oderAnfang 194 bei Nikaia (heute Iznik) geschlagen undmusste daraufhin den größten Teil Kleinasiens räumenund an den leicht zu verteidigenden, gut befestigtenTaurospässen eine neue Verteidigungslinie errichten.Doch das severische Heer konnte sich auch dort

durchsetzen. Bereits nach der Schlacht von Nikaia warÄgypten zur Gegenseite übergegangen. Sogar einzelneStädte im restlichen Machtbereich Nigers wurdenabtrünnig, so dass sich seine Niederlage bereitsdeutlich abzeichnete.

Niger ließ daraufhin zur Abschreckung die rebellischenStädte Tyros und Laodikeia plündern und niederbrennen.Er eilte mit dem Rest seiner Streitkräfte von seinemHauptquartier in Antiocheia aus nach Norden und stießEnde März 194 bei Issos auf das feindliche Heer. NigersArmee bestand aber zu einem erheblichen Teil ausungeübten, frisch rekrutierten Freiwilligen, und wieschon bei Nikaia zeigte sich, dass er als Feldherrnicht besonders begabt war. Es gelang der gegnerischenReiterei, seine Stellung zu umgehen und von hintenanzugreifen, nachdem ein heftiges Gewitter in seinenReihen Verwirrung angerichtet hatte. Darauf setzte einepanische Flucht ein. Auf Seiten Nigers sollen 20.000Mann gefallen sein, er selbst entkam mit Mühe nachAntiocheia.

Tod

Die Antiochier, die viele Gefallene zu beklagen hatten,mussten nun erkennen, dass der Krieg verloren war undsie sich in verzweifelter Lage befanden. Sie hattenNiger von Anfang an besonders eifrig unterstützt undmussten mit furchtbarer Rache des Siegers rechnen. Dieseverischen Truppen stießen rasch nach Antiocheia vor.Niger floh in Richtung Euphrat, um sich bei denverbündeten Parthern in Sicherheit zu bringen. Er kamaber nicht weit, sondern wurde gefasst und getötet.Manchen seiner Anhänger gelang jedoch die Flucht überdie Grenze.

-465-Nigers abgeschlagener Kopf wurde nach Byzanz gebracht,wo seine belagerten Anhänger ausgehalten hatten. Erstspäter traf Septimius Severus in Syrien ein. Er hattesich nie an die Front begeben, sondern die Schlachten

seinen Kommandeuren überlassen und die Entscheidung inThrakien abgewartet. Über Niger wurde die damnatiomemoriae verhängt. Seine Söhne wurden hingerichtet.

Urteile von Zeitgenossen und Nachwelt

Die Hauptquellen sind die von den Zeitgenossen CassiusDio und Herodian stammenden Geschichtswerke. Dergenerell zuverlässigere Cassius Dio urteilt neutral,während Herodian, ein Gegner des Severus, ein insgesamtvorteilhaftes Bild von Niger zeichnet. In der HistoriaAugusta finden sich Behauptungen einer betontnigerfreundlichen Überlieferung neben Material auseiner nigerfeindlichen Quelle. Aurelius Victor (360/61)und der Christ Orosius (417/418) schätzen Niger alsmachtgierigen Usurpator ein; in der Epitome deCaesaribus (um 400) wird er sogar als „Mann jederSchändlichkeit“ bezeichnet. Dieses negative Urteilbestimmte das Niger-Bild im Mittelalter, soweit manüberhaupt von ihm Kenntnis nahm.

Niger vermochte seine Chancen nicht zu nutzen und warvor allem militärisch von seiner Aufgabe überfordert.Sogar der mit ihm sympathisierende Herodian kritisiertseinen Mangel an Entschlossenheit und Tatkraft. CassiusDio schildert ihn als mittelmäßig und nicht besondersklug und deutet an, dass gerade seine Unauffälligkeitkarrierefördernd war. Andererseits ist festzuhalten,dass seine große Beliebtheit auf eine relativbürgerfreundliche Verwaltung zurückzuführen war, dieals gerecht empfunden wurde. Darauf sollte wohl derBeiname Iustus (der Gerechte) hindeuten, den er sichals Kaiser zulegte, und die Hervorhebung derGerechtigkeit (iustitia) auf seinen Münzen.

LiteraturZe’ev Rubin: Civil-War Propaganda and Historiography, Bruxelles 1980,ISBN 2-87031-113-3.Fabrizio Minucci: Precisazioni cronologiche sulla lotta tra SettimioSevero e Pescennio Nigro. In: Università di Siena. Annali dellaFacoltà di Lettere e Filosofia 23 (2002), S. 43–70.

Weblinks Commons: Pescennius Niger – Album mit Bildern, Videos undAudiodateienMichael L. Meckler: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Biografie aus der Historia Augusta (englisch)Jona Lendering: Artikel. In: Livius.org (englisch)

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Septimius Severus

Septimius SeverusMünchner Glyptothek

Lucius Septimius Severus Pertinax (* 11. April 146 inLeptis Magna; † 4. Februar 211 in Eboracum heute York)war römischer Kaiser vom 9. April 193 bis zum 4.Februar 211. Er begründete die Dynastie der Severer undwar einer der Kaiser des zweiten Vierkaiserjahres.

Aufstieg zum Kaiser

Geboren wurde Septimius Severus in Leptis Magna in derProvinz Africa als Sohn des Publius Septimius Geta undder Fulvia Pia. Er hatte einen Bruder, der ebenfallsPublius Septimius Geta hieß. Seine Familie gehörte demrömischen Ritterstand an und war wohlhabend. Septimiussprach als Muttersprache offenbar Punisch,[1] er

beherrschte aber bereits seit seiner Kindheit auch diebeiden großen Sprachen des Imperiums, Latein undGriechisch, und befasste sich auch mit der griechischenund lateinischen Literatur. Bei seinen ersten Reden imSenat soll er noch wegen seines „punischen“ Akzentsverspottet worden sein; zwar legte sich dies späteroffenbar, doch soll sein Latein bis zuletzt eine„afrikanische“ Färbung gehabt haben.[2] Die inpopulärwissenschaftlichen Veröffentlichungen manchmalerhobene Behauptung, er sei sogar schwarzafrikanischerHerkunft gewesen, findet allerdings keinen Rückhalt inden Quellen.

-467-Zur weiteren Ausbildung ging er nach Rom. Obwohl erzuvor nicht die vorgeschriebene militärische Laufbahndurchlaufen hatte, wurde er aufgrund der Fürspracheeines seiner Verwandten von Kaiser Mark Aurel zu einersenatorischen Ämterlaufbahn zugelassen und im Rahmeneiner adlectio in den Senat aufgenommen.

Denar des Septimius Severus

Severus absolvierte in der Folgezeit den klassischencursus honorum: 170 war er quaestor in Rom, und im Jahrdarauf in Sardinien. 173/174 war er legatus proconsulisprovinciae Africae, anschließend Volkstribun, 178Praetor und schließlich Legat (und damit Kommandeur)der Legio IV Scythica. Anschließend verbrachte ereinige Zeit in Athen. 190 wurde er Suffektkonsul,gemeinsam mit Apuleius Rufinus und laut der HistoriaAugusta auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers Commodus,und erhielt im Jahr darauf vom Kaiser den Befehl überdie Legionen in der Provinz Pannonien. Davon, dass ermilitärische Operationen befehligt hätte, ist nichtsbekannt. Wahrscheinlich wurde das Kommando demmilitärisch völlig unerfahrenen Mann aus ebendiesemGrunde übertragen, da man (irrtümlich) annahm, dass vonihm keine Usurpation zu befürchten sei. Wohl seit 187war Septimius Severus in zweiter Ehe mit der aus Syrienstammenden Julia Domna verheiratet, mit der er zweiSöhne hatte, den 188 geborenen Caracalla und den 189geborenen Geta. Zuvor war er seit etwa 175 mit derAfrikanerin Paccia Marciana verheiratet gewesen, die um185 gestorben war.

-468-Nach der Ermordung von Commodus’ Nachfolger Pertinax inRom am 28. März 193 wurde Severus in Carnuntum am 9.April von den pannonischen Truppen zum Kaiserausgerufen.[3] Die Lage im Reich war verworren: In Romhatte sich nach Pertinax’ Tod Didius Julianus das Amtdes Kaisers von den Prätorianern erkauft, doch konntesich Septimius auf die Mehrheit der Legionen im Reichstützen. Mutmaßlich hatte er bereits unter Pertinax dieUsurpation geplant, denn es ist unwahrscheinlich, dasser ein solches Unternehmen in so kurzer Zeit - er kannfrühestens um den 7. April vom Tod des Pertinaxerfahren haben - begonnen haben sollte. Septimiusüberquerte jedenfalls die Alpen, um Rom ohne Widerstandeinzunehmen; Didius Julianus, der ihm zuletzt einegeteilte Herrschaft angeboten hatte, war bereits vorseiner Ankunft ermordet worden. Septimius löste diealte Prätorianergarde auf und ersetzte sie durch eine

neue, ihm loyale Garde, deren Soldaten ein hohesDonativ erhielten. Dies markierte einen Einschnitt,denn während die Prätorianer zuvor 200 Jahre lang stetsausschließlich in Italien und einigen wenigen besondersstark romanisierten Provinzen (wie der Baetica)rekrutiert worden waren, kamen sie fortan aus allenRegionen des Reiches, vor allem aber aus dem rechtunzivilisierten Pannonien und dem Illyricum.

Die Legionen in der Provinz Syria hatten jedoch MitteApril ihren Kommandeur Pescennius Niger als Kaiserausgerufen, während der Kandidat der in Britannienstationierten Truppen Clodius Albinus war. Septimiusmusste um die Macht kämpfen und stellte sichdemonstrativ in die Nachfolge des ermordeten Pertinax.Auf dem Verhandlungsweg gelang es ihm, Clodius Albinusauf seine Seite zu ziehen, indem er ihn zum Caesar unddamit zum künftigen Nachfolger erhob. Darauf konnte ersich Pescennius Niger zuwenden. Dessen Truppen wurden193/194 in Thrakien und Kleinasien geschlagen. BeiIssos unterlag Niger im März 194 und geriet inGefangenschaft, in der er kurz darauf getötet wurde.Städte, die zu Niger gehalten hatten, wie Antiochia amOrontes und Byzantion, wurden hart bestraft. DieProvinz Syria wurde zweigeteilt, um eineMachtkonzentration in den Händen des Statthalters zuverhindern. Es kam auch zu einer begrenztenChristenverfolgung.

-469-Septimius Severus als Kaiser

Aureus des Septimius Severus

Militärische Erfolge im Osten

Septimius Severus blieb nach seinem Sieg über Niger imOsten und führte 195 sowie 197/198 erfolgreich Krieggegen die Parther. 195 diente die Unterstützung desNiger durch parthische Vasallen als Vorwand für dieerfolgreich verlaufende expeditio Parthica. Der Kriegrichtete sich nicht gegen die Parther selbst, sondernnur gegen einige mit diesen verbündete Kleinkönige. ImVerlauf des Feldzugs kamen die Herrschaften Adiabeneund Osrhoene, die schon zuvor unter römischem Einflussgestanden hatten, endgültig unter die Kontrolle Roms.

197, nach dem Sieg über Albinus (siehe unten), wurdenfür einen zweiten Partherkrieg drei neue Legionenausgehoben.[4] Die römische Offensive richtete sichdiesmal gegen das eigentliche Partherreich, das durchinnere Wirren geschwächt war. So stieß man auf keinennennenswerten Widerstand: Die parthische HauptstadtKtesiphon wurde wohl Ende 197 (oder Anfang 198)gestürmt; der Partherkönig Vologaeses V. hatte esvorgezogen, sich in das iranische Hochlandzurückzuziehen. Nach Cassius Dio sollen dabei 100.000Gefangene gemacht worden sein.[5] Diese Siege im Ostenwurden später auf dem Septimius-Severus-Bogen verewigt.Anfang 198 nahm Severus den Beinamen Parthicus maximusan, der auch auf Münzen geprägt wurde; diesen Titelhatte vor ihm nur Trajan getragen, als dessenNachfolger Septimius sich nun darstellte. An eineEroberung des Partherreichs war allerdings nicht zu

denken; zwei Vorstöße gegen das strategisch wichtigeund mit den Parthern verbündete Hatra scheiterten, undSeverus musste sich geschlagen von der Stadtzurückziehen. Dennoch entschied man sich,Nordmesopotamien, das wohl bereits seit dem Feldzug desLucius Verus unter römischem Einfluss gestanden hatte,nun offiziell in das Imperium Romanum einzugliedern.-470-Im Jahr 200 richtete Severus daher die neue ProvinzMesopotamia ein und belegte sie mit zwei neuaufgestellten Legionen. Damit reichte das RömischeReich im Osten nun bis an den Tigris. Die Einrichtungder beiden östlich des Euphrat gelegenen ProvinzenOsrhoene und Mesopotamia stellte für die Partherallerdings eine inakzeptable Provokation dar; in denfolgenden vier Jahrhunderten sollten sie undinsbesondere ihre Nachfolger, die Sassaniden, immerwieder versuchen, die Römer aus Mesopotamien zuvertreiben und wieder den Euphrat als Grenze zuetablieren: Mit der relativen Ruhe an der römischenOstgrenze war es daher fortan vorbei.

Im Anschluss an den Partherkrieg blieb SeptimiusSeverus noch einige Zeit im Osten. Er besuchte imWinter 199/200 Alexandria und Ägypten. Anschließendbegab sich der Kaiser 202 nach Rom. Auf einenTriumphzug verzichtete er demonstrativ, angeblich, daer nicht den Eindruck erwecken wollte, in Wahrheit überseine Bürgerkriegsgegner zu triumphieren. EinenTriumphbogen ließ er sich allerdings, wie erwähnt,trotzdem errichten.

Innenpolitik

Die Beziehungen des Kaisers zum römischen Senat warengespannt. Er machte sich dadurch unbeliebt, dass er dieKompetenzen des Senats, der zwar bereits seit Augustusdie reale Macht verloren, aber formal noch immer dieres publica regiert hatte (siehe Prinzipat), weiterbeschränkte.

195 erhob sich Clodius Albinus, der sich offenbar mehrvon seiner Vereinbarung mit Septimius versprochen hatteund über eine große Anhängerschaft im Senat verfügte,als deutlich wurde, dass Septimius nicht ihn, sondernseine beiden eigenen Söhne als Nachfolger vorgesehenhatte. Albinus wurde zum Staatsfeind (hostis publicus)erklärt und zog seinerseits mit einer Armee nachGallien, wo er Anfang 197 jedoch in einer Schlacht inder Nähe von Lugdunum unterlag und Selbstmord beging.Hatte Severus nach dem Sieg über Niger noch dieSenatoren unter dessen Anhängern geschont, ließ er nunviele Aristokraten töten. Mehrere Anhänger des Albinus,darunter Sulpicianus, verloren im Zusammenhang mitdessen Erhebung ihr Leben. Dies brachte Severus denHass vieler Senatoren ein.

-471-Fortan war Septimius Severus endgültig Alleinherrscherdes Reiches.[6] Nun gewann das consilium principis anBedeutung, in welchem vor allem Juristen aus demRitterstand den Ton angaben. Fortan spielten die Ritter(equites) in Verwaltung und Militär eine zunehmendwichtige Rolle. Die Heranziehung von ritterlichenJuristen sollte auch für die Entwicklung des römischenRechts von Bedeutung sein; und die Legionen, dieSeptimius neu aufstellte, wurden von Ritternkommandiert und nicht, wie zuvor üblich, von Senatoren.Damit wurde eine Entwicklung eingeleitet, dieschließlich zum Ausschluss der Senatoren vonmilitärischen Befehlshaberstellen unter Gallienus (um260) führen sollte.

Demonstrativ wurde 202 die Legio II Parthica bei Romstationiert und damit die (angesichts der Anwesenheitder Prätorianer ohnehin nur scheinbare)Demilitarisierung Italiens beendet. Septimius belohnte

die ihm ergebenen Truppen großzügig, was allerdings zurGeldentwertung beitrug. Zudem gestattete er denSoldaten nun erstmals rechtsgültige Eheschließungenwährend der Dienstzeit, und besonders verdienteCenturionen konnten nun die ritterliche Laufbahneinschlagen und so sozial weiter aufsteigen. Danebenwurde die Macht der einzelnen Militärführereingeschränkt, indem einzelne Kommandeure bzw.Statthalter nun weniger Legionen unter ihrem Kommandohatten; die Zeit, in der mehrere Legionen in einerProvinz stationiert gewesen waren, war vorbei.

Offensichtlicher als die Kaiser vor ihm markierteSeverus die Armee als die eigentliche und vornehmlicheStütze seiner Macht. Der Sold der Soldaten, der übermehr als einhundert Jahre unverändert geblieben war,wurde vom Bürgerkriegssieger nun schrittweiseverdoppelt, was angesichts des Umstandes, dass derUnterhalt des Heeres bereits zuvor etwa zwei Dritteldes römischen Staatshaushaltes verschlungen hatte, zueiner gewaltigen finanziellen Belastung führte. Severusund sein Nachfolger Caracalla erhöhten daher denSteuerdruck massiv.

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Triumphbogen des Septimius Severus

Trotz der Strenge seiner Herrschaft war Septimius beider Bevölkerung Roms beliebt und hielt formell an derPrinzipatsideologie fest, der zufolge er kein Monarch,sondern lediglich ein Beschützer der Republik sei. Erdämmte demonstrativ die Korruption ein und bekämpftedas Räuberwesen in Italien. Als er von seinem Sieg überdie Parther zurückkehrte, ließ er einen Triumphbogenerrichten, der sich bis heute erhalten hat und seinenNamen trägt. Ein umfangreiches Bauprogramm wurdeinitiiert, von dem die Bevölkerung Roms beträchtlichprofitierte. Zudem ließ er kostenlos Olivenöl an vieleEinwohner verteilen.

Septimius Severus bemühte sich insgesamt vor allem umeine innenpolitische Stabilisierung seiner Herrschaft,die er ursprünglich einer Usurpation verdankte. Umseine Autorität gegenüber dem Heer, von dem er für allesichtbar abhängig war, wahren zu können, setzte erverstärkt auf eine dynastische Legitimation. In diesenZusammenhang gehört seine fiktive Adoption durch KaiserMark Aurel, an den er damit anknüpfen wollte. Daherrehabilitierte er den beim Senat verhassten, beim Heerhingegen beliebten Commodus, ließ ihn sogar unter dieGötter erheben und nannte sich divi Marci filius, divi

Commodi frater, also „Sohn des vergöttlichten Markusund Bruder des vergöttlichten Commodus“. Außerdem erbteer durch die fiktive Adoption das Privatvermögen desCommodus.[7]

-473-Seinem älteren Sohn Caracalla, seit 198 Augustus, gaber den neuen Namen Marcus Aurelius Antoninus, um soebenfalls an das „goldene Zeitalter“ der Antonineanzuknüpfen. Hinzu kam der Versuch, dieHerrscherfamilie als „göttliches Haus“ (domus divina)mit einem sakralen Charakter zu versehen. Als ersterrömischer Kaiser ließ sich Septimius Severus so miteinem Nimbus darstellen und wies damit bereits auf dieSpätantike voraus.

Christenverfolgung

Unter seiner Regierung kam es zu lokalenChristenverfolgungen: Bereits 202 hatte der Kaiser denÜbertritt zum Christentum unter Strafe gestellt.Zweifelsohne hielten sich dennoch Christen an seinemHof auf. Kleinere Christenverfolgungen in Ägypten undin Theben sowie in den Provinzen Africa und im Ostenließ er geschehen, auch wenn die Kirche davon kaumgetroffen wurde. Er stellte sich damit in die Traditionder römischen Christenpolitik der vergangenenJahrzehnte.

Letzte Jahre und Tod

In den letzten Jahren seiner Herrschaft unternahmSeptimius Severus mehrere Feldzüge zum Erhalt desrömischen Machtanspruches in Britannien; zudem solltenseine Söhne und designierten Nachfolger durchmilitärische Erfolge die Treue der Truppen erwerben.208 reiste der bereits schwer von Gicht geplagte Kaiserzusammen mit seinen Söhnen Caracalla und Geta, die

angeblich seit ihrer Jugend unerbittlich verfeindetwaren, nach Britannien.[8] Geta erhielt 209 die zivileKontrolle über die Provinz, Caracalla den Oberbefehlüber das Heer. Das römische Heer stieß von Eboracumweit nach Norden vor. Der Kaiser befahl die Renovierungdes Hadrianswalls. Schließlich starb er in Eboracum am4. Februar 211. Seine letzten Worte an seine beidenSöhne sollen gelautet haben: „Seid einig, bereichertdie Soldaten und verachtet alle anderen.“[9]

Nach seinem Tod wurde er durch den Senat zum Gott(divus) erklärt. Seine Nachfolge traten Caracalla undGeta an, die beide bereits den Titel Augustus führtenund deren Feindschaft nun offen zu Tage trat. Dermachtbewusste Caracalla ermordete Geta bald darauf undtrat Ende 211 oder Anfang 212 die alleinige Nachfolgeseines Vaters an. Wie dieser suchte er vor allem dieUnterstützung des Heeres zu gewinnen.

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Septimius Severus mit seiner Familie auf einem zeitgenössischenTondo. Getas Gesicht wurde nach seiner Ermordung getilgt.

Bilanz

Die Herrschaft des Septimius Severus hat sich trotzmancher Schrecken für Senat (und Christen) zunächststabilisierend auf das Reich ausgewirkt. Er sichertedie Grenzen, die Provinzen und die Wirtschaftprofitierten anfangs von der Ruhe im Reich, wenngleichvor allem die Städte unter den erhöhten Steuernstöhnten und sich Anzeichen für eine ökonomische Krisemehrten. Die verstärkte Verdrängung von Senatoren ausder Reichsführung gilt vielen Forschern eher einefolgerichtige Maßnahme als eine wirkliche Neuerung.Doch gerade die Ausschaltung des Senats und dieBevorzugung des Militärs brachte Septimius Severus vorallem in der senatorischen Geschichtsschreibung einenschlechten Ruf ein. Zweifellos ist der Aufstieg desromanisierten Nordafrikaners bis zum Kaisertumbemerkenswert. Seine Regierungszeit erscheint dahermanchen Historikern gerade im Hinblick auf die Wirrenkurz vor seiner Thronbesteigung sowie in dernachfolgenden Zeit der „Reichskrise des 3.Jahrhunderts“ durchaus als eine eher positive.[10]

Andererseits markierte die Regierung des Severus mitihrer Offenlegung der Abhängigkeit des Herrschers vomWohlwollen der Armee eine Zäsur, denn damit wurde eineEntwicklung eingeleitet, die unter den Soldatenkaisern,die nach Belieben von den Truppen eingesetzt undgestürzt wurden, ihren Höhepunkt erreichen sollte.

-475-Der Usurpator Severus versuchte mit allen Mitteln undohne Rücksicht auf Verluste, sich an der Macht zuhalten; dennoch konnte er den von ihm verantwortetenAnsehensverlust des Kaisertums nicht dauerhaftausgleichen. Nicht zuletzt die damit zusammenhängendeFinanzpolitik des Severus, die zu einem massiv erhöhtenSteuerdruck führte, sollte für die folgende Zeitverhängnisvolle Folgen haben. Letztlich stellt sichalso die Frage, ob Severus das Eintreten der„Reichskrise“ verzögerte oder vielmehr mit auslöste.

Quellen

Die wichtigsten historiographischen Quellen sind dieoft unzuverlässige Historia Augusta (wenngleich dieVita des Septimius Severus dort wohl auf Marius Maximusberuht und durchaus wertvolles Material enthält),Cassius Dio (Buch 72ff.; Zählung nach der Ausgabe inder Loeb Classical Library) sowie Herodian (Buch 2 und3). Mehrere Quellen berichten, dass Septimius Severusauch eine Autobiografie verfasst hat, die aber verlorenist; angeblich wurde sie vom Autor der Historia Augustabenutzt.

-476-Literatur

Timothy Barnes: Aspects of the Severan Empire, part I: Severus as anew Augustus. In: New England Classical Journal 35, 2008, S. 251-267.Anthony R. Birley: Septimius Severus. The African Emperor. 2.Auflage, Batsford, London 1988, ISBN 0-7134-5694-9 (Standardwerk)Alison Cooley: Septimius Severus. The Augustan emperor. In: SimonSwain u. a. (Hrsg.): Severan Culture. Cambridge 2007, S. 385–397.Anne Daguet-Gagey: Septime Sévère. Rome, l’Afrique et l’Orient.Payot, Paris 2000.Julie Langford: Maternal Megalomania. Julia Domna and the ImperialPolitics of Motherhood. Johns Hopkins University Press, Baltimore2013, ISBN 978-1-4214-0847-7 (aktuelle, wichtige Studie zu der Rolle,die Septimius' Gattin Julia Domna für die Selbstinszenierung desKaisers und seiner Dynastie spielte)Achim Lichtenberger: Severus Pius Augustus: Studien zur sakralenRepräsentation und Rezeption der Herrschaft des Septimius Severus undseiner Familie (193-211 n. Chr.) (= Impact of Empire, Band 14).Brill, Leiden u. a. 2011, ISBN 978-90-04-20192-7. (Rezension)David S. Potter: The Roman Empire at Bay. Routledge, London und NewYork 2004, ISBN 978-0-415-10057-1.Zeev Rubin: Dio, Herodian, and Severus’ Second Parthian War. In:Chiron 5, 1975, S. 419–441.Zeev Rubin: Civil War Propaganda and Historiography. Latomus, Brüssel1980.Jörg Spielvogel: Septimius Severus. WissenschaftlicheBuchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 3-534-15426-6. (Rezension)Weblinks Commons: Septimius Severus – Album mit Bildern, Videos undAudiodateienLiteratur von und über Septimius Severus im Katalog der DeutschenNationalbibliothekMichael L. Meckler: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Biografie aus der Historia Augusta (englisch) bei LacusCurtius

Anmerkungen1↑ Epitome de Caesaribus 20,8; vgl. auch Birley, Septimius Severus,S. 34f.2↑ Historia Augusta, Vita Severi 19,9.3↑ Birley, Septimius Severus, S. 89ff.4↑ Birley, Septimius Severus, S. 129ff.5↑ Cassius Dio 76,96↑ Zu den Jahren in Italien vgl. Birley, Septimius Severus, S. 155ff.7↑ Gerold Walser: Die Severer in der Forschung 1960–1972. In:Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Bd. II.2, Berlin 1975, S.614–656, hier: 624.8↑ Birley, Septimius Severus, S. 170ff.9↑ Cassius Dio 77,15,2.10↑ Vgl. den Versuch einer Bilanz bei Birley, Septimius Severus, S.195–200.

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Caracalla

Caracalla-Büste imPuschkin-Museum

Caracalla (* 4. April 188 in Lugdunum, dem heutigenLyon; † 8. April 217 in Mesopotamien) war von 211 biszu seinem Tod römischer Kaiser. Sein offiziellerKaisername war – in Anknüpfung an den beliebten KaiserMark Aurel – Marcus Aurelius Severus Antoninus.

„Caracálla“ war nur ein Spitzname, der von derBezeichnung seines Kapuzenmantels abgeleitet wurde.

Caracallas Vater Septimius Severus, der Begründer derseverischen Dynastie, erhob ihn 197 zum Mitherrscher.Nach dem Tod des Vaters am 4. Februar 211 trat erzusammen mit seinem jüngeren Bruder Geta die Nachfolgean. Schon im Dezember 211 ließ er Geta ermorden.Anschließend beging er in Rom ein großes Massaker anGetas Anhängern. Fortan regierte er unangefochten alsAlleinherrscher.

-478-Caracalla kümmerte sich vor allem um militärischeBelange und begünstigte die Soldaten. Damit setzte ereinen schon von seinem Vater eingeschlagenen Kurs fort,der auf die Epoche der Soldatenkaiser vorauswies. Wegender Brutalität seines Vorgehens gegen jede tatsächlicheoder vermeintliche Opposition wurde er von derzeitgenössischen senatorischen Geschichtsschreibungsehr negativ beurteilt. Bei den Soldaten hingegenerfreute er sich großer Beliebtheit, die über seinenTod hinaus anhielt.

Bei der Vorbereitung eines Feldzugs gegen die Partherwurde Caracalla von einer kleinen Gruppe vonVerschwörern aus persönlichen, nicht politischenMotiven ermordet. Da er kinderlos war, starb mit ihmdie männliche Nachkommenschaft des DynastiegründersSeptimius Severus aus.

Die Maßnahmen, mit denen Caracalla in erster Linie derNachwelt in Erinnerung blieb, waren der Bau derCaracalla-Thermen und die Constitutio Antoniniana, einErlass von 212, mit dem er fast allen freienReichsbewohnern das römische Bürgerrecht verlieh. Diemoderne Forschung folgt weitgehend der ungünstigenBeurteilung seiner Regierungszeit durch die antiken

Quellen, rechnet aber bei den Angaben der ihm feindlichgesinnten Geschichtsschreiber mit Übertreibungen.

Kindheit

Caracalla mit seinen Eltern und seinem Bruder auf einemzeitgenössischen Tondo, Antikensammlung Berlin. Getas Gesicht wurde

nach seiner Ermordung getilgt.[1]

-479-Caracalla wurde am 4. April 188 im heutigen Lyongeboren, dem Verwaltungssitz der Provinz GalliaLugdunensis.[2] Er war der ältere der beiden Söhne deskünftigen Kaisers Septimius Severus, eines Afrikaners,der damals Statthalter dieser Provinz war. Nur elfMonate später kam sein Bruder Geta zur Welt. SeineMutter Julia Domna, die zweite Frau des SeptimiusSeverus, stammte aus einer sehr vornehmen Familie; ihreHeimatstadt war Emesa (Homs) in Syrien. Caracallaerhielt den Namen Bassianus[3] nach seinem Großvatermütterlicherseits, einem Priester des in Emesaverehrten Sonnengottes Elagabal.

Einen erheblichen Teil seiner Kindheit verbrachteCaracalla in Rom. Sein Vater war ab 191 Statthalter derProvinz Oberpannonien. Die Kinder der

Provinzstatthalter mussten auf Anordnung des KaisersCommodus in Rom bleiben, denn der misstrauische Kaiserwollte sich gegen das Risiko von Aufständen derStatthalter absichern, indem er ihre Kinder in seinemunmittelbaren Machtbereich behielt.[4] Als Kind sollsich Caracalla durch angenehme Eigenschaftenausgezeichnet haben.[5] Er war fünf Jahre alt, als seinVater am 9. April 193 von den Donaulegionen zum Kaiserausgerufen wurde. Von Mitte 193 bis 196 hielt er sichmit seinem Vater im Osten des Reichs auf, dann kehrteer über Pannonien nach Rom zurück.

Septimius Severus gab sich ab Frühjahr 195 zum Zweckder Legitimierung seiner Herrschaft als Adoptivsohn des180 gestorbenen Kaisers Mark Aurel aus.[6] Mit dieserFiktion wollte er sich in die Tradition derAdoptivkaiser stellen, deren Epoche als Glanzperiodeder römischen Geschichte galt. Daher erhielt auchCaracalla als fiktiver Enkel Mark Aurels ab 195/196 denNamen dieses beliebten Herrschers: Er hieß fortanMarcus Aurelius Antoninus, wurde also wie sein Vaterals Angehöriger von Mark Aurels Familie, desKaisergeschlechts der Antonine, betrachtet. An dieserFiktion hielt er stets fest. Geta hingegen wurde nichtumbenannt, also nicht fiktiv in das Geschlecht derAntonine aufgenommen. Darin zeigte sich schon damalseine Bevorzugung seines ein Jahr älteren Bruders.[7]Entweder schon Mitte 195 oder spätestens 196 wurdeCaracalla der Titel Caesar verliehen, womit er zumkünftigen Kaiser designiert wurde.[8] Dieser Schrittmarkierte den Bruch zwischen Septimius Severus unddessen Rivalen Clodius Albinus, der Britannien unterseiner Kontrolle hatte. Albinus hatte sich im Jahr 193Hoffnungen auf die Kaiserwürde gemacht, war aber vonSeverus mit dem Caesartitel und der Aussicht auf dieNachfolge abgefunden worden.

-480-Diese Regelung war mit Caracallas Erhebung zum Caesarhinfällig. Daher brach der 193 noch vermiedene

Bürgerkrieg zwischen Severus und Albinus nun aus. Nachdem Sieg des Severus in diesem Krieg, in dem Albinusden Tod fand, stand Caracallas Anspruch auf dieNachfolge seines Vaters nichts mehr im Wege.

Als Kaisersohn erhielt Caracalla eine sorgfältigeErziehung. Daher war er nicht ungebildet; als Kaiserwar er offenbar in der Lage, sich an intellektuellenGesprächen zu beteiligen, und schätzte rhetorischeFähigkeiten.[9]

197 begleitete Caracalla zusammen mit seinem BruderGeta den Vater auf dessen zweitem Feldzug gegen dieParther. Schon im Frühjahr 197 wurde er offiziell alsdesignierter Kaiser und Teilhaber der Herrschaftbezeichnet. Im Herbst 197 oder spätestens 198 wurde erzum Augustus erhoben und mit den kaiserlichenVollmachten ausgestattet; fortan nannte man ihn MarcusAurelius Severus Antoninus Augustus.[10] Wohlgleichzeitig wurde Geta zum Caesar erhoben. DieKaiserfamilie blieb noch einige Zeit im Orient; 199reiste sie nach Ägypten, wo sie sich bis 200 aufhielt.Erst 202 kehrte sie nach Rom zurück. In diesem Jahr warCaracalla zusammen mit seinem Vater ordentlicherKonsul.

Heirat und Konflikte der Jugendzeit

Im April 202 wurde Caracalla, mit 14 Jahren nunmehrmündig, von seinem Vater gegen seinen Willen mit PubliaFulvia Plautilla verheiratet, die den Titel Augustaerhielt. Sie war die Tochter des PrätorianerpräfektenGaius Fulvius Plautianus. Plautianus stammte aus LeptisMagna in Libyen, der Heimatstadt des Septimius Severus.Er hatte dank der Gunst des Kaisers eineaußerordentliche Machtstellung errungen, die er durchdie Verschwägerung mit dem Kaiserhaus absichern wollte.Seine Machtfülle wurde aber von der Kaiserin JuliaDomna als Bedrohung wahrgenommen und brachte ihn mit

ihr in Konflikt. Caracalla, der Plautianus als Rivalensah, hasste seine Frau und seinen Schwiegervater undwollte beide beseitigen. Mit einer Intrige führte er205 den Sturz des Plautianus herbei, wobei er sich derHilfe seines Erziehers, des Freigelassenen Euodus,bediente. Euodus veranlasste drei Centurionen,Plautianus eines Mordplans gegen Severus und Caracallazu bezichtigen; sie behaupteten, der Präfekt habe siezu einem Attentat angestiftet.

-481-Severus schenkte ihnen Glauben und lud Plautianus vor,doch erhielt der Beschuldigte keine Gelegenheit zurRechtfertigung, da Caracalla ihn nicht zu Wort kommenließ. Nach der Darstellung des zeitgenössischenGeschichtsschreibers Cassius Dio versuchte Caracallaseinen Feind in Anwesenheit des Kaisers eigenhändigumzubringen, wurde aber von Severus daran gehindert.Darauf ließ er Plautianus von einem seiner Begleitertöten, offenbar mit Billigung des Kaisers. Plautillawurde auf die Insel Lipari verbannt.[11] Nach seinemRegierungsantritt ordnete Caracalla ihre Beseitigungan; über sie wurde die damnatio memoriae verhängt. AuchEuodus wurde später auf Befehl Caracallas hingerichtet.

Denar der Plautilla

Schon in früher Jugend war es zu einer ausgeprägtenRivalität der beiden Brüder Caracalla und Getagekommen, die sich im weiteren Verlauf ihres Lebensbeständig verschärfte und in tödlichen Hassverwandelte. Vergeblich bemühte sich Septimius Severus,die Feindschaft zwischen seinen Söhnen zu mildern undgegenüber der Öffentlichkeit zu vertuschen, etwa durchdie Prägung von Münzen der Concordia (Eintracht),[12]zweimaliges gemeinsames Konsulat Caracallas und Getasin den Jahren 205 und 208 und die Fernhaltung der Söhnevon Rom.[13] Am Britannienfeldzug des Kaisers, den er208–211 gegen die im heutigen Schottland lebendenKaledonier und Mäaten unternahm, nahmen beide Söhneteil. 209 erhielt Geta die Würde eines Augustus, wurdealso rangmäßig seinem bisher bevorzugten Brudergleichgestellt.[14]

-482-Da die Kämpfe sich hinzogen und Septimius Severusbereits bei schlechter Gesundheit war, musste er 210Caracalla mit der alleinigen Leitung der militärischenOperationen betrauen. Geta hingegen erhielt keinKommando. Ab 210 führte Caracalla den Siegernamen

Britannicus maximus, den auch sein Vater und seinBruder annahmen. Er soll versucht haben, den Tod desKaisers zu beschleunigen, indem er dessen Ärzte undBedienstete unter Druck setzte, dem Kranken etwasanzutun.[15] Septimius Severus starb am 4. Februar 211in Eburacum (heute York).

Regierungszeit

Herrschaftsantritt und Machtkampf mit Geta

Denar Getas

Wie Septimius Severus es vorgesehen hatte, traten seinebeiden Söhne zunächst gemeinsam die Herrschaft an. Sieschlossen mit den Kaledoniern und Mäaten Frieden undverzichteten damit auf die vielleicht ursprünglichgeplante Besetzung von Gebieten im heutigen Schottland.Somit wurde der Hadrianswall wieder die nördlicheGrenze des römischen Territoriums in Britannien.

