Universität Vechta
Institut für Strukturforschung und Planung in agrarischen Intensivgebieten
Studiengang: Master Geographien ländlicher Räume -
Wandel durch Globalisierung
Wintersemester 2014/15
LRM 10.1: Globalising Rural Worlds: Der ländliche Raum im Globalisierungsprozess
Exklusive Ländliche Räume im Zeitalter der Globalisierung?
Auswirkungen sozialkonstruktivistischer Imaginationen auf die Aufnahme von
Asylbewerbern und Flüchtlingen im ländlichen England
Seminararbeit
vorgelegt von: Cornelia Cordes
Matrikelnummer: 871687
Fachsemester: 5
Telefon: 0176/63004777
Email: [email protected]
Eingereicht bei: Prof. Dr. Christine Tamásy
Abgabetermin: 26.03.2015
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Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................................. I
Tabellenverzeichnis ................................................................................................................................. II
Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................................ III
1. Einleitung ......................................................................................................................................... 1
2. Globalisierung und Flucht ................................................................................................................ 3
2.1. Globale Migrations- und Flüchtlingsbewegungen ....................................................................... 3
2.2. Die Festung Europa und Flüchtlingszahlen in Großbritannien .................................................... 4
3. Der Cultural Turn, das „Rural Idyll“ und die „Hidden Others“ in der „Rural Geography“ ............... 6
3.1. Der Cultural Turn in der angloamerikanischen Humangeographie............................................. 6
3.2. Das soziale Konstrukt des „Rural Idyll“ ........................................................................................ 6
3.3. The „Hidden Others“ in der „Rural Geography“ ......................................................................... 7
4. Sozialkonstruktivistische Imaginationen von ländlichen Räumen und Flüchtlingen in
Großbritannien ........................................................................................................................................ 9
4.1. The Urban-Rural Divide ............................................................................................................... 9
4.2. „Englishness“, „the English Countryside” und ihre Bedeutung für die Nationalidentität
Englands ................................................................................................................................................ 11
4.2.1. Die Geschichte des „Englishness“ ......................................................................................... 11
4.2.2. Englishness: die Landschaft als Schlüsselsymbol einer nationalen Identität ........................ 12
4.3. Konstruktionen von Flüchtlingen und Asylbewerbern im Kontext der Flüchtlingspolitik und
Medien in Großbritannien zu Beginn des neuen Jahrtausends ............................................................ 13
4.3.1. Die Rolle der Medien in der sozialkonstruktivistischen Produktion von Asylbewerbern und
Flüchtlingen ........................................................................................................................................... 13
4.3.2. Die Änderungen der Asylpolitik zur und nach der Jahrtausendwende: „Fairer, Faster,
Firmer“ ............................................................................................................................................... 14
4.4. Zwischenfazit ............................................................................................................................. 15
5. Fallbeispiel: Protestbewegungen gegen Asylbewerberheime im ländlichen Großbritannien in
2002 ....................................................................................................................................................... 17
5.1. Pläne zur Unterbringung von Asylbewerbern in Bicester und Newton .................................... 17
5.2. Widerstand der Wutbürger und der Behörden ......................................................................... 18
5.3. Diskursanalyse von Bürgerbriefen zur Stigmatisierung der Asylbewerber als „Rural Others“ . 20
5.4. Die Bewahrung der “Whiteness” und der Ländlichkeit ............................................................. 21
6. Zusammenfassung und Fazit ......................................................................................................... 23
Literatur ................................................................................................................................................. 25
II
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Asylbewerberzahlen in GB 1997-2009. Quelle: Mulvey 2010, S. 462. ................................... 5
Tabelle 2: Ethnische Zusammensetzung (England/Wales) 2001 vs. 2011. Quelle: Office for National
Statistics (ONS) 2011: S. 22. .................................................................................................................... 9
III
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Top 20 Aufnahmeländer für internationale Flüchtlinge weltweit (11.7 Mio)- ohne
Binnenvertriebene. Quelle: UNHCR 2014a, S. 13. ................................................................................... 3
Abbildung 2: Festung Europa 2010. Quelle: Le Monde Diplomatique 2010. .......................................... 4
Abbildung 3: Ethnische Diversität in lokalen Distrikten in 2011. Quelle: Ethnicity 2012, S. 4. ............. 10
Abbildung 4: Der "Urban-Rural Divide". Quelle: Askins 2009; Lynn & Lea 2003; Panelli & Hubbard &
Coombes & Suchet-Pearson 2009. ........................................................................................................ 11
Abbildung 5: Newton und Bicester. Quelle: Hubbard 2005, S. 5. ......................................................... 18
Abbildung 6: Stigmatisierung der "Others". Quelle: Hubbard 2005; Sales 2002. ................................. 20
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1. Einleitung
Ländliche Räume in Großbritannien sind, entgegen der weit verbreiteten Meinung öffentlicher
Diskurse, seit Jahrhunderten in globale und interkulturelle Prozesse eingebunden (Bressey 2009).
Großbritannien hat vor allem aufgrund seiner imperialen, kolonialen sowie postkolonialen
Geschichte eine sehr heterogene Bevölkerung und ist statistisch gesehen ein sehr multikulturell und
multiethnisch geprägtes Land (Askins 2009, Bressey 2009). Multikulturalität und ethnische Diversität
sind jedoch statistisch und auch in der öffentlichen Wahrnehmung ein hauptsächlich urbanes
Phänomen und so ist auch die Forschung in beiden Bereichen mehrheitlich im urbanen Kontext
angesiedelt (Askins 2009; Bressey 2009; Holloway 2007; Neal 2010). Nichtsdestotrotz hat sich in der
angloamerikanischen Geographie seit dem Cultural Turn Ende der 80er Jahre ein breiter Kanon an
wissenschaftlichen Publikationen zu „Ethnizität und Ländlichkeit“, Rassismus und Exklusion im
ländlichen Raum sowie Ländlichkeit in verschiedenen soziokulturellen Kontexten herausgebildet
(Askins 2009; Bressey 2009; Holloway 2007; Hubbard 2005; Panelli &Hubbard & Coombes & Suchet-
Pearson 2009; Phillips 2006). Die Forschung zu Flüchtlingen im ländlichen Raum wurde insbesondere
Anfang seit dem Millenniumswechsel von der britischen Asylpolitik der regierenden Labourpartei und
dem sich daraus ergebenden medialen sowie öffentlichen Diskurs, welcher sich bis heute auf das Bild
von Flüchtlingen auswirkt, inspiriert und geprägt ( Goodman & Burke 2010; Finney & Robinson 2006;
Hubbard 2005; Lynn & Lea 2003; Mulvey 2010)
Diese Arbeit wird im Kontext einer sich immer stärker globalisierenden Welt die
sozialkonstruktivistische Imaginationen von Flüchtlingen und vom ländlichen Raum in England
dekonstruieren sowie ihre Auswirkungen auf die Akzeptanz von Flüchtlingen bei der Bevölkerung im
ländlichen Raum in Großbritannien untersuchen. Dahingehend werden im weiteren Verlauf folgende
Arbeitsfragen bearbeitet:
a) Welche sozialen Konstruktionen von Flüchtlingen auf der einen und dem ländlichem Raum
Englands auf der anderen Seite herrschen in England/Großbritannien vor?
b) Wie wirken sich diese sozialen Konstruktionen auf die Aufnahme und Integration von
Asylbewerbern und Flüchtlingen im ländlichen Raum Großbritanniens aus?