-483-Caracalla und Geta kehrten mit getrenntem Hofstaat nachRom zurück. Dort schützten sich beide durch sorgfältigeBewachung voreinander. Als Präzedenzfall und Vorbildfür dieses Regierungsmodell konnte die gemeinsameHerrschaft von Mark Aurel und dessen AdoptivbruderLucius Verus im Zeitraum 161–169 dienen. Damals hatteaber ein klarer Rangunterschied zwischen den beidenKaisern bestanden, denn Verus war erst von Mark Aurelzum Augustus erhoben worden. Bei Caracalla und Getahingegen war die Situation grundlegend anders: BeideBrüder waren leibliche Söhne eines Kaisers und hattenschon unter ihrem Vater den Augustus-Rang erlangt, ihreRangordnung und Befugnisse waren nicht eindeutig undeinvernehmlich festgelegt worden. Eine anerkannteErbfolgeregelung gab es für die römische Kaiserwürdenicht. Ein Doppelkaisertum weitgehendgleichberechtigter Herrscher hätte daher wohlallenfalls durch eine Reichsteilung umgesetzt werdenkönnen. Der Geschichtsschreiber Herodian behauptet, essei daher tatsächlich erwogen worden, das RömischeReich zu teilen und Geta den Osten zuzuweisen, doch seidieser Plan verworfen worden, denn Julia Domna, dieMutter der beiden Kaiser, habe sich dem Vorhabennachdrücklich widersetzt.[16] Die Glaubwürdigkeitdieses Berichts wird aber in der neueren Forschungskeptisch beurteilt. Versuche, in epigraphischemMaterial eine Bestätigung für Herodians Darstellung zufinden, sind gescheitert.[17]

Unter diesen Umständen war eine gewaltsame Austragungdes Konflikts unausweichlich. Um beide Brüder hattesich ein Kreis von Anhängern gebildet; Geta warzumindest bei einem Teil der Soldaten beliebt. Daherwagte Caracalla vorerst nicht, offen gegen ihnvorzugehen. Die römische Stadtbevölkerung, der Hof, derSenat, die Prätorianer und die in der Hauptstadt undihrer Umgebung stationierten Truppen waren gespaltenoder unschlüssig, so dass ein großer Bürgerkriegbevorzustehen schien.[18]

Schließlich gelang es Caracalla im Dezember 211, denBruder in einen Hinterhalt zu locken.[19] Erveranlasste seine Mutter, ein Gespräch im kaiserlichenPalast zu arrangieren. Leichtsinnigerweise folgte Getader Einladung der Mutter, denn er meinte wohl, in ihrerAnwesenheit vor seinem Bruder sicher zu sein. DerAblauf der tödlichen Begegnung ist unklar. Nach derSchilderung des zeitgenössischen GeschichtsschreibersCassius Dio, die als die glaubwürdigste gilt, hatteCaracalla Mörder bestellt, die seinen Bruder in denArmen der Mutter töteten, wobei diese an der Handverletzt wurde.[20]

-484-Offenbar hat er aber auch selbst zugeschlagen, dennspäter weihte er das Schwert, das er dabei verwendethatte, im Serapeion von Alexandria der dort verehrtenGottheit Serapis.[21] Anschließend wurde über Geta diedamnatio memoriae verhängt und die Tilgung seinesNamens in allen öffentlichen Denkmälern undSchriftstücken mit größter Gründlichkeit betrieben;sogar seine Münzen wurden eingeschmolzen.[22]

Der nunmehrige Alleinherrscher rechtfertigte den Mordmit der Behauptung, selbst nur einem Anschlag Getaszuvorgekommen zu sein. Am Tag nach der Tat hielt er imSenat eine Rede, in der er seine Sichtweise darlegteund zugleich mit der Ankündigung einer Amnestie fürVerbannte Sympathie zu gewinnen versuchte.[23] Für dieÖffentlichkeit und insbesondere für die Senatoren wardie Mordtat aber ein unerhörter Tabubruch, von dem sichCaracallas Ansehen niemals erholen sollte. DiePrätorianer gewann er mit einer Solderhöhung undGeldgeschenken für sich, und auch das Einkommen derSoldaten wurde zur Sicherung ihrer Loyalitätbeträchtlich angehoben.[24] Nach der Darstellung derHistoria Augusta, deren Glaubwürdigkeit allerdingsumstritten ist, konnte Caracalla die in der Nähe vonRom stationierte Legio II Parthica, die stark mit Geta

sympathisiert hatte, nur mit einem reichlichenGeldgeschenk besänftigen.[25]

Innenpolitik

Terrorherrschaft

Sogleich nach der Ermordung Getas ließ Caracallazahlreiche Männer und Frauen, die als Anhänger seinesBruders galten, töten; damals sollen etwa 20.000Menschen aus diesem Grund ermordet worden sein.[26]Auch später noch wurden viele umgebracht, denenCaracalla unterstellte, Sympathien für den unterlegenenRivalen gehegt zu haben oder ihm nachzutrauern. Zu denprominenten Opfern des Terrors gehörten der KaisersohnPertinax Caesar sowie zwei Nachkommen des allseitsverehrten Kaisers Mark Aurel: seine Tochter Cornificiaund ein Enkel. Der berühmte Jurist Papinian, der einFreund und Vertrauter des Septimius Severus gewesen warund sich im Auftrag des verstorbenen Kaisers um einenAusgleich zwischen den verfeindeten Brüdern bemühthatte, wurde auf Befehl Caracallas ermordet, nachdemPrätorianer Vorwürfe gegen ihn erhoben hatten.[27] Eswurde üblich, persönliche Gegner mit erfundenenBehauptungen in anonymen Anzeigen aus dem Weg zuräumen. Die zahlreichen Soldaten und Prätorianer in Romdienten Caracalla als Spitzel und Informanten.[28]Eine aufschlussreiche Episode war Caracallas imFrühjahr 212 unternommener Versuch, den populärenSenator und ehemaligen Stadtpräfekten Lucius FabiusCilo umzubringen. Den Anlass dazu bot wohl, dass Ciloversucht hatte, zwischen Caracalla und Geta zuvermitteln. Caracalla erteilte Soldaten – offenbarhandelte es sich um Prätorianer – den Befehl, gegen denSenator vorzugehen. Sie plünderten das Haus Cilos undführten ihn unter Misshandlungen zum Kaiserpalast.Darauf kam es zu einem Aufruhr; die Bevölkerung und inder Stadt stationierte Soldaten (urbaniciani), diefrüher unter Cilos Befehl gestanden hatten, griffen

zugunsten des Verhafteten ein, um ihn zu befreien.Caracalla schätzte die Lage als so gefährlich ein, dasser aus dem Palast herbeieilte und vorgab, Cilobeschützen zu wollen. Er ließ die Prätorianer, die mitder Festnahme beauftragt gewesen waren, und ihrenBefehlshaber hinrichten, angeblich zur Strafe für ihrVorgehen gegen Cilo, in Wirklichkeit jedoch, weil siebei der Durchführung des Befehls versagt hatten. DerVorgang zeigt eine zumindest zeitweilige Schwäche desKaisers. Er musste vor dem Widerstand von Teilen derStadtbevölkerung und der städtischen Soldaten, aufderen Loyalität er angewiesen war, zurückweichen.[29]

Generell ging Caracalla gegen Individuen und Gruppen,die seinen Zorn oder Verdacht erregten, mit großerHärte vor. Ein Merkmal seines Terrors war, dass ernicht nur gezielt Verdächtige hinrichten ließ, sondernauch kollektive Strafmaßnahmen ergriff, denen nebenOppositionellen auch zahlreiche harmlose Personen undUnbeteiligte zum Opfer fielen. Aufsehen erregte dasMassaker von Alexandria in Ägypten. Dort richteteCaracalla bei seinem Aufenthalt in der Stadt, der vonDezember 215 bis März/April 216 dauerte, ein großesBlutbad unter der Bevölkerung an. Als Anlass gibtCassius Dio an, dass sich die Alexandriner über denKaiser lustig gemacht hatten. Die Stadtbevölkerung warals spottlustig bekannt, doch hatte ihre Aufsässigkeitauch einen ernsten Hintergrund: In der Stadt war –vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen – einekaiserfeindliche Stimmung entstanden, die sich in einemAufruhr entlud. Dem Gemetzel in Alexandria, dastagelang angedauert haben soll, fielen auch auswärtigeBesucher zum Opfer, die sich zufällig in der Stadtaufhielten. Außerdem wurde die Stadt von CaracallasSoldaten geplündert. Wahrscheinlich stellen Cassius Diound der ebenfalls zeitgenössische GeschichtsschreiberHerodian das Ausmaß des Massakers übertrieben dar, dochdürfte die Schilderung Cassius Dios in den Grundzügenstimmen.[30] Als der Kaiser in Rom von eineraufsässigen Menge im Circus verspottet zu werden

glaubte, befahl er seinen Soldaten, die Unruhestifterzu töten, was mit einem wahllosen Massaker endete.[31]-486-

Thermenbau und Ausdehnung des römischenBürgerrechts

→ Hauptartikel: Caracalla-Thermen und ConstitutioAntoniniana

Caracallas Name ist für die Nachwelt bis heute vorallem mit zwei spektakulären Maßnahmen verbunden: demBau der Caracalla-Thermen in Rom, einer Gesamtanlagevon 337 mal 328 Metern, und der Constitutio Antoninianavon 212. Mit dem Thermenbau wollte sich der Kaiser beider Stadtbevölkerung beliebt machen. Es war damals diegrößte derartige Anlage in Rom.[32] Die ConstitutioAntoniniana war eine Verfügung, die allen freienBewohnern des Reiches mit Ausnahme der dediticii dasrömische Bürgerrecht verlieh. Die Abgrenzung des mitdediticii gemeinten Personenkreises ist unklar. Mitdiesem Ausdruck bezeichnete man ursprünglich Angehörigevon Völkern oder Staaten, die sich den Römernbedingungslos unterworfen hatten, entweder im Krieg imSinne einer Kapitulation oder im Frieden, um römischenSchutz zu erhalten. Juristisch bedeutete dieConstitutio Antoniniana nicht, wie man früher glaubte,die Aufhebung örtlicher Rechtsgewohnheiten und ihreErsetzung durch römisches Privatrecht; örtliches Rechtwurde weiterhin angewendet, soweit es dem römischennicht widersprach. Daraus ergaben sich im juristischenAlltag Rechtsunsicherheiten; eine umfassende,allgemeingültige Regelung wurde offenbar nichtangestrebt.[33]

Die Zwecke und die Tragweite der ConstitutioAntoniniana sind bis heute nicht befriedigend geklärt.Flankierende Maßnahmen zur Integration der Neubürgerscheint Caracalla nicht getroffen zu haben, einumfassendes, langfristiges Gesamtkonzept war mit derBürgerrechtsverleihung anscheinend nicht verbunden.[34]Caracalla gibt an, er habe sich zu dem Schritt

entschlossen, weil er den Göttern für seine Rettung auseiner Gefahr danken wollte. Vermutlich meinte er damiteinen angeblichen Mordanschlag Getas, doch sind auchandere Deutungen möglich.[35] Cassius Dio gibt dieMeinung der oppositionellen senatorischen Kreisewieder, der zufolge die Ausdehnung des Bürgerrechts vorallem den Zweck hatte, die Steuereinnahmen zu erhöhen;die von dem Erlass Betroffenen wurden Steuernunterworfen, die nur von römischen Bürgern zuentrichten waren. Solche Steuern waren eine Abgabe aufdie Freilassung von Sklaven und die Erbschaftssteuer,die Caracalla damals von 5 auf 10 Prozent verdoppelte.Die Erhöhung der Steuereinnahmen war aber nur eines derMotive Caracallas.

-487-Außerdem wollte er die Neubürger wohl als ihmpersönlich ergebene Anhängerschaft gewinnen, um aufdiese Art die Feindschaft der traditionellen Elite, beider er wegen seiner Terrorherrschaft verhasst war, zukompensieren und so seine Machtbasis zu stärken.Zahlreiche Neubürger nahmen den Namen des Kaisers(Aurelius) an, der dadurch außerordentlich häufigwurde.

Verwaltung, Finanzen, Wirtschaft und Militär

Da Caracalla sich durch seinen Terror unzählige Feindeschuf, besonders in der Oberschicht, war er zurErhaltung seiner Macht ganz auf das Heer angewiesen undfür seine persönliche Sicherheit auf seine skythischenund germanischen Leibwächter. Die Unterstützung derSoldaten gewann er, indem er ihren Sold stark erhöhteund sie mit häufigen üppigen Sonderzuwendungen(Donativen) beschenkte. Das Ausmaß der Solderhöhungbetrug 50 Prozent,[36] wobei der schon von SeptimiusSeverus deutlich erhöhte Sold die Berechnungsgrundlagebildete. Nach einer von Cassius Dio mitgeteilten

Schätzung betrug der dafür erforderliche jährlicheMehraufwand 280 Millionen Sesterzen (70 MillionenDenare).[37] Diese Steigerung der militärischenPersonalkosten war jedoch finanzpolitischverhängnisvoll. Die Bevorzugung des Militärs war nurauf Kosten des wirtschaftlich produktiven Teils derBevölkerung und der Geldwertstabilität möglich underzeugte bei den so verwöhnten Soldaten maßloseErwartungen. Spätere Herrscher konnten dieseEntwicklung nicht mehr umkehren, ohne ihren sofortigenSturz zu riskieren. Somit stellte Caracalla die Weichenfür das künftige Soldatenkaisertum.[38] Seine Politiktrug dazu bei, dass später die mit dem modernenSchlagwort „Reichskrise des 3. Jahrhunderts“bezeichneten Entwicklungen eintraten. Unter ihmverstärkten sich problematische Faktoren, welche dieWirtschaft im weiteren Verlauf des 3. Jahrhundertsstark belasteten. Allerdings bestanden schon vor seinemRegierungsantritt gravierende strukturelle Probleme.

Caracalla teilte große Provinzen auf, wohl um einegefährliche Machtzusammenballung in der Hand derProvinzstatthalter zu verhindern. Kein Statthaltersollte mehr als zwei Legionen unter seinem Kommandohaben. Britannien teilte er in die zwei ProvinzenBritannia superior und Britannia inferior.[39]

-488-In Hispanien trennte er von der großen Provinz Hispaniaciterior oder Tarraconensis eine neue Provinz ab, dieer Hispania nova citerior Antoniniana nannte. Siebefand sich im Nordwesten der Halbinsel nördlich desDuero. Ihre Existenz ist nur aus Inschriftenerschlossen und ihre Ausdehnung ist nicht genaubekannt, denn sie wurde bereits spätestens in dendreißiger Jahren des 3. Jahrhunderts wieder mit derTarraconensis vereinigt.

Sesterz Caracallas

Caracalla führte 214/215 eine Münzreform durch, die derFinanzierung des geplanten Partherkriegs dienen sollte.Er schuf eine neue Silbermünze, die später nach seinemoffiziellen Namen Antoninus als Antoninian bezeichnetwurde. Der Antoninian, der im 3. Jahrhundert zurgeläufigsten römischen Münze wurde, entsprach zweiDenaren, sein Gewicht jedoch nur etwa dem vonanderthalb Denaren. Faktisch handelte es sich also umeine Geldverschlechterung. Diese führte zur Hortung desalten Geldes, die aus zahlreichen Schatzfundenersichtlich ist. Außerdem wurde das Gewicht derGoldmünze Aureus um rund 9 Prozent reduziert (von 7,20auf 6,55 g). Schon 212 hatte Caracalla den Silbergehaltdes Denars um rund 8 Prozent verringert (von 1,85 g auf1,70 g), offenbar wegen der Kosten der Solderhöhungennach dem Mord an Geta. Noch drastischer war dieGeldverschlechterung im Osten des Reichs, wo diesyrische Drachme und die Tetradrachme die Hälfte ihresSilbergehalts einbüßten (Verringerung von 2 g Silber imJahr 213 auf 0,94 g im Jahr 217). Dies bewirkte einenmassiven Verlust an Vertrauen in den Geldwert.[40]

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Trotz der Härte, mit der Caracalla gegen jede Kritikvorging, soll die Steuerlast zu einer deutlichenUnmutsbekundung der Menge bei einem Pferderennengeführt haben.[41]

Religion

Caracallas Verhältnis zur Religion war, wie Cassius Dioberichtet, vor allem von seinem Bedürfnis bestimmt, vonden Göttern Heilung von seinen Krankheiten zu erlangen.Zu diesem Zweck soll er allen bedeutenderen GottheitenOpfer und Weihegaben dargebracht und eifrig gebetethaben. Zu den Göttern, von denen er Hilfe erhoffte,gehörten der griechische Heilungsgott Asklepios, derägyptische Sarapis und Apollon, der mit dem keltischenHeilungsgott Grannus identifiziert und als ApolloGrannus verehrt wurde.[42] Wahrscheinlich besuchte derKaiser den Apollo-Grannus-Tempel in Faimingen, dasdamals Phoebiana hieß und zur Provinz Raetia gehörte.[43] Seine besondere Verehrung galt Sarapis, in dessenTempelbezirk er während seines Aufenthalts inAlexandria wohnte.[44] Auf dem römischen Hügel Quirinalließ er einen Sarapis-Tempel errichten, derinschriftlich bezeugt ist, aber bisher nichtlokalisiert werden konnte.[45]

Außenpolitik

Germanenfeldzug

Im Sommer 213 unternahm Caracalla, der in diesem Jahrzum vierten und letzten Mal Konsul war, einen kurzenFeldzug gegen Germanen.[46] Bei diesen handelte es sichlaut byzantinischen Auszügen aus einem verlorenen Teilvon Cassius Dios Geschichtswerk um Alamannen. Dies istdie erste namentliche Bezeugung der Alamannen. DieZuverlässigkeit dieser Angabe, die in der älterenForschung allgemein akzeptiert worden war, ist seit

1984 wiederholt bestritten worden, da der Alamannennameerst ein späterer Zusatz sei und nicht von Dio stamme;sie hat aber auch weiterhin Befürworter und wirdausführlich gegen die Kritik verteidigt.[47] Zunächsterrang der Kaiser einen größeren Sieg am Main,woraufhin er den Siegernamen Germanicus maximus annahm.Die anschließenden Kämpfe scheinen aber für ihn wenigergünstig verlaufen zu sein, denn er sah sich zuZahlungen an germanische Gruppen veranlasst. Insgesamtwar sein Vorgehen aber offenbar erfolgreich, denn dieLage an der Nordgrenze blieb für zwei Jahrzehntestabil.[48]-490-

Expansionspolitik im Osten

Nach der Befriedung der Nordgrenze begab sich Caracallain den Osten des Reichs, von wo er nicht mehrzurückkehren sollte. Zunächst scheint er im Gebiet derStadt Tyras (heute Bilhorod-Dnistrowskyj in derSüdukraine) die Karpen besiegt zu haben,[49] dann zoger nach Kleinasien. Den Winter 214/215 verbrachte er inNikomedeia, von dort brach er im Frühjahr 215 nachAntiocheia auf.[50] Hatte er sich schon früher auch inÄußerlichkeiten in die Nachfolge Alexanders des Großengestellt, so erreichte die Alexander-Nachahmung inseinen letzten Lebensjahren ihren Höhepunkt.[51] Ersoll eine Streitmacht von 16.000 Mann als „makedonischePhalanx“ mit makedonischer Kleidung und Bewaffnungaufgestellt haben.[52] In einem Brief an den Senatbehauptete er, eine Reinkarnation des Makedonenkönigszu sein.[53] Damit deutete er das Programm einerWiederherstellung von Alexanders Weltreich, zumindesteiner ruhmreichen Expansion nach Osten an. Schon vorseinem Aufbruch in den Osten hatte er König Abgar IX.von Osrhoene nach Rom gelockt und dort gefangengesetzt,worauf er das Königreich annektierte. Auch denarsakidischen König von Armenien und dessen Familiehatte er mit List in seine Gewalt gebracht, doch imReich dieses Herrschers stießen die Römer aufhartnäckigen Widerstand. Ein römischer Vorstoß nach

Armenien, dessen Durchführung der Kaiser seinemVertrauten Theokritos übertragen hatte, scheiterte.[54]

Münze Artabanos’ IV.

Die Anknüpfung an das Vorbild Alexanders des Großen undan dessen Weltherrschaftsidee bedeutete Konfrontationmit dem Partherreich, das Caracalla ins Römische Reicheingliedern wollte. Angeblich verfolgte er sein Zielzunächst auf friedlichem Weg oder versuchte zumindestdiesen Anschein zu erwecken:

-491-Er soll dem Partherkönig Artabanos IV. einHeiratsprojekt vorgeschlagen haben. Artabanos sollteihm seine Tochter zur Frau geben und damit den Weg zueiner künftigen Vereinigung der beiden Reiche ebnen.Dieses Projekt fällt ganz aus dem Rahmen dertraditionellen römischen Außenpolitik; römische Kaisergingen nie Heiratsverbindungen mit auswärtigenHerrscherhäusern ein. Die Historizität der von CassiusDio und Herodian mitgeteilten, bei Herodian mitphantastischen Elementen ausgeschmückten Episode ist inder Forschung umstritten; überwiegend wird angenommen,dass die Überlieferung zumindest einen historischenKern hat.[55] Auch dabei spielte das Vorbild Alexanderseine Rolle; der Makedone hatte Stateira, eine Tochterdes Perserkönigs Dareios III. geheiratet. Erst alsArtabanos den phantastisch anmutenden Vorschlagablehnte, begann Caracalla im Frühjahr 216 den Feldzuggegen die Parther.

Begünstigt wurden die Römer durch den Umstand, dass beiden Parthern damals ein Bürgerkrieg zwischen denBrüdern Artabanos IV. und Vologaeses VI. herrschte, inwelchem allerdings Caracallas Gegner Artabanos deutlichdie Oberhand hatte. Die römischen Truppen rückten vonAntiocheia über Edessa kampflos bis nach Arbela (heuteArbil im Nordirak) vor. Dort plünderten sie die Gräberder Könige von Adiabene (nicht der Könige desPartherreichs). Danach zog sich Caracalla nach Edessazurück.[56] Dort verbrachte er den Winter, währendArtabanos den parthischen Gegenangriff vorbereitete,der dann aber erst Caracallas Nachfolger Macrinus mitvoller Wucht traf. Cassius Dio behauptet, die Disziplindes römischen Heeres sei wegen Caracallas Verwöhnungder Soldaten mangelhaft gewesen.[57]

-492-Tod und Nachfolge

Bevor es zu Kämpfen mit den Parthern kam, fandCaracallas Herrschaft ein gewaltsames Ende. Diedetaillierte Schilderung der Vorgeschichte und derUmstände seines Todes bei Cassius Dio gilt in derForschung als glaubwürdig, sie wird im Wesentlichen inmodernen Darstellungen übernommen.[58]

Denar des Macrinus

Zu den Personen nichtsenatorischer Herkunft, dieCaracalla in Schlüsselstellungen gebracht hatte,gehörte der militärisch unerfahrene PrätorianerpräfektMacrinus. Wie Cassius Dio mitteilt, befand sichMacrinus im Frühjahr 217 in einer akuten Notlage:Prophezeiungen hatten ihm die Kaiserwürde verheißen,und dies war Caracalla zu Ohren gekommen; außerdem warein schriftlicher Bericht an den Kaiser unterwegs, undMacrinus war vor der ihm infolgedessen drohendenLebensgefahr gewarnt worden.[59] Das war wohl eineIntrige, doch hatte der Präfekt jedenfalls Anlass,darin eine tödliche Bedrohung zu sehen. Daherorganisierte er mit einigen Unzufriedenen die ErmordungCaracallas.[60] An dem Anschlag waren drei Männerbeteiligt: der evocatus Julius Martialis, der denKaiser wegen einer persönlichen Zurücksetzung hasste,und zwei Prätorianertribunen. Martialis führte dasAttentat am 8. April 217 aus, als der Kaiser sich aufdem Weg von Edessa nach Carrhae befand, wo er einberühmtes Heiligtum des Mondgottes Sin aufsuchenwollte.[61]

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Als Caracalla unterwegs vom Pferd stieg, um seineNotdurft zu verrichten, näherte sich ihm Martialis,scheinbar um ihm etwas zu sagen, und versetzte ihmeinen Dolchstoß. Ein skythischer Leibwächter Caracallastötete darauf den flüchtenden Attentäter mit seinerLanze. Die beiden Prätorianertribunen eilten zumKaiser, als wollten sie ihm helfen, und vollendeten dieMordtat.[62] Mit Caracalla starb die männlicheNachkommenschaft des Dynastiegründers Septimius Severusaus.

Erst nach tagelangem Zögern ließen sich die Soldatenüberreden, Macrinus am 11. April zum Kaiser auszurufen.Caracalla wurde in Rom im Mausoleum Hadriani beigesetzt.

Aussehen und Ikonographie

Nach Herodians Angaben war Caracalla von kleinerStatur, aber robust. Er bevorzugte germanische Kleidungund trug eine blonde, nach germanischer Art frisiertePerücke.[63] Cassius Dio erwähnt, dass der Kaiser gerneinen wilden Gesichtsausdruck annahm.[64]

Eine Vorstellung von seinem Aussehen und vor allem vondem Eindruck, den er erwecken wollte, vermittelninsbesondere die zahlreichen erhaltenen Plastiken. Auchdie Münzbildnisse sind aussagekräftig. Darstellungendes jungen Caracalla sind kaum von denen Getas zuunterscheiden. Zahlreiche Porträts aus der Zeit seinerAlleinherrschaft zeigen den Kaiser mitzusammengezogenen Stirnmuskeln und Augenbrauen; mit dergrimmigen Miene sollte seine Willensstärke undGewaltbereitschaft demonstriert werden. Offenbar zieltediese Selbstdarstellung auf Einschüchterung.[65]Zugleich sollten damit die soldatischen Qualitäten desKaisers betont werden.[66]

Heinz Bernhard Wiggers hat bei der Rundplastik fünfHaupttypen unterschieden, die bei ihm meist nach den

Fundorten der typbestimmenden Leitstücke benannt sind.Die spätere Forschung ist ihm hinsichtlich dieserGruppierung gefolgt, benennt und datiert aber zum Teilanders. Die Typen sind:[67]

„Typus Argentarierbogen“, auch „ersterThronfolgertypus“ genannt (Zeitraum ca. 197–204):Caracalla wird teils als Kind, teils schon alsJugendlicher dargestellt. Er hat fülliges, lockigesHaar und noch keinen Bartwuchs. Der Typus ist sehrhäufig. Die Stirnfrisur erinnert mitunter anKnabenbildnisse Marc Aurels, dessen fiktiverAdoptivenkel Caracalla war.

-494-„Typus Gabii“, auch „zweiter Thronfolgertypus“ oder„Consulatstypus“ genannt (Zeitraum ca. 205–211):Caracalla wird als junger Mann mit unterschiedlichfortgeschrittenem Bartwuchs dargestellt. Neu sind eindreieckförmiger Stirnwulst mit Spitze nach unten undzwei waagrechte Stirnfalten.

„Typus Vestalinnenhaus“: Dieser Typus war anscheinendwenig verbreitet. Der Stirnwulst ist flach, diehorizontalen Stirnfalten sind lang; hinzu kommen zweivon der Nasenwurzel ausgehende Steilfalten. Wiggersdatiert den Typus um 210, Klaus Fittschen setzt seineEntstehung in die Zeit der Alleinherrschaft Caracallas.[68]

Erster Thronfolgertypus

„Erster Alleinherrschertypus“ (Fittschen) oder „TypusAlleinherrscher“ (Wiggers): Dieser wohl im Jahr 212geschaffene Typus ist sehr häufig, er ist dercharakteristische Bildnistyp der Alleinherrscherzeitund wurde in der Frühen Neuzeit oft nachgeahmt. DasHaar ist in Lockenreihen angeordnet. DerGesichtsausdruck ist angespannt. Zu den horizontalenund vertikalen Stirnfalten kommen zwei Diagonalfaltenhinzu, die den Stirnwulst seitlich abgrenzen.Gerunzelte, zusammengezogene Brauen verstärken denfinsteren Eindruck, den die faltige Stirn erzeugt. Neuist eine Quetschfalte bei der Nasenwurzel. EineVariante mit gebogener Nase kommt nur bei Funden ausdem Osten vor; vermutlich handelt es sich dabei umeinen realistischen Aspekt, den die stadtrömischenBildhauer aus ästhetischem Grund wegließen.[69]

„Zweiter Alleinherrschertypus“ (Fittschen) oder „TypusTivoli“ (Wiggers): Die Gesichtszüge sind deutlichentspannter als beim ersten Alleinherrschertypus.Wiggers datierte diesen Typus um 211–214, Fittschen –dessen Auffassung sich durchsetzt – hat seineEntstehung ins Jahr 215 gesetzt.[70]

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Zweiter Alleinherrschertypus („Typus Tivoli“)

Auf Münzen sind mehr Porträttypen unterscheidbar, wasan der besseren Fundlage der Münzen gegenüber derPlastik liegen dürfte.[71] Der erste Typ zeigtCaracalla als kindlichen Caesar ohne Lorbeerkranz. Esfolgen sechs durch den zunehmenden Bartwuchsunterscheidbare Typen aus der Zeit zwischen 197 und derErmordung Getas Ende 211. Die Münzbildnisse solltenwohl nach dem Willen des Vaters die Ähnlichkeit derbeiden Brüder betonen und sie damit alsgleichberechtigte künftige Nachfolger präsentieren.Nach Getas Tod folgt zunächst der durch dramatischeStirnfalten charakterisierte achte Porträttyp undschließlich in den letzten Regierungsjahren der neunteund letzte Typ mit entspannteren Gesichtszügen. Diesebeiden Typen entsprechen dem ersten bzw. zweitenAlleinherrschertypus der Plastik.

-496-Rezeption

Zeitgenössische Urteile und Darstellung in denHauptquellen

Caracallas Ansehen bei den Soldaten beruhte nicht nurauf seiner finanziellen Großzügigkeit, sondern auch aufseiner Nähe zu ihrer Lebensweise: Auf den Feldzügennahm er freiwillig die gleichen Strapazen auf sich wieein einfacher Soldat. Seine körperliche Ausdauer

verschaffte ihm Respekt.[72] Noch lange nach seinem Todhielt seine Beliebtheit im Heer an. Vielleicht schonwährend der kurzen Herrschaft des Macrinus setzten dieSoldaten durch, dass der Senat ihn widerwillig imRahmen des Kaiserkults zum Gott erhob. Spätestens abdem ersten Regierungsjahr von Macrinus’ NachfolgerElagabal wurde er als divus Magnus Antoninus verehrt.[73] Elagabal verdankte seinen Aufstieg zur Macht demUmstand, dass er als unehelicher Sohn Caracallasausgegeben wurde, was ihm die Sympathie der Soldatenverschaffte; in Wirklichkeit war er nur sehr entferntmit dem ermordeten Kaiser verwandt. Auch ElagabalsNachfolger Severus Alexander trat als unehelicher SohnCaracallas auf, um sich bei den Soldaten beliebt zumachen.

Die Nachrichten über Caracallas Ansehen in derhauptstädtischen Bevölkerung sind widersprüchlich. ImSenat war er verhasst, daher wurde sein Tod dortbejubelt. Da er sich auf die senatorischen Familiennicht verlassen konnte, stützte er sich auf Aufsteigerritterlicher Herkunft. Deren Bevorzugung steigerte dieErbitterung der zurückgesetzten Senatoren.[74]

Die extrem caracallafeindliche Stimmung in dersenatorischen Führungsschicht spiegelt sich in denHauptquellen, den Darstellungen der zeitgenössischenGeschichtsschreiber Cassius Dio und Herodian, sowie inder weit später entstandenen und als Quelle wenigerwertvollen Historia Augusta. Cassius Dio hieltCaracalla für geistesgestört.[75] Er legte fast alles,was der Kaiser tat, zu dessen Ungunsten aus. SeineRömische Geschichte, die aus der Perspektive dersenatorischen Opposition geschrieben ist, gilt trotzdieser sehr parteiischen Haltung als die beste Quelleund als relativ zuverlässig. Allerdings ist derCaracallas Zeit behandelnde Teil dieses Werks nurfragmentarisch überliefert; er ist hauptsächlich inAuszügen erhalten, die den Text in stark verkürzterForm und teilweise paraphrasierend wiedergeben.

-497-Herodians Geschichte des Kaisertums nach Mark Aurel istim Original erhalten. Er hat wahrscheinlich Dios Werkbenutzt, doch ist das Verhältnis der beiden Quellenunklar und umstritten. Der Quellenwert von HerodiansDarstellung wird wesentlich niedriger veranschlagt alsder von Dios Römischer Geschichte.[76] Die spätantikeHistoria Augusta hängt teilweise von den beiden älterenWerken ab, doch muss ihr Verfasser auch Zugang zuMaterial aus mindestens einer weiteren, heuteverlorenen Quelle gehabt haben.[77]

Außerhalb des Kreises seiner Anhänger wurde der Kaisermit Spitznamen benannt. Wohl erst in der Zeit seinerAlleinherrschaft nannte man ihn nach seinemKapuzenmantel Caracalla. Dabei handelte es sich um einevom Kaiser persönlich entworfene modifizierteLuxusausführung eines keltischen Kleidungsstücks.[78]Ein weiterer Spitzname, den Cassius Dio überliefert,war Tarautas; unter diesem Namen war einkleinwüchsiger, hässlicher und brutaler Gladiatorbekannt, der offenbar ähnlich wie der Kaiser aussah,zumindest nach der Ansicht von dessen Gegnern.[79]

Antike Caracalla-Legenden

Schon zu Caracallas Lebzeiten kursierten anscheinendGerüchte über eine sexuelle Beziehung zwischen ihm undseiner Mutter Julia Domna nach dem Tod seines Vaters.Dies war eine Verleumdung, die sich im Lauf der Zeit zueiner Legende auswuchs. Der Chronograph von 354 teiltsie wie eine Tatsache mit.[80] In Wirklichkeit war dasVerhältnis zwischen Mutter und Sohn nach dem Mord anGeta schlecht, obwohl Julia Domna offiziell geehrtwurde. Inzest war ein Topos der Tyrannendarstellung undwurde schon Nero unterstellt.[81]

Quellen des 4. Jahrhunderts und der Folgezeit, darunterdie Historia Augusta, Aurelius Victor, Eutropius und

die Epitome de Caesaribus, machen aus Julia Domna dieStiefmutter Caracallas und behaupten, er habe siegeheiratet. Diese phantastische Darstellung findet sichauch bei christlichen Autoren der patristischen Zeit(Orosius, Hieronymus) und prägte im Mittelalter dasBild Caracallas als eines hemmungslosen Unholds. Dertatsächlich verübte Brudermord an Geta hingegen gerietin Vergessenheit.[82]

-498-Mittelalter

Eine mittelalterliche Caracalla-Legende überliefertGeoffrey von Monmouth, der im 12. Jahrhundert dasGeschichtswerk De gestis Britonum verfasste, das späterunter dem Titel Historia regum Britanniae bekannt wurdeund eine sehr starke Nachwirkung erzielte. NachGeoffreys Darstellung waren Geta und Caracalla, den erBassianus nennt, nur Halbbrüder; Geta stammte von einerrömischen Mutter, Caracalla von einer britischen.Caracalla wurde von den Briten, da er mütterlicherseitszu ihnen gehörte, zum König gewählt, Geta von denRömern. Es kam zur Schlacht, in der Caracalla siegteund Geta fiel. Später wurde Caracalla von Carausiusbesiegt und getötet.[83] In dieser Darstellungvermischte Geoffrey verschiedene Epochen, denn inWirklichkeit war Carausius ein römischer Befehlshaber,der sich 286 zum Kaiser ausrufen ließ und einkurzlebiges Sonderreich in Britannien und nördlichenKüstengebieten Galliens begründete.

Frühe Neuzeit

Septimius Severus klagt Caracalla des Attentatsversuchs an. Ölgemäldevon Jean-Baptiste Greuze im Louvre, 1762

Um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert verfasste einunbekannter englischer Dichter das lateinischeUniversitätsdrama Antoninus Bassianus Caracalla injambischen Senaren.[84] Er thematisierte neben demBrudermord insbesondere die angebliche Ehe Caracallasmit Julia Domna, wobei er Julia nicht als Stiefmutter,sondern als leibliche Mutter Caracallas darstellte. Erschilderte also die Verbindung als wirklichen Inzest.

-499-Im Jahr 1762 fertigte der französische Maler Jean-Baptiste Greuze ein Ölgemälde an, das Septimius Severusund Caracalla in Britannien zeigt. Der Kaiser wirftseinem Sohn vor, er habe versucht ihn zu ermorden. DieSzene fußt auf einer von Cassius Dio mitgeteiltenlegendenhaften Überlieferung, der zufolge Caracallanach einem Attentatsversuch auf seinen Vater zur Redegestellt, aber nicht bestraft wurde.[85]

Moderne

Die Einschätzungen der modernen Historiker orientierensich generell – trotz Kritik an Einzelheiten derÜberlieferung – weitgehend am Caracallabild der antikenGeschichtsschreibung. In der älteren Forschung pflegte

man in Caracalla einen typischen Repräsentanten einerVerfallszeit zu sehen. Cassius Dios nicht überprüfbareBehauptung, der Kaiser sei geisteskrank gewesen, wirktbis in die Gegenwart nach. Das früher populäreSchlagwort Cäsarenwahnsinn wird aber in derFachliteratur vermieden, da es unwissenschaftlich istund zur Erhellung der historischen Realität nichtsbeiträgt.

Zwei führende Kunsthistoriker des 19. Jahrhunderts,Anton Springer und Jacob Burckhardt, meinten ausCaracallas Porträt einen zutiefst verbrecherischenCharakter herauslesen zu können.[86]

Für Theodor Mommsen war Caracalla „ein geringfügiger,nichtswürdiger Mensch, der sich ebenso lächerlich wieverächtlich machte“; zum Partherkrieg habe ihn seine„wahnsinnige Ruhmsucht“ veranlasst und dabei sei er„glücklicherweise“ ums Leben gekommen.[87] ErnstKornemann schrieb, er sei „voll Größenwahnsinn“gewesen; im Heer und im Staate habe überall „dergemeine, unwissende Haufe“ geherrscht.[88] Alfred Heußmeinte, Caracalla sei zu „sachlichen Leistungen“unfähig gewesen, „ein roher, hemmungsloser undmoralisch minderwertiger Mensch, der schon vor derThronbesteigung stark verbrecherische Neigungenverriet“; zum Partherkrieg sei er von seiner„kindischen Phantasie“ veranlasst worden.[89] Ähnlichist das Urteil von Karl Christ ausgefallen: Caracallahabe seine „Grausamkeit, Hinterlist und innereLabilität“ nicht verborgen, habe an einerNervenkrankheit gelitten und „in jeder Beziehung extremund überreizt“ reagiert. Er sei „brutal, vonunheimlicher Willenskraft“ gewesen; in denüberlieferten Anekdoten habe sich „wohl die historischeWahrheit verdichtet“.

-500-Mit seiner Selbstdarstellung habe er vor allem Furchterregen wollen. Die Constitutio Antoniniana erscheinezwar aus dem Rückblick als bedeutende Maßnahme, habe

aber politisch an den bereits vorhandenen Strukturenkaum etwas geändert.[90] Géza Alföldy war der Ansicht,das Urteil Cassius Dios sei „im Grunde genommenrichtig“, eine „Ehrenrettung“ Caracallas entbehre jederGrundlage.[91]

Caracalla and Geta, Ölgemälde von Lawrence Alma-Tadema (1907). Getasteht vorn zwischen den Frauen, Caracalla hinter dem sitzenden

Kaiserpaar.

In der neueren Forschung wird allerdings auch betont,dass die zeitgenössischen erzählenden Quellen vonleidenschaftlichen Gegnern des Kaisers stammen und dieHaltung der oppositionellen Senatskreise spiegeln unddass bei den Schilderungen seiner Missetaten, seinerabstoßenden Charakterzüge und seiner Unbeliebtheit mitÜbertreibungen zu rechnen ist. Es wird daraufhingewiesen, dass Caracalla bei großen Teilen derReichsbevölkerung möglicherweise weniger verhasst warals bei der hauptstädtischen Oberschicht. Unstrittigist, dass er bei den Soldaten sogar lange über seinenTod hinaus in höchstem Ansehen stand.[92] Anthony R.Birley meint, man müsse zwar die VoreingenommenheitCassius Dios in Rechnung stellen, doch lasse sich wenigzur Entlastung Caracallas vorbringen.[93]

1907 vollendete Lawrence Alma-Tadema nach fastzweijähriger Arbeit das Ölgemälde „Caracalla and Geta“.

Es zeigt die kaiserliche Familie – Caracalla mit seinemBruder und seinen Eltern – im Kolosseum.

-501-Quellenausgaben und KommentareHerbert Baldwin Foster, Earnest Cary (Hrsg.): Dio’s Roman History,Band 9, Harvard University Press, Cambridge (Massachusetts) 1961(Nachdruck der kritischen Ausgabe von 1927)Peter Alois Kuhlmann (Hrsg.): Die Gießener literarischen Papyri unddie Caracalla-Erlasse. Edition, Übersetzung und Kommentar (= Berichteund Arbeiten aus der Universitätsbibliothek und demUniversitätsarchiv Gießen, Bd. 46). Universitätsbibliothek Gießen,Gießen 1994, S. 215–255 (enthält: Constitutio Antoniniana; DerAmnestie-Erlass; Die Vertreibung der Ägypter aus Alexandria.Digitalisat)Carlo M. Lucarini (Hrsg.): Herodianus: Regnum post Marcum. Saur,München 2005, ISBN 3-598-71282-0 (kritische Ausgabe)Michael Louis Meckler (Hrsg.): Caracalla and his late-antiquebiographer: a historical commentary on the Vita Caracalli in theHistoria Augusta. Dissertation, University of Michigan, Ann Arbor1994 (Einleitung, kritische Ausgabe, englische Übersetzung undKommentar)

LiteraturAllgemeinesCaracalla: Kaiser Feldherr Tyrann. Hrsg. vom ArchäologischenLandesmuseum Baden-Württemberg. Philipp von Zabern, Mainz 2013, ISBN978-3-8053-4611-5David S. Potter: The Roman Empire at Bay, AD 180–395. London und NewYork 2004, ISBN 0-415-10057-7, S. 110–124, 133–151Gerhard Wirth: Caracalla in Franken. Zur Verwirklichung einerpolitischen Ideologie. In: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung34/35, 1975, S. 37–74 (enthält auch eine allgemeine Untersuchung vonCaracallas Herrschaft)IkonographieKlaus Fittschen, Paul Zanker: Katalog der römischen Porträts in denCapitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen derStadt Rom. Band 1, 2., überarbeitete Auflage, Philipp von Zabern,Mainz 1994, ISBN 3-8053-0596-6, Textband S. 98–100, 102–112,Tafelband Tafeln 105–116 (Nr. 86, 88–94)Heinz Bernhard Wiggers, Max Wegner: Caracalla, Geta, Plautilla.Macrinus bis Balbinus (= Max Wegner (Hrsg.): Das römischeHerrscherbild, Abteilung 3 Band 1). Gebrüder Mann, Berlin 1971, ISBN3-7861-2147-8, S. 9–92Hilfsmittel

Attilio Mastino: Le titolature di Caracalla e Geta attraverso leiscrizioni (indici). Editrice Clueb, Bologna 1981 (Zusammenstellungder inschriftlichen Belege für die Titulatur)Weblinks Commons: Caracalla – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienMichael L. Meckler: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Literatur von und über Caracalla im Katalog der DeutschenNationalbibliothekEnglische Übersetzung der Lebensbeschreibung in der Historia Augustabei LacusCurtiusAnmerkungen1↑ Es ist vermutet worden, dass versehentlich nicht Getas, sondernCaracallas Porträt gelöscht wurde; siehe Heinz Bernhard Wiggers:Caracalla, Geta, Plautilla. In: Max Wegner (Hrsg.): Das römischeHerrscherbild, Abteilung 3 Band 1, Berlin 1971, S. 9–129, hier: 48.Diese Hypothese hat sich aber nicht durchgesetzt; siehe FlorianKrüpe: Die Damnatio memoriae, Gutenberg 2011, S. 237.-504-2↑ Zum Datum siehe Géza Alföldy: Nox dea fit lux! CaracallasGeburtstag. In: Giorgio Bonamente, Marc Mayer (Hrsg.): HistoriaeAugustae Colloquium Barcinonense, Bari 1996, S. 9–36, hier: 31–36.