Einleitend werden die Zusammenhänge von Globalisierung und globalen sowie regionalen
Flüchtlingsbewegungen auch im Kontext der Festung Europa dargestellt. Anschließend wird die Rolle
des Cultural Turn in der ländlichen Geographie, vor allem in englischen Kontext, besprochen und die
Bedeutung der Forschung zum „Rural Idyll“ und den „Hidden Others“ im ländlichen Kontext
beleuchtet. Kapitel 4 untersucht und dekonstruiert die Entstehung und Bedeutung verschiedener
Begriffe wie den des „Englishness“ und der „White English Countryside“. Im Anschluss wird die
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Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik Großbritanniens sowie die Rolle der Medien bei der
Entstehung des Bildes von Flüchtlingen als „Andere“ erörtert, um darauf folgend die
sozialkonstruktivistischen Imaginationen von Flüchtlingen und der „English Countryside“ in einem
Zwischenfazit zusammenfassend zu betrachten und zu diskutieren. Der vorletzte Abschnitt dieser
Arbeit beschäftigt sich mit einem Fallbeispiel zu zwei Protestbewegungen aus dem Jahr 2002 gegen
die Einrichtung von Asylbewerberheimen im ländlichen England und stellt die Verbindung der zuvor
besprochenen Konstruktionen anhand eines realen Beispiels dar. Die Arbeit schließt mit einer
Zusammenfassung und einem Fazit.
3
2. Globalisierung und Flucht
Die heutigen Ausprägungen der Globalisierung sind Ergebnis der Beschleunigung eines Prozesses,
welcher vor ca. 500 Jahren mit der „Europäisierung der Welt“ begonnen hat (Galtung 2009;
Nuscheler 2009). Globalisierung ist dabei kein Produkt oder Zustand in einer einzigen Ausprägung,
sondern zugleich Prozess und Ergebnis von unzähligen Prozessen, die mit ihren mannigfaltigen
Erscheinungsformen und Verknüpfungen in alle Bereiche des menschlichen Lebens ein fast
allumfassendes Phänomen beschreiben (Galtung 2009; Wu 2012). Es handelt sich dabei generell um
zunehmende wirtschaftliche, kulturelle und politische Vernetzungen im Kontext von Zentrum und
Peripherie sowie Globalem Norden und Süden (Nuscheler 2009). Dabei zeichnen sich immer mehr
auch die kontroversen Widersprüche der Globalisierung ab. Diese drücken sich insbesondere in der
äußerst selektiven Öffnung und Abschottung von Güter-, Kapital- und Dienstleistungs- sowie
Arbeitsmärkten aus (Scholz 2002; Stieglitz 2004).
2.1. Globale Migrations- und Flüchtlingsbewegungen
Ein sehr aktuelles Thema im öffentlichen Diskurs sind hierbei die internationalen
Migrationsbewegungen. Migration gestaltet sich dabei generell in zweierlei Hinsicht: in politisch
gewollte und gesteuerte – vor allem Arbeits- Migration sowie in ungesteuerte und politisch
ungewollte Flüchtlingsbewegungen (Baringhorst 2009, Vaughan-Williams 2014).
Abbildung 1: Top 20 Aufnahmeländer für internationale Flüchtlinge weltweit (11.7 Mio)- ohne Binnenvertriebene.
Quelle: UNHCR 2014a, S. 13.
4
Insbesondere die internationalen Flüchtlingsbewegungen rücken immer wieder ins Zentrum der
öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit (Baringhorst 2009). Das dabei entstehende Bild lässt
zumeist vermuten, dass Europa einen großen Teil der weltweiten Flüchtlinge aufnimmt und derzeit
von Flüchtlingen „überrannt“ wird (Proasyl 2013). Dies entspricht jedoch nicht der Realität. Global
waren im Jahr 2013 51,1 Millionen Menschen auf der Flucht von denen die überwiegende Mehrheit
(9 von 10 Flüchtlingen) im Globalen Süden lebten (UNHCR 2014a). Der Großteil der Flüchtenden
weltweit verbleibt auf ihrer Flucht also entweder als Binnenvertriebene in ihren Heimatländern oder
in sie stranden in den Anrainerstaaten ihrer Herkunftsländer (sieh Abb.1). Nur ein kleiner Teil-
zumeist besser situierte oder relativ gut ausgebildete Menschen- schafft es in den globalen Norden,
so zum Beispiel auch bis nach Europa (UNHCR 2014a).
2.2. Die Festung Europa und Flüchtlingszahlen in Großbritannien
Allerdings wird es auch zusehends schwieriger für Flüchtlinge den Europäischen Kontinent sicher zu
erreichen. „Festung Europa“ ist die gängige Bezeichnung für einen Kontinent, der sich vor allem mit
Hilfe der Grenzschutzagentur Frontex an den EU- Außengrenzen immer stärker gegen die oben
erwähnten ungewollten und „illegalen“ Flüchtlingsbewegungen abschirmt (siehe Abb. 2) (Atlas der
Globalisierung 2010). Da eine dezidierte Auseinandersetzung mit der EU-Flüchtlingspolitik und den
gesetzlichen Bestimmungen den Rahmen dieser Arbeit überspringen würde, beschränken sich die
folgenden Ausführungen auf reine Zahlen, um die Zahl der Flüchtlinge in Europa zu vergleichen.
Abbildung 2: Festung Europa 2010. Quelle: Le Monde Diplomatique 2010.
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Erstmals sind, wie oben beschrieben, seit dem zweiten Weltkrieg weltweit wieder mehr als 50
Millionen Menschen auf der Flucht (UNHCR 2014a, S. 2). Die Gründe dafür sind mannigfaltig und
reichen von Armut bis hin zu Krieg. Auch wenn Europa sich in seiner Grenzpolitik eindeutig von
diesen Fluchtbewegungen abschotten möchte, so wird dieses in Anbetracht der stetig wachsenden
öffentlichen Aufmerksamkeit aufgrund der Berichte über Opfer von Bootsunglücken im Mittelmeer,
zum Beispiel vor der Insel Lampedusa, nicht ohne kontroverse öffentliche und politische
Diskussionen möglich sein. Seit dem Ausbruch des Krieges in Syrien im Jahr 2011 steigen die
Flüchtlingszahlen in Europa signifikant (UNHCR 2014a). Großbritannien nahm in 2013, gemessen an
seiner Bevölkerungszahl, die viertgrößte Anzahl von Flüchtlingen (ca. 35/100 Einwohner) (UNHCR
2014a, S. 28) EU-weit auf und seit 2009 bis 2013 stellten dort 136.380 Personen einen Asylantrag
(UNHCR 2014b, S. 22). Zeitgleich lag z.B. Deutschland in 2013 mit ca. 110/100 Einwohner an der EU
Spitze (UNHCR 2014a, S. 28) und es stellten im selben Zeitraum 288.840 Personen einen Asylantrag
(UNHCR 2014b, S. 22).
Tabelle 1: Asylbewerberzahlen in GB 1997-2009. Quelle: Mulvey 2010, S. 462.
Betrachtet man die Zahl der Asylbewerbungen in Großbritannien (siehe Tab.1), so lässt sich
erkennen, dass die Zahl der Anträge seit dem Hoch Anfang des neuen Jahrtausends, sich seit Mitte
des Jahrzehnts auf knapp 25.000 pro Jahr eingependelt hat (Mulvey 2010, S. 462). In 2013 beziffert
der UNHCR (2014a) die Anzahl der Anträge in GB auf 23.070, eine Zahl die sich nahtlos an den
aufgezeigten Trend anschießt.
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3. Der Cultural Turn, das „Rural Idyll“ und die „Hidden Others“ in der „Rural
Geography“
In der ländlichen Geographie spielt die Forschung zu sozialkonstruierten Bildern in ländlichen
Räumen eine wichtige Rolle (Panelli &Hubbard & Coombes & Suchet-Pearson 2009). In diesem
Kapitel wird die Entwicklung der Forschung in Hinblick auf qualitative Methoden wiedergeben und
die Begriffe „Rural Idyll“ und „Hidden Others“ im ländlichen Kontext beleuchtet.
3.1. Der Cultural Turn in der angloamerikanischen Humangeographie
Resultierend aus der quantitativen Revolution in den 1960ern herrschten in der
humangeographischen Forschung jahrzehntelang quantitative Methoden vor. Im Zuge des Cultural
Turns in den angloamerikanischen Sozialwissenschaften und der Humangeographie Ende der 80er
und Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts setzen sich zunehmend qualitative Methoden
durch und es wurden vermehrt poststrukturalistische und postmoderne Ansätze in die
Forschungsmethoden der Geographie verankert (Berndt & Pütz 2007; Panelli &Hubbard & Coombes
& Suchet-Pearson 2009). Mit dem Sozialkonstruktivismus beispielsweise wurden die vormals
quantitativ dominierten Definitionen dessen, was ländlich ist oder was als ländlich angesehen wird,
durch neue soziale und kulturell konstruierte Definitionen ergänzt (Askins 2009; Cloke 2004; Philo
1992). Insbesondere in der angloamerikanischen Humangeographie hat der Cultural Turn einen
großen Einfluss und Philo (2000, S. 28f) resümiert, dass
„the cultural turn […] has sent shockwaves throughout the lengths and breadths of human
geography […]that has blown away many cobwebs of convention, conservation, and even
downright prejudice”.
Diese qualitativen Charakteristika hatten und haben somit einen großen Einfluss darauf, welche
wissenschaftlichen Fragestellungen in der Kultur- und Sozialgeographie im ländlichen Kontext
bearbeitet werden. Hierbei spielen auch mediale und öffentliche Diskurse über das was als ländlich
gilt und als ländlich wahrgenommen wird eine große Rolle (Panelli &Hubbard & Coombes & Suchet-
Pearson 2009).
3.2. Das soziale Konstrukt des „Rural Idyll“
Vor allem die Frage, welche hegemonialen Diskurse den ländlichen Raum prägen und mit welchen
Attributen er durch diese belegt wird, sowie wie diese Diskurse dekonstruiert werden können, sind
bis heute ein wichtiger Teil der angloamerikanischen ländlichen Sozial- und Kulturgeographie. Das
sozialkonstruktivistische Bild des „ländlichen Idylls“ oder im englischen Kontext des „Rural Idylls“
steht sinnbildhaft für die Macht von hegemonialen Diskursen über den ländlichen Raum (Askins
7
2009). Der ländliche Raum wird in diesem Konstrukt – natürlich regionsspezifisch- mit bestimmten
idealisierten Attributen belegt. Im englischen Kontext wird unter dem „Rural Idyll“ folgendes
verstanden: eine weiße, sozial eng vernetzte, vor allem „englische“, homogene Bevölkerung aus der
Mittelklasse, die in einer unberührten, idyllischen Landschaft ohne Kriminalität lebt und durchweg
christlich geprägt ist (Askins 2009; Cloke 2004; Garland & Chakraborti 2006; Panelli & Hubbard &
Coombes & Suchet-Pearson 2009). Die Humangeographie hinterfragt seit dem Cultural Turn dieses
stilisierte und vereinfachte Bild des ländlichen Raumes und stellt ihm differenziertere Konstrukte
entgegen, die die tatsächliche soziale und auch kulturelle Heterogenität des ländlichen Raumes
aufzeigen (Holloway 2007).
3.3. The „Hidden Others“ in der „Rural Geography“
Lange Zeit wurden also insbesondere Multikulturalität und Ethnizität in Großbritannien als ein vor
allem rein urbanes Phänomen angesehen. In der ländlichen Geographie in Großbritannien
dominierten auch heute weiterhin weiße-anglo-keltische Imaginationen. Es haben sich jedoch in den
letzten Jahrzehnten neue Forschungsstränge herausgebildet, welche eben diese hegemonialen
Konstruktionen zu dekonstruieren suchen. Es handelt sich dabei z.B. um die ‚anti racist geographies‘
oder ‚unspoken geographies of whiteness‘ in denen eine wachsende Zahl von Literatur zu Migration,
Rassismus, Unsichtbarkeit, Marginalisierung und Exklusion zu verzeichnen ist (Askins 2009; Bressey
2009; Cloke 2004; Darling 2011; Holloway 2007; Hubbard 2005; Panelli &Hubbard & Coombes &
Suchet-Pearson 2009; Phillips 2006). Ein großer Beitrag neuen geographischer Forschungsstränge ist
die Übertragung der Debatten um Multikulturalität und Ethnizität auch auf die ländlichen Räume
(Askins 2009; Cloke 2004). Für die vorliegende Arbeit ist dahingehend die Fokussierung auf die
„Others“- die „Anderen“- eben die vernachlässigte Gruppen wichtig, welche im öffentlichen Diskurs
oft entweder unsichtbar sind oder nur auf rassistische Art und Weise sichtbar werden (Panelli
&Hubbard & Coombes & Suchet-Pearson 2009).
Schon in seinem wichtigen Aufsatz „Neglected Rural Geographies: A Review“ aus dem Jahr 1992 hat
Philo (1992) deutlich hervorgehoben, dass die sozialen Konstruktionen des ländlichen Raumes in
Großbritannien eindeutig von weißen, männlichen, Mittelklasse Erzählungen dominiert werden:
“There remains a danger of portraying British rural people … as all being ‘Mr Averages’, as
being men in employment, earning enough to live, white and probably English, straight and
somehow without sexuality, able in body and sound in mind, and devoid of any other quirks
(say) religious belief or political application. (Philo 1992, S. 200)”
Soziale und ethnische Minderheiten befinden sich im britischen Kontext laut Cloke (2004) auch heute
noch in vielerlei Hinsicht im ländlichen Raum „out of place“ – also sinnbildlich übersetzt sind sie im
8
ländlichen Raum fehl am Platze. Gerade im alltäglichen Diskurs dominiert weiterhin das oben
angesprochene idealisierte Bild des „Rural Idyll“, welches ethnisch, sozial und kulturell homogen
aufgebaut ist (Askins 2009; Cloke 2004). Philo (1992) weist weiterhin auf die diskursive Macht des
Bildes hin, welche durch die allumfassenden sozialen Gemeinsamkeiten im Prozess der Konstruktion
eines „Rural Idyll“ entsteht und welche dazu dient, bestimmte Menschen aufgrund ihrer
Zugehörigkeit zu marginalisierten und sozialen, kulturellen sowie ethnischen Gruppierungen oder
bestimmten Schichten/Klassen als auch ihrer sexueller Orientierung aus der Mehrheitsgesellschaft
auszuschließen.
Weiterhin sind Rassismus und Exklusion im urbanen Raum ein weitgehend gut beforschtes Feld. Ein
wesentlicher Unterschied des ländlichen Raumes bezugnehmend dazu ist, dass die Existenz von
Rassismus und Exklusion von der Mehrheitsbevölkerung weitestgehend abgestritten wird
(Chakraborti & Garland 2006). Diese Gruppen werden somit zu den „Hidden Others“ also zu den
unsichtbaren „Anderen“ (Cloke 2004). Das oben angesprochene idealisierte Bild einer sozialen,
engverwobenen, warmen Dorfgemeinde ohne nennenswerte Probleme lässt im alltäglichen Diskurs
ein solches Abdriften der Narration kaum zu und so werden eventuelle Probleme nicht selten unter
den Teppich gekehrt (Askins 2009; Chakraborti & Garland 2006; Cloke 2004). Das „ländliche Idyll“ ist
also ein sehr machtvolles, soziales Konstrukt, dessen Wirkkraft und Zuschreibungen sich im
öffentlichen und medialen Diskurs oft bedient wird und welches zugleich stark exkludierende
Wirkungen auf die “Hidden Others“ haben kann (Chakraborti & Garland 2006).