-502-3↑ Cassius Dio 79 (78),9,3. Bei der Angabe mancher Bücher von CassiusDios Werk sind unterschiedliche Zählungen gebräuchlich; eineabweichende Buchzählung ist hier und im Folgenden jeweils in Klammernangegeben.4↑ Michael Louis Meckler: Caracalla and his late-antique biographer,Ann Arbor 1994, S. 4f.5↑ Historia Augusta, Caracalla 1,3–2,1.6↑ Helga Gesche: Die Divinisierung der römischen Kaiser in ihrerFunktion als Herrschaftslegitimation. In: Chiron 8, 1978, S. 377–390,hier: 387f.; Michael Louis Meckler: Caracalla and his late-antiquebiographer, Ann Arbor 1994, S. 9 und Anm. 34; Anne Daguet-Gagey:Septime Sévère, Paris 2000, S. 255f.; Drora Baharal: Victory ofPropaganda, Oxford 1996, S. 20–42.7↑ Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae, Gutenberg 2011, S. 182f. undAnm. 48.8↑ Für Frühjahr 196 plädiert Matthäus Heil: Clodius Albinus und derBürgerkrieg von 197. In: Hans-Ulrich Wiemer (Hrsg.): Staatlichkeitund politisches Handeln in der römischen Kaiserzeit, Berlin 2006, S.55–85, hier: 75–78. Anderer Meinung ist u. a. Helmut Halfmann:Itinera principum, Stuttgart 1986, S. 220; er tritt für Mitte 195ein.9↑ Michael Meckler: Caracalla the Intellectual. In: Enrico dalCovolo, Giancarlo Rinaldi (Hrsg.): Gli imperatori Severi, Rom 1999,S. 39–46, hier: 44f.10↑ Für eine Datierung vor Ende 197 plädiert Zeev Rubin: Dio,Herodian, and Severus’ Second Parthian War. In: Chiron 5, 1975, S.

419–441, hier: 432–435. Michael Louis Meckler: Caracalla and hislate-antique biographer, Ann Arbor 1994, S. 10 tritt für dieDatierung 28. Januar 198 ein.11↑ Cassius Dio 77 (76),3–6. Siehe zu diesen Vorgängen Anthony R.Birley: The African Emperor. Septimius Severus, 2., erweiterteAuflage, London 1988, S. 137, 143f., 161f.; Barbara Levick: JuliaDomna, London 2007, S. 74–81.12↑ Abbildung bei Barbara Levick: Julia Domna, London 2007, S. 81.Vgl. Daría Saavedra-Guerrero: El poder, el miedo y la ficción en larelación del emperador Caracalla y su madre Julia Domna. In: Latomus66, 2007, S. 120–131, hier: 122f.13↑ Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae, Gutenberg 2011, S. 183 undAnm. 52.14↑ Zur Datierung siehe Anthony R. Birley: The African Emperor.Septimius Severus, 2., erweiterte Auflage, London 1988, S. 274;Michael Louis Meckler: Caracalla and his late-antique biographer, AnnArbor 1994, S. 13 Anm. 58.15↑ Herodian 3,15,2 mit Angabe der Einzelheiten; Cassius Diobeschränkt sich auf einen allgemeinen Hinweis, siehe Cassius Dio 77(76),15,2 (vgl. 77 (76),14,1–7).16↑ Herodian 4,3,5–9.17↑ Julia Sünskes Thompson: Aufstände und Protestaktionen im ImperiumRomanum, Bonn 1990, S. 62f.; Géza Alföldy: Die Krise des RömischenReiches, Stuttgart 1989, S. 190–192.18↑ Die Haltung der Truppen untersuchen Jenö Fitz: Das Verhalten derArmee in der Kontroverse zwischen Caracalla und Geta. In: DorotheaHaupt, Heinz Günter Horn (Hrsg.): Studien zu den Militärgrenzen Roms,Bd. 2, Bonn 1977, S. 545–552, und Markus Handy: Die Severer und dasHeer, Berlin 2009, S. 105–110.19↑ Zur Datierung siehe Anthony R. Birley: Septimius Severus. TheAfrican Emperor, 2., erweiterte Auflage, London 1988, S. 189; HelmutHalfmann: Zwei syrische Verwandte des severischen Kaiserhauses. In:Chiron 12, 1982, S. 217–235, hier: 229f.; Géza Alföldy: Die Krise desRömischen Reiches, Stuttgart 1989, S. 179; Michael Louis Meckler:Caracalla and his late-antique biographer, Ann Arbor 1994, S. 15,109–112; Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae, Gutenberg 2011, S. 13,195–19720↑ Cassius Dio 78 (77),2,2–4. Vgl. Géza Alföldy: Die Krise desRömischen Reiches, Stuttgart 1989, S. 193–195.21↑ Cassius Dio 78 (77),23,3.

-503-22↑ Zur außergewöhnlichen Konsequenz bei der Durchführung sieheFlorian Krüpe: Die Damnatio memoriae. Über die Vernichtung vonErinnerung. Eine Fallstudie zu Publius Septimius Geta (198–211 n.Chr.), Gutenberg 2011, S. 14–16.23↑ Siehe zu der Rede Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae, Gutenberg2011, S. 188f.; zur Amnestie David S. Potter: The Roman Empire atBay, AD 180–395, London 2004, S. 136.

24↑ Cassius Dio 78 (77),3,1–2; Herodian 4,4,7–5,1. Vgl. MichaelAlexander Speidel: Heer und Herrschaft im Römischen Reich der hohenKaiserzeit, Stuttgart 2009, S. 415; Robert Develin: The Army PayRises under Severus and Caracalla and the Question of Annonamilitaris. In: Latomus 30, 1971, S. 687–695, hier: S. 687 und Anm. 6.25↑ Historia Augusta, Caracalla 2,6–8 und Geta 6,1–2. Vgl. MichaelLouis Meckler: Caracalla and his late-antique biographer, Ann Arbor1994, S. 115–117; Markus Handy: Die Severer und das Heer, Berlin2009, S. 105f. und Anm. 38; Julia Sünskes Thompson: Aufstände undProtestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 32, 64; David S.Potter: The Roman Empire at Bay, AD 180–395, London 2004, S. 135f.26↑ Cassius Dio 78 (77),4,1.27↑ Cassius Dio 78 (77),4,1–2.28↑ Cassius Dio 78 (77),17,1–2; vgl. Julia Sünskes Thompson:Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 65f.29↑ Karlheinz Dietz: Caracalla, Fabius Cilo und die Urbaniciani. In:Chiron 13, 1983, S. 381–404, hier: 397–403; Julia Sünskes Thompson:Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S.32f., 64f., 113f.; Frank Kolb: Literarische Beziehungen zwischenCassius Dio, Herodian und der Historia Augusta, Bonn 1972, S. 94–97.30↑ Cassius Dio 78 (77),22–23. Siehe dazu Julia Sünskes Thompson:Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S.34f., 159–166; Drora Baharal: Caracalla and Alexander the Great: aReappraisal. In: Carl Deroux (Hrsg.): Studies in Latin Literature andRoman History, Bd. 7, Bruxelles 1994, S. 524–567, hier: 529. Vgl.Frank Kolb: Literarische Beziehungen zwischen Cassius Dio, Herodianund der Historia Augusta, Bonn 1972, S. 97–111; Agnès Bérenger-Badel:Caracalla et le massacre des Alexandrins: entre histoire et légendenoire. In: David El Kenz (Hrsg.): Le massacre, objet d’histoire,Paris 2005, S. 121–139.31↑ Herodian 4,6,4–5. Vgl. Julia Sünskes Thompson: Aufstände undProtestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 33, 115.32↑ Siehe zu diesem Bau Nele Schröder: Ein severisches Großprojekt:Die Ausstattung der Caracalla-Thermen in Rom. In: Stephan Faust,Florian Leitmeir (Hrsg.): Repräsentationsformen in severischer Zeit,Berlin 2011, S. 179–192.33↑ Eine umfassende Untersuchung bietet Hartmut Wolff: DieConstitutio Antoniniana und Papyrus Gissensis 40 I, 2 Bände, Köln1976; zur Frage der privatrechtlichen Konsequenzen derBürgerrechtsverleihung siehe Bd. 1 S. 80–109.34↑ Hartmut Wolff: Die Constitutio Antoniniana und Papyrus Gissensis40 I, Bd. 1, Köln 1976, S. 278–281.35↑ Peter Alois Kuhlmann (Hrsg.): Die Gießener literarischen Papyriund die Caracalla-Erlasse. Edition, Übersetzung und Kommentar, Gießen1994, S. 222f. (griechischer Text und Übersetzung), 225f.(Kommentar).36↑ Herodian 4,4,7.37↑ Cassius Dio 79 (78),36,3. Siehe zur Solderhöhung Robert Develin:The Army Pay Rises under Severus and Caracalla and the Question ofAnnona militaris. In: Latomus 30, 1971, S. 687–695, hier: 687–692;

Michael Alexander Speidel: Heer und Herrschaft im Römischen Reich derhohen Kaiserzeit, Stuttgart 2009, S. 350, 415.

-504-38↑ Julia Sünskes Thompson: Aufstände und Protestaktionen im ImperiumRomanum, Bonn 1990, S. 60f.; Michael Alexander Speidel: Heer undHerrschaft im Römischen Reich der hohen Kaiserzeit, Stuttgart 2009,S. 415, 436f.39↑ Anthony R. Birley: The African Emperor. Septimius Severus, 2.,erweiterte Auflage, London 1988, S. 190f.40↑ David R. Walker: The Metrology of the Roman Silver Coinage, Teil3, Oxford 1978, S. 62–64, 100, 130–132; Michael Louis Meckler:Caracalla and his late-antique biographer, Ann Arbor 1994, S. 27.41↑ Cassius Dio 78 (77),10,3. Siehe dazu Julia Sünskes Thompson:Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 33,114f.42↑ Cassius Dio 78 (77),15,3–7.43↑ Gerhard Weber: Zur Verehrung des Apollo Grannus in Faimingen, zuPhoebiana und Caracalla. In: Johannes Eingartner, Pia Eschbaumer,Gerhard Weber: Faimingen-Phoebiana, Band 1: Der römische Tempelbezirkin Faimingen-Phoebiana, Mainz 1993, S. 122–136, hier: S. 133 und Anm.609.44↑ Cassius Dio 78 (77),23,2.45↑ Lawrence Richardson, Jr.: A New Topographical Dictionary ofAncient Rome, Baltimore 1992, S. 361.46↑ Zur Chronologie und zum Verlauf des Feldzugs siehe AndreasHensen: Zu Caracallas Germanica Expeditio. Archäologisch-topographische Untersuchungen. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg19/1, 1994, S. 219–254.47↑ Für die Glaubwürdigkeit plädiert Bruno Bleckmann: Die Alamannenim 3. Jahrhundert: Althistorische Bemerkungen zur Ersterwähnung undzur Ethnogenese. In: Museum Helveticum 59, 2002, S. 145–171, hier:147–153, 170. Seiner Auffassung folgen John F. Drinkwater: TheAlamanni and Rome 213–496 (Caracalla to Clovis), Oxford 2007, S.43f., und Markus Handy: Die Severer und das Heer, Berlin 2009, S. 82–87. Gegenteiliger Meinung sind u. a. Dieter Geuenich: Geschichte derAlemannen, 2., überarbeitete Auflage, Stuttgart 2005, S. 18f., undHelmut Castritius: Von politischer Vielfalt zur Einheit. Zu denEthnogenesen der Alemannen. In: Herwig Wolfram, Walter Pohl: Typender Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern, Teil 1,Wien 1990, S. 71–84, hier: 73–75. Die Hypothese, der zufolge derAlamannenname nicht in Cassius Dios Originaltext stand, war schon1984 von Matthias Springer und Lawrence Okamura vorgetragen worden,die unabhängig voneinander zu diesem Ergebnis kamen. EineZusammenstellung der Quellen zu den frühen Alamannen (mitÜbersetzung) bieten Camilla Dirlmeier, Gunther Gottlieb (Hrsg.):Quellen zur Geschichte der Alamannen von Cassius Dio bis AmmianusMarcellinus, Sigmaringen 1976, S. 9–12. Vgl. Michael Louis Meckler:Caracalla and his late-antique biographer, Ann Arbor 1994, S. 141f.

48↑ Mit einem deutlichen römischen Erfolg rechnet daher u.a. PeterKneißl: Die Siegestitulatur der römischen Kaiser, Göttingen 1969, S.160f. Ähnlich urteilt Gerhard Wirth: Caracalla in Franken. ZurVerwirklichung einer politischen Ideologie. In: Jahrbuch fürFränkische Landesforschung 34/35, 1975, S. 37–74, hier: 66, 68f.49↑ Michael Louis Meckler: Caracalla and his late-antique biographer,Ann Arbor 1994, S. 146; Boris Gerov: Die Invasion der Carpen im Jahre214. In: Acta of the Fifth International Congress of Greek and LatinEpigraphy, Cambridge 1967, Oxford 1971, S. 431–436. Vgl. aber MarkusHandy: Die Severer und das Heer, Berlin 2009, S. 88.50↑ Zur Route siehe Helmut Halfmann: Itinera principum, Stuttgart1986, S. 227–229.

-505-51↑ Zu dem gesamten Phänomen siehe Angela Kühnen: Die imitatioAlexandri in der römischen Politik, Münster 2008, S. 176–186, 192;anderer Meinung ist hinsichtlich der politischen Absicht CaracallasDrora Baharal: Caracalla and Alexander the Great: a Reappraisal. In:Carl Deroux (Hrsg.): Studies in Latin Literature and Roman History,Bd. 7, Bruxelles 1994, S. 524–567. Vgl. Kostas Buraselis: ΘΕΙΑ ΔΩΡΕΑ,Wien 2007, S. 29–36.52↑ Siehe dazu Drora Baharal: Caracalla and Alexander the Great: aReappraisal. In: Carl Deroux (Hrsg.): Studies in Latin Literature andRoman History, Bd. 7, Bruxelles 1994, S. 524–567, hier: 529f.53↑ Cassius Dio 78 (77),7,2. Zur Authentizität des Briefs siehe DroraBaharal: Caracalla and Alexander the Great: a Reappraisal. In: CarlDeroux (Hrsg.): Studies in Latin Literature and Roman History, Bd. 7,Bruxelles 1994, S. 524–567, hier: S. 530 und Anm. 9.54↑ Zu diesen Ereignissen und ihrer Chronologie siehe André Maricq:Classica et Orientalia, Paris 1965, S. 27–32.55↑ Cassius Dio 79 (78),1,1; Herodian 4,10–11. Mit einem historischenKern rechnen u.a. Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit,6. Auflage, München 2009, S. 623f., Karl-Heinz Ziegler: DieBeziehungen zwischen Rom und dem Partherreich, Wiesbaden 1964, S.133, Gerhard Wirth: Caracalla in Franken. Zur Verwirklichung einerpolitischen Ideologie. In: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung34/35, 1975, S. 37–74, hier: 55–58 und Michael Louis Meckler:Caracalla and his late-antique biographer, Ann Arbor 1994, S. 30f.Anderer Meinung ist Dieter Timpe: Ein Heiratsplan Kaiser Caracallas.In: Hermes 95, 1967, S. 470–495. Gegen Timpes Argumentation wendetsich Joseph Vogt: Zu Pausanias und Caracalla. In: Historia 18, 1969,S. 299–308, hier: 303–308.56↑ Zum Verlauf des Feldzugs siehe Erich Kettenhofen: Caracalla. In:Encyclopædia Iranica, Bd. 4, London 1990, S. 790–792, hier: 791(online).

57↑ Cassius Dio 79 (78),3,4–5 (vgl. 79 (78),1,3–4). Vgl. JuliaSünskes Thompson: Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum,Bonn 1990, S. 66.58↑ Siehe beispielsweise Karl Christ: Geschichte der römischenKaiserzeit, 6. Auflage, München 2009, S. 625f.; Julia SünskesThompson: Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn1990, S. 66f.59↑ Cassius Dio 79 (78),4,1–5,2.60↑ Zweifel an der Rolle des Macrinus als Organisator derVerschwörung sind unberechtigt; siehe dazu Frank Kolb: LiterarischeBeziehungen zwischen Cassius Dio, Herodian und der Historia Augusta,Bonn 1972, S. 133 Anm. 647.61↑ Siehe zu Caracallas geplantem Besuch des Heiligtums Frank Kolb:Literarische Beziehungen zwischen Cassius Dio, Herodian und derHistoria Augusta, Bonn 1972, S. 123f.62↑ Cassius Dio 79 (78),5,2–5. Vgl. Herodian 4,13 und HistoriaAugusta, Caracalla 6,6–7,2. Siehe auch Michael Louis Meckler:Caracalla and his late-antique biographer, Ann Arbor 1994, S. 152–156.63↑ Herodian 4,7 und 4,9,3. Vgl. Cassius Dio 79 (78),9,3: Auch dermit Caracalla verglichene Gladiator Tarautas war klein.64↑ Cassius Dio 78 (77),11,1.65↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, 6. Auflage,München 2009, S. 625; Anne-Marie Leander Touati: Portrait andhistorical relief. Some remarks on the meaning of Caracalla’s soleruler portrait. In: Anne-Marie Leander Touati u.a. (Hrsg.): MunusculaRomana, Stockholm 1991, S. 117–131, hier: 129f.; Heinz BernhardWiggers: Caracalla, Geta, Plautilla. In: Max Wegner (Hrsg.): Dasrömische Herrscherbild, Abteilung 3 Band 1, Berlin 1971, S. 9–129,hier: 11.

-506-66↑ Anne-Marie Leander Touati: Portrait and historical relief. Someremarks on the meaning of Caracalla’s sole ruler portrait. In: Anne-Marie Leander Touati u.a. (Hrsg.): Munuscula Romana, Stockholm 1991,S. 117–131.67↑ Heinz Bernhard Wiggers: Caracalla, Geta, Plautilla. In: MaxWegner (Hrsg.): Das römische Herrscherbild, Abteilung 3 Band 1,Berlin 1971, S. 9–129, hier: 17–35; Klaus Fittschen, Paul Zanker:Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen Museen und denanderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom, Band 1, 2. Auflage,Mainz 1994, Textband S. 98–100, 102–112; Florian Leitmeir: Brüche imKaiserbildnis von Caracalla bis Severus Alexander. In: Stephan Faust,Florian Leitmeir (Hrsg.): Repräsentationsformen in severischer Zeit,Berlin 2011, S. 11–33, hier: 13–18.68↑ Heinz Bernhard Wiggers: Caracalla, Geta, Plautilla. In: MaxWegner (Hrsg.): Das römische Herrscherbild, Abteilung 3 Band 1,

Berlin 1971, S. 9–129, hier: 25f., 52; Klaus Fittschen, Paul Zanker:Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen Museen und denanderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom, Band 1, 2. Auflage,Mainz 1994, Textband S. 111.69↑ Heinz Bernhard Wiggers: Caracalla, Geta, Plautilla. In: MaxWegner (Hrsg.): Das römische Herrscherbild, Abteilung 3 Band 1,Berlin 1971, S. 9–129, hier: 33f.70↑ Heinz Bernhard Wiggers: Caracalla, Geta, Plautilla. In: MaxWegner (Hrsg.): Das römische Herrscherbild, Abteilung 3 Band 1,Berlin 1971, S. 9–129, hier: 26; Klaus Fittschen, Paul Zanker:Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen Museen und denanderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom, Band 1, 2. Auflage,Mainz 1994, Textband S. 110f. Fittschens Ansicht folgt FlorianLeitmeir: Brüche im Kaiserbildnis von Caracalla bis SeverusAlexander. In: Stephan Faust, Florian Leitmeir (Hrsg.):Repräsentationsformen in severischer Zeit, Berlin 2011, S. 11–33,hier: 17f.71↑ Andreas Pangerl: Porträttypen des Caracalla und des Geta aufRömischen Reichsprägungen - Definition eines neuen Caesartyps desCaracalla und eines neuen Augustustyps des Geta. In: ArchäologischesKorrespondenzblatt des RGZM Mainz 43, 2013, S. 99-116.72↑ Cassius Dio 78 (77),11,2–3; 78 (77),13,1–2; Herodian 4,7,4–7;4,13,7. Vgl. Markus Handy: Die Severer und das Heer, Berlin 2009, S.67.73↑ Zu diesem Kult und zur Datierung seiner Einführung siehe JamesFrank Gilliam: On Divi under the Severi. In: Jacqueline Bibauw(Hrsg.): Hommages à Marcel Renard, Bd. 2, Bruxelles 1969, S. 284–289,hier: 285f.; Helga Gesche: Die Divinisierung der römischen Kaiser inihrer Funktion als Herrschaftslegitimation. In: Chiron 8, 1978, S.377–390, hier: 387f.74↑ Helmut Halfmann: Zwei syrische Verwandte des severischenKaiserhauses. In: Chiron 12, 1982, S. 217–235, hier: 232–234.75↑ Cassius Dio 78 (77),15,2–3.76↑ Zur Einschätzung der Quellen siehe Julia Sünskes Thompson:Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum. Die severischenKaiser im Spannungsfeld innenpolitischer Konflikte, Bonn 1990, S. 11und die dort genannte Literatur. Vgl. Friedhelm L. Müller (Hrsg.):Herodian: Geschichte des Kaisertums nach Marc Aurel, Stuttgart 1996,S. 21–23.77↑ Helmut Halfmann: Zwei syrische Verwandte des severischenKaiserhauses. In: Chiron 12, 1982, S. 217–235, hier: 231.78↑ Zum Kleidungsstück caracalla und dem davon abgeleitetenSpitznamen des Kaisers siehe Johannes Kramer: Zu Bedeutung undHerkunft von caracalla. In: Archiv für Papyrusforschung und verwandteGebiete 48, 2002, S. 247–256.79↑ Cassius Dio 79 (78),9,3.80↑ Chronograph von 354, hrsg. von Theodor Mommsen, MonumentaGermaniae Historica, Auctores antiquissimi, Bd. 9 (= Chronica minora,Bd. 1), Berlin 1892, S. 147 ( zu Antoninus Magnus).

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81↑ Siehe zu der Legende Barbara Levick: Julia Domna, London 2007, S.98f.; Gabriele Marasco: Giulia Domna, Caracalla e Geta: frammenti ditragedia alla corte dei Severi. In: L’Antiquité Classique 65, 1996,S. 119–134, hier: 119–126.82↑ Siehe zu dieser Version der Legende Gabriele Marasco: GiuliaDomna, Caracalla e Geta: frammenti di tragedia alla corte dei Severi.In: L’Antiquité Classique 65, 1996, S. 119–134, hier: 126–134.83↑ Geoffrey von Monmouth, De gestis Britonum (Historia regumBritanniae) 5,74f., herausgegeben und ins Englische übersetzt vonMichael D. Reeve und Neil Wright: Geoffrey of Monmouth: The Historyof the Kings of Britain, Woodbridge 2007, S. 90–93.84↑ Herausgegeben, ins Deutsche übersetzt und kommentiert von UweBaumann: Antoninus Bassianus Caracalla, Frankfurt am Main 1984.85↑ Cassius Dio 77 (76),14,3–7.86↑ Michael Meckler: Caracalla the Intellectual. In: Enrico dalCovolo, Giancarlo Rinaldi (Hrsg.): Gli imperatori Severi, Rom 1999,S. 39–46, hier: 40f.87↑ Theodor Mommsen: Römische Kaisergeschichte, München 1992, S.396f.88↑ Ernst Kornemann: Römische Geschichte, Bd. 2, 6. Auflage,Stuttgart 1970, S. 311f.89↑ Alfred Heuß: Römische Geschichte, 10. Auflage, Paderborn 2007, S.358f. (1. Auflage 1960).90↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, 6. Auflage,München 2009, S. 622–625.91↑ Géza Alföldy: Die Krise des Römischen Reiches, Stuttgart 1989, S.209.92↑ Anthony R. Birley: Caracalla. In: Manfred Clauss (Hrsg.): Dierömischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesar bis Iustinian,4. Auflage, München 2010, S. 185–191, hier: 191; Drora Baharal:Caracalla and Alexander the Great: a Reappraisal. In: Carl Deroux(Hrsg.): Studies in Latin Literature and Roman History, Bd. 7,Bruxelles 1994, S. 524–567, hier: 564.93↑ Anthony R. Birley: The African Emperor. Septimius Severus, 2.,erweiterte Auflage, London 1988, S. 189.

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ConstitutioAntoniniana

Der Gießener Papyrus

Bei der Constitutio Antoniniana handelt es sich um einevon Kaiser Marcus Aurelius Severus Antoninus, genanntCaracalla, wohl am 11. Juli 212 in Kraft gesetzteVerordnung, die allen freien Bewohnern des RömischenReichs das römische Bürgerrecht verlieh. Dabei wurdenur hinsichtlich einer Gruppe, den dediticii, einVorbehalt gemacht.

Quellenlage und Inhalt

Eine Constitutio (lateinisch für Verordnung) ist einekaiserliche Verfügung in Form eines Ediktes, Dekretes,Mandates oder Reskriptes, die – neben den Beschlüssendes Senats – zur zentralen Form der Gesetzgebung in derrömischen Kaiserzeit wurde. Das päpstliche Gegenstückdazu ist die Constitutio Apostolica (ApostolischeFestsetzung).

Auf einem Papyrus, der aus der Zeit um 215 stammt, imJahr 1901 in Eschmunen in Ägypten erworben wurde undsich nun in der Papyrussammlung derUniversitätsbibliothek Gießen (P. Giss. 40, col. I)befindet, glaubt man einen Teil des Texteswiederentdeckt zu haben. Allerdings ist die Deutungnoch umstritten. Sinngemäß lautet der Text in diesemPapyrus:

-509-„Imperator Caesar Marcus Aurelius SeverusAntoninus Pius sagt: Nachdem ich Gesuche undBittschriften erhalten habe, in denen vorallem gefragt wird, wie ich den unsterblichenGöttern dafür danken kann, dass sie mich durcheinen derartigen Sieg gerettet haben, ist esvernünftig zu sagen, dass ich der Ansicht bin,eine Handlung auf eine so großartige undfromme Weise ausführen zu können, wie sieihrer Majestät zukommt, indem die Fremdenzusammengeführt werden in den Zeremonien ihresGlaubens, wie Römer, alle die kommen, und sievereinige mit meinen Männern. Ich gebe daherallen Fremden, die im Reich sind, das Rechtdes römischen Bürgers, eingeschlossendiejenigen, die sich in Städten jeglicher Artaufhalten, ausgenommen diejenigen, diedediticii sind. Wirklich soll es sein, dassdie Menge von jetzt an auch an dem Sieg

teilhabe. Dieses Edikt wird die Würde desrömischen Volkes vergrößern.“

Nicht eindeutig geklärt ist die Abgrenzung des mitdediticii gemeinten Personenkreises. Als dediticiibezeichnete man für gewöhnlich Angehörige von Völkernoder Staaten, die sich den Römern bedingungslosunterworfen hatten, entweder im Krieg im Sinne einerKapitulation oder im Frieden, um römischen Schutz zuerhalten. Juristisch bedeutete die ConstitutioAntoniniana nicht, wie man früher glaubte, dieAufhebung örtlicher Rechtsgewohnheiten und ihreErsetzung durch römisches Privatrecht; örtliches Rechtwurde weiterhin angewendet, soweit es dem römischennicht widersprach.

In späterer Zeit hielt man übrigens meist nicht mehrCaracalla, sondern Mark Aurel bzw. Antoninus Pius fürdenjenigen Kaiser, der die Constitutio Antoninianaerlassen habe. Beide trugen wie er den Namen Antoninus,doch wurden sie im Unterschied zu Caracalla inüberwiegend positiver Erinnerung behalten. ModerneHistoriker zweifelten hin und wieder die Datierung indas Jahr 212 an und setzten die Constitutio in diebeiden folgenden Jahre, doch meistens wird dietraditionelle Argumentation akzeptiert:

-510-Schon zu Beginn des Jahres 213 tauchte an mehrerenOrten des römischen Reiches – in Lykien und inGermanien – der Gentilname Aurelius auf, was vermutlichdamit zu tun hat, dass die neuen Bürger sich oft nachCaracalla benannten, um ihm zu danken und ihn zu ehren.Des Weiteren bezieht sich der Erlass auf Geta (siehe„Motive Caracallas“), der im Februar 212 umgebracht

wurde. Die Constitutio Antoniniana kann nicht langedanach veröffentlicht worden sein.

Motive Caracallas

Der Sinn und Zweck des Erlasses sind bis heute nichtbefriedigend geklärt. In der Präambel des Edikts wirdder Anlass hervorgehoben, der darin bestand, dass derKaiser gerettet worden sei (dies ist vielleicht einHinweis auf einen angeblichen Mordanschlag seinesBruders Geta, der in Wirklichkeit im Vorjahr vonCaracalla ermordet worden war). Dies wird nur einVorwand gewesen sein, der den positiven Nebeneffekthatte bzw. gehabt hätte, dass Geta schlechtgeredetworden wäre. Die wahren Gründe sind sicherlich andere.

Der Caracalla feindlich gesinnte GeschichtsschreiberCassius Dio teilt mit (79,9,5), wie der Schritt desKaisers in oppositionellen Kreisen aufgefasst wurde.Dort war man der Meinung, die Ausdehnung desBürgerrechts habe vor allem den Zweck gehabt, dieBetroffenen verschiedenen Steuern zu unterwerfen, dienur von römischen Bürgern zu bezahlen waren. Dazugehörten die Steuer auf die Freilassung von Sklaven unddie Erbschaftssteuer, die Caracalla verdoppelte. DieErbschaftssteuer wurde nun auch den bisher nichtsteuerpflichtigen Familienangehörigen auferlegt. Wegender außerordentlich stark erhöhten Personalkosten beimMilitär infolge einer großzügigen Solderhöhung undüppigen Sonderzuwendungen (Donativen) an die Soldatenmusste Caracalla tatsächlich neue Einkommensquellenerschließen.

Die Erhöhung der Steuereinnahmen war aber nur eines derMotive Caracallas. Außerdem wollte er die Neubürger alsihm persönlich ergebene Anhängerschaft gewinnen, um aufdiese Art die Feindschaft der traditionellen Elite, beider er verhasst war, zu kompensieren und so seineMachtbasis zu stärken. Zahlreiche Neubürger nahmen den

Gentilnamen des Kaisers (Aurelius) an, der dadurchaußerordentlich häufig wurde. Alles lief darauf hinaus,die Kasse des Staates und des Kaisers zu füllen undCaracalla Popularität zu verleihen.

-511-Auswirkungen und historische Einordnung

Mit der Constitutio Antoniniana vollzog Caracalla einenwichtigen Schritt in Richtung auf eineVereinheitlichung der rechtlichen Verhältnisse imReich. Die Maßnahme spiegelt eine Entwicklung wider,die die soziale Schichtung der Bevölkerung betraf. ZurZeit des Augustus gab es im Grunde für römische Bürgereine Reihe von rechtlichen Privilegien undSchutzvorkehrungen, ungeachtet ihres sozialen Rangs.Jedoch bildeten sich in den danach folgendenzweieinhalb Jahrhunderten zwei entscheidende Änderungenheraus:

Das römische Bürgerrecht wurde nun ausgedehnt auf dasgesamte Reich, sowohl durch individuelle Genehmigungen(im Besonderen gegenüber entlassenen Hilfstruppen;siehe Militärdiplom) als auch gegenüber ganzenGemeinschaften (wie zum Beispiel das punische LeptisMagna). Auch die Kinder freigelassener Sklaven einesrömischen Bürgers besaßen automatisch das römischeBürgerrecht. Dies bedeutete, dass eine große undwachsende Zahl von einfachen Leuten fremder Herkunftden Schutz des römischen Bürgerrechts genossen(vergleiche: Paulus in der Apostelgeschichte).

Die Aristokratien verschiedener nichtrömischer Teiledes Reichs wurden zu einem gewissen Grad an dierömische Kultur assimiliert, ihnen wurden Rollen in dersenatorisch-adligen Regierungskaste zugewiesen. ZurZeit der Constitutio Antoniniana hatte eine großeAnzahl wohlhabender Einwohner des Römischen ReichsRechte erhalten, waren aber immer noch wohlhabendeFremde.

Das Ergebnis dieser Situation war, dass im Reichanstelle der Abgrenzung zwischen Römern und Fremden(peregrini) eine neue Unterscheidung aufkam. Dierömische Welt wurde aufgeteilt in angesehene (lat.honestiores) und weniger angesehene (lat. humiliores)Bewohner. Die erste Gruppe waren die Wohlhabenden, dieandere die Übrigen. Diese Unterscheidung wird imStrafgesetz am deutlichsten: Normalerweise konnten diehonestiores für Kapitalverbrechen (von Hochverratabgesehen) lediglich ins Exil geschickt werden, währenddie humiliores hingerichtet werden konnten. DieseUnterscheidung wird offenkundig erstmals unter Hadrianerwähnt, die Auffassung selbst aber stammt schon ausdem 1. Jahrhundert. Somit kann die ConstitutioAntoniniana als der Höhepunkt einer Entwicklung gesehenwerden, bei der fast jeder römischer Bürger werdenkonnte, da die Unterscheidung zwischen oben und untenim Kern nur noch die des sozialen Ansehens war.-512-Die Constitutio Antoniniana schließlich vollendetediesen Prozess: Alle römischen Bürger erhielten nun dasBürgerrecht, außer der Gruppe der „Fremden“, undnatürlich der Sklaven. Dies hatte in den Augen einigerHistoriker große Auswirkungen: In der frühen Kaiserzeitwar für einen nicht besonders reichen Mann aus derProvinz ein Dienst in der römischen Armee oft dereinzige Weg, das Bürgerrecht zu erlangen. Dieser Grundfiel nun weg, sodass das römische Reich irgendwannnicht mehr genügend Legionäre rekrutieren konnte. Dieswiederum hatte zur Folge, dass in zunehmendem Maßebarbarische Söldner angeheuert wurden, was zweiNachteile hatte. Erstens mussten sie bezahlt werden,und zweitens fehlte ihnen die Loyalität zum römischenReich und dem Kaiser. Die Folge waren die Zunahme derUsurpationen, erfolgreichere Invasionen germanischerStämme und somit schließlich der Untergang desrömischen Reiches. Sicherlich ist dies ein Grund, dernicht unerheblich zum Fall Westroms beigetragen hat,aber zweifelsohne nicht der einzige.

LiteraturKostas Buraselis: Theia Dorea. Das göttlich-kaiserliche Geschenk.Studien zur Politik der Severer und zur Constitutio Antoniniana (=Akten der Gesellschaft für Griechische und HellenistischeRechtsgeschichte. Bd. 18). Verlag der Österreichischen Akademie derWissenschaften, Wien 2007, ISBN 978-3-7001-3725-2.Hartmut Wolff: Die constitutio Antoniniana und Papyrus Gissensis 40I. 2 Bände (Bd. 1: Text. Bd. 2: Anmerkungen und Indizes.). Köln 1976(Köln, Universität, Dissertation, 1972).Adrian N. Sherwin-White: The Tabula of Banasa and the ConstitutioAntoniniana. In: Journal of Roman Studies. Bd. 63, 1973, S. 86–98.François Jaques, John Scheid: Rom und das Reich. Staatsrecht,Religion, Heerwesen, Verwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft. Nikol,Hamburg 2008, ISBN 978-3-86820-012-6, S. 307 f.Barbara Pferdehirt, Markus Scholz (Hrsg.): Bürgerrecht und Krise. DieConstitutio Antoniniana 212 n. Chr. und ihre innenpolitischen Folgen(= Mosaiksteine. Forschungen am Römisch-Germanischen Zentralmuseum.Bd. 9). Begleitbuch zur Ausstellung im Römisch-GermanischenZentralmuseum 20. September 2012 bis 1. Januar 2013, mit Beiträgenvon Timothy Barnes, Jérémie Chameroy, Martin Kemkes, Janken Kracker,Peter Kuhlmann, Andreas Pangerl, Barbara Pferdehirt, Lucas Rischkau,Markus Scholz, Thomas Tews, Jens Wegmann und Bernhard Weisser. Verlagdes Römisch-Germanischen Zentralmuseums, Mainz 2012, ISBN 978-3-88467-195-5.

WeblinksGriechischer Text von P. Giss. 40

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Caracalla-ThermenDie Caracalla-Thermen (lat. Thermae Antoninianae) sindantike Badeanlagen in Rom. Sie zählen neben denDiokletiansthermen und den Trajansthermen zu dengrößten Thermenanlagen der Stadt Rom.

Blick auf die Ruinen der Thermen von Südenwesten

Geschichte der Thermen

Die Caracalla-Thermen wurden wahrscheinlich im Jahre206 unter Septimius Severus begonnen und 216 unterKaiser Caracalla fertiggestellt.[1][2] Sie lagen in derXII. regio Piscino Publica, einem Stadtteil von Rom,der in dieser Zeit besonders mit prächtigenöffentlichen Bauten geschmückt wurde. Weitere Anbauten,wie Bogengänge und Dekorationen, sind unter den KaisernElagabal und Alexander Severus ausgeführt worden, sodass die Anlage erst 235 n. Chr. wirklich vollendetwar. Da die Anlage am Stadtrand Roms in der eherärmlichen Gegend gelegen war, kann angenommen werden,dass sie erbaut wurde, um die Popularität der Kaiserbei der Plebs zu steigern. Zusammen mit denDiokletiansthermen gehörte sie zu den öffentlichen undeintrittsfreien Badepalästen.

Unter Kaiser Aurelian kam es nach einem Brand zuRenovierungen. Diokletian ließ den Aquädukt, der denNamen Forma Iova trug und die Anlage mit Wasserspeiste, ausbauen. Schließlich ließ Kaiser Konstantineine Apsis in das Kaldarium einbauen, was durch eineInschrift bezeugt ist. Aus literarischen Quellen istbekannt, dass die Thermen noch im 5. Jahrhundert inBetrieb waren. Polemius Silvius zählte sie zu densieben Wundern von Rom.[3]

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Ansicht der Ruinen der Thermen aus dem vorgelagerten Park (2005)

537 zerstörten die Goten jedoch die Wasserleitung AquaMarcia, was den Badebetrieb beendete. Im Jahre 847 gabes einige Zerstörungen aufgrund eines Erdbebens, danachsetzten Regen, Hitze und Frost den Bauten zu.Mindestens seit dem 12. Jahrhundert dienten die Thermenals Steinbruch.

Innenraum der Thermen, Zeichnung aus dem Jahre 1899-515-

Im 16. Jahrhundert ließ die Familie Farnese,insbesondere der Papst Paul III. Farnese, einenGroßteil der Marmorausstattung und Skulpturenentfernen, um damit den Palazzo Farnese und St. Peterauszuschmücken. Im Jahr 1824 begannen systematischeGrabungen unter Graf Girolamo Egidio di Velo, der vorallem den zentralen Baukörper untersuchte und dasMosaik mit den Athleten fand.

Heutzutage veranstaltet die Oper Rom hier Freiluft-Opernaufführungen.

Grundriss

Anlage

Die Anlage maß etwa 337 × 328 m. Das ursprünglicheGelände, auf dem die Thermen stehen, war sehr uneben.Für den Bau der Thermen musste deshalb eine riesigePlattform geschaffen werden, um die Höhenunterschiedezwischen dem Aventin-Hügel auf der einen Seite und demCamemae-Tal auf der anderen Seite zu überbrücken. Dafürwurden drei Terrassen angelegt. Zum Tal hin gibt esdeshalb massive Ziegelbögen, zum Aventin hin dagegenMauern, die die Plattform gegen den Aventin abstützen.Unter den Ziegelbögen sind Nebenräume angelegt worden.Die Wasserversorgung wurde durch die Aqua NovaAntoniniana, einen Abzweig von der Aqua Marcia,gesichert.