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4. Sozialkonstruktivistische Imaginationen von ländlichen Räumen und
Flüchtlingen in Großbritannien
Sozialkonstruktivistische Bilder von Räumen und auch von sozialen Gruppen sowie ihre
raumwirksamen Auswirkungen spielen also in der ländlichen Geographie seit dem Cultural Turn eine
große Rolle (Panelli &Hubbard & Coombes & Suchet-Pearson 2009).
Dieses Kapitel wird nun zuerst den „Urban-Rural-Divide“ bezüglich der Verteilung von ethnischen
Minderheiten einleiten. Fortführend an die oben eingeführten Ausführungen zum „Rural Idyll“ wird
spezifisch für den englischen Kontext die Konstruktion der „English Countryside“ betrachtet und ihre
Bedeutung im Kontext der englischen Nationalidentität besprochen. Weiterhin wird die soziale
Konstruktion von Flüchtlingen im britischen Kontext eruiert und gezeigt, wie sich diese Konstruktion
auf die generelle Akzeptanz von Flüchtlingen in Großbritannien auswirken. Wichtig ist hierbei die
Unterscheidung zwischen „englisch“ und „britisch“, da in Bezug auf das Raumbild nur der englische
ländliche Raum betrachtet wird. Großbritannien hat durch seine geschichtliche und politische
Entwicklung regional spezifische Nationalitäten: die Waliser, die Nordiren und die Schotten sind
keine Engländer und auch das Bild von Ländlichkeit ist in diesen soziokulturellen Kontexten ein
anderes als in England ( Lynn & Lea 2003).
4.1. The Urban-Rural Divide
Statistisch betrachtet ist Großbritannien ein ethnisch sehr diverses Land (siehe Tab.2). In 2011
besaßen 19.5 % der britischen Bevölkerung eine andere Ethnizität als „Weiß British“ (ONS 2011, S.
22). Ethnizität und Multikulturalität sind zwar nicht das Gleiche, Lynn & Lea (2003) gehen jedoch
davon aus, dass die Angehörigen verschiedener Ethnien auch zu einer multikulturellen Gesellschaft
beitragen.
Tabelle 2: Ethnische Zusammensetzung (England/Wales) 2001 vs. 2011. Quelle: Office for National Statistics (ONS) 2011:
S. 22.
10
Auffällig ist vor allem, dass sich die räumliche Verteilung von ethnischen Minderheiten auf die
urbanen Zentren konzentriert. Insbesondere der Großraum London sowie die alten Industriestädte
Manchester und Birmingham sind ethnisch stark heterogen geprägt (siehe Abb. 3).
Abbildung 3: Ethnische Diversität in lokalen Distrikten in 2011. Quelle: Ethnicity 2012, S. 4.
Daraus ist zu schließen, dass die Sichtbarkeit von ethnischen Minderheiten im ländlichen Raum in
vielen Teilen Englands (hier auch Wales) aufgrund der geringen Anzahl recht eingeschränkt ist.
Nichtsdestotrotz sind auch in diesen Gebieten ethnische Minderheiten zu finden und laut der
Statistik leben 5 % aller ethnischen Minderheiten im ländlichen Raum (siehe Tab. 2), was zu einem
prozentualen Anteil von 2-10% an der Gesamtbevölkerung dieses Raumes führt (siehe Abb. 3).
Die räumliche Ungleichverteilung äußert sich im „Urban-Rural-Divide“, welcher sich nicht nur
zahlenmäßig, sondern auch auf sozialer und kultureller Ebene auswirkt (Lynn & Lea 2003). Mit dem
urbanen Raum wird diesbezüglich eine multikulturelle und ethnisch heterogene und mit dem
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ländlichen Raum eine kulturell sowie ethnisch homogene Bevölkerung und Kultur verbunden (siehe
Abb. 4). Diese Differenz übersetzt sich für den urbanen Raum in die Zuschreibung des „Horts sozialer
Missstände und Probleme“, wohingegen dem ländlichen Raum der oben schon angesprochene
idyllische Charakter zugeschrieben wird. Der ländliche Raum wird als „Hort des Englishness“
bezeichnet, eine Zuschreibung die nun im folgenden Kapitel genauer erklärt wird ( Lynn & Lea 2003)
Abbildung 4: Der "Urban-Rural Divide". Quelle: Askins 2009; Lynn & Lea 2003; Panelli & Hubbard & Coombes & Suchet-
Pearson 2009.
4.2. „Englishness“, „the English Countryside” und ihre Bedeutung für
die Nationalidentität Englands
Der ländliche sowie auch der urbane Raum werden in England demzufolge mit bestimmten
Charakteristika belegt. Eine wichtige Zuschreibung ist im ländlichen Raum die „Englishness“, ein
Begriff der für eine homogene, weiße und sozial sowie wirtschaftlich überlegene Kultur steht (siehe
4.2.1). Es ist in diesem Kontext wichtig zu erwähnen, dass die Entstehung des „Englishness“ eng mit
der pastoralen und kolonialen Geschichte Englands verbunden ist und insbesondere für die
Charakterisierung des ländlichen Raumes und seiner Bewohner eine große Rolle spielt (Chakraborti &
Garland 2006; Neal 2002).
4.2.1. Die Geschichte des „Englishness“
Die Verbindung des ländlichen Raumes, des englischen Nationalbewusstseins und Rassismus haben
in England eine lange Tradition:
“During colonialism it was English rurality that represented what was particularly civilized
and culturally superior about Britain. In a postcolonial era the importance of English rurality
12
has developed around the politics of (invisible) whiteness and constructions of ethnicity,
identity and belonging.” (Neal 2002, S. 444).
Während des britischen Kolonialzeitalters stand demzufolge das „Rural England“ (insbesondere
natürlich die Lebensart der obersten Schicht) und seine Lebensart für die Zivilisiertheit und kulturelle
Überlegenheit der britischen und aber vor allem der englischen Kultur. Während der industriellen
Revolution, welche enorme soziale Missstände (Slums, kulturelle Heterogenität) in die Städte brachte
diente der ländliche Raum als Ort der Reinheit und „sozialen Gesundheit“. Im postkolonialen
Niedergang wurde nun diese „quintessentiell Englishness“ zu einem wichtigen Teil der englischen
Nationalidentität, welche die weiße, kulturelle Überlegenheit in einer ländlichen, reinen Kultur
präserviert und konserviert (Neal 2002). Die Abwesenheit von ethnischen Minderheiten und deren
Rolle im ländlichen Raum wurde gewollt konstruiert und ist bis heute prägend für das ländliche Bild
(Bressey 2009). Heutzutage spielt diese historisch und rezent konstruierte Abwesenheit von „People
of colour“ sowie der ethnischen und kulturellen Minderheiten eine immer größere Rolle, da gerade
jetzt im Zeitalter der Globalisierung immer mehr Menschen mit anderen ethnischen und kulturellen
Wurzeln auch in ländlichen Räumen sichtbar werden (Hedberg & Haandrikman 2014).