-516-Das Hauptgebäude im Zentrum des Komplexes ist 214 × 110m groß. An der südlichen Längsseite ragt das rundeCaldarium und an den Kurzseiten jeweils kleinereExedren hervor.

Die Haupteingänge zu den eigentlichen Thermen liegen imNorden und führen zur Natatio, einem großenSchwimmbecken. Der Raum ist 50 × 22 m groß und wareinst über 20 m hoch. Die nördliche Fassade war durchmonumentale Granitsäulen in drei Teile gegliedert. Injedem dieser drei Segmente befanden sich sechs Nischen,drei im unteren Teil der Wand, drei im oberen. Hierstanden einst sicherlich Statuen. In den unterenNischen sind noch heute Wasserrohre zu sehen, die dasBecken mit Wasser speisten.

Links und rechts davon befinden sich die Umkleideräume(Apodyterium). Sie sind mit einfachen geometrischenschwarz-weißen Mosaiken dekoriert. Jeweils einePalästra befindet sich an der Kurzseite der Thermen,die man direkt von den Umkleideräumen erreichen kann.Sie sind noch heute mit einfachen, jedoch mehrfarbigengeometrischen Mosaiken dekoriert. Rot, grün und zweihelle Töne wechseln sich hier ab. Die verwendetenSteine sind Serpentin und Giallo antico. In seiner Artist dieses Mosaik bisher einzigartig. An den Seiten derPalästra findet sich jeweils eine Exedra. Diese warenjeweils mit einem polychromen Athletenmosaikendekoriert. In einem Obergeschoss der Palästren habensich einst figürliche schwarz-weiße Mosaiken befunden.Das einst etwa 300 m lange Mosaik zeigt Nereiden,Tritonen, Delphine und andere Meereslebewesen. DasMosaik ist von einem Muster gerahmt, das jeweils Paarevon Delphinen zeigt.Im Zentrum der Anlage liegt das Frigidarium (Kaltbad).Es handelt sich um einen 58 × 24 m großen Saal, dereinst von drei Kreuzgewölben überspannt wurde. DieGewölbe ruhten wiederum auf acht Säulen aus grauem,ägyptischem Granit, die an den Wänden standen. DerFußboden war mit Marmorplatten in Opus sectileausgelegt. Auch die Wände hatten einen Marmorsockel,von dem jedoch nur noch wenige Reste erhalten sind.Auch hier gab es Wandnischen für Statuen, dievielleicht mit Mosaiken dekoriert waren. Um dasFrigidarium befinden sich vier Räume, bei denen es sichwahrscheinlich um Saunen (Sudatorium) handelte.

-517-Das Caldarium war von einer 35,08 m weiten Kuppel ausleichten Tonhohlkörpern gekrönt,[4] die größte Kuppelihrer Art in der damaligen Welt. Bisher ist noch keinegrößere Kuppel dieser Art erbaut worden. Sie ruhte aufacht aufgemauerten Pilastern. Der Fußboden desCaldariums war einst mit Marmor ausgelegt und in denWänden zwischen den Pfeilern befanden sich verglasteFenster.Neben einigen Schwimmbecken und Gärten beherbergten dieThermen Gymnastik- und Versammlungsräume, Bibliothekenund diverse Dienstleistungsbetriebe wieFriseurgeschäfte. Die Thermen konnten bis zu 2000[2]Badegäste aufnehmen. Die Wasserversorgung undEntwässerung galten als technisch perfekt gelöst. Auchdas Heizsystem der Anlage (lat. Hypocaustum) warperfekt ausgeklügelt: Über Tonrohre wurde Heißluft insämtliche Räume geleitet und diente außerdem alsFußbodenheizung der Becken. Diese Luft entstand unterder Anlage: Dort arbeiteten mehr als hundert Sklaven anriesigen mit Holz befeuerten Öfen.

Der Farnesische Stier

Schon antike Autoren beschrieben die Anlage als eximiaset magnificentissimas. Der Autor der Vita des Caracallain der Historia Augusta (Aelius Spartianus)[5] erwähntvor allem den Warmbadraum (im Text als cella solarisbezeichnet, gemeint ist das Caldarium), dessen Kuppeldie Bewunderung zeitgenössischer Architekten erlangte.

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Die Statue des Herkules Farnese befand sich ursprünglich in denThermen

Ausstattung[Bearbeiten]

Das Bad war reich mit Marmor, Mosaiken und Statuenausgestattet. Die Anlage hatte mindestens 252 Säulen.Sechzehn von ihnen waren höher als zwölf Meter.[6] Esist errechnet worden, dass in den Thermen mindestens120 Statuen standen. Sie ware in den Nischenaufgestellt, die es in den Wänden fast aller Räume gab.Ebenso reich muss der Bauschmuck gewesen sein, der sichjedoch auch meist nur noch in Fragmenten fand. Dazugehören figürliche Kapitelle und dekorierte Friese. Essind verschiedene Marmorsorten benutzt worden, wiesolcher von der griechischen Insel Marmara, aber auchparischer, thasicher und lunesicher Marmor. Danebenkamen aber auch andere Steinsorten wie Granit, Porphyroder Serpentin zum Einsatz.[7] Aus den Caracalla-Thermen sind die meisten Skulpturen aller Thermenüberhaupt erhalten, obwohl sicherlich ein Großteil der

einstigen Ausstattung in Kalköfen landete.Wahrscheinlich aus der östlichen Palästra stammt derFarnesische Stier. Die Statuengruppe aus einem einzigenBlock wurde um 1546/47 bei Grabungen von Papst PaulIII. entdeckt. Sie zeigt die Bestrafung der Dirke. Eineweitere wichtige Statue, die aus dem Frigidariumstammt, zeigt den ruhenden Herkules.

-519-Weiteres

Die Motorradverfolgungsjagd in dem Film DealerConnection – Die Straße des Heroins des Regisseurs EnzoG. Castellari wurde 1977 in den Thermen gedreht.

Einzelnachweise1↑ Piranomonte: die Caracalla-Thermen, S. 72↑ Hochspringen nach: a b Stadtführer Rom (engl.)3↑ Piranomonte: die Caracalla-Thermen, S. 84↑ Erwin Heinle, Jörg Schlaich: Kuppeln aller Zeiten, aller Kulturen,Stuttgart 1996, ISBN 3-421-03062-6, S. 275↑ Caracalla, 9.46↑ Piranomonte: die Caracalla-Thermen, S. 197↑ Piranomonte: die Caracalla-Thermen, S. 51

LiteraturJanet DeLaine: The baths of Caracalla. A study in the design,construction and economics of large-scale building projects inImperial Rome. JRA, Portsmouth 1997, ISBN 1-887829-25-3 (Journal ofRoman archaeology. Supplementary series, 25).Heinz-Joachim Fischer: Rom. Zweieinhalb Jahrtausende Geschichte,Kunst und Kultur der Ewigen Stadt. DuMont, Köln 2001, ISBN 3-7701-5607-2, S. 318–320.Anton Henze: Kunstführer Rom. Reclam, Stuttgart 1994, ISBN 3-15-010402-5, S. 131–133.Marina Piranomonte: Die Caracalla-Thermen, Führer, Rom 2008 ISBN 978-88-370-6303-0.

Siehe auchListe römischer KuppelnListe der größten Kuppeln ihrer ZeitListe antiker Wendeltreppen

Weblinks Commons: Caracalla-Thermen – Album mit Bildern, Videos undAudiodateien Antoninianae thermae in Paulys Realencyclopädie der classischenAltertumswissenschaft.

Offizielle Seite (italienisch)Thermen des Caracalla in der archäologischen Datenbank ArachneArtikel in Platner/Ashby, A Topographical Dictionary of Ancient Rome(1929)

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Geta

GetaPuschkin-Museum, Moskau

Publius Septimius Geta (* 7. März 189 in Rom; † 19.oder 25./26. Dezember 211 in Rom) war vom 4. Februar211 bis zu seinem Tod römischer Kaiser. Er gehörte zurDynastie der Severer und war Mitregent seines älteren

Bruders Caracalla. Zeitweilig trug er den VornamenLucius.

Geta und Caracalla waren die beiden Söhne desDynastiegründers Septimius Severus, der sie zuMitregenten gemacht und auf die gemeinsame Nachfolgevorbereitet hatte. Nach dem Tod des Vaters traten sieam 4. Februar 211 wie geplant zusammen die Nachfolgean. Ihre gemeinsame Herrschaft scheiterte aber noch imselben Jahr an der tödlichen Rivalität zwischen ihnen.Caracalla lockte Geta in eine Falle und ließ ihnermorden.

Der aus Afrika stammende Septimius Severus, der in Romund in verschiedenen Provinzen Karriere gemacht hatte,heiratete im Jahr 187 die vornehme Syrerin Julia Domna.Am 4. April 188 wurde der erste Sohn des Paares,Caracalla, geboren. Damals amtierte Severus inLugdunum, dem heutigen Lyon, als Statthalter derProvinz Gallia Lugdunensis. Nach dem Ende dieserStatthalterschaft übersiedelte die Familie nach Rom.Dort wurde Geta am 7. März 189 geboren.[1]

-521-Er erhielt den Namen seines Großvatersväterlicherseits. Severus übernahm 191 das Amt desStatthalters von Oberpannonien, doch seine Kinderblieben in Rom.[2] Am 9. April des „zweitenVierkaiserjahrs“ 193 wurde Severus in Pannonien vomHeer zum Kaiser ausgerufen. Im folgenden Jahr setzte ersich im Bürgerkrieg gegen den Rivalen Pescennius Nigerdurch.

Zwischen Geta und seinem nur elf Monate älteren BruderCaracalla kam es schon in früher Jugend zu einerausgeprägten Rivalität, die sich im weiteren Verlaufihres Lebens beständig verschärfte und in tödlichenHass verwandelte. Der Vorrang des älteren Bruders wurdein der Kindheit und Jugend der beiden durch Namen undTitel deutlich zum Ausdruck gebracht. Ab Frühjahr 195

gab sich Septimius Severus zwecks Legitimierung seinerHerrschaft als Adoptivsohn des 180 gestorbenenbeliebten Kaisers Mark Aurel aus.[3] Caracalla galtdaher als fiktiver Enkel Mark Aurels und erhielt ab195/196 dessen Namen: Er hieß fortan Marcus AureliusAntoninus, wurde also wie sein Vater als Angehörigervon Mark Aurels Familie, des Kaisergeschlechts derAntonine, betrachtet. Geta hingegen erhielt zwarzeitweilig den Vornamen Lucius, der vielleicht anLucius Verus, den Mitregenten Mark Aurels, erinnernsollte,[4] wurde aber nicht durch Umbenennung fiktiv indas Geschlecht der Antonine aufgenommen. Darin zeigtesich schon damals eine Bevorzugung seines ein Jahrälteren Bruders.[5] Vielleicht schon Mitte 195,spätestens 196 wurde Caracalla der Titel Caesarverliehen, womit er zum künftigen Kaiser designiertwurde.[6] Eine entsprechende Rangerhöhung Getas bliebzunächst aus.

197 begleitete Geta zusammen mit Caracalla seinen Vaterauf dessen zweitem Feldzug gegen die Parther.Vielleicht schon 197, spätestens 198 erhielt er denTitel Caesar. Gleichzeitig wurde Caracalla zumAugustus, das heißt zum nominellen Mitregenten desKaisers erhoben.[7] Damit wurde wiederum CaracallasVorrang festgeschrieben.[8] Die Kaiserfamilie bliebnoch einige Zeit im Orient; 199 reiste sie nachÄgypten, wo sie sich bis 200 aufhielt. Erst 202 kehrtesie nach Rom zurück.[9] 202–203 hielt sich die Familiein Nordafrika auf; den Winter verbrachte sie wohl inSeverus’ Heimatstadt Leptis Magna in Libyen.[10]

-522-Vergeblich versuchte Severus die Feindschaft zwischenseinen Söhnen zu mildern und gegenüber derÖffentlichkeit zu vertuschen. Die kaiserliche

Propaganda täuschte Eintracht vor: Es wurden Münzen derConcordia (Eintracht) geprägt,[11] und in den Jahren205 und 208 bekleideten Caracalla und Geta gemeinsamdas Konsulat. Eine längere Abwesenheit der beidenRivalen von Rom schien zur Vermeidung von Skandalen inder Hauptstadt wünschenswert. Wohl auch aus diesemGrund nahm Severus beide Söhne mit, als er 208 zu einemFeldzug nach Britannien aufbrach. Der Kampf richtetesich gegen die im heutigen Schottland lebendenKaledonier und Mäaten. 209 erhielt Geta die Würde einesAugustus, wurde also rangmäßig seinem bisherbevorzugten Bruder gleichgestellt.[12] Damit war dieWeichenstellung für die künftige gemeinsame Herrschaftvollzogen; Severus hatte wohl erkannt, dass seinjüngerer Sohn nur so eine Chance hatte, denbevorstehenden Machtkampf zu überleben.[13]

Die Kämpfe in Britannien zogen sich hin. Da SeptimiusSeverus bei schlechter Gesundheit war, betraute er 210Caracalla mit der alleinigen Leitung der militärischenOperationen. Geta hingegen erhielt kein Kommando,sondern übernahm rein zivile Aufgaben. Dennoch nahmenbeide Söhne den Siegernamen Britannicus maximus an, denauch Severus führte. Am 4. Februar 211 starb Severus inEburacum (heute York).

Kaisertum und Tod

Nach dem Tod des Severus traten seine Söhne wievorgesehen gemeinsam die Herrschaft an. Da Geta bei denSoldaten beliebt war, wagte Caracalla vorerst nicht,offen gegen ihn vorzugehen.[14] Die beiden Kaiserschlossen mit den Kaledoniern und Mäaten Frieden undkehrten mit getrenntem Hofstaat nach Rom zurück. Dortschützten sich beide durch sorgfältige Bewachungvoreinander. Als Präzedenzfall und Vorbild für diesestaatsrechtliche Konstruktion konnte die gemeinsameHerrschaft von Mark Aurel und dessen AdoptivbruderLucius Verus im Zeitraum 161–169 dienen. Allerdings wardamals der Rangunterschied und die Aufgabenteilung

zwischen den beiden Kaisern klar geregelt gewesen,während bei Caracalla und Geta eine eindeutige,einvernehmliche Regelung der Rangordnung, Befugnisseund Zuständigkeiten fehlte. Ein Doppelkaisertumgleichberechtigter Herrscher hätte unter den gegebenenUmständen eine Reichsteilung vorausgesetzt.

-523-Der Geschichtsschreiber Herodian behauptet, es seitatsächlich erwogen worden, das Römische Reich zuteilen und Geta den Osten zuzuweisen, doch sei dieserPlan verworfen worden, denn Julia Domna, die Mutter derbeiden Kaiser, habe sich dem Vorhaben nachdrücklichwidersetzt.[15] Dieser Bericht gilt aber nach heutigemForschungsstand als unglaubwürdig; Versuche, inepigraphischem Material eine Bestätigung dafür zufinden, sind gescheitert.[16]

Ein Denar Getas

In Rom war eine gespannte und sehr labile Lageentstanden. Die römische Stadtbevölkerung, diePrätorianer und die in der Hauptstadt und ihrerUmgebung stationierten Truppen waren gespalten oderunschlüssig, so dass ein Bürgerkrieg bevorzustehenschien. Unklar ist, ob es auch bei den Provinztruppen

regional unterschiedliche Präferenzen gab. Einerumstrittenen Forschungshypothese zufolge waren dieAnhänger Getas im Osten des Reichs stark, währendCaracalla vor allem bei den Grenztruppen im Rhein- undDonauraum Unterstützung fand.[17]

Im Dezember 211 – nicht, wie früher vermutet wurde,erst im Februar 212 – gelang es Caracalla, den Bruderin einen Hinterhalt zu locken. Auf seine Anregung hinlud Julia Domna ihre beiden Söhne zu einemVersöhnungsgespräch im kaiserlichen Palast ein.Leichtsinnigerweise folgte Geta der Einladung derMutter, denn er meinte, in ihrer Anwesenheit vor seinemBruder sicher zu sein.

-524-Der Ablauf der tödlichen Begegnung, die entweder am 19.oder am 25./26. Dezember stattfand,[18] ist unklar.Nach der Schilderung des zeitgenössischenGeschichtsschreibers Cassius Dio, die als dieglaubwürdigste gilt, hatte Caracalla Mörder bestellt,die seinen Bruder in den Armen der ahnungslosen Muttertöteten, wobei sie an der Hand verletzt wurde.[19]Offenbar hat er auch selbst zugeschlagen, denn späterweihte er das Schwert, das er dabei verwendet hatte, imSerapeion von Alexandria der dort verehrten GottheitSerapis.[20]

Septimius Severus mit seiner Frau und seinen noch kindlichen Söhnenauf einem zeitgenössischen Tondo, Antikensammlung Berlin. Getas

Gesicht wurde nach seiner Ermordung getilgt.[21]

Caracalla, der mit der Ausschaltung seines Bruders dieAlleinherrschaft erlangt hatte, rechtfertigte die Tatmit der Behauptung, nur einem Anschlag Getaszuvorgekommen zu sein. Im Anschluss an den Mord ließ erzahlreiche Personen töten, die als Anhänger Getasgalten. Cassius Dio nennt die vielleicht übertriebeneZahl von 20.000 Opfern des Gemetzels. Auch später nochmussten viele sterben, die beschuldigt wurden,Sympathien für den unterlegenen Rivalen gehegt zu habenoder ihm nachzutrauern. Sogar Julia Domna durfte nichtum ihren Sohn trauern.[22]

-525-Ikonographie

Die Bestimmung von Getabildnissen ist in manchen Fällenschwierig, Verwechslungen des jugendlichen Geta mit demfast gleichaltrigen Caracalla sind möglich. Ein großerTeil der plastischen Bildnisse Getas ist wohl nach

seinem Tod der systematischen Vernichtung zum Opfergefallen, da über ihn die damnatio memoriae(Auslöschung des Andenkens) verhängt wurde. Cassius Dioerwähnt, Geta habe als Erwachsener ganz seinem Vatergeglichen.[23]

Bisher ging die klassische Archäologie von nur zweiPorträttypen aus. Der erste solche Typus wurde demZeitraum 197/198–204, also von der Erhebung zum Caesarbis zu Getas erstem Konsulat zugewiesen. Zwölf Replikeneiner Rundplastik, die eindeutig Geta zugeordnet werdenkann, gehören zum „Typus München-Toulouse“, der demersten Typus der Münzbildnisse entspräche („ersterPrinzentypus“). Sie wären also vor 205 entstanden. Mitdem Jahr 205 setze der „zweite Prinzentypus“ ein.Dieser Typus wurde durch eine auffallende, nahezuzwillingshafte Ähnlichkeit von Geta und Caracallagekennzeichnet, die sicher im Rahmen derEintrachtspropaganda politisch gewollt war.[24]Münzbildnisse ermöglichen hingegen die Unterscheidungvon sieben Porträttypen, was an der besseren Fundlageder Münzen gegenüber der Plastik liegen dürfte.[25]Gerade bei Geta ist es daher sinnvoll, direkt dasMünzmaterial zu analysieren. Die ersten sechs durchzunehmenden Bartwuchs definierten Porträttypen aufMünzen entsprechen denen des älteren Bruders Caracallaund zielen auf eine Ähnlichkeit der beiden Brüder hin,die so beide dem Volk als Thronfolger gezeigt werdensollten. Der letzte (siebte) Porträttyp des Geta zeigtihn nach dem Tod des Vaters allerdings deutlich imUnterschied zum - in dieser Zeit gleichbleibenden -Porträt des Bruders, mit langem zotteligen Bart sehrähnlich dem verstorbenen Vater, wohl mit dem Zweck,Geta als den wahren Thronfolger darzustellen.

-526-Rezeption

Caracalla strebte nach Getas Tod die völligeAuslöschung der Erinnerung an seinen Bruder an. ImRahmen der über Geta verhängten damnatio memoriae wurdedie Tilgung seines Namens in allen öffentlichenDenkmälern und Schriftstücken mit größter Gründlichkeitbetrieben; sogar seine Münzen wurden eingeschmolzen.[26] Der Leichnam soll verbrannt worden sein. Später,nach Caracallas Tod, veranlasste Getas Tante JuliaMaesa, die Schwester Julia Domnas, die Beisetzung inder Grabstätte der kaiserlichen Familie, dem MausoleumHadriani.[27] Dort war auch das Grab Caracallas.Als sich in Alexandria der Unmut der Stadtbevölkerunggegen Caracalla richtete, nahmen seine Kritiker auchauf den Mord an Geta Bezug.[28]

Caracalla and Geta, Ölgemälde von Lawrence Alma-Tadema (1907). Getasteht vorn zwischen den Frauen, Caracalla hinter dem sitzenden

Kaiserpaar.

Die Hauptquellen sind die nach Caracallas Todentstandenen Geschichtswerke der Zeitgenossen CassiusDio und Herodian. Cassius Dio schreibt aus derPerspektive der senatorischen Opposition gegenCaracalla. Er zeichnet ein unvorteilhaftes Bild Getas;sowohl Caracalla als auch Geta hätten sich zu Lebzeitenihres Vaters als Vergewaltiger und Päderasten betätigtund Gelder veruntreut.[29] Drastisch beschreibt erGetas jammervolle Haltung angesichts des Todes.[30]Trotz Cassius Dios sehr parteiischer Haltung gilt seineRömische Geschichte als die beste Quelle und alsrelativ zuverlässig. Herodians Darstellung istungenauer und fehlerhafter.[31]

-527-Sie enthält unterschiedliche Angaben über GetasCharakter. An einer Stelle behauptet Herodian, Geta seiebenso wie Caracalla durch das luxuriöse Leben in Romcharakterlich verdorben worden,[32] an einer anderenStelle, wo er die beiden vergleicht, stellt er Geta als(relativ) sanft und maßvoll, gütig undmenschenfreundlich dar.[33]

Von geringerer Bedeutung sind die LebensbeschreibungenGetas sowie des Septimius Severus und Caracallas in derspätantiken Historia Augusta. Sie gelten als relativunzuverlässig. Die Historia Augusta hängt teilweise vonden beiden älteren Werken ab, doch muss ihr Verfasserauch Zugang zu Material aus einer weiteren, heuteverlorenen zeitgenössischen Quelle gehabt haben.[34] Erschildert Geta als habgierig und egoistisch, aber zuMitleid fähig und nicht gewissenlos.[35]

1907 vollendete Lawrence Alma-Tadema nach fastzweijähriger Arbeit das Ölgemälde „Caracalla and Geta“.Es zeigt die kaiserliche Familie – Geta mit seinemBruder und seinen Eltern – im Kolosseum.

LiteraturAllgemeines

Géza Alföldy: Der Sturz des Kaisers Geta und die antikeGeschichtsschreibung. In: Géza Alföldy: Die Krise des RömischenReiches. Geschichte, Geschichtsschreibung und Geschichtsbetrachtung.Franz Steiner, Stuttgart 1989, ISBN 3-515-05189-9, S. 179–216Matthäus Heil: (P.) Septimius Geta. In: Prosopographia ImperiiRomani, 2. Auflage, Teil 7/2, de Gruyter, Berlin 2006, ISBN 978-3-11-019316-9, S. 171–174 (S 454)Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae. Über die Vernichtung vonErinnerung. Eine Fallstudie zu Publius Septimius Geta (189–211 n.Chr.). Computus, Gutenberg 2011, ISBN 978-3-940598-01-1Barbara Levick: Julia Domna. Syrian Empress. Routledge, London 2007,ISBN 0-415-33143-9IkonographieKlaus Fittschen, Paul Zanker: Katalog der römischen Porträts in denCapitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen derStadt Rom. Band 1, 2., überarbeitete Auflage, Philipp von Zabern,Mainz 1994, ISBN 3-8053-0596-6, Textband S. 100–105, Tafelband Tafeln105–109 (Nr. 87–90)Florian Leitmeir: „Geta’s Büste kaufe ich nicht“ – Neues zurTypologie der Bildnisse der severischen Prinzen Geta und Caracalla.In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 58, 2007, S. 7–22Heinz Bernhard Wiggers: Geta. In: Heinz Bernhard Wiggers, Max Wegner:Caracalla, Geta, Plautilla. Macrinus bis Balbinus (= Max Wegner(Hrsg.): Das römische Herrscherbild, Abteilung 3 Band 1). GebrüderMann, Berlin 1971, ISBN 3-7861-2147-8, S. 93–114Andreas Pangerl: Porträttypen des Caracalla und des Geta aufRömischen Reichsprägungen - Definition eines neuen Caesartyps desCaracalla und eines neuen Augustustyps des Geta; ArchäologischesKorrespondenzblatt des RGZM Mainz 43, 2013, 1, 99-116

-528-HilfsmittelAttilio Mastino: Le titolature di Caracalla e Geta attraverso leiscrizioni (indici). Editrice Clueb, Bologna 1981 (Zusammenstellungder inschriftlichen Belege für die Titulatur)Weblinks Commons: Publius Septimius Geta – Sammlung von Bildern, Videos undAudiodateienLiteratur von und über Geta im Katalog der DeutschenNationalbibliothekMichael L. Meckler: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Getas Lebensbeschreibung in der Historia Augusta (englischeÜbersetzung)

Anmerkungen1↑ Diese Datierung ist die in der neueren Forschung vorherrschende,siehe Anthony R. Birley: The African Emperor. Septimius Severus, 2.,erweiterte Auflage, London 1988, S. 218 und Barbara Levick: Julia

Domna, London 2007, S. 32 und Anm. 71. Eine abweichende Datierung(27. Mai 189) vertritt Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae,Gutenberg 2011, S. 13, 177.2↑ Michael Louis Meckler: Caracalla and his late-antique biographer,Ann Arbor 1994, S. 5 und Anm. 22.3↑ Helga Gesche: Die Divinisierung der römischen Kaiser in ihrerFunktion als Herrschaftslegitimation. In: Chiron 8, 1978, S. 377–390,hier: 387f.; Michael Louis Meckler: Caracalla and his late-antiquebiographer, Ann Arbor 1994, S. 9 und Anm. 34; Anne Daguet-Gagey:Septime Sévère, Paris 2000, S. 255f.; Drora Baharal: Victory ofPropaganda, Oxford 1996, S. 20–42.4↑ Bruno Bleckmann: Die severische Familie und die Soldatenkaiser.In: Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum (Hrsg.): Die KaiserinnenRoms, München 2002, S. 265–339, hier: 270. Es könnte sich aber auchum Übernahme des Vornamens von Septimius Severus handeln. Belege beiAttilio Mastino: Le titolature di Caracalla e Geta attraverso leiscrizioni (indici), Bologna 1981, S. 36.5↑ Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae, Gutenberg 2011, S. 182f. undAnm. 48.6↑ Für Frühjahr 196 plädiert Matthäus Heil: Clodius Albinus und derBürgerkrieg von 197. In: Hans-Ulrich Wiemer (Hrsg.): Staatlichkeitund politisches Handeln in der römischen Kaiserzeit, Berlin 2006, S.55–85, hier: 75–78. Anderer Meinung ist u. a. Helmut Halfmann:Itinera principum, Stuttgart 1986, S. 220; er tritt für Mitte 195ein.7↑ Zu den Datierungsansätzen siehe Helmut Halfmann: Itineraprincipum, Stuttgart 1986, S. 51; Michael Louis Meckler: Caracallaand his late-antique biographer, Ann Arbor 1994, S. 10; Anthony R.Birley: The African Emperor. Septimius Severus, 2., erweiterteAuflage, London 1988, S. 130.8↑ Vgl. zur Rangordnung Fleur Kemmers: Out of the Shadow: Geta andCaracalla reconsidered. In: Stephan Faust, Florian Leitmeir (Hrsg.):Repräsentationsformen in severischer Zeit, Berlin 2011, S. 270–290,hier: 271–274.9↑ Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae, Gutenberg 2011, S. 178.10↑ Zur Afrikareise und ihrer Datierung siehe Anthony R. Birley: TheAfrican Emperor. Septimius Severus, 2., erweiterte Auflage, London1988, S. 146–154.11↑ Abbildung bei Barbara Levick: Julia Domna, London 2007, S. 81.Vgl. Daría Saavedra-Guerrero: El poder, el miedo y la ficción en larelación del emperador Caracalla y su madre Julia Domna. In: Latomus66, 2007, S. 120–131, hier: 122f.12↑ Zur Datierung siehe Anthony R. Birley: The African Emperor.Septimius Severus, 2., erweiterte Auflage, London 1988, S. 274;Michael Louis Meckler: Caracalla and his late-antique biographer, AnnArbor 1994, S. 13 Anm. 58.13↑ Barbara Levick: Julia Domna, London 2007, S. 84.

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14↑ Siehe dazu Fleur Kemmers: Out of the Shadow: Geta and Caracallareconsidered. In: Stephan Faust, Florian Leitmeir (Hrsg.):Repräsentationsformen in severischer Zeit, Berlin 2011, S. 270–290,hier: 271, 283–285.15↑ Herodian 4,3,5–9.16↑ Julia Sünskes Thompson: Aufstände und Protestaktionen im ImperiumRomanum, Bonn 1990, S. 63; Géza Alföldy: Die Krise des RömischenReiches, Stuttgart 1989, S. 190–192, 213f.17↑ Zu diesem Ergebnis kommt Jenö Fitz: Das Verhalten der Armee inder Kontroverse zwischen Caracalla und Geta. In: Dorothea Haupt,Heinz Günter Horn (Hrsg.): Studien zu den Militärgrenzen Roms, Bd. 2,Bonn 1977, S. 545–552; vgl. Markus Handy: Die Severer und das Heer,Berlin 2009, S. 105–110. Auf Ablehnung stößt Fitz bei Julia SünskesThompson: Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn1990, S. 62–64 und Géza Alföldy: Die Krise des Römischen Reiches,Stuttgart 1989, S. 215f.18↑ Zur Datierung siehe Helmut Halfmann: Zwei syrische Verwandte desseverischen Kaiserhauses. In: Chiron 12, 1982, S. 217–235, hier:229f. und Anm. 49 (für 19. Dezember); Michael L. Meckler: Caracallaand his late-antique biographer, Ann Arbor 1994, S. 15, 109–112 (für25. Dezember); Anthony R. Birley: The African Emperor. SeptimiusSeverus, 2., erweiterte Auflage, London 1988, S. 189, 218 (für 26.Dezember); Florian Krüpe: Die Damnatio memoriae, Gutenberg 2011, S.13, 195–197; Géza Alföldy: Die Krise des Römischen Reiches, Stuttgart1989, S. 179.19↑ Cassius Dio 78 (77),2,2–4; vgl. Géza Alföldy: Die Krise desRömischen Reiches, Stuttgart 1989, S. 193–195. Bei der Angabe mancherBücher von Cassius Dios Werk sind unterschiedliche Zählungengebräuchlich; eine abweichende Buchzählung ist hier und im Folgendenjeweils in Klammern angegeben.20↑ Cassius Dio 78 (77),23,3. Vgl. Herodian 4,4,3.21↑ Es ist vermutet worden, dass versehentlich nicht Getas, sondernCaracallas Porträt gelöscht wurde; siehe Heinz Bernhard Wiggers:Caracalla, Geta, Plautilla. In: Max Wegner (Hrsg.): Das römischeHerrscherbild, Abteilung 3 Band 1, Berlin 1971, S. 9–129, hier: 48.Diese Hypothese hat sich aber nicht durchgesetzt; siehe FlorianKrüpe: Die Damnatio memoriae, Gutenberg 2011, S. 237.22↑ Cassius Dio 78 (77),2,5–6.23↑ Cassius Dio 78 (77),1,3.24↑ Klaus Fittschen, Paul Zanker: Katalog der römischen Porträts inden Capitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen derStadt Rom, Band 1, 2., überarbeitete Auflage, Mainz 1994, Textband S.100–102; Heinz Bernhard Wiggers: Geta. In: Heinz Bernhard Wiggers,Max Wegner: Geta (= Max Wegner (Hrsg.): Das römische Herrscherbild,Abteilung 3 Band 1), Berlin 1971, S. 93–114, hier: 97–103; FlorianLeitmeir: „Geta’s Büste kaufe ich nicht“ – Neues zur Typologie derBildnisse der severischen Prinzen Geta und Caracalla. In: MünchnerJahrbuch der bildenden Kunst 58, 2007, S. 7–22; Florian Leitmeir:Brüche im Kaiserbildnis von Caracalla bis Severus Alexander. In:Stephan Faust, Florian Leitmeir (Hrsg.): Repräsentationsformen inseverischer Zeit, Berlin 2011, S. 11–33, hier: 14f., 23f.; Eric R.

Varner: Mutilation and Transformation. Damnatio Memoriae and RomanImperial Portraiture. Leiden 2004, S. 169 f.25↑ Andreas Pangerl: Porträttypen des Caracalla und des Geta aufRömischen Reichsprägungen - Definition eines neuen Caesartyps desCaracalla und eines neuen Augustustyps des Geta; ArchäologischesKorrespondenzblatt des RGZM Mainz 43, 2013, 1, 99-116

-530-26↑ Zur außergewöhnlichen Konsequenz bei der Durchführung sieheFlorian Krüpe: Die Damnatio memoriae, Gutenberg 2011, S. 14–16, 198–244; Heinz Bernhard Wiggers: Geta. In: Heinz Bernhard Wiggers, MaxWegner: Geta (= Max Wegner (Hrsg.): Das römische Herrscherbild,Abteilung 3 Band 1), Berlin 1971, S. 93–114, hier: 93f. Vgl. Eric R.Varner: Mutilation and Transformation. Damnatio Memoriae and RomanImperial Portraiture, Leiden 2004, S. 168, 170–184.27↑ Cassius Dio 79 (78),24,3. Vgl. Barbara Levick: Julia Domna,London 2007, S. 145.28↑ Cassius Dio 78 (77),22,1; Herodian 4,9,2–3.29↑ Cassius Dio 77 (76),7,1.30↑ Cassius Dio 78 (77),2,3.31↑ Zur Einschätzung der Quellen siehe Julia Sünskes Thompson:Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 11und die dort genannte Literatur.32↑ Herodian 3,10,3.33↑ Herodian 4,3,2–4.34↑ Helmut Halfmann: Zwei syrische Verwandte des severischenKaiserhauses. In: Chiron 12, 1982, S. 217–235, hier: 230f.35↑ Historia Augusta, Geta 4,1–5,2.

-531-

Macrinus

Büste des Macrinus, Kapitolinische Museen, Rom

Marcus Opellius Macrinus (* 164 in CaesareaMauretaniae; † Juni/Juli 218 in Archelaïs, heuteAksaray) war römischer Kaiser vom 11. April 217 bis zum

8. Juni 218. Als Kaiser nannte er sich Marcus OpelliusSeverus Macrinus.

Der Nordafrikaner Macrinus war der erste Kaiser, derbei seinem Regierungsantritt nicht dem Senatorenstandangehörte. Er begann seine Karriere in Rom unter KaiserSeptimius Severus (193–211). Unter dessen Sohn undNachfolger Caracalla (211–217) stieg er 212 zumPrätorianerpräfekten auf und begleitete den Kaiser 216–217 auf dessen Feldzug gegen die Parther. Als erbefürchtete, bei Caracalla in Ungnade gefallen zu sein,und daher sein Leben bedroht sah, organisierte er einMordkomplott, dem Caracalla am 8. April 217 zum Opferfiel. Nach einigem Zögern erhob ihn das Heer zumNachfolger des Ermordeten.

Im Senat stieß Macrinus trotz seiner senatsfreundlichenPolitik auf beträchtliche Vorbehalte. Als Kaiser kam ernie nach Rom, sondern verbrachte seine gesamte kurzeRegierungszeit im Osten des Reichs. Den Angriffskriegseines Vorgängers gegen die Parther musste er zunächstgegen seinen Willen fortsetzen, wobei er eineNiederlage erlitt. Schließlich erkaufte er den Friedenmit einer hohen Zahlung.

-532-Mit seiner Sparsamkeit und unmilitärischen Haltungmachte er sich bei den Soldaten unbeliebt. Bald nachdem Beginn seines zweiten Regierungsjahrs führte dieUnzufriedenheit im Heer zu seinem Sturz. Anhänger derentmachteten Dynastie der Severer erhoben Elagabal, derals Sohn Caracallas ausgegeben wurde, zum Gegenkaiser.Am 8. Juni 218 unterlagen die Truppen des Macrinus derStreitmacht Elagabals. Macrinus wurde auf der Fluchtgefasst und bald darauf getötet.

Herkunft und Karriere

Macrinus wurde 164 geboren.[1] Er stammte aus Caesarea,der Hauptstadt der Provinz Mauretania Caesariensis, diesich in der Nähe der heutigen algerischen StadtCherchell befand. Macrinus war Ritter. Vielleichtgehörten schon seine unbekannten Eltern dem Ritterstandan; es kann aber auch sein, dass erst er selbst denRitterrang erwarb. Erst in der spätantikenGeschichtsschreibung sind Einzelheiten über seinenangeblichen Aufstieg aus äußerst armseligenVerhältnissen überliefert, die aber unglaubwürdig sind.Es handelt sich offenbar um Verleumdungen, mit denenman ihn als unwürdigen Emporkömmling diskreditierenwollte. Der zeitgenössische Geschichtsschreiber CassiusDio teilt nur mit, dass Macrinus Maure war und aus sehrbescheidenem Elternhaus stammte.[2] Damit war wohl nurgemeint, dass seine Vorfahren über kein besonderesAnsehen verfügten. Da Macrinus die für seine spätereLaufbahn erforderliche Ausbildung erhielt, war seineFamilie wohl nicht völlig mittellos und bildungsfern.

In Rom war Macrinus als Anwalt tätig. Dabei kam er mitdem mächtigen Prätorianerpräfekten Plautianus inKontakt, der ebenfalls aus Nordafrika stammte.Plautianus machte ihn zum Verwalter seines riesigenVermögens. Als Plautianus 205 durch eine Intrigegestürzt und auf Befehl des Kaisersohns Caracallagetötet wurde, geriet auch Macrinus in große Gefahr,doch der Stadtpräfekt Lucius Fabius Cilo trat für ihnein und rettete ihm damit das Leben.[3] Nun begann erdie ritterliche Ämterlaufbahn. Erst war er advocatusfisci (Anwalt des Fiscus),[4] dann machte ihn KaiserSeptimius Severus zum praefectus vehiculorum perFlaminiam, übertrug ihm also die Aufsicht über denWagenverkehr auf der Via Flaminia.[5] Schließlichvertraute ihm Kaiser Caracalla im Jahre 212 die hoheStellung eines der beiden Prätorianerpräfekten an.Damit erreichte er den Gipfel der ritterlichenKarriereleiter. Er hatte nun eine der mächtigstenPositionen im Reich inne. 216–217 begleitete erCaracalla auf dessen Feldzug gegen die Parther.

-533-Erhebung zum Kaiser

Die Umstände, die zum Tod Caracallas und zu Macrinus’Erhebung zum Kaiser führten, schildert Cassius Dioausführlich. Die Grundzüge seines Berichts gelten inder Forschung als zutreffend, sie werden in modernenDarstellungen der Vorgänge übernommen.[6] Aus seinenAngaben geht hervor, dass sich Macrinus im Frühjahr 217in einer akuten Notlage befand: Prophezeiungen hattenihm die Kaiserwürde verheißen, und dies war Caracallazu Ohren gekommen; außerdem war ein schriftlicherBericht über eine solche Wahrsagung an den Kaiserunterwegs. Ulpius Julianus, ein Vertrauensmann desMacrinus, den dieser später zum Prätorianerpräfektenernannte, warnte Macrinus vor der drohendenLebensgefahr.[7] Die Verbreitung der Prophezeiung warwohl Teil einer gegen den Prätorianerpräfektengerichteten Intrige. In der dadurch entstandenenSituation musste Macrinus eine existenzielle Bedrohungsehen, da Caracalla alles, was seine Herrschaft zugefährden schien, tödlich ernst nahm. Um seinerFestnahme und Beseitigung zuvorzukommen, organisierteMacrinus die Ermordung Caracallas, wobei er sich einerGruppe von drei Unzufriedenen bediente.[8] Am 8. April217 wurde das Attentat in Mesopotamien ausgeführt.

Da Caracalla keine Kinder hatte, war mit ihm diemännliche Nachkommenschaft des DynastiegründersSeptimius Severus ausgestorben. Dies bedeutete dasvorläufige Ende der Herrschaft der Severer. Das zumPartherkrieg versammelte Heer, dem die Wahl des neuenKaisers oblag, war der Dynastie ergeben, musste sichnun aber für einen dynastiefremden NachfolgerCaracallas entscheiden. Offenbar konnte Macrinus seineBeteiligung an dem Attentat verheimlichen. Dennoch fander zunächst kaum Unterstützung. Die Soldaten zogen ihmseinen Kollegen vor, den anderen PrätorianerpräfektenMarcus Oclatinius Adventus, obwohl dieser schon betagtwar und kaum noch sehen konnte. Auch der Umstand, dass

Adventus Analphabet war, störte nicht. Ausschlaggebendwar aus der Sicht des Heeres, dass sich Adventusmilitärisch bewährt hatte, Macrinus hingegen keinemilitärischen Leistungen vorzuweisen hatte.[9] Erstnachdem Adventus mit dem Hinweis auf sein Alter dieKaiserwürde abgelehnt hatte, ließen sich die Soldatennach tagelangem Zögern überreden, Macrinus am 11. Aprilzum Kaiser auszurufen. Dieser scheute sich, seinenEhrgeiz zu zeigen, und nahm seine Erhebung scheinbarwiderstrebend an.[10] Mit seinem Kaisernamen MarcusOpellius Severus Macrinus knüpfte er demonstrativ andie severische Tradition an.[11]

-534-Verhältnis zum Senat

Denar des Macrinus

Macrinus war der erste Kaiser in der römischenGeschichte, der zum Zeitpunkt seiner Erhebung nicht demSenatorenstand angehörte, sondern Ritter war.[12] Zwarhatte er von Caracalla Anfang 217 ehrenhalber dieornamenta consularia (Rangabzeichen eines Konsulars)und den Titel vir clarissimus („hochangesehener Mann“),der eigentlich Angehörigen des Senatorenstandes

vorbehalten war, erhalten, doch war damit keineAufnahme in den Senat verbunden.[13] Solche Ehrungenstellten zwar eine Rangerhöhung dar, aber siebedeuteten nicht, dass der Geehrte einen Sitz im Senateinnahm und tatsächlich Konsular war, also einemSenator, der als Konsul amtiert hatte, gleichgestelltwar.

Dass der Besitz der ornamenta consularia nicht einerabgeschlossenen wirklichen Ausübung des Konsulatsgleichkam, bestätigte Macrinus selbst, indem er dasKonsulat, das er im Jahr 218 als Kaiser antrat, alssein erstes betrachtete.[14] Staatsrechtlich stellteseine Erhebung einen wichtigen Präzedenzfall dar;fortan galt die Zugehörigkeit zum Senatorenstand nichtmehr als notwendige Voraussetzung für die Erlangung derKaiserwürde.

-535-Da Caracalla bei vielen Senatoren verhasst war, wurdesein Tod im Senat mit Befriedigung zur Kenntnisgenommen. Unter diesen Umständen konnte seindynastiefremder Nachfolger in senatorischen Kreisen vonvornherein mit einem gewissen Wohlwollen rechnen,obwohl er aus senatorischer Sicht nicht für dieKaiserwürde qualifiziert war. Die Senatorenregistrierten mit Genugtuung, dass sich der neueHerrscher intensiv um ihre Unterstützung bemühte.Beispielsweise bekannte er sich zu dem Grundsatz, dasseine Verhängung der Todesstrafe gegen einen Senatornicht in Betracht kam.[15] Cassius Dio, der als Senatorund Konsular aus senatorischer Perspektive urteilte,brachte diese mit Einschränkungen wohlwollende Haltungin seinem Geschichtswerk zum Ausdruck. Er sparte aberauch nicht mit Tadel für Maßnahmen des Macrinus, die er

für verfehlt und für Verstöße gegen traditionelleVorrechte der Senatoren hielt.

Grundsätzlich herrschte in senatorischen Kreisen dieAuffassung, dass Macrinus wegen seiner niederenHerkunft und mangelnden Zugehörigkeit zumSenatorenstand nicht nach der Kaiserwürde hätte greifendürfen. Nach Cassius Dios Überzeugung wäre es seinePflicht gewesen, den eigenen Ehrgeiz hintanzustellenund seine Autorität als Prätorianerpräfekt zu nutzen,um für die Kaisererhebung eines Senators zu sorgen.[16]Dennoch bestand Bereitschaft, über diese als Usurpationbetrachtete Anmaßung hinwegzusehen, sofern sich derneue Herrscher eingedenk seiner Herkunft bescheidenbenahm und die Erwartungen der senatorischenFührungsschicht erfüllte.[17] Schwer verübelt wurde ihmjedoch, dass seine Regierungstätigkeit darauf wenigRücksicht nahm.[18]

Einen argen Fehltritt beging Macrinus aus senatorischerSicht schon unmittelbar nach seinem Herrschaftsantritt:In dem Brief, in dem er dem Senat seine Erhebunganzeigte, führte er bereits die kaiserliche Titulatur,ohne die Bestätigung der Amtsübernahme durch den Senatabzuwarten. Obwohl die Bestätigung faktisch reineFormsache war, stellte dieses Verhalten eineMissachtung eines Vorrechts des Senats dar.[19] AlsMissgriff wurde auch gewertet, dass er gegen Personenvorging, die er verdächtigte, seine Herrschaft wegenseiner Herkunft als illegitim zu betrachten, statt sichum das Wohlwollen dieser Oppositionellen zu bemühen.[20] Zu heftiger Kritik gab seine PersonalpolitikAnlass.

-536-Dazu gehörte die Ernennung von Emporkömmlingen zuProvinzstatthaltern, obwohl sie aus der Sicht der

Kritiker über keine entsprechende Qualifikationverfügten. Besonders anstößig war die Ernennung desAdventus, der Macrinus durch seine Ablehnung derKaisererhebung zur Macht verholfen hatte, zumStadtpräfekten. Dass Macrinus dieses sehr bedeutendesenatorische Amt in der Hauptstadt einem ungebildetenMann mit soldatischer Vergangenheit anvertraute, dernoch nicht in den Senat aufgenommen war, stellte fürdie Senatoren eine schwerwiegende Provokation dar.[21]Bald erwies sich Adventus als so inkompetent, dassMacrinus sich gezwungen sah, ihn abzuberufen; seinNachfolger wurde der Geschichtsschreiber MariusMaximus. Ferner verübelte der Senat dem Kaiser, dass ersich nicht mit dem erhofften Nachdruck um dieAufklärung von Verbrechen der Denunzianten Caracallaskümmerte. Die Erklärung des Kaisers, er könne dem Senatkeine einschlägigen Akten zur Verfügung stellen, da imKaiserpalast keine gefunden worden seien, stieß aufMisstrauen. Man verdächtigte ihn, die Denunzianten ausKonfliktscheu zu decken.[22] Entrüstung erregte auchdie Auswahl der beiden Prätorianerpräfekten: Macrinusbesetzte diese Schlüsselposten mit Ulpius Julianus undJulianus Nestor, zwei Männern, die unter Caracalla dasKurierwesen geleitet und sich dabei durch ihreBeteiligung am Denunziantentum verhasst gemacht hatten.

Führungsschwäche

In den hauptstädtischen Kreisen, die unter CaracallasTerrorherrschaft gelitten hatten, wurde derMachtwechsel mit Erleichterung aufgenommen. Dankbarregistrierte man die gegenüber den Verhältnissen unterCaracalla verbesserte Lage.[23] Dennoch gelang esMacrinus nicht, sich Autorität zu verschaffen. Sowohlim Senat als auch in der Stadtbevölkerung wurde er alsführungsschwach wahrgenommen. Als Schwächezeichenerschien beispielsweise sein zumindest anfangs unklaresVerhältnis zum Andenken seines Vorgängers. Zwischenerbitterten Gegnern und begeisterten Anhängern

Caracallas waren die Fronten festgefahren. Eine postumeVerurteilung, die damnatio memoriae, kam angesichts derStimmung unter den Soldaten nicht in Betracht. EineVergöttlichung im Rahmen des Kaiserkults war wegen desverbreiteten Hasses unter den Angehörigen derzahlreichen Terroropfer und den sonstigen Gegnern desermordeten Kaisers ebenfalls problematisch. Daherzögerte Macrinus.[24]

-537-Einerseits ließ er einige Statuen Caracallasunauffällig entfernen, andererseits veranlasste erseinen zum Nachfolger designierten unmündigen Sohn, denNamen Antoninus – Caracallas Kaisernamen – anzunehmen,um ihm die Gunst der Soldaten zu verschaffen.[25]Unklar ist, ob Macrinus schließlich den Soldatennachgab und der Vergöttlichung Caracallas zustimmteoder ob dieser Schritt erst nach seinem Tod erfolgte.[26]

Ein Faktor, der dem Ansehen des Macrinus in Rom schwerschadete, war seine ständige Abwesenheit. Er hat alsKaiser Italien nie betreten, sondern blieb währendseiner gesamten Regierungszeit im Osten des Reichs.Dies konnte zwar mit dem Partherkrieg begründet werden,wurde aber in der Stadtbevölkerung als Führungsschwächeund Mangel an kaiserlicher Fürsorge für die Hauptstadtempfunden. Der Unmut entlud sich bei einem Pferderennenin einer Kundgebung der Menge, die heftig die faktischeHerrscherlosigkeit beklagte.[27]

Finanz- und Wirtschaftspolitik

Macrinus auf einem Aureus. Auf der Rückseite Macrinus und sein SohnDiadumenianus mit der Gestalt der Liberalitas (Großzügigkeit).

Ein vordringliches Problem war die drohende Zerrüttungder Staatsfinanzen, die aus der gewaltigen Aufblähungder militärischen Personalkosten unter den frühenSeverern resultierte.[28] Schon Septimius Severus hatteden Sold der Legionäre von 1200 auf 2400 Sesterzenjährlich verdoppelt, Caracalla hatte eine weitereErhöhung auf 3600 Sesterzen vorgenommen. Damit hattesich der Sold, der zuvor mehr als ein Jahrhundert langstabil gewesen war, in anderthalb Jahrzehntenverdreifacht.[29]

-538-Nach der von Cassius Dio mitgeteilten Schätzung desMacrinus verursachte allein die Solderhöhung Caracallaseinen jährlichen Mehraufwand von 280 MillionenSesterzen, das heißt 70 Millionen Denaren.[30] Außerdemhatte Caracalla die Truppen durch üppigeSonderzuwendungen (Donative) verwöhnt, deren Auszahlungdie Legionäre nun als ihr Gewohnheitsrechtbetrachteten. Als weitere schwere Belastung desStaatshaushaltes kamen die Kosten von Macrinus’Friedensschluss mit den Parthern hinzu, die rund 200Millionen Sesterzen betrugen.[31]

Die Steigerung der militärischen Personalkosten warfinanzpolitisch verhängnisvoll. Die Bevorzugung desMilitärs war nur auf Kosten des wirtschaftlich

produktiven Teils der Bevölkerung und derGeldwertstabilität möglich und erzeugte bei den soverwöhnten Soldaten maßlose Erwartungen. Die Kluftzwischen diesen Erwartungen und dem Sparzwang erzeugteeine für den Kaiser gefährliche Lage, deren Brisanz ererkannte. In einem Brief an den Stadtpräfekten beklagteer sein Dilemma: Er stellte fest, die Finanzlagegestatte keine Fortsetzung der Soldzahlungen in derbisherigen Höhe und zusätzlich zu den Donativen, dochsei eine Reduzierung nicht durchsetzbar.[32] Angesichtsdieses Dilemmas sah er sich zu vorsichtigem Vorgehengezwungen. Statt zu Steuererhöhungen zu greifen oderwillkürliche Konfiskationen anzuordnen, verkaufte erkaiserlichen Besitz und bemühte sich um Kostensenkung.[33] Den Sold beließ er für die bereits im Heerdienenden Soldaten bei 3600 Sesterzen, um keineRebellion zu provozieren, aber für neue Rekrutenreduzierte er ihn auf 2400 Sesterzen. Dabei hoffte er,dass sich die altgedienten Soldaten ruhig verhaltenwürden, da sie keine Einbuße erlitten, und dass dieleichter lenkbaren Rekruten keinen Aufruhr wagenwürden.[34] Die Prätorianer mussten ebenso wie dieRekruten eine Verminderung ihres Soldes um ein Drittel,also auf das Niveau der Zeit des Septimius Severushinnehmen.[35]

Es kam jedoch zu einer von Macrinus nicht bedachtenEntwicklung: Da die für den Partherfeldzug Caracallaszusammengezogenen Truppen weiterhin als großes Heer inSyrien versammelt blieben, solidarisierten sich diealtgedienten Soldaten mit den neuen Rekruten, die ihreschlechtere Einstufung nicht akzeptieren wollten. Siebefürchteten, dass sie nur vorläufig von derSparmaßnahme verschont geblieben sind und dass auchihnen früher oder später eine Soldkürzung bevorsteht.[36] Daher stieß Macrinus’ partielle Soldkürzung aufunerwarteten massiven Widerstand; in seinem Schreibenan den Stadtpräfekten musste er das Scheitern seinerBesoldungspolitik einräumen.[37] In der letzten Phaseseiner Regierungszeit sah sich der Kaiserfinanzpolitisch in einer ausweglosen Lage.

Anscheinend versuchte Macrinus eine deflationärePolitik zu betreiben, indem er den Edelmetallgehalt derGoldmünze Aureus, den Caracalla mit seinerMünzverschlechterung auf 1/50 Pfund reduziert hatte,auf 1/45 Pfund erhöhte.[38] Die von Caracallagesteigerte Steuerlast setzte er herab, indem er dieBestimmungen seines Vorgängers über die Erbschafts- undFreilassungssteuern aufhob. Caracalla hatte dieseSteuern von 5 auf 10 Prozent verdoppelt.[39]

Außenpolitik

Macrinus war militärisch unerfahren, denn bis zu seinerBerufung zum Prätorianerpräfekten hatte er eine reinzivile Karriere gemacht. Seine mangelnde militärischeQualifikation trug zu seiner Unbeliebtheit im Heer bei.An einer Fortsetzung von Caracallas Angriffskrieg gegendie Parther hatte er kein Interesse. Daher bot er einenFrieden an, wobei er die Schuld am Krieg auf seinenVorgänger schob und als Zeichen seines guten Willensdie parthischen Gefangenen freiließ.[40] DerPartherkönig Artabanos IV. wertete dies aber alsZeichen der Schwäche und stellte entsprechend hoheForderungen: Reparationen und eine vollständige RäumungMesopotamiens. Ohne eine Antwort abzuwarten ließ ersein Heer vorrücken. Als sich die Parther derstrategisch wichtigen Stadt Nisibis näherten, musstensich die Römer zum Kampf stellen.

In der Nähe von Nisibis stießen die Heere bei einerWasserstelle aufeinander. Es kam zu einem ersten Kampfum die Wasserversorgung, in dem die Römer unterlagen.Anschließend begann eine große Schlacht, die drei Tagegedauert haben soll. Schließlich setzten sich diezahlenmäßig überlegenen Parther durch. In der Folgezeitbegannen Verhandlungen, die 218 mit einemFriedensvertrag endeten. Die Römer mussten den Friedenmit außerordentlich hohen Zahlungen – insgesamt rund200 Millionen Sesterzen – erkaufen,[41] scheinen aberimmerhin keine Gebietsverluste erlitten zu haben.

Dieser letzte römisch-parthische Krieg endete also miteiner römischen Niederlage. Sie war allerdings nichteklatant, denn Macrinus konnte sich in seinem Berichtan den Senat als Sieger darstellen, worauf der Senatihm den Siegernamen Parthicus anbot. Angesichts desKontrastes zwischen solcher Propaganda und der Realitätlehnte Macrinus diese Ehrung offiziell ab.[42] Faktischbeanspruchte er den Titel aber dennoch: Auf einerafrikanischen Inschrift wurde er Parthicus maximusgenannt und auf Münzen ließ er seinen angeblichen„Parthersieg“ (victoria Parthica) verherrlichen.[43]

-540-Auch mit den Armeniern, die Caracalla bekämpft hatte,fand Macrinus einen Ausgleich. Bei ihnen regiertedamals König Tiridates II., der aus dem parthischenKönigsgeschlecht der Arsakiden stammte. Der Kaiser ließdie von Caracalla gefangen gehaltene Mutter desTiridates frei, anerkannte dessen Thronanspruch durchÜbersendung einer Krone und gab Caracallas armenischeKriegsbeute zurück.[44]

Gegenüber den Dakern zeigte sich Macrinus ebenfallsfriedliebend. Er gab ihnen die Geiseln zurück, dieCaracalla von ihnen erhalten hatte, worauf sie aufFeindseligkeiten verzichteten.[45]

Aufstand gegen Macrinus

Denar des Diadumenianus

Als mit Caracallas Tod die männliche Nachkommenschaftdes Kaisers Septimius Severus ausgestorben war, schiendie Herrschaft der Severerdynastie endgültig beendet zusein. Schon bald nach seinem Regierungsantritt ließMacrinus seinen erst achtjährigen Sohn Diadumenianuszum Caesar und damit zu seinem künftigen Nachfolgerproklamieren, machte also seine Absicht einerDynastiegründung klar. Als aber sein Mangel anAutorität deutlich wurde, formierte sich eineOpposition, die ihn als Usurpator betrachtete und sichauf den Herrschaftsanspruch der Severer berief.

-541-Julia Domna, die syrische Frau des DynastiegründersSeptimius Severus, agitierte nach der Ermordung ihresSohnes Caracalla zunächst gegen den neuen KaiserMacrinus, erkannte dann aber die Aussichtslosigkeitihrer Bemühungen und wählte den Freitod. Damit erloschjedoch der severische Widerstand gegen Macrinus nicht.Julia Domna hatte eine Schwester, Julia Maesa, die mitihr am Hof gelebt hatte und sich mit dem Ende derSevererherrschaft nicht abfinden wollte. Obwohl Maesamit dem Dynastiegründer Severus nicht verwandt, sondern

nur verschwägert war, griff sie den Gedanken desdynastischen Herrschaftsanspruchs der Severer auf undmachte sich ihn zunutze. Macrinus, der ihr misstraute,befahl ihr, sich aus Rom in ihre syrische Heimatzurückzuziehen. Darauf begab sie sich in ihreHeimatstadt Emesa, das heutige Homs. Dort verfügte ihreFamilie über beträchtlichen Einfluss. Vor allem kam ihrzustatten, dass sie ein großes Vermögen besaß. Da dieSoldaten in Syrien der alten Dynastie nachtrauerten undMacrinus nach dem unrühmlichen Ende des Partherkriegsgeschwächt war, sah Maesa eine Chance, ihren eigenenNachkommen die Kaiserwürde zu verschaffen. Ihr Umfeldbegann, gegen Macrinus zu agitieren. Ihrvierzehnjähriger Enkel Varius Avitus (Elagabal) wurdeals unehelicher Sohn Caracallas ausgegeben. Damiterschien er den Unzufriedenen als rechtmäßiger Erbe desermordeten Kaisers.[46]

Mit dem Appell an die Loyalität zur Dynastie derSeverer und mit der Aussicht auf großzügigeGeldgeschenke aus dem Vermögen Maesas ließen sich dieSoldaten der Legio III Gallica, die in der Nähe vonEmesa stationiert war, zum Aufstand gegen Macrinusbewegen. Im Lager der Legion wurde Elagabal am 16. Mai218 zum Kaiser erhoben.

Truppen des Macrinus unter dem Befehl desPrätorianerpräfekten Ulpius Julianus gingen gegen dasLager der rebellierenden Legion vor. Unter ihnen warenMauren, die motiviert waren für Macrinus zu kämpfen, daer aus ihrer Heimat stammte. Ein Sturmangriff derMauren auf das Lager scheiterte jedoch. Darauf gelanges den Aufständischen, die Belagerer auf ihre Seite zuziehen, indem sie auf die angebliche AbstammungElagabals von Caracalla hinwiesen und Belohnungen inAussicht stellten. Die Soldaten des Julianusentschlossen sich zum Frontwechsel. Sie töteten ihreOffiziere und gingen zu Elagabal über. So weitete sichdie Rebellion rasch aus.[47]

-542-Macrinus, der sich seit dem Partherkrieg in Syrienaufhielt, eilte nach Apameia, um die Legio II Parthica,die damals dort stationiert war, durch eine sofortausgezahlte Sonderzuwendung von 4000 Sesterzen fürjeden Soldaten und das Versprechen von weiteren 20.000Sesterzen pro Mann an sich zu binden.[48] In Apameialieß er seinen erst neunjährigen Sohn, den CaesarDiadumenianus, zum Augustus ausrufen und damit zumnominellen Mitherrscher erheben, um seinen Anspruch aufeine Dynastiegründung zu bekräftigen und einen äußerenAnlass für das Geldgeschenk an die Soldaten zu haben.Dieser Schritt wurde aber in Senatskreisen missbilligt,[49] und es gelang Macrinus nicht, die Soldaten zuüberzeugen. Nachdem man ihm den abgeschlagenen Kopf desUlpius Julianus überbracht hatte, zog er sich nachAntiocheia zurück. Die Legio II schloss sich derRevolte an. Als Truppen Elagabals in RichtungAntiocheia vordrangen, musste sich Macrinus zum Kampfstellen. Den Kern seiner Streitmacht bildeten diePrätorianer.

Niederlage, Flucht und Tod

Am 8. Juni 218 kam es in der Nähe von Antiocheia zurEntscheidungsschlacht, die chaotisch verlief, da esbeiden Heeren an kompetenter Führung mangelte. DieTruppen des Macrinus hatten zunächst die Oberhand, aberals der Widerstand der Gegenseite sich versteifte, gabMacrinus die Schlacht vorzeitig verloren und ergriffdie Flucht. Damit war seine Niederlage besiegelt.Zuletzt gaben seine Prätorianer auf, die nach seinerFlucht den Kampf noch fortgesetzt hatten.[50]

Daraufhin sandte Macrinus seinen Sohn zum Partherkönig,um ihn in Sicherheit zu bringen, aber Diadumenianusgelangte nicht über die Grenze, sondern wurde in der

Stadt Zeugma am Euphrat gefasst und bald daraufgetötet. Macrinus selbst begab sich zunächst nachAntiocheia. Als seine Niederlage dort bekannt wurde,floh er verkleidet zu Pferd mit wenigen Begleitern.[51]Er versuchte nach Rom zu gelangen, denn er ging davonaus, dass der Senat, der Elagabal zum Staatsfeinderklärt hatte, noch auf seiner Seite stand.

-543-In Aigeai, einer Stadt in Kilikien, nahm Macrinus, dersich als Kurier ausgab, einen Wagen, um seine Fluchtnach Westen fortzusetzen. In Chalkedon bat er einenProkurator um Geld; dabei wurde er erkannt undfestgenommen. Er sollte nach Syrien zurückgebrachtwerden. Als er unterwegs in Kappadokien von derVerhaftung seines Sohnes erfuhr, stürzte er sich vomWagen. Später wurde er von einem Centurio getötet. DenLeichnam ließ man unbeerdigt liegen; Elagabalbesichtigte ihn, als er auf dem Weg nach Rom war.[52]

Ikonographie

Da Macrinus als Kaiser nie im Westen war, muss jedes imWesten entstandene Bildnis letztlich auf ein Vorbildöstlichen Ursprungs zurückzuführen sein. Die Basis füreine Bestimmung von Macrinus’ Aussehen bilden seineMünzbildnisse. Sie unterscheiden sich erheblich, wasaber nicht, wie man früher glaubte, auf Unterschiedezwischen zwei Prägestätten zurückzuführen ist, sondernauf eine chronologische Abfolge.[53] Die frühenBildnisse mit kurzem Bart erinnern an Caracalla, aufden späten mit langem Bart ist eine Ähnlichkeit mitSeptimius Severus und Mark Aurel erkennbar. Letzteres

passt zur Mitteilung des Geschichtsschreibers Herodian,Macrinus habe mit seiner Barttracht ebenso wie mitseiner langsamen, leisen Sprechweise Mark Aurel, derals vorbildlicher Herrscher galt, nachahmen wollen.[54]

Hinsichtlich der Rundplastiken hat sich die Auffassungdurchgesetzt, dass zwei überlebensgroße Köpfe in Rom,die beide stadtrömischen Ursprungs sein dürften – einerim Museo Capitolino, der andere in der CentraleMontemartini – Macrinus darstellen. Beide zeigen ihnmit Vollbart.[55] Gesichert ist die Identifizierungeines Bronzekopfs im Stadtmuseum Belgrad, als plausibelgilt die eines Marmorkopfs im Arthur M. Sackler Museumin Cambridge (Massachusetts).[56] Das Belgrader Bildniszeigt den Kaiser mit der schlitzartigen Durchbohrungdes linken Ohrs, die bei Cassius Dio bezeugt ist; nachdessen Darstellung handelte es sich dabei um einemaurische Sitte. Die Wiedergabe dieses Details lässterkennen, dass Macrinus bewusst eine ethnischeCharakterisierung vornehmen wollte.[57]

-544-Rezeption

Nach dem Tod des Macrinus ließ Elagabal über ihn diedamnatio memoriae verhängen, was die Zerstörung vonBildnissen des Verfemten und Tilgung seines Namens aufInschriften und Papyri zur Folge hatte. DasVernichtungswerk wurde gründlich betrieben; sogarGemmen wurden zerstört, was sonst in solchen Fällenunüblich war.[58] In Ägypten ging man besonderskonsequent vor. Dort wurde nicht nur die Erinnerung anMacrinus durch Eradierung seines Namens ausgelöscht,sondern Elagabal als unmittelbarer NachfolgerCaracallas dargestellt.[59]

Die Urteile der zeitgenössischen Geschichtsschreiberfielen durchgehend negativ aus. Cassius Dio verübelteMacrinus, dass er es gewagt hatte, nach der Kaiserwürdezu greifen, obwohl er nicht dem Senat angehörte. Alsstandesbewusster Senator sah Cassius Dio in demEmporkömmling aus dem Ritterstand einen Usurpator,dessen schmähliches Ende die gerechte Strafe für diesefrevelhafte Anmaßung gewesen sei.[60] Er hielt ihn füreinen anständigen Menschen mit sehr beschränktenFähigkeiten, der von den mit seinem Aufstiegverbundenen Herausforderungen überfordert gewesen seiund als Herrscher einen verhängnisvollen Hochmutentwickelt habe. Außerdem sei er ein Feigling gewesen.Er habe einen unangebrachten Hang zum Luxus gehabt undsich keinen Respekt verschaffen können.[61] Auch derZeitgenosse Herodian erwähnte und missbilligteMacrinus’ luxuriöses Leben.[62] Er beurteilte denKaiser etwas günstiger als Cassius Dio und lobte seinhartes Vorgehen gegen Caracallas Denunzianten und dieRechtssicherheit, die er herbeigeführt habe,[63]tadelte aber die Nachlässigkeit und Unentschlossenheitdes Macrinus, die sich als verhängnisvoll erwiesenhabe.[64]

Der unbekannte Verfasser der Marciansvita in derspätantiken Historia Augusta übernahm die negativenUrteile der Zeitgenossen des Kaisers in vergröberterForm und schmückte sie mit mancherlei frei erfundenenAngaben aus. Seine Lebensbeschreibung des Macrinus giltals eine der hinsichtlich des Quellenwertsschlechtesten Kaiserbiographien in der HistoriaAugusta.[65] Er behauptete, Macrinus sei nach Gesinnungund Aussehen abstoßend gewesen, ein ruchloser,hochmütiger, dem Luxus ergebener und wegen seinerGrausamkeit berüchtigter Mensch.[66] Mit Berufung aufeine angebliche Äußerung des Aurelius Victor berichteteer, Macrinus sei ursprünglich ein kaiserlicher Sklavegewesen und habe sich als Prostituierter betätigt.

-545-Schließlich habe Kaiser Septimius Severus denTaugenichts nach Nordafrika geschickt. DieGlaubwürdigkeit dieser Angaben sei allerdings ungewiss.Nach einer anderen Überlieferung habe sich Macrinus alsGladiator und Jäger durchgeschlagen.[67] Ferner enthältdie Historia Augusta Angaben über die Gattin desMacrinus, die Nonia Celsa geheißen habe und wegen ihrerSittenlosigkeit verspottet worden sei. Alles über sieMitgeteilte – auch der Name – ist wohl frei erfunden.[68]

Zur Zeit des Renaissance-Humanismus vertraute man derDarstellung der Historia Augusta. So beschrieb im 14.Jahrhundert Benvenuto da Imola Macrinus als einengrausamen, blutdürstigen, mit allen Lastern behaftetenehemaligen Sklaven.[69]

Die moderne Forschung hat das überlieferte Macrinus-Bild der Kritik unterzogen und ist zu einerausgewogeneren Sichtweise gelangt. Alfred vonDomaszewski meinte 1909, Macrinus sei ein „redlicherMann“ mit löblichen Absichten gewesen, aber alsHeerführer unfähig und seiner Aufgabe „durch keineEigenschaft gewachsen“.[70] Ähnlich urteilte Hans-GeorgPflaum 1960.[71] Alfred Heuß (1960) war der Ansicht,Macrinus sei „an sich ein recht tüchtiger Mann“gewesen.[72] Hermann Bengtson (1973) stellte fest,Macrinus sei „zweifellos vom besten Willen beseeltgewesen“.[73] Für Karl Christ (1988) war Macrinus„lediglich das, was man einen rechtschaffenen Mannnennt“.[74]

LiteraturHarald von Petrikovits: M. Opellius Macrinus. In: PaulysRealencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). BandXVIII,1, Stuttgart 1939, Sp. 540–558.Klaus-Peter Johne: M. Opellius Macrinus. In: Leiva Petersen (Hrsg.):Prosopographia Imperii Romani, 2. Auflage, Teil 5, de Gruyter, Berlin1970–1987, S. 445–450 (O 108).Paolo Cavuoto: Macrino. D’Auria, Napoli 1983.

Maria Grazia Granino Cecere: Macrinus. In: Dizionario epigrafico diantichità romane, Band 5 Faszikel 6–7, Rom 1991, S. 169–198(gründliche Darstellung).Gabriele Marasco: L’idéologie impériale de Macrin. In: Revue desÉtudes Anciennes 98, 1996, S. 187–195.Thomas Franke: Macrinus. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 7, Metzler,Stuttgart 1999, ISBN 3-476-01477-0, Sp. 626–627.

Weblinks Commons: Macrinus – Album mit Bildern, Videos und AudiodateienMichael L. Meckler: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Biografie aus der Historia Augusta (englisch) bei LacusCurtiusJona Lendering: Artikel. In: Livius.org (englisch)

-546-Anmerkungen1↑ Cassius Dio 79 (78), 40, 3. Bei der Angabe mancher Bücher vonCassius Dios Geschichtswerk sind unterschiedliche Zählungengebräuchlich; eine abweichende Buchzählung ist hier und im Folgendenjeweils in Klammern angegeben.2↑ Cassius Dio 79 (78), 11, 1.3↑ Cassius Dio 79 (78),11,2–3.4↑ Historia Augusta, Macrinus 4, 4; 4, 6.5↑ Cassius Dio 79 (78), 11, 3.6↑ Siehe beispielsweise Karl Christ: Geschichte der römischenKaiserzeit, 6. Auflage, München 2009, S. 625-626; Julia SünskesThompson: Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn1990, S. 66-67; Anthony R. Birley: Caracalla. In: Manfred Clauss(Hrsg.): Die römischen Kaiser. 55 historische Portraits von Caesarbis Iustinian, 4. Auflage, München 2010, S. 185–191, hier: 191.7↑ Cassius Dio 79 (78), 4, 1–5, 2.Hochspringen ↑ Zweifel an der Rolle des Macrinus als Organisator derVerschwörung sind unberechtigt; siehe dazu Frank Kolb: LiterarischeBeziehungen zwischen Cassius Dio, Herodian und der Historia Augusta,Bonn 1972, S. 133 Anm. 647.8↑ Herodian 4, 12, 1-2.9↑ Cassius Dio 79 (78), 11, 4–6; 79 (78), 14, 1–2.10↑ Gabriele Marasco: L’idéologie impériale de Macrin. In: Revue desÉtudes Anciennes 98, 1996, S. 187–195, hier: 189–191.11↑ Cassius Dio 79 (78), 14, 4.12↑ Paolo Cavuoto: Macrino, Napoli 1983, S. 12.13↑ Cassius Dio 79 (78), 13, 1-2.14↑ Cassius Dio 79 (78), 12, 2.15↑ Cassius Dio 79 (78), 15, 3; 79 (78), 41, 2–4.16↑ Cassius Dio 79 (78), 15, 4.

17↑ Eine Übersichtsdarstellung bietet Maria Grazia Granino Cecere:Macrinus. In: Dizionario epigrafico di antichità romane, Band 5Faszikel 6–7, Rom 1991, S. 169–198, hier: 182-183.18↑ Cassius Dio 79 (78), 16, 2–4.19↑ Cassius Dio 79 (78), 15, 3-4.20↑ Cassius Dio 79 (78), 13–15.21↑ Cassius Dio 79 (78), 21; vgl. 79 (78), 18, 1-2.22↑ Cassius Dio 79 (78), 15, 2; 79 (78), 18, 3–5.23↑ Cassius Dio 79 (78), 17, 2–19, 4.24↑ Cassius Dio 79 (78), 19, 1-2.25↑ Zur kultischen Verehrung Caracallas und zur Datierung ihrerEinführung siehe James Frank Gilliam: On Divi under the Severi. In:Jacqueline Bibauw (Hrsg.): Hommages à Marcel Renard, Bd. 2, Brüssel1969, S. 284–289, hier: 285-286; Helga Gesche: Die Divinisierung derrömischen Kaiser in ihrer Funktion als Herrschaftslegitimation. In:Chiron 8, 1978, S. 377–390, hier: 387-388.26↑ Cassius Dio 79 (78), 20, 1–3.27↑ Thomas Pekáry: Studien zur römischen Währungs- undFinanzgeschichte von 161 bis 235 n. Chr. In: Historia 8, 1959, S.443–489, hier: 479–485.28↑ Siehe zur Solderhöhung Robert Develin: The Army Pay Rises underSeverus and Caracalla and the Question of Annona militaris. In:Latomus 30, 1971, S. 687–695, hier: 687–692; Michael AlexanderSpeidel: Heer und Herrschaft im Römischen Reich der hohen Kaiserzeit,Stuttgart 2009, S. 350, 415.29↑ Cassius Dio 79 (78), 36, 3.30↑ Cassius Dio 79 (78), 27, 1.31↑ Cassius Dio 79 (78), 36, 2-3.

-547-32↑ Cassius Dio 79 (78), 12, 5–7.33↑ Cassius Dio 79 (78), 28, 2–4.34↑ Cassius Dio 79 (78), 12, 7.35↑ Cassius Dio 79 (78), 29; 79 (78), 36, 1.36↑ Cassius Dio 79 (78), 36, 1.37↑ Robert Turcan (Hrsg.): Histoire Auguste, Bd. 3 Teil 1: Vies deMacrin, Diaduménien, Héliogabale, Paris 1993, S. 13-14 und Anm. 25(mit Zusammenstellung der älteren Literatur).38↑ Cassius Dio 78 (77), 9, 4 und 79 (78), 12, 2.39↑ Cassius Dio 79 (78), 26, 2.40↑ Cassius Dio 79 (78), 27, 1.41↑ Cassius Dio 79 (78), 27, 3.42↑ Pierre Salama: L’empereur Macrin Parthicus Maximus. In: Revue desÉtudes Anciennes 66, 1964, S. 334–352. Vgl. Daniel Keller: RömischeMünzen. In: Ursula Hackl u. a. (Hrsg.): Quellen zur Geschichte desPartherreiches, Bd. 2, Göttingen 2010, S. 589–612, hier: 611.43↑ Cassius Dio 79 (78), 27, 4.44↑ Cassius Dio 79 (78), 27, 5.45↑ Cassius Dio 79 (78), 30, 2–31, 4; Herodian 5, 3.46↑ Cassius Dio 79 (78), 31, 4–33, 2; Herodian 5, 4, 1–4.47↑ Cassius Dio 79 (78), 34, 2-3.

48↑ Cassius Dio 79 (78), 38, 2.49↑ Herodian 5, 4, 8–10.50↑ Cassius Dio 79 (78), 39, 1–3.51↑ Cassius Dio 79 (78), 39, 3–40, 5.52↑ Curtis L. Clay: The Roman Coinage of Macrinus and Diadumenian.In: Numismatische Zeitschrift 93, 1979, S. 21–40, hier: 29–32; DieterSalzmann: Die Bildnisse des Macrinus. In: Jahrbuch des DeutschenArchäologischen Instituts 98, 1983, S. 351–381, hier: 353–360.53↑ Herodian 5, 2, 3–4. Siehe dazu Drora Baharal: The EmperorMacrinus. Imperial Propaganda and the Gens Aurelia. In: Enrico dalCovolo, Giancarlo Rinaldi (Hrsg.): Gli imperatori Severi, Rom 1999,S. 47–65, hier: 53–58; Eric R. Varner: Mutilation and Transformation.Damnatio Memoriae and Roman Imperial Portraiture, Leiden 2004, S.185.54↑ Centrale Montemartini, Museo Nuovo, Sala VII 21, Inv. 1757 undMuseo Capitolino, Stanza degli Imperatori 36, Inv. 460. Siehe dazuKlaus Fittschen, Paul Zanker: Katalog der römischen Porträts in denCapitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen derStadt Rom. Band 1, 2., überarbeitete Auflage, Mainz 1994, S. 112–114Nr. 95-96 Taf. 116–119; Max Wegner: Macrinus. In: Heinz BernhardWiggers, Max Wegner: Caracalla, Geta, Plautilla. Macrinus bisBalbinus (= Das römische Herrscherbild, Abteilung 3 Band 1), Berlin1971, S. 131–140, hier: 134–136.55↑ Stadtmuseum Belgrad Inv. AA 2636 (Abbildung online); Arthur M.Sackler Museum Inv. 1949.47.138 (Abbildung online). Siehe dazuFlorian Leitmeir: Brüche im Kaiserbildnis von Caracalla bis SeverusAlexander. In: Stephan Faust, Florian Leitmeir (Hrsg.):Repräsentationsformen in severischer Zeit, Berlin 2011, S. 11–33,hier: 18-19; Eric R. Varner: Mutilation and Transformation. DamnatioMemoriae and Roman Imperial Portraiture, Leiden 2004, S. 186-187;Dieter Salzmann: Die Bildnisse des Macrinus. In: Jahrbuch desDeutschen Archäologischen Instituts 98, 1983, S. 351–381, hier: 362–376.56↑ Cassius Dio 79 (78), 11, 1. Siehe dazu Achim Lichtenberger:Severus Pius Augustus, Leiden 2011, S. 147 und Abbildungen 108 und109.57↑ Siehe dazu Eric R. Varner: Mutilation and Transformation.Damnatio Memoriae and Roman Imperial Portraiture, Leiden 2004, S.185–187.

-548-58↑ Siehe dazu Edmond Van ’t Dack: Encore la damnatio memoriae deMacrin. In: Gerhard Wirth (Hrsg.): Romanitas – Christianitas, Berlin1982, S. 324–334; Pieter J. Sijpesteijn: Macrinus’ damnatio memoriaeund die Papyri. In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 13,1974, S. 219–227.59↑ Cassius Dio 79 (78), 41, 2–4.60↑ Cassius Dio 79 (78), 11, 1–3; 79 (78), 15, 3-4; 79 (78), 20, 3-4;79 (78), 27, 1; 79 (78), 37, 4; 79 (78), 38, 2. Vgl. Asko Timonen:Cruelty and Death. Roman Historians’ Scenes of Imperial Violence fromCommodus to Philippus Arabs, Turku 2000, S. 124–126, 206–208.