4.2.2. Englishness: die Landschaft als Schlüsselsymbol einer nationalen
Identität
Die „English Countryside“ wird im öffentlichen sowie medialen Diskurs mit vielerlei Eigenschaften
belegt. Allen voran gilt das romantisierte Bild einer Landschaft mit„(…)rolling green hills, patchwork
fields, and secluded villages with quaint country cottages(…)(Holloway 2007, S. 7)“ in der die
eigentliche soziale Gemeinschaft ausschließlich aus weißen und englischen Menschen aus der
Mittelklasse besteht, welche eine intakte Dorfgemeinschaft bilden. Das „Village England“ dient
hiermit, nicht zuletzt im Zeitalter der Globalisierung und somit des Multikulturalismus, als Ikone für
das sozioräumliche Idealbild Englands und seiner Nationalidentität:
“English countryside is (…) the last bastion’ of old-fashioned Englishness which needs to be
preserved from the encroachment of the ‘evils’ of late modernity.” (Garland & Chakraborti
2004, S. 15)
Dabei wird auch deutlich, dass “(…) if a group of people are excluded from the landscape of English
Identity, they are to a large extent excluded from the nation itself.”(Bressey 2009, S. 389). Der
ländliche Raum in Großbritannien ist jedoch, entgegen dieses breiten öffentlichen Diskurses, in der
Realität weit entfernt davon ein von äußeren Einflüssen abgeschirmter kulturell homogener Raum zu
sein. Bressey (2009) tituliert in ihrem Aufsatz: „The English rural is not a white space, nor is the
experience or understanding of the countryside a white pastoral privilege. (Bressey 2009, S. 389)”.
13
Seit Beginn der Kolonialgeschichte Großbritanniens ist auch die Entwicklung und Geschichte des
ländlichen Raumes mit internationalen Einflüssen eng verflochten. Der transatlantische
Dreieckshandel ist Grundpfeiler der Industrialisierung Großbritanniens und die durch den
Sklavenhandel erwirtschafteten Einkünfte dienten nicht zuletzt der Finanzierung von großzügigen
Landsitzen und Anwesen der Aristokratie im ländlichen Raum (Askins 2009; Bressey 2009).
Nichtsdestotrotz wird der ländliche Raum auch heute immer noch mit den oben aufgeführten
Charakteristika belegt und im Diskurs liegen die kulturellen Grundfesten der englischen Nation im
ländlichen Raum und in der ländlichen Kultur (Chakraborti & Garland 2006; Holloway 2007; Neal
2002). Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass soziale Konstrukte vom ländlichen Raum sozio-
kulturell stark marginalisierende und exkludierende Merkmale aufweisen und soziale Konstrukte, wie
das „Rural Idyll“ oder das darin enthaltende „Englishness“ eine wichtige Rolle für die Wahrnehmung
und Behandlung von sozialen, insbesondere ethnischen Minderheiten im ländlichen Raum spielen
(Lynn & Lea 2003).
4.3. Konstruktionen von Flüchtlingen und Asylbewerbern im Kontext
der Flüchtlingspolitik und Medien in Großbritannien zu Beginn des
neuen Jahrtausends
Im Zuge dieses Unterkapitels wird der mediale und politische Einfluss auf das Bild von Flüchtlingen
und Asylbewerbern zu Beginn des neuen Jahrtausends bearbeitet. Dieser Zeitraum wurde
ausgewählt, da sich gerade in diesem Zeitraum sehr viel im Bereich Asylpolitik in Großbritannien
geändert hat und diese Veränderungen in den Medien stark repräsentiert wurden (Sales 2002).
4.3.1. Die Rolle der Medien in der sozialkonstruktivistischen Produktion
von Asylbewerbern und Flüchtlingen
Wissen und Verstehen, Denken und Verhalten sind soziale Prozesse, die durch soziale Institutionen,
kulturelle Traditionen und tagtäglichen Interaktionen zwischen Gruppen und Individuen erlernt
werden. Diese im Sozialisierungsprozess angeeigneten Fähigkeiten und Einstellungen werden als Teil
des Alltags und in der Persönlichkeit internalisiert, verankert und so als Fakt in richtig und falsch
eingestuft. Eine der wichtigsten sozialen Institutionen der Meinungsbildung sind die Medien (Lynn &
Lea 2003). Bezugnehmend auf die Konstruktion des Bildes von Flüchtlingen und Asylsuchenden
schreiben Lynn & Lea (2003, S. 428):
14
„Nevertheless, the media is the thread that binds the issues- the discourses- surrounding
refugees and seekers of asylum together. In the production and construction of particular
forms of knowledge, the media has the pivotal role.”
Flüchtlinge werden im britischen medialen Diskurs als „(…) social, administrative, welfare and
security problem, (…) (Hubbard 2005, S. 3)“ dargestellt und in die Rolle des „Folk Devil“ oder
Sündenbocks gedrängt (Hubbard 2005). Eine besondere Rolle für diese Wahrnehmung von
Asylbewerbern und Flüchtlingen in Großbritannien, spielt in diesem Zusammenhang die mediale
Berichtserstattung gegen die Labour-Kampagne, welche zu Beginn des neuen Jahrtausends im
ländlichen Raum verschiedene Asylbewerberzentren einrichten wollte (Garland & Chakraborti 2006;
Hubbard 2005). Schon vor dieser Kampagne streuten die Medien z.B. das Gerücht, dass illegale
Einwanderer schuld an der Maul- und Klauenseucheepidemie im Jahr 2001 gewesen seien (White
2002). Laut White (2002, S. 1056) gibt es eine „traditional xenophobia in rural Britain“. Sowohl
Asylbewerber als auch Flüchtlinge werden in Großbritannien von den Medien systematisch
pathologisiert, verleumdet und kriminalisiert (Lynn &Lea 2003). Die Boulevardpresse sowie auch
seriöse Medien verbreiteten und verbreiten auch heute noch zu einem großen Teil ein
angstmachendes Bild und auch die Berichtserstattung über Gesetzesänderungen trug zu einem
großen Anteil zu der negativen Darstellung von Asylbewerbern und Flüchtlingen bei (Darling 2011,
Sales 2002).
4.3.2. Die Änderungen der Asylpolitik zur und nach der
Jahrtausendwende: „Fairer, Faster, Firmer“
Neben der britischen Presse spielt die Migrations- und Integrationspolitik eine zentrale Rolle in der
Darstellung und Konstruktion von Geflüchteten (Darling 2011; Lynn & Lea 2003; Mulvey 2010; Sales
2002). Laut Baringhorst (2009) hat Großbritannien im Grunde eine sehr vorbildliche Integrations- und
Antidiskriminierungspolitik. Institutionell z.B. werden durch die „Race Relations Acts“ (RRA)
sichergestellt, dass Angehörige ethnischer Minderheiten nicht aufgrund ihrer ethnischen, rassischen
oder auch religiösen Merkmale diskriminiert werden dürfen (Baringhorst 2009). Die RRA gelten dabei
nicht nur für den Arbeits- und Wohnungsmarkt, sondern sind seit 2000 auch für alle staatlichen und
öffentlichen Institutionen bindend. Es gibt allerdings einen großen Unterschied in der Gesetzgebung
zwischen den eingangs angesprochenen „politisch und wirtschaftlich gewollten“ und den „politisch
ungewollten“ Migranten- den Flüchtlingen. Die Gesetze gelten nicht für Flüchtlinge und
Asylsuchende, sondern nur für legale Arbeitsmigranten und andere ethnische Minderheiten
(Baringhorst 2009; Sales 2002).