61↑ Herodian 4, 12, 2; 5, 2, 4–6; 5, 3, 1.62↑ Herodian 5, 2,2.63↑ Herodian 5, 2, 3-5; 5, 4, 2; 5, 4, 12. Vgl. Asko Timonen: Crueltyand Death. Roman Historians’ Scenes of Imperial Violence fromCommodus to Philippus Arabs, Turku 2000, S. 126-127.64↑ Robert Turcan (Hrsg.): Histoire Auguste, Bd. 3 Teil 1: Vies deMacrin, Diaduménien, Héliogabale, Paris 1993, S. 3–13.65↑ Historia Augusta, Macrinus 2, 1; 4, 1; 5, 5; 5, 8-9; 8, 4; 12, 1–10; 13, 3-4; 14,1. Vgl. Asko Timonen: Cruelty and Death. RomanHistorians’ Scenes of Imperial Violence from Commodus to PhilippusArabs, Turku 2000, S. 127–131.66↑ Historia Augusta, Macrinus 4, 1–6.67↑ Elisabeth Wallinger: Die Frauen in der Historia Augusta, Wien1990, S. 117–119.68↑ Benvenuto da Imola: Liber Augustalis. In: Francisci Petrarchae(…) opera quae extant omnia, Band 1, Basel 1554, S. 575–590, hier:578.69↑ Alfred von Domaszewski: Geschichte der römischen Kaiser, Bd. 2,Leipzig 1909, S. 270-271.70↑ Hans-Georg Pflaum: Les carrières procuratoriennes équestres sousle Haut-Empire romain, Bd. 2, Paris 1960, S. 672.71↑ Alfred Heuß: Römische Geschichte, Braunschweig 1960, S. 351.72↑ Hermann Bengtson: Römische Geschichte, München 1973, S. 327.73↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, München 1988(6. Auflage München 2009), S. 625.

-549-

Diadumenianus

Denar des Diadumenianus

Marcus Opellius Diadumenianus (kurz Diadumenian; * 14.September 208; † Sommer 218) war der Sohn des römischenKaisers Macrinus. Nach der Erhebung seines Vaters zumKaiser im April 217 erhielt er den Titel Caesar und denNamen Marcus Opellius Antoninus Diadumenianus. Imfolgenden Jahr wurde Diadumenianus nominell Mitregent,doch bald darauf kam er beim Sturz seines Vaters umsLeben.

Der Vater des Diadumenianus, der PrätorianerpräfektMacrinus, gehörte dem Ritterstand an. Anfang 217 wurdeer von Kaiser Caracalla in den Senatorenstand erhobenund erhielt den Titel clarissimus vir („hochangesehenerMann“).[1] Zugleich wurde der damals noch nichtneunjährige Diadumenianus in den Senatorenstandaufgenommen; er ist inschriftlich als clarissimus puer(„hochangesehener Knabe“) bezeugt.[2]

Macrinus organisierte das Mordkomplott, dem KaiserCaracalla am 8. April 217 zum Opfer fiel, und wurde

dann vom Heer zu dessen Nachfolger erhoben. Bald daraufließ er seinen Sohn in der Stadt Zeugma am Euphrat zumCaesar und damit zu seinem künftigen Nachfolgerproklamieren. Diadumenianus erhielt den sehr populärenKaisernamen Antoninus, der an Mark Aurel erinnerte undden auch Caracalla getragen hatte.[3]-550-In Rom wurden am 14. September 217 anlässlich vonDiadumenianus' Geburtstag Wagenrennen abgehalten. Dabeikam es zu einer Protestkundgebung gegen Macrinus wegenseiner andauernden Abwesenheit von der Hauptstadt.[4]

Als im Mai 218 die Rebellion des Elagabal ausbrach,dessen Anhänger ihn als unehelichen Sohn Caracallasausgaben, reagierte Macrinus, der sich weiterhin inSyrien aufhielt, in Apameia mit der Erhebung seinesSohnes zum Augustus, also zum nominell gleichrangigenMitherrscher.[5] Nach seiner Niederlage gegen Elagabalin der Entscheidungsschlacht bei Antiocheia am 8. Juni218 versuchte Macrinus nach Rom zu fliehen, wurde abergefasst und getötet. Er hatte Diadumenianus zumPartherkönig Artabanos IV. geschickt, um ihn so inSicherheit zu bringen. Diadumenianus wurde aber auf derFlucht in Zeugma, wo man ihn von der Caesar-Proklamation her kannte, verhaftet und bald daraufgetötet.[6] Es folgte, wie in solchen Fällen üblich,die damnatio memoriae (Auslöschung des Andenkens), wasdie Zerstörung der Bildnisse des Verfemten und Tilgungseines Namens auf Inschriften und Papyri zur Folgehatte.[7]

In der spätantiken Historia Augusta wurde Diadumenianuseine eigene Lebensbeschreibung gewidmet, die miterfundenen Angaben ausgeschmückt ist und derenQuellenwert gering ist.

Ikonographie

Das Aussehen Diadumenians ist nur aus der Münzprägungbekannt. Es ist unwahrscheinlich, dass eine derunterschiedlichen Rundplastiken, für die er in Betrachtgezogen worden ist, tatsächlich ihn darstellt. DieMünzbildnisse folgen der frühseverischen Tradition; sieerinnern an die Münzporträts Caracallas aus dessen Zeitals Caesar.[8]

LiteraturRonald Syme: The Son of the Emperor Macrinus. In: Phoenix Bd. 26,1972, S. 275–291Klaus-Peter Johne: M. Opellius Diadumenianus. In: Leiva Petersen(Hrsg.): Prosopographia Imperii Romani, 2. Auflage, Teil 5, deGruyter, Berlin 1970–1987, S. 442–445 (O 107)IkonographieMax Wegner: Diadumenianus. In: Heinz Bernhard Wiggers, Max Wegner:Caracalla, Geta, Plautilla. Macrinus bis Balbinus (= Max Wegner(Hrsg.): Das römische Herrscherbild, Abteilung 3 Band 1). GebrüderMann, Berlin 1971, ISBN 3-7861-2147-8, S. 141–145

-551-Weblinks Commons: Diadumenianus – Sammlung von Bildern, Videos undAudiodateienDonatien Grau: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (französisch) ausDe Imperatoribus RomanisBiografie aus der Historia Augusta (englisch)

Anmerkungen1↑ Cassius Dio 79 (78),13,1; CIL XV 7505. Bei der Angabe mancherBücher von Cassius Dios Werk sind unterschiedliche Zählungengebräuchlich; eine abweichende Buchzählung ist hier und im Folgendenjeweils in Klammern angegeben.2↑ CIL XV 7505.3↑ Ronald Syme: The Son of the Emperor Macrinus. In: Phoenix 26,1972, S. 275–291, hier: 277f.; Julia Sünskes Thompson: Aufstände undProtestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 69f.4↑ Cassius Dio 79 (78),20. Vgl. Julia Sünskes Thompson: Aufstände undProtestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 36, 120–122.5↑ Ronald Syme: The Son of the Emperor Macrinus. In: Phoenix 26,1972, S. 275–291, hier: 277.6↑ Cassius Dio 79 (78),40,1; Herodian 5,4,12. Vgl. Ronald Syme: TheSon of the Emperor Macrinus. In: Phoenix 26, 1972, S. 275–291, hier:278.7↑ Zur Durchführung dieser Maßnahme im Fall von Diadumenianus sieheEric R. Varner: Mutilation and Transformation. Damnatio Memoriae andRoman Imperial Portraiture, Leiden 2004, S. 185–188.

8↑ Florian Leitmeir: Brüche im Kaiserbildnis von Caracalla bisSeverus Alexander. In: Stephan Faust, Florian Leitmeir (Hrsg.):Repräsentationsformen in severischer Zeit, Berlin 2011, S. 11–33,hier: 19f.; Max Wegner: Diadumenianus. In: Max Wegner (Hrsg.): Dasrömische Herrscherbild, Abteilung 3 Band 1, Berlin 1971, S. 141–145.

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Elagabal

ElagabalKapitolinische Museen, Rom

Elagabal (* 204 wahrscheinlich in Rom; † 11. März 222in Rom) war vom 16. Mai 218 bis zu seiner Ermordungrömischer Kaiser. Ursprünglich hieß er Varius AvitusBassianus. Als Kaiser nannte er sich Marcus AureliusAntoninus, um wie sein angeblicher Vater Caracalla andie Antonine anzuknüpfen. Der Name Elagabal, den dervon ihm verehrte Gott trug, wurde dem Kaiser erst langenach seinem Tod beigelegt.

Elagabal gelangte durch eine Militärrevolte gegenseinen Vorgänger Macrinus an die Macht, wobei er sichals unehelicher Sohn des im Jahr 217 ermordeten KaisersCaracalla ausgab. Während seiner rund vierjährigenHerrschaft machte er sich in weiten Kreisen verhasst.Schließlich war er politisch isoliert und wurde vonmeuternden Soldaten ermordet. Er hatte keineNachkommen. Dennoch konnte sich die herrschendeseverische Dynastie über seinen Tod hinaus an der Machthalten.

-553-Für die antike und die neuzeitliche Nachwelt wurde derName Elagabal zum Symbol für Lasterhaftigkeit undDekadenz der römischen Kaiserzeit sowie verhängnisvolleorientalische Kultureinflüsse. Die moderne Forschunghat sich aber von solchen klischeehaften Vorstellungenbefreit und zeichnet ein differenziertes Bild. Einschwerer Konflikt zwischen konservativem Römertum undder syrischen religiösen Tradition, die der jugendlicheKaiser in Rom einführen wollte, überschattete seinekurze Regierungszeit.

Herkunft und Kindheit

Elagabal wurde im Jahr 204 geboren, wahrscheinlich inRom, wo seine Eltern damals lebten.[1] Er war vonmütterlicher wie von väterlicher Seite syrischerHerkunft. Sein Vater Sextus Varius Marcellus, ein ausApameia in der Provinz Syria stammender römischerRitter, hatte in Rom unter Kaiser Septimius Severus alsVerwaltungsbeamter Karriere gemacht und wurde unterdessen Sohn und Nachfolger Caracalla in den Senataufgenommen und mit hohen Ämtern betraut. Zuletzt warer Statthalter der Provinz Numidien in Nordafrika. Indiesem Amt blieb er bis zu seinem Tod 217.[2] ElagabalsMutter war Julia Soaemias Bassiana, die ältere derbeiden Töchter der Julia Maesa, der Schwester derKaiserin Julia Domna. Julia Domna war die Frau desSeptimius Severus und Mutter Caracallas. Somit warElagabal als Großneffe der Kaiserin kein Nachkomme desSeptimius Severus, sondern nur von dessen Schwägerin.Als die männliche Nachkommenschaft des SeptimiusSeverus und der Julia Domna mit der ErmordungCaracallas 217 ausstarb, konnte die von Julia DomnasSchwester abstammende Seitenlinie zum Zug kommen,obwohl sie mit Septimius Severus nicht blutsverwandt,sondern nur verschwägert war.

Elagabals Urgroßvater, der Vater von Julia Domna undJulia Maesa, hieß Julius Bassianus. Er hatte in Emesa(heute Homs in Syrien) das erbliche Amt eines Priestersdes dort verehrten Gottes Elagabal inne. Von ihm stammtder Name Bassianus (wohl abgeleitet von demorientalischen Priestertitel Basus), den nicht nurKaiser Elagabal vor seiner Erhebung trug, sondern auchCaracalla und Elagabals Vetter und Nachfolger SeverusAlexander.[3] Die Familie des Julius Bassianus genossin Emesa höchstes Ansehen, da ihr der Kult der dortigenobersten Gottheit anvertraut war, und verfügte in derRegion über erheblichen Einfluss.[4] ÜberregionaleBedeutung gewannen die Familie und der von ihrgepflegte Elagabal-Kult aber erst infolge der Heiratvon Julius Bassianus’ Tochter Julia Domna mit SeptimiusSeverus, der damals (187) noch nicht Kaiser war.Die Sippe des Bassianus war wohl arabischen Ursprungs.Anscheinend handelte es sich um Nachkommen dereinstigen arabischen Fürsten von Emesa, die dort nochim 1. Jahrhundert n. Chr. als Vasallen des RömischenReichs regiert hatten.[5]

Elagabal verbrachte seine Kindheit in Rom am Kaiserhof.Während der Statthalterschaft seines Vaters in Numidienwurde er von seiner Großmutter und seiner Muttererzogen.[6] Seine Lebensverhältnisse änderten sich,nachdem der im Heer beliebte Kaiser Caracalla am 8.April 217 auf Veranlassung des PrätorianerpräfektenMacrinus ermordet worden war. Macrinus, der CaracallasNachfolger wurde, verbannte Julia Maesa in ihreHeimatstadt Emesa. Zusammen mit ihr mussten auch ihreTochter Julia Soaemias und ihr Enkel Elagabal denkaiserlichen Hof verlassen. So kam der dreizehnjährigeVarius Avitus (Elagabal) nach Emesa. Dort übernahm ergemäß der Familientradition die Würde eines Elagabal-Priesters, die er bis zu seinem Tod beibehielt. Damalssoll er durch außergewöhnliche körperliche SchönheitEindruck gemacht haben. Den Namen „Elagabal“, der demGott vorbehalten war, hat er selbst nie getragen undauch von seinen Zeitgenossen nicht erhalten. Die ausfalscher Etymologie entstandene Namensform

„Heliogabalus“ ist für den Kaiser erst in Quellen des4. Jahrhunderts bezeugt.[7]

Erhebung und Bürgerkrieg

Die Verbannung der Julia Maesa erwies sich bald alsschwerer Fehler, denn in Emesa verfügte sie überVermögen und Einfluss und hatte reichlich Gelegenheitzur Agitation gegen Macrinus, der bei den Soldatenwegen seiner Sparmaßnahmen unbeliebt war. Da das HeerCaracalla ergeben war, hatte Macrinus seine Beteiligungan dessen Ermordung verheimlichen müssen. Nun wurdeElagabal als unehelicher Sohn Caracallas ausgegeben.Damit und durch finanzielle Anreize ließ sich eine inder Nähe stationierte Legion, die Legio III Gallica,dazu bewegen, Elagabal am 16. Mai 218 zum Kaiserauszurufen, womit die Rebellion gegen Macrinus begann.[8] Elagabal nahm, um seine dynastische Legitimationherauszustreichen, den offiziellen Kaisernamen MarcusAurelius Antoninus an, den bereits Caracalla getragenhatte.

-555-Gegen das Lager der Legio III, in dem sich Elagabalaufhielt, gingen Truppen des Macrinus unter dem Befehldes Prätorianerpräfekten Ulpius Julianus vor. Unterihnen waren Mauren, die zu Macrinus hielten, da er ausihrer Heimat stammte. Ein Sturmangriff der Mauren aufdas Lager scheiterte. Darauf gelang es den belagertenAufständischen, die Belagerungsstreitmacht zumFrontwechsel zu bewegen, indem sie auf die angeblicheAbstammung Elagabals von Caracalla hinwiesen undBelohnungen in Aussicht stellten. Die Belagerer tötetenihre Offiziere und gingen zu Elagabal über, und die

Rebellion weitete sich aus. Macrinus, der sich wegendes kürzlich beendeten Kriegs gegen die Parther noch inder Provinz Syria aufhielt, versuchte in Apameiavergeblich, die dort zeitweilig stationierte Legio IIParthica durch großzügige Geldgeschenke undVersprechungen an sich zu binden. Nachdem man ihm denabgeschlagenen Kopf des Ulpius Julianus überbrachthatte, zog er sich nach Antiocheia zurück, und dieLegio II schloss sich der Revolte an. Als TruppenElagabals in Richtung Antiocheia vordrangen, musstesich Macrinus zum Kampf stellen. Den Kern seinerStreitmacht bildete die Prätorianergarde.

Am 8. Juni 218 kam es in der Nähe von Antiocheia zurEntscheidungsschlacht, die Macrinus verlor. Er wurdeauf der anschließenden Flucht gefangengenommen undgetötet. Elagabals Großmutter und Mutter waren auf demSchlachtfeld anwesend und trugen nach der Schilderungdes Zeitgenossen Cassius Dio wesentlich zum Sieg bei,indem sie in einer kritischen Kampfphase die schonfliehenden Truppen zum Standhalten bewogen. Da esbeiden Heeren an kompetenter Führung mangelte, verliefdie Schlacht chaotisch.

Herrschaft

Nach seinem Sieg machte sich Elagabal auf die Reisenach Rom. Unterwegs kam es zu einem Konflikt mit seinemErzieher Gannys. Gannys, der zu Elagabals verwitweterMutter in einem eheähnlichen Verhältnis stand, hattebei der Organisation des Aufstands gegen Macrinus einemaßgebliche Rolle gespielt. Sein Versuch, auf denjungen Kaiser Einfluss zu nehmen, führte zu einemtödlichen Machtkampf; Elagabal soll Gannys eigenhändiggetötet haben.

-556-Erst im Sommer 219 traf Elagabal in Rom ein. InAnbetracht seines Alters übte seine Großmutter JuliaMaesa faktisch die Regentschaft aus. GroßeSchwierigkeiten ergaben sich aber aus dem ausgeprägtenEigenwillen des jugendlichen Kaisers. Schon seinedemonstrative Anknüpfung an seinen angeblichen VaterCaracalla brachte ihn in einen Gegensatz zursenatorischen Führungsschicht, die zu Caracalla inOpposition gestanden hatte. Der Senat hatte CaracallasTod bejubelt und im Bürgerkrieg für Macrinus Parteiergriffen sowie Elagabal zum Staatsfeind erklärt.Manche Münzbildnisse Elagabals zeigen eine zweifellosbeabsichtigte Ähnlichkeit mit denen Caracallas undoffizielle Dokumente nehmen auf seine fiktiveAbstammung Bezug.

Denar Elagabals

Elagabal versuchte sich eine Machtbasis zu schaffen,indem er Männer niederer Herkunft aus seiner Umgebungin hohe Ämter beförderte, was ihm in konservativenaristokratischen Kreisen sehr verübelt wurde.[9] Zudiesen führenden Persönlichkeiten seinerHerrschaftszeit gehörte Publius Valerius Comazon, der

ursprünglich Tänzer und Schauspieler gewesen sein soll,dann eine militärische Karriere machte, beim Aufstandgegen Macrinus eine wichtige Rolle spielte undschließlich unter Elagabal Prätorianerpräfekt, zusammenmit dem Kaiser ordentlicher Konsul und dreimalStadtpräfekt wurde.[10]

-557-Der neue Herrscher war nicht bereit, auf die Vorrechtedes Senats und die Sitten und Interessen der führendenKreise Rücksicht zu nehmen, sondern hielt sich, obwohler in Rom aufgewachsen war, an die Gepflogenheitenseiner orientalischen Heimat. So brüskierte er dieStadtrömer, indem er orientalische Priestertracht trug.219 heiratete er eine vornehme Römerin, Julia CorneliaPaula, die er aber im folgenden Jahr verstieß. Einezweite Ehe schloss er mit der Vestalin Julia AquiliaSevera, was aus römischer Sicht eine unerhörteProvokation war, denn auf Missachtung derKeuschheitspflicht einer Vestalin stand traditionelldie Todesstrafe. Auf Drängen seiner Großmutter trennteer sich 221 von der Vestalin und ging eine dritte Ehemit Annia Faustina ein, kehrte aber noch vor dem Endedes Jahres zu Aquilia zurück.[11] Alle drei FrauenElagabals führten den Titel Augusta und sind auf Münzenals Kaiserinnen bezeugt. Möglicherweise ging Elagabalin seiner vierjährigen Regierungszeit noch eine oderzwei weitere Ehen ein.

Bei der stadtrömischen Bevölkerung versuchte sich derKaiser durch großzügige Geldgeschenke und viele Feste,Wettkämpfe und Schauspiele beliebt zu machen.[12] Damitwar er möglicherweise zeitweilig erfolgreich, doch inder Führungsschicht waren er und seine Mutter verhasst.Besonderen Anstoß erregte der Aufstieg eines Günstlingsdes Kaisers namens Hierokles. Hierokles, ursprünglichein Sklave aus Karien, war dem Kaiser als Wagenlenkeraufgefallen und erlangte dann am Hof großen Einfluss,was auf ein sexuelles Verhältnis zum Herrscher

zurückgeführt wurde. Elagabal soll sogar erwogen haben,ihn zum Caesar zu erheben.

Auf die Reichsverwaltung, für die sich Elagabalanscheinend wenig interessierte, scheinen sich dieTurbulenzen in Rom kaum ausgewirkt zu haben.Außenpolitisch herrschte Ruhe. Es kam allerdingswiederholt zu Soldatenaufständen, die raschniedergeschlagen wurden; die beiden wichtigsten(Ausrufung der Gegenkaiser Verus und Gellius Maximus,beide 219) ereigneten sich bezeichnenderweise inSyrien, wo man das militärische Machtvakuum deutlichvor Augen hatte, das nach dem Tod Caracallaseingetreten war.[13]

-558-Religionspolitik

Aureus Elagabals. Inschrift der Vorderseite: Imp(erator) C(aesar)M(arcus) Aur(elius) Antoninus P(ius) F(elix)

Aug(ustus). Inschrift der Rückseite: Sanct(o) Deo Soli Elagabal(o)(„Dem heiligen Sonnengott Elagabal“)

Die Religionspolitik Elagabals stand als vorrangigesAnliegen im Mittelpunkt seiner Regierungstätigkeit. Siewar das markanteste Element seiner Herrschaft und derwichtigste Anlass des Zerwürfnisses zwischen ihm und

der Bevölkerung Roms sowie den senatorischen Kreisen.Der Gegensatz war unüberbrückbar, denn der Kaiserwollte nicht nur den vorhandenen Kulten einen neuenhinzufügen, sondern sein Ziel war die Einführung desElagabal-Kults als Staatsreligion in der Hauptstadt undim gesamten Reich. Die bisherige römische Religion mitJupiter als oberstem Staatsgott sollte zurückgedrängtund auf den zweiten Platz verwiesen werden. Allenrömischen Göttern wurde eine untergeordnete Funktiongegenüber dem syrischen Sonnengott zugewiesen.

Den heiligen Stein von Emesa, der dort im Mittelpunktdes Elagabal-Kults stand, brachte der Kaiser nach Rommit. Es war also von Anfang an geplant, den bisher nurin Emesa verehrten Elagabal zum Reichsgott zu machen.Auf dem Palatin wurde zur Unterbringung des Steins einTempel gebaut[14] und eine Priesterschaft eingerichtet.Ein weiterer Elagabal-Tempel befand sich außerhalb derHauptstadt.[15] Oberpriester war der Kaiser selbst(sacerdos amplissimus dei invicti Solis Elagabali). Miteiner prunkvollen Festprozession im Sommer waren Spieleund Volksbelustigungen verbunden.[16]

-559-Der Kaiser verkündete und feierte auch die „HeiligeHochzeit“ (hierós gámos) des Gottes Elagabal; diesersollte sich mit der karthagischen Urania (DeaCaelestis, Tinnit) vermählen. Die Hochzeit desHerrschers und Oberpriesters mit der Vestalin solltedie vollkommene göttliche Hochzeit auf der menschlichenEbene abbilden. Aus dieser Verbindung erhoffte ergottähnliche Kinder. Dabei kollidierte Elagabal mit dervöllig anderen Auffassung der Römer von den Aufgabender zu strengster Keuschheit verpflichtetenVestalinnen. Die beiden Seiten standen einander mitihren unvereinbaren religiösen Überzeugungen

verständnislos gegenüber. Seine erste Frau hatteElagabal wegen eines Körpermals verstoßen, was nachrömischem Empfinden tyrannische Willkür war, aber ausseiner Sicht eine religiöse Notwendigkeit, dapriesterliche Funktionen körperliche Makellosigkeiterforderten.[17]Dass der Kaiser nach orientalischem Brauch beschnittenwar, war den Römern ein Gräuel.[18] Vor dem Hintergrundder Gegensätze zwischen östlicher und westlicherreligiöser Tradition sind auch Berichte über Orgien,Homosexualität und Transsexualität, (sakrale)Prostitution, ein Streben Elagabals nach Androgynie undsogar nach Kastration zu deuten. All dies hatte –soweit es zutrifft – eine religiöse Wurzel, für welchedie römischen Geschichtsschreiber kein Verständnisaufbringen konnten. Dies gilt auch für ElagabalsGewohnheit des rituellen Tanzens und seine fremdartigePriesterkleidung; Kleiderluxus wurde in Rommissbilligt.[19]

Der Versuch des jugendlichen Kaisers, dem Reich eineneue, rein orientalische Staatsreligion zu verordnenund die jahrhundertealte religiöse Tradition derkonservativen Römer zu verdrängen, war in der römischenGeschichte beispiellos. Die Kühnheit des Vorhabenswurde noch gesteigert durch das schroffe und radikaleVorgehen bei der Etablierung des neuen, den Römernfremden und unbegreiflichen Staatskultes. Erklärbar istdas Verhalten Elagabals, wenn man davon ausgeht, dasser sich tatsächlich – wie seine Münzprägung andeutet –unter dem Schutze seines Gottes als dessen obersterPriester für unangreifbar hielt. Unter diesemGesichtspunkt werden auch seine anderen unbesonnen undsogar tollkühn wirkenden Schritte und die Missachtungrömischer Sitten begreiflich.

-560-Schon vor Kaiser Elagabal gab es in Rom eineSonnengott-Verehrung (Sol invictus), die besondersCaracalla förderte. Daran konnte Elagabal anknüpfen.Diese Strömung, die im späten 3. Jahrhundert einengroßen Aufschwung erlebte, mag orientalisch beeinflusstgewesen sein, doch darf sie nicht mit dem Elagabal-Kultgleichgesetzt oder verwechselt werden. Gegen einenSonnenkult hatte man in Rom grundsätzlich nichtseinzuwenden; als Staatsreligion unannehmbar war aberfür die Römer die besondere Ausprägung, die Elagabalaus Emesa mitgebracht hatte.

Von staatlichen Maßnahmen gegen unerlaubte Religionenwie das Christentum ist aus der RegierungszeitElagabals nichts bekannt.

Untergang

Julia Maesa erkannte, dass sich Elagabal unter dengegebenen Umständen nicht auf Dauer an der Macht haltenkonnte, und bereitete eine Alternative vor. Sie hatteneben Julia Soaemias noch eine jüngere Tochter, JuliaMamaea. Es gelang ihr durchzusetzen, dass Julia MamaeasSohn Bassianus Alexianus, der nun den Namen Alexanderannahm, am 26. Juni 221 von Elagabal adoptiert wurdeund den Titel Caesar erhielt.[20] Damit war Alexander –der künftige Kaiser Severus Alexander – zum Nachfolgerseines kaiserlichen Vetters designiert.

Der neue Mitregent war am 1. Oktober 208 geboren, alsonoch nicht dreizehnjährig. Dennoch war er schon bei denSoldaten beliebt, da für ihn Propaganda gemacht wurde.Wie schon Elagabal wurde er als unehelicher Sohn

Caracallas ausgegeben. Es konnte Elagabal nichtverborgen bleiben, dass die Nachfolgeregelung entwederauf seinen Sturz abzielte oder zumindest von einembaldigen Ende seiner Herrschaft ausging. Daherversuchte er den Caesar abzusetzen, musste abererkennen, dass seine Macht dafür schon nicht mehrausreichte. Wiederholt unternahm er Anschläge auf dasLeben seines Vetters. Damit zeichnete sich ab, dass nureiner der beiden überleben konnte. Da Elagabalmilitärischer Rückhalt fehlte, war der Konflikt für ihnaussichtslos. Meuternde Soldaten, die von seiner TanteJulia Mamaea gesteuert wurden, ermordeten ihn und seineMutter am 11. März 222. Der Leichnam des Kaisers wurdegeschändet und in den Tiber geworfen, und der Senat –von Elagabal als mancipia togata („Sklavenschar inTogen“)[21] geschmäht – beschloss die damnatiomemoriae.[22] Alexander wurde sofort als Kaiseranerkannt. So konnte Julia Maesa vorerst über ihrenanderen Enkel den Fortbestand der syrischen, nur demNamen nach severischen Dynastie sichern.

-561-Ikonographie

Von Elagabal sind mehr als zwanzig Porträtbüsten undeine Reihe von Münzbildnissen erhalten, die teilweiseseine Ähnlichkeit mit Caracalla betonen. Bei den Büstenunterscheidet man – in chronologischer Reihenfolge –den Typus 1 (Jugendlicher mit kurzem, militärischemHaarschnitt, Ähnlichkeit mit Caracalla) und den Typus 2(rundes Gesicht, langer Backenbart, feiner Schnurrbart,keine Ähnlichkeit mit Caracalla). Auf den Münzenverändert sich das Porträt stufenweise: Typus A zeigteinen unbärtigen Knaben, Typus B einen Jugendlichen mitetwas verlängerten Koteletten auf der Wange; auf TypusC trägt der Kaiser einen bis zum Kiefer reichendenBackenbart und meist auch einen Schnurrbart, auf TypusD einen Vollbart.[23]

Einige Münzen aus der Endphase von Elagabals Herrschaft(221–222) zeigen den Kaiser mit einem länglichen, nach

vorn gebogenen Gebilde an seinem Lorbeerkranz oder derStrahlenkrone. Dieser Kopfschmuck wurde früher als Horngedeutet, doch Elke Krengel hat die Hypothesevorgetragen, dass es sich um die Spitze einesStierpenis handelt. Elagabal trug das Objekt, wie dieMünzen erkennen lassen, bei religiösen Zeremonien undbei Staatsakten, an die sich Opferhandlungenanschlossen. Diese Selbstdarstellung des Kaisers aufden Münzen hatte religiösen Symbolcharakter. NachKrengels Interpretation sollte sie Fruchtbarkeit undKraft ausdrücken.[24] In der Forschung hat KrengelsDeutung des Objekts teils Zustimmung gefunden, teilsist sie auf heftige Ablehnung gestoßen.[25]

Rezeption

Antike

Im Rahmen der damnatio memoriae wurde nach ElagabalsTod sein Name auf Inschriften getilgt, Bildnisse desgestürzten Kaisers wurden teils zerstört, teils aus derÖffentlichkeit entfernt und gelagert.[26]

Das Urteil der antiken Nachwelt über Elagabal isteinhellig vernichtend ausgefallen. DerGeschichtsschreiber Cassius Dio, von dem eine relativausführliche Darstellung – die wichtigste erzählendeQuelle – stammt, stand Elagabals Todfeind undNachfolger nahe.

-562-Er berichtet voller Empörung aus der Sicht desSenatorenstandes. Nüchterner, aber ebenfalls sehrnegativ ist das Urteil Herodians, der ebenso wieCassius Dio die Zeit Elagabals miterlebt hatte. Erst imspäten 4. oder frühen 5. Jahrhundert entstand dieLebensbeschreibung Elagabals in der Historia Augusta.Sie bietet viel Erfundenes und Unglaubwürdiges, danebenaber auch wertvolle Informationen aus einer verlorenen

zeitgenössischen Quelle (vielleicht Marius Maximus). Inder Historia Augusta erscheint Elagabal als finsteresGegenbild zu seinem idealisierten Nachfolger.

Die ihm feindliche Literatur schildert den Kaiser alsbrutal, barbarisch, despotisch, hemmungslos, feige undpervers. Zur Illustration wird eine Fülle vonSkandalgeschichten ausgebreitet. Hier trifft man aufalle Stereotype, die aus der Sicht konservativer Römerzum Bild eines abstoßenden Orientalen gehörten, bis hinzur Opferung von Kindern.[27] Daher ist der NameElagabal für die Nachwelt bis in die Gegenwart zumInbegriff spätrömischer Dekadenz geworden.[28]

Ein Teil der spätantiken Geschichtsschreiber (AureliusVictor, Epitome de Caesaribus) ging davon aus, dassElagabal tatsächlich ein Sohn Caracallas war. Zosimosließ diese Frage offen. Der Dichter Ausonius hingegenhielt die Abstammung Elagabals von Caracalla fürerfunden.[29]

Mittelalter und Frühe Neuzeit

Im Mittelalter bezogen die lateinischsprachigenGelehrten des Abendlands ihre Kenntnisse über Elagabalaus den knappen Angaben spätantiker Quellen (Orosius,Hieronymus, Epitome de Caesaribus). Entsprechend kurzbehandeln ihn daher beispielsweise Otto von Freisingund Vinzenz von Beauvais. Im Byzantinischen Reich hieltman sich gewöhnlich an Cassius Dio oder Herodian, dieim Westen unbekannt waren.

Im 14. Jahrhundert widmete Giovanni Boccaccio in seinemlateinischen Werk Über berühmte Frauen der MutterElagabals ein ausführliches Kapitel, worin er das Themaunter dem Aspekt der Unwürdigkeit einerDirnenherrschaft behandelte. Damit sprach er einenGesichtspunkt an, der auch in der Folgezeit in derElagabal-Rezeption aufgegriffen wurde: die Darstellung

Elagabals als Sohn einer Hure, verbunden mit derWarnung vor den Folgen einer Einflussnahme sittenloserFrauen auf die Staatsführung. Daran knüpfte sichmanchmal eine generell ablehnende Haltung gegenüberweiblicher Machtausübung.Der Humanist Leonardo Bruni schrieb 1407, als er in Rompäpstlicher Sekretär war, eine „Rede an die Huren vonRom“, die er Elagabal in den Mund legte. Die Anregungdazu bot ihm eine Erzählung der Historia Augusta, derzufolge Elagabal eine Prostituiertenversammlungeinberief. In der Rede ruft der Kaiser zu hemmungsloserPromiskuität auf und stellt den Prostituiertenstaatliche Belohnungen in Aussicht.[30] Mit demironisch konzipierten Text wollte Bruni auch dierömische Sexualmoral seiner eigenen Zeit beleuchten.

Gängig war in der Frühen Neuzeit der Topos der Hingabean jedes erdenkliche Laster. Edward Gibbon war derAnsicht, die Schändlichkeit von Elagabals Lastern undVerrücktheiten übertreffe alles, was jemals in anderenEpochen oder Ländern vorgefallen ist.[31]

Der in Venedig lebende Komponist Francesco Cavallischuf 1667 die Oper Eliogabalo, deren Libretto vonAurelio Aureli stammt. Das Thema sind die letztenLebenstage des Kaisers. Der Unhold Elagabal ist derGegenspieler seines edlen Nachfolgers Alessandro.

Moderne

Altertumswissenschaft

In der Moderne trat zunächst ein Aspekt in denVordergrund, der schon im 18. Jahrhundert bei EdwardGibbon anklang und im 19. und frühen 20. Jahrhundertdominierte: die Vorstellung einer spezifischorientalischen Despotie Elagabals, die besonders Alfredvon Domaszewski vertrat. Damals war oft von einemkulturellen Sieg orientalischer Barbarei über

traditionelle römische Würde und Tugend die Rede.[32]Die Altertumswissenschaftler hielten sich weitgehend andie Schilderungen und Wertungen von Cassius Dio undHerodian, während außerhalb der Fachkreise diedrastischen Erzählungen der Historia Augusta unkritischrezipiert wurden und Eindruck machten. 1955 urteilteMaximilian Lambertz, der Verfasser des Elagabal-Artikels in der altertumswissenschaftlichenEnzyklopädie Pauly-Wissowa, Elagabal sei immer einweibergegängelter Knabe, nie ein Mann gewesen, nur dasWerkzeug der willensstarken Großmutter.[33]

-564-Wie auch bei anderen in den Quellen sehr negativbeurteilten Kaisern bemüht sich die neuere Forschungverstärkt um eine von herkömmlichen Klischees freieDarstellung. Mit dieser Absicht verbindet sich einteils starkes Misstrauen gegenüber der offenkundigparteiischen, literarischen Mustern folgenden antikenGeschichtsschreibung (beispielsweise bei Leonardo deArrizabalaga y Prado, Martijn Icks und Michael Sommer).Solche Quellenkritik, die manche Forscher fürübertrieben halten, führt dazu, dass viele Angaben dererzählenden Quellen als zweifelhaft oder unglaubwürdigverworfen werden und der Faktenbestand erheblichschrumpft. Dadurch treten die archäologischen Quellen(Münzen, Inschriften und ein Figurenkapitell) stärkerin den Vordergrund. Sie sind zwar wertvoll, können abernur ein sehr beschränktes Bild bieten.[34]

Simeon Solomon, Heliogabalus, High Priest of the Sun (1866)

-565-Auch heute ist unbestritten, dass Elagabal über keinepolitische Begabung verfügte, rücksichtslos agierte unddas katastrophale Ende selbst herbeiführte. Was in derneueren und neuesten Forschung anders eingeschätzt wirdals früher, sind hauptsächlich diejenigen Aspekteseines Verhalten, die bei Zeitgenossen und Nachwelt ammeisten Anstoß erregt haben: die religiösen und diesexuellen Praktiken und die Verbindung beider. EinGroßteil der überlieferten Skandalgeschichten istsexueller Natur. Die neuere Forschung hatherausgearbeitet, dass in Elagabals Religion (wie inanderen orientalischen Kulten) der sakrale und der

sexuelle Bereich unlöslich miteinander zusammenhingen,ja völlig vermischt waren. Das sexuelle Verhalten desKaisers ist aus heutiger Sicht nur vor dem Hintergrundseiner religiösen Wurzeln und Motive verständlich.Phänomene, die außerhalb von Fachkreisen oft nur aufeinen Cäsarenwahnsinn Elagabals zurückgeführt werden,sind der modernen Religionswissenschaft vertraut.

Belletristik, Musik und bildende Kunst

Die Gestalt Elagabals hat seit der zweiten Hälfte des19. Jahrhunderts zahlreiche Schriftsteller, Maler undMusiker inspiriert. Besonders in Kreisen, wo dasDekadenzbewusstsein die Grundstimmung prägte,faszinierte dieser Stoff.[35] Der Maler Simeon Solomonstellte auf dem Gemälde Heliogabalus, High Priest ofthe Sun (1866) den Kaiser als androgynen Jugendlichenin orientalischer Kleidung dar. Von dem britischenMaler Lawrence Alma-Tadema stammt das 1888 entstandeneberühmte Ölgemälde The Roses of Heliogabalus. Esillustriert die Erzählung der Historia Augusta, dassbei einem Bankett Elagabals einige der Gäste unter derUnmenge duftender Blütenblätter, die der Kaiser von derDecke auf sie hinabfallen ließ, erstickt seien. StefanGeorge schuf 1892 den Gedichtband Algabal, wobei er dieGeschichtsquellen zu Elagabal zwar sorgfältigstudierte, letztlich aber sehr frei umsetzte. SeinAnliegen war, die sakrale Verbindung von priesterlicherund herrscherlicher Würde in ihrem Traumcharakter undihrem Zusammenhang mit dem Künstlertum im Sinne desÄsthetizismus spürbar zu machen. Algabal ist einisolierter, elitär gesinnter Ästhet, der ichbezogenhandelt und der Welt der Politik eine Absage erteilt.[36] Der niederländische Schriftsteller Louis Couperusschrieb den historischen Roman De berg van licht indrei Bänden, der bei seinem Erscheinen 1905/06 einenSkandal auslöste. Er schildert den Aufstieg und Falldes Kaisers. Elagabal wird zunächst als attraktiver,künstlerisch begabter, überzivilisierter Jugendlicher

dargestellt; nach dem Herrschaftsantritt verfinstertsich sein Charakter zunehmend.-566-

Lawrence Alma-Tadema, The Roses of Heliogabalus (1888)

Der amerikanische Satiriker Henry Louis Menckenverfasste gemeinsam mit George Jean Nathan einenDreiakter Heliogabalus (1920), in dem er denhistorischen Stoff sehr frei umgestaltete. Derfranzösische Dramatiker Antonin Artaud schrieb 1934 denmit romanhaften Elementen angereicherten EssayHéliogabale ou L’anarchiste couronné (deutsch:Heliogabal oder Der Anarchist auf dem Thron, München1980). Darin befasst er sich insbesondere mit derAndrogynie-Thematik. 1960 veröffentlichte Alfred Dugganden Roman Family Favorites. Er beschreibt dieHerrschaft Elagabals aus der Perspektive einesPrätorianers, der in seinen Memoiren ein insgesamtvorteilhaftes Bild des Kaisers vermittelt.

Die berühmteste moderne musikalische Deutung desElagabal-Stoffs ist Hans Werner Henzes 1972uraufgeführtes Orchesterwerk (Allegoria per musica)Heliogabalus Imperator. 1981 schuf Sylvano Bussotti dieBallette Phaidra/Heliogabalus. Von 2007 stammt dieAuseinandersetzung des Moonchild Trio von John Zorn,Mike Patton, et.al mit Elagabal Six Litanies forHeliogabalus. 2009 beschäftigte sich die Progressive-Rock-Band The Void’s Last Stand auf ihrem Debütalbum ASun by Rising Set mit Elagabal.

LiteraturAllgemeinesMartijn Icks: The crimes of Elagabalus. I.B. Tauris, London/New York2011, ISBN 1-84885-362-9.Maximilian Lambertz: Varius Avitus. In: Paulys Realencyclopädie derclassischen Altertumswissenschaft (RE). Band VIII A,1, Stuttgart1955, Sp. 391–404.Edward Lipinski: Elaha Gabal d’Émèse dans son contexte historique.In: Latomus 70, 2011, S. 1081-1101ReligionspolitikMartin Frey: Untersuchungen zur Religion und zur Religionspolitik desKaisers Elagabal. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1989, ISBN 3-515-05370-0Theo Optendrenk: Die Religionspolitik des Kaisers Elagabal im Spiegelder Historia Augusta. Habelt, Bonn 1969

-567-Michael Pietrzykowski: Die Religionspolitik des Kaisers Elagabal. In:Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Band II 16.3, hrsg. vonWolfgang Haase. De Gruyter, Berlin 1986, ISBN 3-11-008289-6, S. 1806–1825.RezeptionLeonardo de Arrizabalaga y Prado: The Emperor Elagabalus: Fact orFiction? Cambridge University Press, Cambridge 2010, ISBN 978-0-521-89555-2. Rezensionen: sehepunkte (englisch), H-Soz-u-Kult (deutsch)Martijn Icks: Heliogabalus, a Monster on the Roman Throne: TheLiterary Construction of a ‘Bad’ Emperor. In: Ineke Sluiter, Ralph M.Rosen (Hrsg.): Kakos. Badness and Anti-Value in Classical Antiquity.Brill, Leiden 2008, ISBN 978-90-04-16624-0, S. 477–488

Weblinks Commons: Elagabal – Album mit Bildern, Videos und AudiodateienLiteratur von und über Elagabal im Katalog der DeutschenNationalbibliothekMichael L. Meckler: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Biografie aus der Historia Augusta (englisch) bei LacusCurtiusJona Lendering: Artikel. In: Livius.org (englisch)

Anmerkungen1↑ Helmut Halfmann: Zwei syrische Verwandte des severischenKaiserhauses. In: Chiron 12, 1982, S. 217–235, hier: 226f.2↑ Zur Laufbahn siehe Helmut Halfmann: Zwei syrische Verwandte desseverischen Kaiserhauses. In: Chiron 12, 1982, S. 217–235, hier: 226–234. Zum Todesjahr siehe Justinus Klass: Sextus Varius Marcellus. In:Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Bd.VIII A 1, Stuttgart 1955, Sp. 407–410, hier: 409f.3↑ Anthony R. Birley: Septimius Severus. The African Emperor, London1999, S. 72; Ray Thompson: Elagabalus: Priest-Emperor of Rome,

Lawrence (Kansas) 1972, S. 65f.; Barbara Levick: Julia Domna, SyrianEmpress, London 2007, S. 14–19.4↑ Martijn Icks: The crimes of Elagabalus, London 2011, S. 50, 54f.;Barbara Levick: Julia Domna, Syrian Empress, London 2007, S. 17f.5↑ Zu diesem Geschlecht und seinen Nachkommen siehe Richard D.Sullivan: The Dynasty of Emesa. In: Aufstieg und Niedergang derrömischen Welt, Band II 8, Berlin 1977, S. 198–219; Richard D.Sullivan: Priesthoods of the Eastern Dynastic Aristocracy. In: SencerŞahin u. a. (Hrsg.): Studien zur Religion und Kultur Kleinasiens,Band 2, Leiden 1978, S. 914–939, hier: 928–930; Martijn Icks: Imagesof Elagabalus, Nijmegen 2008, S. 26–32.6↑ Herodian 5,3,3.7↑ Karl Gross: Elagabal. In: Reallexikon für Antike und Christentum,Bd. 4, Stuttgart 1959, Sp. 987–1000, hier: 987; Theo Optendrenk: DieReligionspolitik des Kaisers Elagabal im Spiegel der HistoriaAugusta, Bonn 1969, S. 5.8↑ Zur Vorbereitung und Durchführung des Aufstands siehe David S.Potter: The Roman Empire at Bay, AD 180–395, London 2004, S. 150f.9↑ Zur Personalpolitik siehe David S. Potter: The Roman Empire atBay, AD 180–395, London 2004, S. 152f.10↑ Zu Comazon siehe Martijn Icks: The crimes of Elagabalus, London2011, S. 13, 15f., 20, 22f., 40, 95f.11↑ Zu den Ehen des Kaisers und ihrer Chronologie siehe Martin Frey:Untersuchungen zur Religion und zur Religionspolitik des KaisersElagabal, Stuttgart 1989, S. 87–93, 97f.

-568-12↑ Siehe dazu Julia Sünskes Thompson: Aufstände und Protestaktionenim Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 122–125; Martijn Icks: The crimesof Elagabalus, London 2011, S. 24f.13↑ Markus Handy: Die Severer und das Heer, Berlin 2009, S. 112f.;Julia Sünskes Thompson: Aufstände und Protestaktionen im ImperiumRomanum, Bonn 1990, S. 38f., 74–78.14↑ Zum Tempel und den dortigen Ausgrabungen siehe Henri Broise, YvonThébert: Élagabal et le complexe religieux de la Vigna Barberini. In:Mélanges de l’École française de Rome. Antiquité 111, 1999, S. 729–747; Martijn Icks: The crimes of Elagabalus, London 2011, S. 27–28(Rekonstruktion: Tafeln 11 und 12). Vgl. Filippo Coarelli:Heliogabalus, templum; Heliogabalium. In: Eva Margareta Steinby:Lexicon Topographicum Urbis Romae, Band 3, Rom 1996, S. 10–11.15↑ Herodian 5, 6, 6. Zur Lokalisierung des Vorstadttempels sieheChrister Bruun: Kaiser Elagabal und ein neues Zeugnis für den Kultdes Sonnengottes Elagabalus in Italien. In: Tyche 12, 1997, S. 1–5,hier: S. 2 und Anm. 9.16↑ Michael Pietrzykowski: Die Religionspolitik des Kaisers Elagabal.In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Band II 16.3, Berlin1986, S. 1806–1825, hier: 1816, 1821f. Zur Oberpriesterwürde sieheRuth Stepper: Augustus et sacerdos, Stuttgart 2003, S. 81f., 179–181.

17↑ Ruth Stepper: Augustus et sacerdos, Stuttgart 2003, S. 181–183.18↑ Martin Frey: Untersuchungen zur Religion und zur Religionspolitikdes Kaisers Elagabal, Stuttgart 1989, S. 14.19↑ Zur Kleidung siehe Michael Pietrzykowski: Die Religionspolitikdes Kaisers Elagabal. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt,Band II 16.3, Berlin 1986, S. 1806–1825, hier: 1815f. Vgl. MartinZimmermann: Kaiser und Ereignis, München 1999, S. 224–228. ElkeKrengel: Das Priestergewand des Varius. In: Varian Symposium Acta, 30- 31 July 2005, Trinity College, Cambridge,http://www.couperusmuseum.org/varian/04_papers.html sieht inElagabals Priesterkleidung eine Kombination aus parthischenUntergewändern und einem arabischen Hüftmantel. Lucinda Dirven: TheEmperor’s New Clothes: A Note on Elagabalus’ Priestly Dress. In:Sophia G. Vashalomidze, Lutz Greisiger (Hrsg.): Der ChristlicheOrient und seine Umwelt, Wiesbaden 2007, S. 21–36 weist darauf hin,dass die Kleidung Elagabals auf bildlichen Darstellungen andersaussieht als die übliche syrische Priesterkleidung.20↑ Siehe dazu Martijn Icks: The crimes of Elagabalus, London 2011,S. 37f.21↑ Historia Augusta, Vita Heliogabali, 20,122↑ Zum Ablauf der Ereignisse siehe Martin Frey: Untersuchungen zurReligion und zur Religionspolitik des Kaisers Elagabal, Stuttgart1989, S. 95–100; Martijn Icks: The crimes of Elagabalus, London 2011,S. 38–43. Zur literarischen Ausgestaltung der Berichte über den Toddes Kaisers siehe Tobias Arand: Das schmähliche Ende. Der Tod desschlechten Kaisers und seine literarische Gestaltung in der römischenHistoriographie, Frankfurt a. M. 2002, S. 230–232.23↑ Siehe Martin Frey: Untersuchungen zur Religion und zurReligionspolitik des Kaisers Elagabal, Stuttgart 1989, S. 81–85;Martijn Icks: The crimes of Elagabalus, London 2011, S. 63–78;Leonardo de Arrizabalaga y Prado: The Emperor Elagabalus: Fact orFiction?, Cambridge 2010, S. 59–105, 131–145 (mit zahlreichenAbbildungen).24↑ Elke Krengel: Das sogenannte „Horn“ des Elagabal – Die Spitzeeines Stierpenis. Eine Umdeutung als Ergebnis fachübergreifenderForschung. In: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 47, 1997,S. 53–72.

-569-25↑ Martijn Icks: The crimes of Elagabalus, London 2011, S. 75(zustimmend); Lucinda Dirven: The Emperor’s New Clothes: A Note onElagabalus’ Priestly Dress. In: Sophia G. Vashalomidze, LutzGreisiger (Hrsg.): Der Christliche Orient und seine Umwelt, Wiesbaden2007, S. 21–36, hier: 24f. (ablehnend); Wolfram Weiser: “Elagabal mitStierpenis-Hütchen“ – Animalphallokrat oder Weichteil-Wolpertinger?In: Geldgeschichtliche Nachrichten 196, 2000, S. 53–56 (scharf

ablehnend). Vgl. Leonardo de Arrizabalaga y Prado: The EmperorElagabalus: Fact or Fiction?, Cambridge 2010, S. 71.26↑ Zur Durchführung der damnatio memoriae Elagabals siehe Eric R.Varner: Mutilation and Transformation. Damnatio Memoriae and RomanImperial Portraiture, Leiden 2004, S. 189–194.27↑ Zum Vorwurf von Menschenopfern siehe Theo Optendrenk: DieReligionspolitik des Kaisers Elagabal im Spiegel der HistoriaAugusta. Bonn 1969, S. 65–70; Martin Frey: Untersuchungen zurReligion und zur Religionspolitik des Kaisers Elagabal. Stuttgart1989, S. 34–42.28↑ Zur literarischen Konstruktion des Bildes vom Monster Elagabalsiehe Martijn Icks: Heliogabalus, a Monster on the Roman Throne: TheLiterary Construction of a ‘Bad’ Emperor. In: Ineke Sluiter, Ralph M.Rosen (Hrsg.): Kakos. Badness and Anti-Value in Classical Antiquity,Leiden 2008, S. 477–488; Michael Sommer: Elagabal – Wege zurKonstruktion eines ‚schlechten’ Kaisers. In: Scripta ClassicaIsraelica 23, 2004, S. 95–110.29↑ Martijn Icks: The crimes of Elagabalus, London 2011, S. 115.30↑ Anton F. W. Sommer (Hrsg.): Leonardo Bruni Aretinus: OratioHeliogabali ad meretrices Romanas, Wien 1990 (kritische Edition).31↑ Zu Gibbons Elagabal-Bild siehe Martijn Icks: The crimes ofElagabalus, London 2011, S. 127f.32↑ Theo Optendrenk: Die Religionspolitik des Kaisers Elagabal imSpiegel der Historia Augusta, Bonn 1969, S. 5f., 108f. (mitLiteraturangaben).33↑ Maximilian Lambertz: Varius Avitus (Elagabal). In: PaulysRealencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE), BandVIII A 1, Stuttgart 1955, Sp. 391–404, hier: 403f.34↑ Michael Pietrzykowski: Die Religionspolitik des Kaisers Elagabal.In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Band II 16.3, Berlin1986, S. 1806–1825, hier: 1810.35↑ Eine ausführliche Darstellung dieser Elagabal-Rezeption bietetMartijn Icks: The crimes of Elagabalus, London 2011, S. 155–179.36↑ Zur Elagabal-Rezeption Georges siehe Volker Riedel: LiterarischeAntikerezeption zwischen Kritik und Idealisierung, Jena 2009, S. 257–276.

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Gellius MaximusGellius Maximus († wahrscheinlich 219) war 219römischer Gegenkaiser.

Gellius Maximus stieg trotz seiner niedrigenHerkunft[1] bis zum Senator auf. In Syrien kommandierteer die legio IIII Scythica. Im Jahr 219 nutzte er dieunruhige politische Lage unter Kaiser Elagabal undproklamierte sich selbst zum Kaiser. Elagabal blieballerdings Herr der Lage und bekämpfte den Usurpator.Gellius Maximus wurde schließlich hingerichtet.[2]

Hauptquelle zu Gellius Maximus ist sein ZeitgenosseCassius Dio. Dieser berichtet im 80. Buch seinerRömischen Geschichte vom syrischen Gegenkaiser.

LiteraturVivian Nutton: L. Gellius Maximus, Physician and Procurator. In: TheClassical Quarterly. Neue Reihe, Band 21, Nr. 1, 1971, S. 262–272.

WeblinksPhoebe B. Peacock: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch) ausDe Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).

Anmerkungen1↑ Sein Vater soll Arzt gewesen sein, vgl. Nutton, L. GelliusMaximus.2↑ Cassius Dio 80,7.

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SeleucusSeleucus († nach 221) war ein römischer Usurpator unterder Herrschaft des Elagabal. Über ihn und seine Politikist nur sehr wenig bekannt.

Seleucus versuchte um 221, die Macht im römischen Reichzu ergreifen. Seine genaue Identität ist allerdingsumstritten. Entweder war er der damalige Statthalterder Provinz Niedermösien, Iulius Antonius Seleucus[1],oder aber der Konsul des Jahres 221, Marcus FlaviusVitellius Seleucus[2]. Unabhängig davon, wer von beidennun die Macht ergreifen wollte, es ist ihm trotz dergegen den amtierenden Kaiser Elagabal gerichtetenStimmung jener Tage misslungen.

Polemius Silvius, ein Historiker des 5. Jahrhunderts,nennt Seleucus neben Uranius, Seius Sallustius undTaurinus als Usurpator unter Elagabal.[3] SeineAusführungen können allerdings keine Auskunft über diegenaue Identität des Seleucus geben. Selbst eineVerwechslung mit Seius Sallustius, dem Schwiegervater

von Elagabals Nachfolger Severus Alexander, istmöglich.[4]

LiteraturArtur Stein: Seleukos 32). In: Paulys Realencyclopädie derclassischen Altertumswissenschaft (RE). Band II A,1, Stuttgart 1921,Sp. 1248.G. Ray Thompson: Elagabalus. Priest-Emperor of Rome. Lawrence(Kansas) 1972, S. 91 (zugleich Dissertation, University of Kansas).

WeblinksPhoebe B. Peacock: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch) ausDe Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).

Anmerkungen1↑ PIR2 I 154.2↑ Dietmar Kienast: Römische Kaisertabelle. Grundzüge einer römischenKaiserchronologie. 2. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft,Darmstadt 1996, ISBN 3-534-07532-3, S. 176.3↑ Polemius Silvius, Laterculus, 1,5.4↑ Vgl. dazu: Robert O. Fink: Lucius Seius Caesar, Socer Augusti. In:American Journal of Philology. Bd. 60, Nr. 3, 1939, S. 326–332.

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Severus Alexander

Severus AlexanderBüste im Louvre

Severus Alexander (* 1. Oktober 208 in Arca Caesarea,Arqa im heutigen Libanon; † im März 235 in der Nähe vonMogontiacum) war vom 13. März 222 bis zu seinem Todrömischer Kaiser. Die in älterer Literatur gängigeNamensform Alexander Severus ist nicht authentisch.Sein ursprünglicher Name war Bassianus Alexianus. AbJuni 221 nannte er sich Marcus Aurelius Alexander, alsKaiser trug er den Namen Marcus Aurelius SeverusAlexander.

-573-Im Juni 221 wurde der noch nicht dreizehnjährigeAlexander von seinem nur vier Jahre älteren Vetter,Kaiser Elagabal, zum Caesar erhoben und damit zumNachfolger bestimmt. Im folgenden Jahr konnte er nachElagabals Ermordung problemlos die Herrschaft antreten.Zeit seines Lebens stand er unter dem dominierendenEinfluss seiner Mutter Julia Mamaea. Sie war dieeigentliche Herrscherin und arrangierte auch seine Ehe.Da sie sich aber weder bei den hauptstädtischenPrätorianern noch im Heer Autorität verschaffen konnte,war ihre Machtausübung stets prekär.

Nach einem verlustreichen Perserkrieg mitunentschiedenem Ausgang musste der Kaiser zur Abwehreines Germaneneinfalls an den Rhein eilen. Dort wurdeihm seine Unbeliebtheit im Heer zum Verhängnis. Er fielmit seiner Mutter einer Soldatenmeuterei zum Opfer.

Mit Alexanders Tod endete die Dynastie der Severer. Esbegann die Epoche der Soldatenkaiser und mit ihr die„Reichskrise des 3. Jahrhunderts“, eine krisenhafteVerschärfung der von den Severern hinterlassenenstrukturellen Probleme.

Herkunft, Kindheit und Aufstieg zur Macht

Alexander war von mütterlicher wie von väterlicherSeite syrischer Herkunft. Sein Vater, der ProcuratorGessius Marcianus, war ein Ritter aus Arca Caesarea, woAlexander am 1. Oktober 208 geboren wurde. Seine MutterJulia Mamaea gehörte dem Senatorenstand an, war alsovon vornehmerer Abstammung als sein Vater. Sie war eineTochter der Julia Maesa, der Schwester der KaiserinJulia Domna, und war, bevor sie die Ehe mit GessiusMarcianus schloss, in erster Ehe mit einem Konsularverheiratet gewesen.[1] Ihre Familie stammte aus dersyrischen Stadt Emesa (heute Homs) und war dort sehrangesehen.[2] Julia Domna, Alexanders Großtante, war

die Frau des Kaisers Septimius Severus (193–211), derdie Dynastie der Severer gegründet hatte. Alexander waralso mit dem Dynastiegründer nicht verwandt, sondernwar nur ein Enkel von dessen Schwägerin. Dennoch wirder zu den Severern gezählt.

Alexanders Urgroßvater Julius Bassianus, der Vater vonJulia Domna und Julia Maesa, hatte in Emesa das Amt desOberpriesters des Sonnengottes Elagabal ausgeübt, dasin der Familie erblich war. Nach diesem Urgroßvatererhielt Alexander seinen ursprünglichen NamenBassianus. Schon als Kind wurde er in den Elagabal-Kulteingeführt und mit einer priesterlichen Funktionbetraut.[3]-574-Am 8. April 217 wurde Kaiser Caracalla, der Sohn undNachfolger des Septimius Severus, in Mesopotamien aufeinem Feldzug ermordet. Nach anfänglichem Zögern erhobdas Heer den Prätorianerpräfekten Macrinus, der dasAttentat auf Caracalla organisiert hatte, zum neuenKaiser. Dies bedeutete einen Dynastiewechsel; Macrinusbestimmte sogleich seinen unmündigen Sohn zum künftigenNachfolger. Damit war die syrische Sippe, der Alexanderangehörte, von den Schalthebeln der Macht entfernt.Julia Domna nahm sich das Leben.

Da die männliche Nachkommenschaft von Septimius Severusund Julia Domna nun ausgestorben war, wollte AlexandersGroßmutter Maesa ihren eigenen Nachkommen dieKaiserwürde verschaffen. Dafür war ihr vierzehnjährigerEnkel Elagabal, Alexanders Vetter, ausersehen. Er warder Sohn von Julia Soaemias, der älteren Schwester vonJulia Mamaea.

Der neue Kaiser Macrinus konnte nur durch einenMilitäraufstand zugunsten Elagabals entmachtet werden.Um Elagabal bei den Soldaten Popularität zuverschaffen, behaupteten seine Parteigänger, er sei einunehelicher Sohn des im Heer sehr beliebten Caracalla.Diese Vorgehensweise erwies sich als erfolgreich. Am16. Mai 218 wurde Elagabal von einer in der Nähe von

Emesa stationierten Legion zum Kaiser ausgerufen, undim Juni besiegte seine Streitmacht in Syrien dieTruppen des Macrinus. Damit war der Bürgerkriegentschieden. Nun konnte sich Maesa mit ihren beidenTöchtern Soaemias und Mamaea und ihren Enkeln Elagabalund Alexander nach Rom begeben, um dort die Macht zuübernehmen und für den jugendlichen Elagabal dieRegierung zu führen. Alexander wurde von seiner Mutterund seiner Großmutter erzogen; sein Vater scheint schonfrüh gestorben zu sein.[4]

Bald erwies sich aber der junge Kaiser Elagabal alseigenwillig und beratungsresistent und machte sichallgemein verhasst. Dadurch entstand eine für denFortbestand der Dynastie sehr gefährliche Krise, diesich 220/221 zuspitzte. Daher begannen Maesa und MamaeaAlexander als Nachfolger Elagabals aufzubauen. Der neueHoffnungsträger wurde schon seit längerem wie Elagabalals unehelicher Sohn Caracallas ausgegeben.[5] Damitsollte die Sympathie der Soldaten, die Caracallaweiterhin sehr schätzten, gewonnen werden. Im Juni 221wurde der noch nicht dreizehnjährige Alexander fürmündig erklärt und erhielt die Caesarwürde. Elagabalmusste ihn adoptieren und so zum Nachfolger bestimmen.222 bekleideten die beiden zusammen das Konsulat.

-575-Mit der Adoption war ein Namenswechsel verbunden. DerDynastiegründer Septimius Severus hatte sich zwecksLegitimierung seiner Herrschaft als Adoptivsohn des 180gestorbenen beliebten Kaisers Mark Aurel ausgegeben.[6]Damit hatte er sich in die Tradition der Adoptivkaisergestellt, deren Epoche als Glanzperiode der römischenGeschichte galt. Caracalla und Elagabal hielten andieser fiktiven Verbindung mit den Adoptivkaisern des2. Jahrhunderts fest. Sie gaben mit ihren offiziellenKaisernamen zu erkennen, dass sie sich als Angehörigeder gens Aurelia, der Sippe Mark Aurels, betrachteten.Alexander ordnete sich mit seiner Adoption durchElagabal ebenfalls in diesen Traditionszusammenhangein. Er nahm den neuen Namen Marcus Aurelius Alexanderan, mit dem er seine angebliche Zugehörigkeit zur gens

Aurelia ausdrückte. Der Wechsel von Alexianus zuAlexander hängt mit der damals verbreiteten VerehrungAlexanders des Großen zusammen, die vor allem Caracallapraktiziert hatte.[7]

Kaiser Elagabal erkannte die Gefahr, die ihm von seinemVetter Alexander drohte, und versuchte wiederholt ihnumzubringen. Vergeblich trachtete er ihm denCaesartitel zu entziehen. So entwickelte sich zwischenden beiden Rivalen und ihren Müttern ein Existenzkampf,in dem Maesa auf der Seite Mamaeas stand. DieSchlüsselrolle kam dabei den in Rom stationiertenSoldaten zu, insbesondere den Prätorianern, derhauptstädtischen Gardetruppe, um deren Gunst sich beideMütter bemühten. Dabei war Mamaea erfolgreicher, aberdie beiden Prätorianerpräfekten hielten bis zum Schlusszu Elagabal.[8] Meuternde Soldaten, die von Mamaeagesteuert wurden, ermordeten Elagabal am 11. März 222.Der dreizehnjährige Alexander übernahm problemlos dieKaiserwürde. Am 13. März wurde er vom Heer zum Kaiserausgerufen, am folgenden Tag verlieh ihm der Senat denTitel Augustus. Als Grundlage seiner Zugehörigkeit zumKaisergeschlecht der Aurelier betrachtete er fortannicht mehr die Adoption durch Elagabal, sondern seinefiktive Abstammung von Caracalla. Auf Inschriften wurdeer als Sohn des „göttlichen Antoninus“ (Caracalla)bezeichnet.[9] Außerdem nahm er den an SeptimiusSeverus erinnernden Namen Severus an.

-576-Regierungszeit

Denar der Julia Mamaea

Im Unterschied zu Elagabal erwies sich SeverusAlexander als lenkbar. Zunächst führten Maesa undMamaea gemeinsam die Regierung. Sie setzten einBeratergremium von sechzehn angesehenen Senatoren ein,dem sie erheblichen Einfluss einräumten.[10]

Maßgebliche Rolle der Mutter

Maesa, die schon betagt war, starb um 224.[11] Von daan war Mamaea faktisch bis zum Ende von AlexandersRegierungszeit Alleinherrscherin. Inschriften undMünzen dokumentieren ihre außergewöhnliche Rolle. Ab222 trug sie den Titel Augusta. Weitere Titel waren„Mutter des Senats“ und „Mutter des Vaterlandes“;übereifrige Verehrer in Hispanien bezeichneten siesogar auf einer Ehreninschrift als „Mutter des ganzenMenschengeschlechts“.[12] Sie ließ den jungen Kaisersorgfältig erziehen, überließ ihm aber keineEntscheidungsbefugnisse. Ein gutes Verhältnis zum Senatwar ihr wichtig. Sie pflegte demonstrativ traditionellerömische Tugenden und Werte. Eigenwillige MaßnahmenElagabals, die in der konservativen FührungsschichtAnstoß erregt hatten, wurden rückgängig gemacht.[13]

-577-Der neue, senatsfreundliche Kurs bedeutete eine Abkehrvon der Politik der früheren Severer, deren Verhältniszum Senat gespannt gewesen war.[14] Dass MamaeasKooperationsbereitschaft im Senat Anklang fand, zeigtein von Johannes Zonaras überliefertes Fragment aus demGeschichtswerk des Senators Cassius Dio. Dort heißt es,Mamaea habe ihrem Sohn kluge Berater besorgt und unterden Senatoren die besten Ratgeber ausgewählt.[15]

Innenpolitik

Meutereien und Aufstände

Die Hauptschwäche der Regierung des von seiner Muttergelenkten Kaisers war das Fehlen einer eigenenMachtbasis. Mamaea und Alexander waren vom Wohlwollender Prätorianer abhängig. Das Ausmaß des aus dieserSchwäche resultierenden Autoritätsverfalls trat schon223 in der Prätorianerkrise dramatisch zutage. Mamaeahatte 222 dem bedeutenden Juristen Ulpian dasOberkommando über die Prätorianer anvertraut, dochgelang es nicht, die Truppe zu disziplinieren. Ausgeringfügigem Anlass entwickelten sich dreitägigeStraßenkämpfe zwischen den Prätorianern und derStadtbevölkerung, die zu chaotischen Verhältnissen inder Stadt führten. Erst als die bedrängten PrätorianerHäuser in Brand setzten und eine allgemeineFeuersbrunst drohte, gaben ihre Gegner nach.[16] Ulpiankonnte einen Machtkampf mit seinen Untergebenen, denPrätorianerpräfekten Julius Flavianus und GeminiusChrestus, für sich entscheiden; die beiden Präfektenwurden hingerichtet.[17] Als aber im folgenden Jahr diePrätorianer meuterten, musste Ulpian in denKaiserpalast flüchten. Dort konnte ihn Mamaea nichtschützen; in ihrer und Alexanders Anwesenheit wurde ervon den Prätorianern ermordet. Der Hauptverantwortlichefür den Mord, Epagathus, konnte wegen der Gefahr neuer

Unruhen nicht in Rom bestraft werden. Er musste unterdem Vorwand der Ernennung zum Statthalter von Ägyptenaus der Hauptstadt entfernt werden. Von Ägypten wurdeer nach Kreta gebracht, wo er hingerichtet wurde.[18]

Im Reich brachen zahlreiche Unruhen und Aufstände aus,die niedergeworfen wurden.[19]

-578-Gesetzgebung

Die Hauptquelle für die gesetzgeberische TätigkeitAlexanders ist der Codex Iustinianus, eineGesetzessammlung des 6. Jahrhunderts. Sie enthält 427Verordnungen (constitutiones), die nach heutigemForschungsstand Alexander zuzuweisen sind.[20] Einestarke legislative Aktivität ist vor allem zu Beginnder Regierungszeit, in den Jahren 223 und 224, zuverzeichnen. In der Darstellung seinergesetzgeberischen Ziele betonte Alexander einerseitsmoralische Grundsätze und die Notwendigkeit besondererStrenge bei Verstößen, welche die soziale Ordnunggefährdeten, andererseits aber auch die herrscherlicheMilde (clementia), eine nach alter Tradition wichtigeHerrschertugend. Damit gab er seine Distanzierung vonder Regierungspraxis seiner Vorgänger zu erkennen.[21]Ein Themenbereich, dem sein besonderes Interesse galt,war die Regelung der appellatio, der Berufung an denKaiser nach einem gerichtlichen Verfahren. Er wollteverhindern, dass untere Instanzen durch Einschüchterungdie Berufung an den Kaiser unterbanden. Damit versuchteer seine Kontrolle über den Justizapparat zuverbessern.[22] Ferner stellte er sich alsgewissenhaften Verwalter der Staatsfinanzen dar und

beteuerte seinen Wunsch, die Steuerlast zu reduzieren,den er ansatzweise in die Tat umsetzte.[23]

Religionspolitik

Gegenüber den Christen, die schon unter Elagabal nichtverfolgt worden waren, war die Regierung Alexanders undseiner Mutter tolerant. Mamaea stand mit demprominenten Kirchenschriftsteller Origenes in Kontakt,[24] aber die Behauptungen spätantiker christlicherQuellen, ein Teil der Umgebung des Kaisers oder garseine Mutter selbst habe den christlichen Glaubenpraktiziert, sind nicht glaubwürdig. Anscheinendneigten Mamaea und Alexander – einer Tendenz ihrer Zeitfolgend – zum Synkretismus, zur Vermischung vonEinflüssen verschiedener Religionen.[25] Die erst inder Spätantike auftauchende Behauptung, Alexander habein einer privaten Kultstätte neben den vergöttlichtenKaisern und anderen vorbildlichen Persönlichkeiten auchChristus, Abraham und Orpheus verehrt,[26] wird von derForschung sehr skeptisch betrachtet.[27]

-579-Bautätigkeit

In der Historia Augusta wird von ausgedehnterBautätigkeit Alexanders berichtet. Ihren Angabenzufolge hat er sowohl neue Bauwerke errichtet als auchalte renoviert. Die Einzelheiten sind nur teilweisenachprüfbar; zum Teil dürfte es sich um erfundeneBehauptungen des unzuverlässigen Geschichtsschreibershandeln.

Aqua Alexandrina

Gut bezeugt ist Alexanders Erweiterung der Nerothermen,die thermae Alexandrinae. Auch ein Aquädukt, den ererrichten ließ, die aqua Alexandrina, wurde nach ihmbenannt; eine Münze von 226 bestätigt den Bau. Im 17.Jahrhundert konnte der Aquädukt identifiziert werden.Der Verlauf der Wasserleitung außerhalb der Stadt istnur zum Teil bekannt; wie sie innerhalb des antikenStadtgebiets verlief, ist unbekannt.[28] Zu den Bauten,die renoviert wurden oder deren Wiederherstellungzumindest geplant war, sollen ein Theater – offenbardas Marcellustheater –, der Circus Maximus, dasKolosseum und ein Stadion – wahrscheinlich das StadionDomitians – gehört haben. Ferner ließ er angeblich inRom zahlreiche Bäder bauen.[29] Er soll auch von Trajangebaute Brücken ausgebessert und neue gebaut haben; daeine solche Renovation in einem Fall inschriftlichbezeugt ist, gilt die Nachricht als glaubwürdig.[30]

-580-Ehe

Orbiana, die Gattin des Severus Alexander

Mamaea suchte für Alexander die Patrizierin Orbiana alsEhefrau aus. Orbiana stammte aus einer vornehmensenatorischen, aber politisch unbedeutenden Familie.Die im Jahr 225 geschlossene Ehe blieb kinderlos undhielt nicht lange, denn es kam zu einem Machtkampfzwischen der Mutter und dem Schwiegervater des Kaisers.Orbianas Vater Seius Sallustius versuchte erfolglos diePrätorianer gegen Mamaea aufzuwiegeln. Mamaea setztesich durch, sie erzwang 227 die Scheidung der Ehe ihresSohnes. Seius Sallustius wurde hingerichtet, Orbiananach Afrika verbannt. Diesmal erwiesen sich diePrätorianer als loyal, doch wagte es Mamaea nach dieserErfahrung nicht, ihren Sohn erneut zu verheiraten.[31]Das Fehlen eines Nachkommen und einer Nachfolgeregelungverschärfte die prekäre Situation.

Der Geschichtsschreiber Herodian behauptet, Alexanderhabe eigentlich auf der Seite seiner Frau und seinesSchwiegervaters gestanden, aber seiner Mutter nicht zuwidersprechen gewagt. Solches Hintergrundwissen istHerodian aber kaum zuzutrauen; vermutlich gibt erGerüchte wieder, die damals bei den Gegnern Mamaeas, zudenen er selbst zählt, kursierten.[32]

-581-In der Historia Augusta, einer spätantiken Quelle, wirdmit Berufung auf den athenischen GeschichtsschreiberDexippus mitgeteilt, Alexander habe seinenSchwiegervater zum Caesar ernannt. Der Schwiegervaterwird hier Macrinus oder Macrianus genannt.[33] Inälterer Forschungsliteratur wurde dieser angeblicheCaesar entweder mit Seius Sallustius identifiziert odermit dem Vater einer hypothetischen früheren EhefrauAlexanders.[34] Nach heutigem Forschungsstand istjedoch davon auszugehen, dass Orbiana die einzigeGemahlin Alexanders war und dass Seius Sallustius nichtzum Caesar erhoben wurde.[35] Möglicherweise istSallustius mit Quintus Sallustius Macrinianusidentisch, der unter Septimius Severus als Statthalterder Provinzen Mauretania Caesariensis und MauretaniaTingitana amtierte. Dies könnte den in der HistoriaAugusta angegebenen Namen erklären.[36]

Außenpolitik und Kriege

Außenpolitische Konflikte, die ein militärischesVorgehen erforderlich machten, waren für Alexanderwegen seiner schmalen Machtbasis und mangelndenmilitärischen Kompetenz riskant. Sowohl eineAbwesenheit des Kaisers von der Hauptstadt als auch dieBeauftragung eines Kommandeurs mit einem Feldzugbedeutete eine existenzielle Gefährdung, da jede solcheKonstellation Anreiz zu einer Rebellion bieten konnte.Diese Labilität der Herrschaft trat in den letztenJahren von Alexanders Regierungszeit zutage, als es zuzwei großen militärischen Auseinandersetzungen kam: demPerserkrieg und dem Germanenkrieg. Beide erfordertendie Anwesenheit des Kaisers.

Die persische Herausforderung

Im Osten hatte Ardaschir I., ursprünglich einpersischer Vasall des Partherreichs, in den zwanzigerJahren des dritten Jahrhunderts die Macht desparthischen Königsgeschlechts der Arsakiden gebrochenund das persische Sasanidenreich gegründet. In Armenienstießen die Perser allerdings auf hartnäckigenWiderstand, denn dort hatten die Arsakiden starkenRückhalt.[37] Mit der sasanidischen Expansion bahntesich eine militärische Konfrontation des römischen unddes neupersischen Reichs an. 230 oder 231 drang einpersisches Heer in die römische Provinz Mesopotamiaein, verwüstete sie und belagerte Nisibis. Syrien undKappadokien waren bedroht.[38]

-582-Auf der römischen Seite wurde die Gefahr sehr ernstgenommen; man unterstellte dem Sasaniden die Absichteiner Wiedererrichtung des altpersischenAchaimenidenreichs, zu dem alle später römischenGebiete Vorderasiens gehört hatten. Tatsächlich scheintArdaschir an die Tradition altpersischerMachtentfaltung angeknüpft zu haben, wenn auch seineGeschichtskenntnisse wohl bescheiden waren. Allerdingsgibt es keinen stichhaltigen Beleg dafür, dass erwirklich eine Forderung auf alle einstmalsachaimenidischen Territorien erhob.[39]

Alexander versuchte zu verhandeln. Nach HerodiansDarstellung ließ er Ardaschir durch eine Gesandtschaftein Schreiben zukommen, in dem er an römische Siegeüber die Parther erinnerte und den Sasaniden zurRespektierung der bestehenden Grenze aufforderte. SeinBemühen um eine friedliche Beilegung des Konfliktsblieb jedoch erfolglos.[40] Ardaschir ließ sich nichtbeeindrucken, sondern setzte unbeirrt seinenExpansionskurs fort. Daher musste der Kaiser imFrühjahr 231 mit Mamaea Rom verlassen, um dieGegenoffensive persönlich zu leiten. Dafür wurden

starke Truppen von den Westgrenzen nach Osten verlegt.Offenbar befahl man darum zuvor noch einenAbschreckungsangriff auf die unruhigen germanischenStämme am Rhein, denn laut einer Inschrift errang dieLegio I Minervia Pia Fidelis Severiana Alexandrianaunter ihrem Legatus Titius Rufinus im Jahr 231 aufrechtsrheinischem Gebiet einen Sieg und errichtete aufdem Schlachtfeld einen Altar für Iuppiter.[41] Essollte sich allerdings bald zeigen, dass der Erfolgnicht von Dauer war.

Auf die an der Ostgrenze stationierten Truppen, die beieiner Meuterei ihren Befehlshaber Flavius Heracleogetötet hatten, war hingegen wenig Verlass. IhreDisziplin und Kampfmoral waren offenbar schlecht.[42]

Den Winter 231/232 verbrachte Alexander in Antiocheia,wo er den Feldzug vorbereitete. Erneut schickte er eineGesandtschaft mit einem Friedensvorschlag zu Ardaschir.Der Sasanide reagierte mit einer Gegengesandtschaft,die aus vierhundert bewaffneten persischen Reiternbestanden haben soll. Herodian behauptet, diepersischen Gesandten hätten die Herausgabe Syriens undKleinasiens verlangt. Zwar ist kaum anzunehmen, dassHerodian die Äußerungen der Gesandten korrektwiedergibt, doch ist davon auszugehen, dass seineDarstellung einen historischen Kern hat. Dieser bestehtwohl darin, dass Ardaschir Forderungen erhob, von denener wusste, dass sie für die römische Seite unannehmbarund provokativ waren. Alexander ließ die Gesandtenfestnehmen, was einen schweren Verstoß gegen diediplomatischen Regeln darstellte.[43]

Der Feldzug gegen die Perser

Im Frühjahr 232 begann die römische Offensive. Dasrömische Heer rückte in drei getrennt marschierendenKolonnen vor. Der Angriff zielte auf das Zentrum desPerserreichs, die Doppelstadt Seleukeia-Ktesiphon. Dernördliche Heeresteil drang über Armenien vor. Dortbehaupteten sich weiterhin arsakidische Kräfte. Ob die

Armenier die Römer unterstützten oder den römischenDurchmarsch nur duldeten, ist in der Forschungumstritten.[44] Der Kaiser marschierte mit dem Zentrumder römischen Streitmacht über Palmyra in Richtung derdamals von Feinden der Sasaniden kontrollierten StadtHatra. Die südliche Abteilung bewegte sich dem Euphratentlang vorwärts.

Der Verlauf der Kämpfe ist unklar. Anscheinend war dasrömische Oberkommando von der Aufgabe, dieanspruchsvolle Strategie mit getrennt marschierendenHeeresteilen plangemäß umzusetzen, überfordert. Diesüdliche der drei römischen Heeresgruppen wurde vomPerserkönig gestellt und weitgehend aufgerieben. Dabeisollen aber auch die Perser erheblich geschwächt wordensein.[45] Daraufhin traten die beiden anderen römischenHeeresgruppen den Rückzug an. Dabei erlitten die Römerschwere Verluste, da viele ausgehungerte und erschöpfteSoldaten unterwegs ums Leben kamen. Insbesondere dienördliche Heeresgruppe hatte auf ihrem Rückmarsch durchdas armenische Hochland zahlreiche Todesfälle zubeklagen.[46] So büßten beide Seiten vorerst dieFähigkeit ein, weiterhin offensiv vorzugehen. Dierömischen Soldaten machten den Kaiser für denenttäuschenden Verlauf des Feldzugs verantwortlich. Nurmit einem großzügigen Geldgeschenk konnte er ihre Wutbesänftigen.[47]

Obwohl die Römer von der Erreichung ihres Kriegsziels,der Einnahme der feindlichen Hauptstadt, weit entferntwaren, und trotz ihrer schweren Verluste konnte dasErgebnis als römischer Erfolg betrachtet werden, denndie gegnerische Seite hatte ihre Offensivkraft verlorenund die Römer mussten keine Gebietsverluste hinnehmen.Ein Friede wurde nicht geschlossen, weitereKampfhandlungen unterblieben wegen Erschöpfung beiderSeiten.[48] Den Winter 232/233 verbrachten Mamaea undAlexander wiederum in Antiocheia, dann kehrten sie nachRom zurück. Dort feierte Alexander am 25. September 233den Ausgang des Feldzugs mit einem Triumph.