15
Mit Beginn der Europäisierung der Asylpolitik Ende der 1990er Jahre wurde der Bereich Asyl auch in
Großbritannien immer mehr zu einem politischen Brennpunkt. Die ab Ende der 1990er
verabschiedeten restriktiven politischen Änderungen in der britischen Asylgesetzgebung und –politik
unter dem Motto „Fairer, Faster, Firmer“ waren Teil der medialen Berichtserstattung und trugen
ihren Teil zu einer Stigmatisierung dieser sozialen Gruppe bei. Das im Jahr 1997 gewählte Labour
Government hat in den folgenden 13 Jahren sechs Parlamentsgesetze zur Verschärfung und
Änderung des Asylrechts und der Asylsozialbestimmungen verabschiedet (Sales 2002).
Der Beginn dieser Gesetzesänderungen war der im Jahr 1999 verabschiedete „Immigration and
Asylum Act“ (Sales 2002). Diese und weitere Änderungen des Rechts führten dazu, dass es z.B. immer
mehr Restriktionen bei Zivilrechten gab, die Asylbewerber nach der „No Choice“ Methode auch – und
das war neu- in Lager in ländliche Räume verteilt wurden und es einen Ersatz von Geld- zu Sach- oder
Gutscheinleistungen gab. Weiterhin wurden strenge Arbeitsverbote erlassen und bestehende
Arbeitserlaubnisse begrenzt, was zu einer vermehrten Abhängigkeit der Asylbewerber von den
Sozialleistungen führte (Sales 2002). Gerade die Einführung des Gutscheinsystems machte die
Asylbewerber zu einer sozial vermehrt sichtbaren Gruppe, da sie kaum noch Geldmittel besaßen mit
denen sie unerkannt einkaufen konnten. Mitte der 2000er wurden zudem die kostenlosen
Sprachkurse gestrichen. Zusammenfassend hatte und hat diese Asylpolitik vor allem das Ziel neue
Flüchtlinge von dem Vorhaben nach Großbritannien zu kommen abzuschrecken. Im Hinblick auf die
öffentliche Meinungsbildung war das Resultat der politischen und öffentlichen Diskurse zu den
verabschiedeten Gesetzesänderungen unter anderem, dass Asylbewerber und Flüchtlinge als
„Bedrohung“- als „unwanted other“- wahrgenommen wurden, wodurch auch das Bild der Migranten
allgemein stark Schaden nahm (Sales 2002).
4.4. Zwischenfazit
Zusammenfassend sind also im britischen bzw. englischen Kontext zwei wichtige soziale
Konstruktionen für die Behandlung und Aufnahme von Flüchtlingen im ländlichen Raum von
Bedeutung.
Zum ersten ist dies das verklärte soziokulturelle Konstruktion des „English Rural Idyll“ und mit seiner
inhärenten quintessentiellen Englishness, welche als nationale Identität ein wichtiger Bestandteil der
englischen und auch der britischen Psyche ist (Chakraborti & Garland 2006; Holloway 2007; Neal
2002). Als zweites Konstrukt kristallisiert sich das Konstrukt des „unwanted others“, des
Asylbewerbers aber auch das der Flüchtlinge heraus, welches durch die mediale Berichterstattung
und den politischen Diskurs vor allem seit der Jahrtausendwende sehr negativ geprägt wurde (Lynn &
Lea 2003, Sales 2002).
16
Welche Rolle diese beiden Konstruktionen auf die Debatten und Proteste gegen die Unterbringung
von Flüchtlingen im ländlichen Raum in Großbritannien spielen, wird im Folgenden anhand eines
Fallbeispiels erläutert.
17
5. Fallbeispiel: Protestbewegungen gegen Asylbewerberheime im ländlichen
Großbritannien in 2002
Die oben angesprochenen Veränderungen in der Asylgesetzgebung ab 1999, beginnend mit dem
„Immigration and Asylum Act“, wirkten sich auch auf die Form und den Ort der Unterbringung von
Flüchtlingen aus (Neal 2002). London und der Südosten sollten entlastet werden und so beschloss die
Labour-Regierung mit der Einrichtung des „Home Office National Asylum Support Service“ (NASS),
landesweit zentralen Unterbringen für Asylbewerber, zu errichten (Hubbard 2005). Diese Pläne
führten in vielen urbanen sowie ländlichen Orten zu massivem Widerstand. In einigen Städten, wie
Sighthill und Glasgow, verursachte das Ankommen der neuen Asylbewerber zum Beispiel eine ganze
Reihe von rassistischen Übergriffen, die in dem Mord an dem türkischen Kurden Firsat Yildiz
kulminierten (Weaver 2002). Auch in ländlichen Regionen gab es nach Bekanntgabe der Baupläne
und noch vor der Ankunft der Flüchtlinge große Protestwellen (Hubbard 2005).
5.1. Pläne zur Unterbringung von Asylbewerbern in Bicester und
Newton
Zu Beginn des neuen Jahrtausends nahm die Zahl der ankommenden Flüchtlinge und Asylbewerber
in Großbritannien stark zu (siehe Tab. 2). Das Home Office plante in dieser Zeit die Plätze in speziell
für die Bearbeitung von Asylanträgen eingerichteten Asylbewerberheimen um ca. 10.000
aufzustocken. Diese Asylbewerberheime sollten mit allem ausgestattet sein, was die Bewohner für
den täglichen Bedarf benötigten. Im Gegensatz zu den Abschiebeunterkünften sollte es ihnen
möglich sein zu kommen und zu gehen wie es ihnen beliebte. Zur geplanten Ausstattung der
Unterkunft gehören die Vollverpflegung der Bewohner, die medizinische Versorgung sowie
Ausbildungs- und Sprachlernangebote. Ziel dieser zentralen Unterbringung war die Bearbeitung der
Asylanträge für das Home Office zu vereinfachen, zu beschleunigen und auch den direkten Kontakt
zwischen den Asylbewerbern und den Behörden zu gewährleisten (Hubbard 2005).
Von den ursprünglich 400 möglichen Standorten im ländlichen Raum, verblieben nach einem
Ausschlussverfahren nur zwei potentielle Standorte. Es handelte sich dabei um ein „Defence and
Distribution Centre“ in der Nähe von Bicester im Oxfordshire und einem ehemaligen „Royal Airforce“
Stützpunkt in Newton im Nottinghamshire. Es war geplant, an beiden Standorten 750 Asylbewerber
unterzubringen. In Newton sollten auf dem alten Militärgelände, das bereits vom Rushcliff Borough
Council als neues Baugebiet ausgeschrieben worden war, 64 der alten Offiziersunterkünfte renoviert
werden. Zusätzlich war die Errichtung von neun zusätzlichen funktionalen Gebäuden geplant, um die
18
benötigten Einrichtungen, wie einen Kindergarten, Aufenthaltsräume, medizinische Versorgung,
einen Laden und auch Räume für Gottesdienste bereitstellen zu können (Hubbard 2005).
Abbildung 5: Newton und Bicester. Quelle: Hubbard 2005, S. 5.
In Bicester sollte auf einem ungenutzten Stück des „Ministry of Defence“(MoD) Geländes in der Nähe
der kleinen Ortschaften Arncott und Piddington ein neues Asylbewerberheim mit allen notwendigen
Einrichtungen (s.o.) gebaut werden. Aufgrund der relativ schlechten Anbindung an den öffentlichen
Nahverkehr, wurde zudem vorgeschlagen einen neuen Shuttlebus vom Heim bis nach Bicester
einzurichten (Hubbard 2005).