-584-Germanenfeldzug und Sturz

Wegen der durch den Perserkrieg bedingten Entblößungder Rhein- und der Donaugrenze hatten 233/234 Germanengrößere Beutezüge unternehmen und Befestigungsanlagenzerstören können. Als dies nach dem verlustreichenFeldzug gegen Ardaschir in Alexanders Heer bekanntwurde, verstärkte sich der Missmut der Soldaten aus demNorden, die für den Perserkrieg in den Osten verlegtworden waren und nun erfuhren, dass ihre ungeschütztgebliebenen Angehörigen den Angriffen der Germanenausgesetzt waren. Ihre Wut richtete sich gegen denKaiser.[49] Die Soldaten waren an ihren gewohntenStationierungsorten verwurzelt, Einsätze in fernenRegionen waren ihnen verhasst, und Alexander, der ausdem Osten stammte, war dem Verdacht ausgesetzt, demSchutz seiner Heimatregion den Vorzug zu geben.[50]

Bei den germanischen Angreifern handelte es sich wohlum den Stammesverband der Alamannen, einen neuen Gegnerder Römer. Die Lage war so bedrohlich, dass sich Mamaeaund Alexander an die nördliche Front begeben mussten,da sie offenbar niemandem das Oberkommando anvertrauenkonnten. Sie zogen in der zweiten Jahreshälfte 234 oderAnfang 235 an den Rhein. Das römische Hauptquartierbefand sich in Mogontiacum, dem heutigen Mainz.

Die Herrschaft des inzwischen sechsundzwanzigjährigenKaisers, der weiterhin unter dem übermächtigen Einflussseiner Mutter stand, war unter diesen Umständenbesonders gefährdet, da er von den Soldaten nichtrespektiert wurde und Mamaea als Frau an der Frontkeine Autorität hatte.[51] Angesichts der Schwäche desOberbefehlshabers war für einen bei der Truppebeliebten Kommandeur die Versuchung zum Staatsstreichgroß, zumal es keinen Thronfolger gab. Im Osten war es

anscheinend bereits zur Erhebung des GegenkaisersTaurinus gekommen, die jedoch folgenlos blieb, da derUsurpator im Euphrat ertrank. Eine weitere Gefahr lagdarin, dass Caracalla das Militär finanziell verwöhnthatte. Die durch solche Großzügigkeit anfallendenZusatzkosten bildeten eine schwere Belastung desStaatshaushalts. Mamaea sparte konsequent und war daherals knauserig verhasst.[52] Zurückhaltung bei dengewohnten Sonderzuwendungen (Donativen) an die Soldatenmusste bei der Truppe zu einer explosiven Lage führen.Das Ausbleiben schneller Kampferfolge und dieunsoldatische Haltung des Kaisers trugen zur schlechtenStimmung bei. Die Kombination all dieser Faktorenführte zur Katastrophe.

-585-Angesichts der prekären Verhältnisse scheuten Mamaeaund Alexander das Risiko des Kampfes. Sie erstrebtenwie schon im Perserkrieg eine Verhandlungslösung. Dabeifassten sie Zahlungen ins Auge, mit denen sie denFrieden erkaufen und vielleicht auch die Unterstützunggermanischer Verbände bei der Grenzsicherung gewinnenwollten. Bei den Soldaten, die auf Sieg und Beutehofften und die Verhandlungsbereitschaft alsSchwächezeichen deuteten, löste dieses Vorgehenzusätzliche Erbitterung aus.[53] Sie verübelten demKaiser, dass er nicht ihnen, sondern dem Feindgegenüber finanzielle Großzügigkeit zeigen wollte.Hinzu kam, dass die Soldaten bei einemRegierungswechsel mit dem üblichen großzügigen Donativdes neuen Herrschers rechnen konnten. Daher meuterteein Teil des Heeres – hauptsächlich Rekruten ausPannonien – und erhob den für die Rekrutenausbildungzuständigen ritterlichen Offizier Maximinus Thrax zumKaiser. Maximinus versprach eine Verdoppelung desSoldes, eine üppige Sonderzuwendung und Amnestie beiallen Disziplinarstrafen.[54]

Es gelang Alexander nicht, loyale Einheiten zumWiderstand zu motivieren. Niemand wollte für ihn undseine Mutter kämpfen, seine Soldaten liefen zum Gegner

über.[55] Auf Befehl des Maximinus wurden Mamaea undAlexander im März 235 in der Nähe von Mogontiacum inihrem Zelt im Feldlager ermordet. Der Todesort vicusBritanniae wird von manchen Forschern mit Mainz-Bretzenheim identifiziert, doch ist diese Lokalisierungsehr umstritten.[56] Manche Freunde und GünstlingeAlexanders ließ der neue Kaiser töten,[57] doch istHerodians Behauptung, er habe sie alle umgebracht,sicher übertrieben.[58]

Mit Alexanders Tod endete die Dynastie der Severer.Sein Nachfolger Maximinus eröffnete die Epoche derSoldatenkaiser.

-586-Ikonographie

Gold-Multiplum des Severus Alexander

Alexanders Münzen zeigen ihn zum Teil noch alsbartlosen Knaben oder mit Bartflaum, später mitSchnurrbart und Backenbart. Auch auf den Münzbildnissenaus dem Erwachsenenalter macht er einen relativ jungenEindruck. Gewöhnlich trägt er auf den Münzen einenLorbeerkranz, selten einen Strahlenkranz. DieRundplastiken lassen sich anhand der Münzbildnissebestimmen; in manchen Fällen ist unklar, ob es sichtatsächlich um Alexander handelt.[59]

Rezeption

Antike und Mittelalter

Unklar ist, ob Maximinus über Alexander und Mamaea nachihrem Tod die damnatio memoriae verhängen ließ. Einformeller Senatsbeschluss über die Auslöschung derErinnerung an den ermordeten Kaiser ist nichtüberliefert. Zwar wurden einige Bildnisse Alexandersund seiner Mutter verstümmelt und ihre Namen aufeinigen Inschriften getilgt, doch handelte es sichmöglicherweise nicht um staatlich angeordneteMaßnahmen, sondern um spontane Aktionen.[60] Maximinusregierte nicht lange, er wurde 238 von meuterndenSoldaten ermordet. Damit trat ein Umschwung ein, denn

nun setzten sich seine senatorischen Gegner durch.Maximinus verfiel der damnatio memoriae. Im Zuge dieserEntwicklung wurde Alexander zum divus („Göttlichen“)erhoben.[61] Im Rahmen des Kaiserkults wurde er fortanals Gottheit verehrt.

-587-Die Hauptquellen sind die Geschichtswerke derZeitgenossen Herodian und Cassius Dio sowie dieLebensbeschreibung Alexanders in der mehr als einJahrhundert nach den Ereignissen entstandenen HistoriaAugusta. Cassius Dio war unter Alexander Konsul. Errepräsentiert die senatorischen Kreise, für die Mamaeasund Alexanders Bilanz positiv war, und schildert denKaiser wohlwollend. Seine Darstellung bricht vor demBeginn des Germanenfeldzugs ab. Auch Herodian zeigtSympathie für den letzten Severer. Er beschreibt ihnals sanft, gutwillig, gerecht und frei von Grausamkeit,betont aber auch missbilligend seine Abhängigkeit vonseiner Mutter, der er die Schuld für das Scheitern desKaisers gibt, und seinen Mangel an soldatischenTugenden. Die Mutlosigkeit Alexanders in seinen letztenLebenstagen schildert Herodian drastisch; er vermitteltden Eindruck, dass der Kaiser in einer gefährlichenSituation völlig überfordert war.[62] HerodiansGlaubwürdigkeit wird von seiner Neigung zu dramatischenEffekten und zum Moralisieren beeinträchtigt.

Die positive Einschätzung der zeitgenössischenGeschichtsschreiber steigert sich in der Alexander-Biographie der spätantiken Historia Augusta zu einerVerherrlichung mit ausgeprägt legendenhaften Zügen.Hier verkörpert Alexander das Herrscherideal desunbekannten Autors; seine Lebensbeschreibung ist dielängste aller Kaiserbiographien der Historia Augusta.Der Tod des letzten Severers erscheint als Zäsur in derrömischen Geschichte, die den Übergang zu einer Periodeder Instabilität und des Niedergangs markiert. Der Wertdieser Quelle wird von der Forschung geringveranschlagt. Ihre Angaben über angebliche ReformenAlexanders gelten heute als erfunden.[63] Auch AureliusVictor und Eutropius, zwei weitere lateinisch

schreibende spätantike Autoren, stellen Alexander alstüchtigen Kaiser und Sieger über die Perser dar.[64]Aurelius Victor vermerkt auch, dass nach Alexanders Todder Niedergang des Reichs eingesetzt habe. DieseGeschichtsschreiber bezogen ihre Informationen aus derheute verlorenen Enmannschen Kaisergeschichte, dieoffenbar bereits ein solches Bild vermittelte.

Das insgesamt vorteilhafte Charakterbild Alexanders,das die erzählenden Quellen zeichnen, kontrastiertscharf mit ihren verdammenden Urteilen über seinenVorgänger und seinen Nachfolger. Der letzte Severererscheint als milder, tugendhafter, gerechter undpopulärer Herrscher.

-588-Im 4. Jahrhundert stellte der pagane Kaiser Julian inseiner Satire Caesares Alexander als Narren undJammergestalt dar,[65] wobei er von Herodians Angabenausging. In der Satire wird Alexander verspottet, da ersich auch als Erwachsener nicht gegen seine Mutterdurchgesetzt, sondern ihr die Kontrolle über dieFinanzen überlassen habe.[66]

Bei spätantiken christlichen Autoren und in derbyzantinischen Geschichtsschreibung fand die angeblicheFrömmigkeit Mamaeas besondere Beachtung. Manche Autorenmachten aus ihr eine Christin. Eine relativausführliche Darstellung von Alexanders Herrschaft gabim 12. Jahrhundert Johannes Zonaras.[67]

Frühneuzeitliche Oper

Im 18. Jahrhundert wurde der Machtkampf zwischen Mamaeaund Orbiana wiederholt als Oper vertont. Die OperAlessandro Severo von Antonio Lotti wurde 1716 oder

1717 uraufgeführt. Das Libretto stammt von ApostoloZeno. Die erste Oper, die Giovanni Battista Pergolesischrieb, die Salustia, brachte ebenfalls den Konfliktzwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter auf dieBühne; das Libretto ist eine Überarbeitung von ZenosText. Die Uraufführung fand 1732 in Venedig statt. Hierist die Kaiserin Salustia die heroisch liebende Heldin,Alessandro ist der schwache Gatte, der sich seinerherrschsüchtigen Mutter Giulia unterwirft.

Forschung

Im 18. Jahrhundert dominierte noch das von der HistoriaAugusta gezeichnete traditionelle Bild eines klugen,tugendhaften, menschlichen und vom Volk geliebtenHerrschers, das Edward Gibbon übernahm.[68] Noch JacobBurckhardt war davon stark beeinflusst; er schrieb1853, Alexander sei „ein wahrer Sanct Ludwig desAltertums“ gewesen, der „aus reinem sittlichem Willen“den „unendlich vielen Versuchungen zum Despotismus“widerstanden und „in die Bahn der Gerechtigkeit und derMilde“ eingelenkt habe. Dieser „im Verhältnis zu seinerGesamtumgebung unbegreifliche Mensch“ habe „in einemJahrhundert, welches nur von Furcht wusste“, keineAchtung erlangen können, sondern zwangsläufig scheiternmüssen.[69]

-589-Seit dem 19. Jahrhundert hat sich jedoch eineungünstige Einschätzung durchgesetzt, wobei dieverhängnisvolle Unselbständigkeit und mangelndeEntschlossenheit Alexanders hervorgehoben wird. Einvernichtendes Urteil fällte Alfred von Domaszewski(1909). Er bezeichnete Alexander als den„jammervollsten aller Cäsaren“. Zu seinerRegierungszeit habe sich „auch der letzte Schein derOrdnung im Reiche“ aufgelöst, die Folge einer

verfehlten Politik sei ein „vollständiger Zusammenbruchder ganzen Verwaltungsordnung“ gewesen.[70] ErnstKornemann (1939) meinte, der „schwache, niemals zumManne gereifte“ Alexander sei zu Unrecht von einerverdorbenen Überlieferung zu einer „Lichtgestalt miteinem seltsamen Heiligenschein“ gemacht worden. DiesesBild sei von der kritischen Forschung als unhistorischerwiesen worden.[71] Wilhelm Enßlin (1939) stelltefest, der junge Kaiser habe seine Aufgabe nichterfüllen können, da er trotz seines Namens weder ein(Septimius) Severus noch ein Alexander (der Große)gewesen sei.[72] Alfred Heuß (1960) charakterisierteAlexander als „unbedeutenden, aber wenigstens harmlosenjungen Menschen“, aus dem „kein Mann geworden“ sei.[73]Für Hermann Bengtson (1973) war Alexander „einschwacher, mittelmäßiger Herrscher, der weder aufpolitischem noch auf militärischem Gebiet irgend etwasBemerkenswertes geleistet hat“; für seine Regierung sei„das Frauenregiment charakteristisch“ gewesen.[74] AuchKarl Christ (1988) weist darauf hin, dass Alexander „imGrunde niemals zur völligen Unabhängigkeit“ gelangtsei. Härte und Durchsetzungsvermögen hätten ihmgefehlt, er habe „nur von einer Krise zur andernlavieren“ können.[75] Bruno Bleckmann (2002), derAlexander als „Muttersöhnchen“ bezeichnet, meint,Mamaeas Machtentfaltung sei nicht mit orientalischerFrauenherrschaft zu erklären, sondern einfach damit,dass „der Kaiser noch ein halbes Kind war“. Zwar habeAlexander in seinen letzten Regierungsjahren wohl aucheigene Entscheidungen getroffen, doch seine Weigerung,den Soldaten die erwarteten Geldgeschenke zu machen,sei Ausdruck einer unrealistischen Haltung undangesichts der Zeitumstände ein fataler Fehler gewesen.[76]

-590-

LiteraturBruno Bleckmann: Die severische Familie und die Soldatenkaiser. In:Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum (Hrsg.): Die Kaiserinnen Roms.Von Livia bis Theodora. Beck, München 2002, ISBN 3-406-49513-3, S.265–339, hier: 284–298.Robert Lee Cleve: Severus Alexander and the Severan Women. LosAngeles 1982 (Dissertation, University of California).Fara Nasti: L’attività normativa di Severo Alessandro. Band 1:Politica di governo, riforme amministrative e giudiziarie. Satura,Napoli 2006, ISBN 88-7607-021-4.Julia Sünskes Thompson: Aufstände und Protestaktionen im ImperiumRomanum. Die severischen Kaiser im Spannungsfeld innenpolitischerKonflikte. Habelt, Bonn 1990, ISBN 3-7749-2466-X, S. 39–44, 80–91,125–129.

Weblinks Commons: Severus Alexander – Album mit Bildern, Videos undAudiodateienHerbert W. Benario: Fachwissenschaftliche Kurzbiografie (englisch)aus De Imperatoribus Romanis (inkl. Literaturangaben).Alexanders Lebensbeschreibung in der Historia Augusta (englisch)

Anmerkungen1↑ Zur Abstammung des Severus Alexander siehe Cassius Dio 79(78),30,3. Bei der Angabe mancher Bücher von Cassius Dios Werk sindunterschiedliche Zählungen gebräuchlich; die alternative Buchzählungwird jeweils in Klammern angegeben. Cassius Dio bezeichnet GessiusMarcianus ausdrücklich als Vater des künftigen Kaisers. DieRichtigkeit dieser Mitteilung bestreitet aber Martijn Icks: TheCrimes of Elagabalus, London 2011, S. 58. Er meint, dass Mamaeaszweite Ehe frühestens 212 geschlossen wurde und der Vater deskünftigen Kaisers ihr erster Gatte war.2↑ Robert Lee Cleve: Severus Alexander and the Severan Women, LosAngeles 1982, S. 34–48; Barbara Levick: Julia Domna. Syrian Empress,London 2007, S. 6–18.3↑ Herodian 5,3,3–4.Hochspringen ↑ Zu den Einzelheiten dieser Entwicklungen siehe RobertLee Cleve: Severus Alexander and the Severan Women, Los Angeles 1982,S. 96–106; Julia Sünskes Thompson: Aufstände und Protestaktionen imImperium Romanum, Bonn 1990, S. 66–73.4↑ Cassius Dio 80 (79),19,4; Herodian 5,3,10 und 5,7,3.

5↑ Helga Gesche: Die Divinisierung der römischen Kaiser in ihrerFunktion als Herrschaftslegitimation. In: Chiron 8, 1978, S. 377–390,hier: 387f.; Michael Louis Meckler: Caracalla and his late-antiquebiographer, Ann Arbor 1994, S. 9 und Anm. 34; Anne Daguet-Gagey:Septime Sévère, Paris 2000, S. 255f.; Drora Baharal: Victory ofPropaganda, Oxford 1996, S. 20–42.6↑ Herodian 5,7,3; vgl. Cassius Dio 80 (79),17,3. Siehe dazu AugusteJardé: Etudes critiques sur la vie et le règne de Sévère Alexandre,Paris 1925, S. 2f.; Angela Kühnen: Die imitatio Alexandri in derrömischen Politik, Münster 2008, S. 186–188; Alfons Rösger: SeverusAlexander und Alexander der Große. In: Wolfgang Will (Hrsg.): ZuAlexander d. Gr. Festschrift G. Wirth zum 60. Geburtstag am 9.12.86,Band 2, Amsterdam 1988, S. 885–906, hier: 885–892.7↑ Eine ausführliche Darstellung bietet Robert Lee Cleve: SeverusAlexander and the Severan Women, Los Angeles 1982, S. 128–159.8↑ Belege bei Elizabeth Kosmetatou: The Public Image of Julia Mamaea.In: Latomus 61, 2002, S. 398–414, hier: S. 407 und Anm. 30.9↑ Herodian 6,1,2. Siehe dazu Karlheinz Dietz: Senatus contraprincipem, München 1980, S. 300–305.

-591-10↑ Zur Datierung siehe Erich Kettenhofen: Zum Todesdatum JuliaMaesas. In: Historia 30, 1981, S. 244–249; James Frank Gilliam: OnDivi under the Severi. In: Jacqueline Bibauw (Hrsg.): Hommages àMarcel Renard, Bd. 2, Bruxelles 1969, S. 284–289, hier: 285; RobertLee Cleve: Severus Alexander and the Severan Women, Los Angeles 1982,S. 236–242.11↑ Zu den Inschriften siehe Erich Kettenhofen: Die syrischenAugustae in der historischen Überlieferung, Bonn 1979, S. 156–163, zuden Münzen Robert Lee Cleve: Severus Alexander and the Severan Women,Los Angeles 1982, S. 189–193.12↑ Herodian 6,1,3; Cassius Dio 80 (80),2,2.13↑ Eine ausführliche Untersuchung bietet Fara Nasti: Note sullapolitica filosenatoria di Alessandro Severo con particolareriferimento alla Historia Augusta. In: Annali dell’Istituto italianoper gli studi storici 13, 1995/1996, S. 67–99.14↑ Zonaras 12,15.15↑ Cassius Dio 80 (80),2,3. Vgl. Julia Sünskes Thompson: Aufständeund Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 41, 81, 128f.16↑ Nach der in der Forschung vorherrschenden Auffassung waren diebeiden Präfekten Ulpian unterstellt. Zu einer abweichenden Hypothese,der zufolge Ulpian alleiniger Prätorianerpräfekt war, siehe Lukas deBlois: Ulpian’s Death. In: Pol Defosse (Hrsg.): Hommages à CarlDeroux, Bd. 3, Bruxelles 2003, S. 135–145, hier: 135–139.17↑ Cassius Dio 80 (80),2,4. Vgl. Julia Sünskes Thompson: Aufständeund Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 41, 81–83. ZurDatierung der Vorgänge siehe Cécile Bertrand-Dagenbach: AlexandreSévère et l’Histoire Auguste, Bruxelles 1990, S. 16 Anm. 6.

18↑ Cassius Dio 80 (80),3,1. Vgl. Julia Sünskes Thompson: Aufständeund Protestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 40–43, 84–87.19↑ Fara Nasti: L’attività normativa di Severo Alessandro. Band 1:Politica di governo, riforme amministrative e giudiziarie, Napoli2006, S. 19f.20↑ Fara Nasti: L’attività normativa di Severo Alessandro. Band 1:Politica di governo, riforme amministrative e giudiziarie, Napoli2006, S. 21f., 109.21↑ Fara Nasti: L’attività normativa di Severo Alessandro. Band 1:Politica di governo, riforme amministrative e giudiziarie, Napoli2006, S. 41–50.22↑ Robert Lee Cleve: Severus Alexander and the Severan Women, LosAngeles 1982, S. 242f.23↑ Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte 6,21,3f. Vgl. Enrico dalCovolo: La politica religiosa di Alessandro Severo. In: Salesianum49, 1987, S. 359–375, hier: 365.24↑ Enrico dal Covolo: La politica religiosa di Alessandro Severo.In: Salesianum 49, 1987, S. 359–375, hier: 360–362, 364f.25↑ Historia Augusta, Severus Alexander 29.Hochspringen ↑ Enrico dal Covolo: La politica religiosa di AlessandroSevero. In: Salesianum 49, 1987, S. 359–375, hier: 370f.26↑ Lawrence Richardson, Jr.: A New Topographical Dictionary ofAncient Rome, Baltimore 1992, S. 15; Herbert W. Benario: Severan Romeand the Historia Augusta. In: Latomus 20, 1961, S. 281–290, hier:287.27↑ Historia Augusta, Severus Alexander 39,4.28↑ Zu den Angaben der Historia Augusta über Bauwerke Alexanders undzu ihrer Glaubwürdigkeit siehe Herbert W. Benario: Severan Rome andthe Historia Augusta. In: Latomus 20, 1961, S. 281–290.29↑ Matthäus Heil: Severus Alexander und Orbiana. Eine Kaiserehe. In:Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 135, 2001, S. 233–248,hier: 246f.

-592-30↑ Herodian 6,1,9f. Siehe dazu Matthäus Heil: Severus Alexander undOrbiana. Eine Kaiserehe. In: Zeitschrift für Papyrologie undEpigraphik 135, 2001, S. 233–248, hier: 234.31↑ Historia Augusta, Severus Alexander 49,3f.32↑ Siehe dazu Tadeusz Kotula: Die zwei Frauen des Severus Alexander:Resonanz einer politischen Spaltung? In: Gerhard Wirth (Hrsg.):Romanitas – Christianitas. Untersuchungen zur Geschichte undLiteratur der römischen Kaiserzeit, Berlin 1982, S. 293–307. Kotulavertrat die Hypothese einer früheren Heirat des Kaisers. Er meinte,die nicht namentlich bekannte erste Frau sei Afrikanerin gewesen undvon Mamaea ausgeschaltet und nach Afrika verbannt worden. Danach habeMamaea ihrem Sohn Orbiana als neue Ehefrau ausgesucht.33↑ Matthäus Heil: Severus Alexander und Orbiana. Eine Kaiserehe. In:Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 135, 2001, S. 233–248,

hier: 234–244; Markus Handy: Die Severer und das Heer, Berlin 2009,S. 59.34↑ Markus Handy: Die Severer und das Heer, Berlin 2009, S. 59f.35↑ Engelbert Winter: Die sāsānidisch-römischen Friedensverträge des3. Jahrhunderts n. Chr. – ein Beitrag zum Verständnis deraußenpolitischen Beziehungen zwischen den beiden Großmächten,Frankfurt am Main 1988, S. 48.36↑ Zum Verlauf siehe Karin Mosig-Walburg: Römer und Perser,Gutenberg 2009, S. 26–28.37↑ Hinsichtlich der territorialen Ansprüche Ardaschirs gehen in derForschung die Meinungen weit auseinander. Eine Forschungsübersichtbietet Erich Kettenhofen: Die Einforderung der achaimenidischenTerritorien durch die Sāsāniden – eine Bilanz. In: Susanne Kurz(Hrsg.): Yādnāme-ye Iradj Khalifeh-Soltani, Aachen 2002, S. 49–75. Zuden Befürwortern der Historizität zählen Josef Wiesehöfer: Ardašīr I.I: History. In: Encyclopædia Iranica, Bd. 2, London 1987, S. 371–376,hier: 373 und Engelbert Winter: Die sāsānidisch-römischenFriedensverträge des 3. Jahrhunderts n. Chr. – ein Beitrag zumVerständnis der außenpolitischen Beziehungen zwischen den beidenGroßmächten, Frankfurt am Main 1988, S. 31–43, 47f., 50f. Vgl. DieterMetzler: Ziele und Formen königlicher Innenpolitik im vorislamischenIran, Münster 1977, S. 138–142. Die Gegenposition vertreten u. a.Karin Mosig-Walburg: Römer und Perser, Gutenberg 2009, S. 27 und Anm.66, David Potter: Alexander Severus and Ardashir. In: Mesopotamia 22,1987, S. 147–157 und Erich Kettenhofen: Einige Überlegungen zursasanidischen Politik gegenüber Rom im 3. Jh. n. Chr. In: EdwardDąbrowa (Hrsg.): The Roman and Byzantine Army in the East, Kraków1994, S. 99–108, hier: 102–106.38↑ Herodian 6,2,3–5.39↑ CIL 13, 801740↑ Cassius Dio 80 (80),4.41↑ Herodian 6,4,4–6. Siehe dazu Engelbert Winter: Die sāsānidisch-römischen Friedensverträge des 3. Jahrhunderts n. Chr. – ein Beitragzum Verständnis der außenpolitischen Beziehungen zwischen den beidenGroßmächten, Frankfurt am Main 1988, S. 51f.42↑ Siehe dazu Karin Mosig-Walburg: Römer und Perser, Gutenberg 2009,S. 67–73; Engelbert Winter: Die sāsānidisch-römischenFriedensverträge des 3. Jahrhunderts n. Chr. – ein Beitrag zumVerständnis der außenpolitischen Beziehungen zwischen den beidenGroßmächten, Frankfurt am Main 1988, S. 52f.43↑ Herodian 6,6,5–6.44↑ Engelbert Winter: Die sāsānidisch-römischen Friedensverträge des3. Jahrhunderts n. Chr. – ein Beitrag zum Verständnis deraußenpolitischen Beziehungen zwischen den beiden Großmächten,Frankfurt am Main 1988, S. 63f.45↑ Herodian 6,6,1–4. Vgl. Julia Sünskes Thompson: Aufstände undProtestaktionen im Imperium Romanum, Bonn 1990, S. 43, 87.

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46↑ Engelbert Winter: Die sāsānidisch-römischen Friedensverträge des3. Jahrhunderts n. Chr. – ein Beitrag zum Verständnis deraußenpolitischen Beziehungen zwischen den beiden Großmächten,Frankfurt am Main 1988, S. 67.47↑ Herodian 6,7,3.48↑ Robert Lee Cleve: Severus Alexander and the Severan Women, LosAngeles 1982, S. 301f.49↑ Herodian 6,8,3 und 6,9,5.50↑ Herodian 6,8,4; 6,9,4–5; 6,9,8.51↑ Herodian 6,7,9.52↑ Herodian 6,8,8. Zur Solderhöhung siehe Michael Alexander Speidel:Heer und Herrschaft im Römischen Reich der hohen Kaiserzeit,Stuttgart 2009, S. 350, 415.53↑ Herodian 6,9,1–5.54↑ Die Identifizierung mit Bretzenheim hat Leonhard Schumacherausführlich begründet; siehe Leonhard Schumacher: Die Sicilia inMainz-Bretzenheim. In: Mainzer Zeitschrift. MittelrheinischesJahrbuch für Archäologie, Kunst und Geschichte 99, 2004, S. 1–10 undLeonhard Schumacher: Römische Kaiser in Mainz, Bochum 1982, S. 89–92(mit Zusammenstellung und Diskussion der älteren Literatur). Vgl.Auguste Jardé: Etudes critiques sur la vie et le règne de SévèreAlexandre, Paris 1925, S. 85 und Anm. 4, S. 86 Anm. 1. Gegen dieLokalisierung argumentiert mit großem Nachdruck Astrid Böhme-Schönberger: Wurde Alexander Severus in Bretzenheim ermordet? In:Mainzer Zeitschrift. Mittelrheinisches Jahrbuch für Archäologie,Kunst und Geschichte 99, 2004, S. 11–16. Ihr folgt Ronald Knöchlein:Bretzenheim – Zahlbach – Dalheim. Die archäologischen Zeugnisse bisin die fränkische Zeit, Mainz 2009, S. 28 und Anm. 21 und S. 45. ZurFrage der Datierung siehe Michael Peachin: P. Oxy. VI 912 and theAccession of Maximinus Thrax. In: Zeitschrift für Papyrologie undEpigraphik 59, 1985, S. 75–78.55↑ Herodian 6,9,8.56↑ Karlheinz Dietz: Senatus contra principem, München 1980, S. 305.57↑ Zu den Einzelheiten siehe Max Wegner: Severus Alexander. In: MaxWegner (Hrsg.): Das römische Herrscherbild, Abteilung 3 Band 1,Berlin 1971, S. 177–199 (mit Zusammenstellung der Rundplastiken).Vgl. Klaus Fittschen, Paul Zanker: Katalog der römischen Porträts inden Capitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen derStadt Rom. Band 1, 2. Auflage, Mainz 1994, Textband S. 117–123.58↑ Spontane Zerstörungsaktionen ohne eine damnatio memoriae durchden Senat vermuten Eric R. Varner: Mutilation and Transformation.Damnatio Memoriae and Roman Imperial Portraiture, Leiden 2004, S.196–199 und Lee Ann Riccardi: The Mutilation of the Bronze Portraitof a Severan Empress from Sparta: ‚Damnatio Memoriae‘ or ChristianIconoclasm? In: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts,Athenische Abteilung 113, 1998, S. 259–269, hier: 261.59↑ Zum Hintergrund siehe Karlheinz Dietz: Senatus contra principem,München 1980, S. 340.60↑ Herodian 6,9; vgl. 6,1,6–8. Siehe dazu Thomas Hidber: HerodiansDarstellung der Kaisergeschichte nach Marc Aurel, Basel 2006, S. 220–225; Asko Timonen: Cruelty and Death. Roman Historians’ Scenes of

Imperial Violence from Commodus to Philippus Arabs, Turku 2000, S.151–155.61↑ Eine gründliche Untersuchung bietet Cécile Bertrand-Dagenbach:Alexandre Sévère et l’Histoire Auguste, Bruxelles 1990.62↑ Aurelius Victor 24, Eutropius 8,23. Vgl. Engelbert Winter: Diesāsānidisch-römischen Friedensverträge des 3. Jahrhunderts n. Chr. –ein Beitrag zum Verständnis der außenpolitischen Beziehungen zwischenden beiden Großmächten, Frankfurt am Main 1988, S. 56–60.63↑ Julian, Caesares 313.

-594-64↑ Zur Interpretation siehe Friedhelm L. Müller (Hrsg.): Die beidenSatiren des Kaisers Julianus Apostata, Stuttgart 1998, S. 188.65↑ Die byzantinischen Quellentexte sind zusammengestellt, übersetztund kommentiert bei Stephanie Brecht: Die römische Reichskrise vonihrem Ausbruch bis zu ihrem Höhepunkt in der Darstellungbyzantinischer Autoren, Rahden 1999, S. 67–92. Vgl. Enrico dalCovolo: La politica religiosa di Alessandro Severo. In: Salesianum49, 1987, S. 359–375, hier: 366–368.66↑ Edward Gibbon: The History of the Decline and Fall of the RomanEmpire, Bd. 1, London 1776, S. 154–161.67↑ Jacob Burckhardt: Die Zeit Constantins des Großen, München 1982,S. 9f. (erstmals 1853 erschienen).68↑ Alfred von Domaszewski: Geschichte der römischen Kaiser, Bd. 2,Leipzig 1909, S. 279f.69↑ Ernst Kornemann: Römische Geschichte, Bd. 2, Stuttgart 1939, S.347.70↑ Wilhelm Ensslin: The Senate and the Army. In: The CambridgeAncient History, Bd. 12, Cambridge 1939, S. 57–95, hier: 72.71↑ Alfred Heuß: Römische Geschichte, Braunschweig 1960, S. 352.73↑ Hermann Bengtson: Römische Geschichte, München 1973, S. 329.74↑ Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, München 1988(6. Auflage München 2009), S. 629–631.75↑ Bruno Bleckmann: Die severische Familie und die Soldatenkaiser.In: Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum (Hrsg.): Die KaiserinnenRoms, München 2002, S. 265–339, hier: 291, 298.

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Maximinus Thrax

Maximinus Thrax

Gaius Iulius Verus Maximinus oder Maximinus I. (* 172oder 173 bzw. bis zu zehn Jahre später in Thrakien (?);† April 238 in Aquileia) war römischer Kaiser von 235bis 238. Er gilt traditionell als der erste so genannte

Soldatenkaiser (siehe auch Reichskrise des 3.Jahrhunderts).

Persönliches

Im Gegensatz zu den meisten römischen Kaisern vor ihmkam Maximinus, wenn man den problematischen Quellenglauben darf, aus recht einfachen Verhältnissen undgehörte nicht der Nobilität an. Seine oft zitierteHerkunft aus Thrakien wird in der Fachwelt nicht vonallen Wissenschaftlern als gesichert bewertet. So sahder Althistoriker Willem den Boer (1914–1993) in deroftmals unreflektiert übernommenen HerkunftsbezeichnungThrax (für Thrakien) eine „verallgemeinerndeOberflächlichkeit der Forschung“, da der Beiname nichtdurch zeitgenössische Quellen belegt ist und erst um400 n. Chr.[1] vergeben wurde.[2] Der AlthistorikerFranz Altheim (1898–1976) wiederum war sich sicher,aufgrund regionaler Inschriftenkonzentrationen davonausgehen zu können, dass der Kaiser in Niedermösiengeboren worden sei.[3][4]

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Meilenstein, aufgestellt 236 n.Chr. in Ovilava (Wels) auf Befehl desrömischen Kaisers Maximinus Thrax und seines Sohnes Gaius Julius

Verus Maximus

Maximinus war angeblich wenig gebildet. Es wird sogarberichtet, dass er nicht einmal richtig Latein sprechenkonnte, doch dürfte dies eine Verleumdung sein: Da erzum Zeitpunkt seiner Kaisererhebung zwar ein römischerRitter (eques) war, aber kein Senator, wurde er von dersenatsfreundlichen Überlieferung wohl bewusst alsBauerntölpel diffamiert. Bisweilen wurde sogar (unterBezug auf die sehr fragwürdigen Angaben der HistoriaAugusta, die auch ansonsten eine sehr problematischeQuelle darstellt) fälschlich behauptet, er stammedirekt von Barbaren ab und sei der Sohn eines Gotennamens Micca und einer Alanin namens Ababa gewesen.[5]

-597-Doch ist sein Name ein Beleg dafür, dass er in Wahrheitaus einer Familie stammte, die wahrscheinlich bereitsvor 212[6] das römische Bürgerrecht besaß – der NameVerus weist vielleicht auf eine Bürgerrechtsverleihungunter dem Kaiser Lucius Verus (um 165) hin, in derenGenuss wohl Maximinus’ Vater oder Großvater gekommenwar. Sicheres lässt sich in dieser Hinsicht allerdingsnicht sagen. Bemerkenswert scheint die Körpergröße desKaisers gewesen zu sein; sie wird in der HistoriaAugusta mit 2,60 m angegeben, was aber sicherlichmaßlos übertrieben ist.

:Römische Gedenktafel aus Tübingen für Maximinus Thrax gezeichnet vonPetrus Apianus

Seine Karriere führte ihn, wie viele Bewohner derrömischen Balkanprovinzen, früh in die Armee, in die erwohl unter Septimius Severus eintrat und in der er –wieder laut der Historia Augusta – wegen seinerkörperlichen Stärke und seines militärischen Geschicksrasch bekannt wurde. Da die Angaben im GeschichtswerkHerodians wenig hilfreich und jene in der HistoriaAugusta weitgehend wertlos bzw. offenkundig fiktivsind, lässt sich Maximinus’ Laufbahn vor 235 nurbruchstückhaft rekonstruieren.[7] Der in einerInschrift als stellvertretender Statthalter (praesespro legato) der Provinz Mauretania erwähnte GaiusIulius Maximinus wird von mehreren Forschern mit dem

späteren Kaiser identifiziert.[8] Trifft dies zu, sobekleidete Maximinus wichtige Posten auch in derVerwaltung und war sicherlich kein roher, ungebildeterBarbar.

-598-Seine Frau hieß Caecilia Paulina; sie stammte offenbaraus der Nobilität, was ein weiteres Indiz dafür ist,dass Maximinus wohl in Wahrheit nicht der Rohling war,als den ihn die feindliche Überlieferung zeichnet,sondern über Verbindungen in die Oberschicht verfügte.Paulina starb aber bereits vor oder unmittelbar nachder Machtübernahme ihres Mannes. Maximinus ließ ab 236zu ihren Ehren Münzen prägen; zu diesem Zeitpunkt warsie bereits tot. Sein Sohn hieß Gaius Iulius VerusMaximus.

Denarius des Maximinus Thrax

Ausrufung zum Kaiser

Maximinus spielte vermutlich eine führende Rolle beimPerserfeldzug des Severus Alexander und wurde nachAusweis einiger Quellen im Jahr 233 Statthalter bzw.Kommandeur der Provinz Mesopotamia – eine fragwürdigeAngabe; trifft sie aber zu, so könnte Maximinus dortder erste dux ripae gewesen sein. Sicher ist nur:Während Severus 235 einen Krieg in Germanienvorbereiten ließ, leitete Maximinus (vermutlich alspraefectus tironibus) die Ausbildung der neuausgehobenen Truppen, wobei er sich Ansehen unter denSoldaten erwarb. Im März 235[9] wurde er von denunzufriedenen Rheinlegionen bei Mainz zum Kaiserausgerufen, anschließend wurde Severus Alexanderermordet.

-599-Maximinus war zwar mittlerweile, wie erwähnt, einrömischer Ritter, gehörte aber höchstwahrscheinlichnicht dem Senat an (ungeachtet einigerwidersprüchlicher Angaben in der Historia Augusta), wasihn in den Augen vieler Senatoren wohl als einenunwürdigen Kandidaten für die Kaiserwürde erscheinenließ. Allerdings wurde er, sobald in Rom die Nachrichtvon seiner Kaisererhebung eintraf, sogleich inAbwesenheit in zwei wichtige Priesterkollegienaufgenommen und vom Senat offiziell als princepsanerkannt und mit den entsprechenden Vollmachtenversehen.

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit konnte er angeblichzwei Verschwörungen aufdecken; es ist aber sehrumstritten, ob seine Beziehungen zum Senat von Anfangan so zerrüttet waren, wie es Herodian behauptet. Eherist anzunehmen, dass er unter Senatoren über Freundeund Feinde verfügte. Maximinus führte 235/36erfolgreich Krieg in Germanien und erhielt nach einemSieg in einer großen „Schlacht im Moor“ (proelium in

palude) – in der älteren Forschung im Gebiet desheutigen Württemberg verortet, wahrscheinlich aber vielweiter nördlich im heutigen Niedersachsen – denEhrentitel Germanicus Maximus („größterGermanenbesieger“). Details dieser Feldzüge sind nichtüberliefert. Verschiedene Funde aus einem im Sommer2008 bei Kalefeld im Harzvorland entdecktenSchlachtfeld aus dem frühen 3. Jahrhundert legen abereine Verbindung mit dem Germanienkrieg des Kaisers nahe(siehe Harzhornereignis).[10] Bildliche Darstellungenseiner Siege ließ der Kaiser gemeinsam mit dergemachten Beute auf dem Forum Romanum ausstellen.Rückschläge scheinen die römischen Truppen hingegen imOsten erlitten zu haben, wo die neupersischenSassaniden während der Herrschaft des Kaisers einigebedeutende Städte in Nordmesopotamien einnehmenkonnten. Wohl 236 ernannte Maximinus seinen SohnMaximus zum Caesar, also zum Mitkaiser und präsumtivenNachfolger, und machte damit deutlich, dass er eineneue Dynastie begründen wollte.

Streit mit dem Senat

Dennoch und trotz seiner ebenfalls erfolgreichenDonaufeldzüge gegen den sarmatischen Stamm der Jazygenund gegen die Daker blieb er offenbar bei vielenSenatoren unbeliebt, wenn er auch nie ohne Parteigängerim Senat war; allerdings scheint er sich bei derAusübung der Regierungsgeschäfte weniger als seinVorgänger auf Senatoren gestützt zu haben.

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