Obwohl für beide Gemeinden nicht nur Arbeitsplätze entstehen, sondern sich auch der öffentliche
Nahverkehr verbessern würde, gab es von Anfang an kontroverse Diskussionen, die in massiven
Protesten aus der Bevölkerung mündeten. Verantwortlich dafür war zu Beginn die Art und Weise,
wie die Baupläne kommuniziert wurden. Die Verhandlungen mit den Gemeinden fanden auf
Verlangen des Home Office zunächst nur hinter verschlossenen Türen statt. Anstatt die Pläne durch
die Verwaltungen an die Bürger heranzutragen, wurden die ersten Berichte über die Planung somit
von der Presse veröffentlicht. In beiden Orten gründeten sich schon kurz nach Bekanntwerden der
Pläne lokale Aktionsgruppen zum Zwecke des Protestes. Die „Newton Action Group“ (NAG) und die
„Bicester Action Group“ (BAG) organisierten und koordinierten im Folgenden die öffentlichen
Protestaktionen der Bürger (Hubbard 2005).
5.2. Widerstand der Wutbürger und der Behörden
Diese Protestaktionen wurden von Anfang an von Rechtfertigungen begleitet, welche Rassismus und
Xenophobie sowie „NIMYism“ (Not in my Backyard) aus den Gründen für die Proteste ausschlossen.
So gab z.B. Ken Clarke von der NAG in einer Rede am 6.Juni 2002 an:
„This is not about racism, it’s about right thinking. I think there should be a large camp, but
not be built on a green belt land miles away from any facilities. What we need is some way of
19
helping asylum seekers by providing them with the facilities they need, not housing them in
the middle of nowhere. (Hubbard 2005, S. 7).“
Sowohl beide Aktionsgruppen als auch die Politiker beider Regionen gaben im öffentlichen Diskurs
vorwiegend altruistische, rationale und praktikable Gründe für ihren Protest an und distanzierten
sich öffentlich von jedweden rechten Parteien oder Einflüssen. Die Pragmatischen Gründe für den
Widerstand beinhalteten bei beiden Aktionsgruppen Argumentationen wie eine unpassende
Infrastruktur, zu befürchtende Verkehrsprobleme und die negativen Auswirkungen für die
Asylbewerber per se, welche im ländlichen Raum nicht das vorfinden würden, was sie bräuchten. Die
BAG gab zudem noch Angst um den Wertverlust für ausgeschriebene Bauplätze, sowie visuelle
Beeinträchtigungen der Landschaft an (Hubbard 2005).
Der behördliche Widerstand im Rushcliff Borough Council und im Cherwell District Council bezog sich
einerseits auf ein „(…) inappropriate development in a rural area, contrary to the Local Plan and
County Structure Plan. (Hubbard 2005, S. 8)”. Andererseits wurden in beiden Gemeinden Gründe, die
die visuellen Beeinträchtigungen betrafen, angegeben, wobei die Behörden in Newton von einem
„(…)wholly incongruous and isolated feature in the open countryside in what is a relatively quiet rural
area“(Hubbard 2005, S. 8) sprachen. In Bicester wurde die Befürchtung laut, dass die Einrichtung
„(...)would have a detrimental impact upon the character of the countryside“(Hubbard 2005, S. 8).
Weiterhin waren die Behörden besorgt, dass die Einrichtungen nicht den Ansprüchen und
Bedürfnissen der Asylbewerber gerecht würden (Hubbard 2005).
Neben diesen altruistischen und pragmatischen Argumenten bedienten sich die
Gemeindeverwaltungen zusätzlich der im öffentlichen Diskurs aufgeworfenen Ängste der lokalen
Einwohner. Sie beriefen sich dabei auf die folgenden, von verschiedenen Organisationen (unter
anderem auch der BAG und LAG) genutzten, Argumente. Dies waren die Angst vor Einbrüchen,
Belästigungen, Unruhe, und um die persönliche Sicherheit sowie Angst um die Sicherheit von Kindern
und Frauen (Hubbard 2005).
Die Abweichung von der ursprünglich rationalen Argumentationslinie in Kombination mit der
Tatsache, dass beide Areale im Vorfeld umfangreicher militärischer Nutzung unterlagen und es somit
schon früher zu eindeutigen visuellen Beeinträchtigungen der Landschaft kam, lässt Hubbard (2005)
die rein altruistischen und pragmatischen Gründe für den Protest anzweifeln. Hubbard (2005)
hinterfragt in seinem Aufsatz im Folgenden, ob sich der Widerstand doch eher auf „rural anxieties
about asylum seekers als the rural other? (Hubbard 2005, S. 9)“ begründet und untersucht diese
Stigmatisierung anhand einer Diskursanalyse von etwa 900 Bürgerbriefen, welche im folgenden
Kapitel analysiert wird.
20
5.3. Diskursanalyse von Bürgerbriefen zur Stigmatisierung der
Asylbewerber als „Rural Others“
Die Diskursanalyse von 645 Bürgerbriefe an das Rushcliff Borough Council und von 10 % der 2321
Bürgerbriefe an das Cherwell District Council wurde nach der bei Lynn & Lea (2003) vorgestellten
Methode durchgeführt. Es kristallisieren sich in der Analyse drei unterschiedliche Charakteristika der
„Rural Others“ heraus (siehe Abb. 6). Als erste Eigenschaft wurde den Asylsuchenden zugesprochen,
dass sie „non-productive“ also unproduktive (Nicht-) Mitglieder der Gesellschaft seien, die auf Kosten
der steuerzahlenden Bevölkerung Englands lebten. Der Begriff „social security scroungers“ -zu
Deutsch „Sozialschmarotzer“- steht sinnbildlich für diesen Teil des Diskurses. Hubbard (2005) stellt
heraus, dass dieser erste Diskurs sich nahtlos an den zweiten Diskurs der „Personal Culpability“, also
der persönlichen Schuld, anschließt. In dieser Argumentationslinie wird zwischen den „deserving
refugees“ und den „bogus asylum seekers“ unterschieden und letzteren wird eindeutig auch das
erste Stigma der Unproduktivität zugeschrieben (Hubbard 2005; Sales 2002).
Abbildung 6: Stigmatisierung der "Others". Quelle: Hubbard 2005; Sales 2002.
Bei der dritten und letzten Zuschreibung der Asylbewerber handelt es sich um den Begriff der
Kriminalität. Auch bei dieser Zuschreibung gibt es Anknüpfungspunkte zu den ersten beiden
Stigmata. Asylbewerber seinen schon aufgrund ihrer illegalen Einreise im Grunde kriminell und
würden so eine wesentlich niedrigere Hemmschwelle besitzen auch in der Zukunft straffällig zu
werden. Neben dieser sehr simplen und viel zu kurz greifenden Schlussfolgerung wurden weiterhin
die Möglichkeit, dass die Eintönigkeit des Heimes kriminelle Handlungen schüren könnte oder die
21
Heime zu Zentren terroristischer Aktivitäten werden könnten in den Briefen aufgeführt. Mangels
adäquater Freizeitangebote und der „Natur“ der Asylbewerber, befürchteten die Einwohner der
Orte, dass sie mit vermehrten Ladendiebstählen, exzessivem Betteln im öffentlichen Raum sowie der
Möglichkeit von sexuellen Übergriffen auf Frauen und Kinder, rechnen müssten (Hubbard 2005).
5.4. Die Bewahrung der “Whiteness” und der Ländlichkeit
Neben den dargestellten Stigmata der “Rural Others” ergab die Diskursanalyse weiterhin, dass viele
Bewohner befürchteten, ihre Orte würden durch die Asylbewerberheime einen Imageschaden
nehmen. Gemäß einigen Aussagen aus den Bürgerbriefen hätte die Einrichtung einen schädlichen
Einfluss auf die Landschaft und seine Bewohner (Hubbard 2005).
Da die englische Landschaft, wie oben beschrieben, eine sehr wichtige Funktion in der Bildung der
nationalen Identität innehat, ist ihr Schutz laut Hubbard (2005) ein wichtiges Anliegen all derer, die
die klare Unterscheidung zwischen den zur Nation gehörenden und den nicht zur Nation gehörenden
Menschen suchen (Agyeman & Spooner 1997; Hubbard 2005; Neal 2002). Wie in Kapitel 4.
beschrieben wird die Präsenz von ethnischen und anderen Minderheiten im ländlichen Raum
verleumdet. Die daraus entstehende Dichotomie des „Urban-Rural Divide“ hat zur Folge, dass der
ländliche Raum als ein ethnisch rein weißer Raum betrachtet wird. Diese Argumentation wurde
jedoch im Zuge der Proteste in Bicester und Newton kaum oder gar nicht angewandt. Vielmehr bezog
sich der Diskurs auf kulturelle Werte und die Unfähigkeit der Neuankömmlinge sich an die ländliche
Kultur der Orte anzupassen (Hubbard 2005). Rassismus im konventionellen Gebrauch- also Exklusion
oder Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe- wird hier nicht angewandt, sondern es handelt sich in
diesen Fällen vielmehr um eine neue Art von Rassismus, die mit Huntington (2002) und seinem Werk
„Kampf der Kulturen“ ihren Weg in die politische aber auch öffentliche Debatte gefunden hat. Diese
Form des „new racism“ manifestiert sich in der postkolonialen Ära nicht auf der Basis von
physiognomischen Erscheinungen, sondern anhand von kulturellen Attributen (Kundnani 2002). Laut
Hubbard (2005) stellt sich das rassistische Bild von Asylsuchenden und Flüchtlingen hier in zwei der
Annahmen dar.
Die erste Annahme ist, dass der ländliche Raum mit seiner durch und durch englischen Kultur für
Asylbewerber nicht attraktiv sei und diese sich nicht anpassen könnten. Viele Bürgerbriefe enthielten
Aussagen, die diese Annahme unterstützen, wie beispielsweise: Die Asylbewerberheime würden „the
whole tranquility and character of the countryside“ (Hubbard 2005, S. 13) oder „ [the] villages that
have been established for hundreds of years and whose culture has been established over centuries“
(Hubbard 2005, S. 13) zerstören. Die Bewohner sprangen bei ihren Argumentationen von der lokalen
22
leicht bis zur nationalen Ebene, was auf die Bedeutung des ländlichen Raumes für die nationale
Identität widerspiegelt:
„The tendency for residents to move seamlessly from discussions about ‘our village’ or ‘our
community’ to notions of the nation-state underlines the way in which rural dwellers imagine
their interests as congruent with those of the nation-state (and the way in which they imagine
the rural as a repository of ‘English culture’.“ (Hubbard 2005, S. 13).
Die zweite Annahme Hubbards (2005) lautet, dass im betrachteten Diskurs angenommen wird,
Asylbewerber könnten sich viel schneller und leichter in einem multiethnischen und multikulturellen
urbanen Raum integrieren und dass sie durch die ländliche Unterbringung isoliert werden würden.
Interessant ist, dass beispielsweise auch Flüchtlingsorganisationen dieses Argument aufführten und
im Diskurs gegen die Verteilung von Flüchtlingen in ländliche Gebiete argumentierten (Hubbard
2005).
Nichtsdestotrotz führen laut Hubbard (2005) beide die Annahmen dazu, dass rassistische Mythen die
Abwesenheit von ethnischen Minderheiten im ländlichen Raum als die Normalität konstituieren.
Folglich perpetuieren sich damit die Narrationen der priviligerten „Whiteness“, des „Englishness“ und
der „White english Countryside“, welche zu einer Verfestigung dieser sozialen Konstrukte führen
(Hubbard 2005).
23
6. Zusammenfassung und Fazit
Internationale Migration in ländliche Räume wird -nicht nur- in Großbritannien im medialen und
öffentlichen Diskurs kontrovers diskutiert (Lynn & Lea 2003; Sales 2002). Dabei spielen Zeitalter der
Globalisierung und der zunehmenden internationalen Migration ländliche Gebiete im globalen
Norden als multikulturelle Räume eine immer größere Rolle (Hedberg & Haandrikman 2014). Diese
Diskurse werden von landes- und regionsspezifischen sozialkonstruktivistischen Imaginationen
geprägt. Im Zuge dieser Arbeit wurden im Kontext von Diskursen um ländliche Räume in England und
Flüchtlingen in Großbritannien beispielhaft einige dieser Aspekte beleuchtet.
Dabei wurde herausgestellt, dass ländliche Räume in England und die mit ihnen verbunden
sozialkonstruktivistischen Imaginationen wie das „Rural Idyll“, die „Englishness“ und die „White Rural
Countryside“ eine wichtige Rolle in der nationalen Identitätsbildung innehaben. Die ländlichen
Räume werden in diesem Diskurs als homogen, weiß und sozial problemfrei abgebildet und dienen
als Projektionsraum für die ideale englische Kultur und die Nationalidentität (Chakraborti & Garland
2006; Neal 2002).
Im gleichen Zug werden in Großbritannien Asylbewerber und Flüchtlinge durch den politischen und
medialen Diskurs als eine Bedrohung für die Nation dargestellt. Sie stellen in diesem Konstrukt eine
soziale, wirtschaftliche und menschliche Gefahr dar und seien zumeist kriminell veranlagt (Hubbard
2005; Lynn & Lea 2003; Sales 2002).
Anhand des Fallbeispiels aus dem ländlichen Raum Englands aus dem Jahr 2002 wurde erläutert,
welche „Gefahr“ demnach die Verteilung von Asylbewerbern in ländliche Räume darstellt und wie
der Großteil der ländlichen Bevölkerung argumentativ gegen diese Pläne protestiert (Hubbard 2005).
Im Zuge dieser Proteste spielen zum einen die medial und durch den politischen Diskurs
entstandenen negativen Bilder von Flüchtlingen und Asylbewerbern eine immanente Rolle und zum
anderen kommt das „Rural Idyll“ und die generelle Angst der ländlichen Bevölkerung vor den
„Fremden“ zum Tragen. Es wird deutlich, dass die im öffentlichen Diskurs vorgeschobenen
pragmatischen Gründe im Grunde die eigentlichen, tieferliegenden oft xenophobischen Ängste nur
verdecken. Dadurch versuchen die Protestanten, zumeist unwissentlich, die Überlegenheit ihrer
weißen, englischen, ländlichen Mehrheitsgesellschaft zu präservieren und diese konstruierten
Diskurse zu perpetuieren (Hubbard 2005).
Im Zeiten globaler Krisen und verstärkten Flüchtlingswanderungsbewegungen bieten
sozialkonstruktivistische Imaginationen von den „Anderen“ und idealisierte nationale Identitätsbilder
Material für teils radikale Bewegungen. Vor allem, aber nicht nur, in ländlichen Räumen, die meist als
homogene Kulturräume empfunden werden, wird sich solcher Bilder bedient. Dies ist nicht nur in
24
ländlichen Räumen Großbritanniens der Fall (Hedberg & Haandrikman 2014). In Anbetracht des
demographischen Wandels, vor allen in ländlichen Räumen, sollte jedoch auch auf das
demographische und wirtschaftliche Potential des internationalen Zuzugs hingewiesen werden.
Dahingehend wird es auch in Zukunft immer wichtiger werden, simplifizierende Bilder und
Konstruktionen von sozialen Gruppen und Räumen zu dekonstruieren, um Raum für neue soziale
Integration zu schaffen, die es ermöglicht ein besseres interkulturelles Miteinander zu erreichen
(Hedberg & Haandrikman 2014).
25
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