Herrschaftsmechanismen germanischer Oberschichten

43
Herrschaftsmechanismen germanischer Oberschichten Michael Zerjadtke M.A. Forschungscolloquium der Alten Geschichte Halle, 9.1.2013

Transcript of Herrschaftsmechanismen germanischer Oberschichten

Herrschaftsmechanismen germanischer Oberschichten

Michael Zerjadtke M.A.

Forschungscolloquium der Alten Geschichte

Halle, 9.1.2013

Gliederung

1 - Einleitung: Umreißen des Themas2 - Untergliederung der behandelten Zeit und der Regionen3 - Autoren und Quellen4 - Soziologische Grundlagen und ethnologische Vergleiche5 - Herrschaftsmechanismen6 - Einfluss Roms7 - Zusammenfassung und Ausblick

2

1. - Einleitung: Umreißen des Themas

Herrschaftsmechanismen:

• Aktion und Verhaltensweisen, die dazu dienen, Herrschaft zu erlangen, auszuüben oder zu festigen

Germanische Oberschichten:

• Männer (und Frauen?), die aus der Gruppe der freien Bewohner Germaniens hervortreten, einem Stamm angehören und eventuell durch spezielle Titel oder Bezeichnungen gekennzeichnet sind

3

4

Leitfragen meiner Arbeit: • Wie gelangte man in eine herausgehobene Stellung?

• Wie hielt man sich in einer solchen Stellung?

• Wie konnte man die eigene Stellung bewahren und eventuell weitergeben/vererben?

Weiterführende Fragen:• Welche Wandel der Herrschaftsmechanismen sind erkennbar?• Welchen Einfluss hatte der Kontakt mit den Römern?• Sind Unterschiede sind zwischen den Stämmen erkennbar?

5

Geografischer und zeitlicher Rahmen:• Die Auswahl der Stämme orientiert sich an den lit. Quellen →

beginnend mit Caesar und endend um 600 n. Chr.• Aus den in den Quellen behandelten Stämmen leiten sich auch

die Regionen ab → für das 1. Jh. v. und n. Chr. der Westen Germaniens, der Donauraum, die Teile des weströmischen Reiches

• Da vor allem die innergesellschaftlichen Verhältnisse im Fokus liegen, wird den wandernden Stämmen gefolgt. Die Charakterisierung bestimmter Regionen ist nicht von Bedeutung

6

Probleme: Topoi und Terminologie/Semantik:

• Die Zuverlässigkeit der Quellen ist bei den Germanen traditionell sehr zweifelhaft → der Umgang mit potentiell topischen Quellenstellen muss erklärt werden.

• Bestimmte Termini müssen vorab definiert werden -> von mir Verwendete (Oberschicht, Macht usw.) und Übernommene (comes, dux)

• Dabei muss die zeitabhängige und autorenspezifische Semantik beachtet werden → ein comes im 1. Jh. ist nicht identisch mit einem comes im 6. Jh. [hier ist der Vergleich griechischer und lateinischer Autoren hilfreich]

2. – Untergliederung der behandelten Zeit und Region

Die behandelte Zeit wird in 3 Abschnitte unterteilt – maßgeblich dafür sind die Häufungen von Quelleninformationen (vor allem bei Punkt 1 und 3):

1 - Von Caesar bis zum Vierkaiserjahr (55 v. – 69 n.)

2 - Vom Vierkaiserjahr bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit (69 – 375)

3 - Vom Beginn der Völkerwanderungszeit bis zum Einfall der Langobarden in Italien (375 – 568)

7

8

Die geografischen Regionen ergeben sich ebenso aus den verwendeten literarischen Quellen:• Der Westen Germaniens und die Gallia Belgica • Der Donauraum• Ein Teil Britanniens• Gallien, Spanien, Italien, Nordafrika

Die Unterteilung in den Zeitabschnitten 2 (69 – 375) und vor allem 3 (375 – 568) orientiert sich an den Großstämmen – auch, da für sie teilweise Gesetzessammlungen (leges) bekannt sind:

→ Franken / Burgunder / Westgoten / Vandalen / Ostgoten

3. – Autoren und Quellen• Die Anzahl der Autoren, die Informationen über Germanen

liefern, ist relativ hoch (150+). • Jedoch gibt es nur eine kleine Gruppe von Autoren, deren

Werke für das gesellschaftliche Bild von Bedeutung ist (+/- 25).

Die Wichtigsten sind:

Cassiodor Cassius Dio CaesarEugippus Fredegar DexipposGregor von Tours Isidor von Sevilla JordanesPaulus Diaconus Prokop TacitusVelleius Paterculus Victor von Vita Zosimos

9

10

Neben literarischen Quellen werden auch die germanischen Stammesgesetze (leges) in die Arbeit einbezogen. Alle Leges der 1. Stufe sollen dabei aufgenommen werden.

Diese sind:

Edictum Theoderici (458/9) Codex Euricianus (475?)

Leges Visigothorum (475?) Lex Burgundionum (um 490)

Leges Romana Visigothorum (506) Lex Salica (507-511?)

Lex Salica revisa (= Ribuaria) (613) Edictum Rothari (643)

4. – Soziologische Grundlagen und ethnologische Vergleiche

• Bei der Definitionen der verwendeten Begriffe und ihrer Abgrenzung voneinander, hilft die soziologische Forschung:● Macht ● (charismatische, traditionelle, legitime) Herrschaft ● (bürokratischer) Verwaltungsstab ● Bürokratie …

• Die Eigenschaften der drei Arten der Herrschaft helfen als Indikatoren die jeweilige Art der Herrschaft in einer Gesellschaft anhand der Quelleninformationen zu identifizieren.

11

12

• Aus den Quelleninformationen (v.a. Caesar und Tacitus) lässt sich die germanische Gesellschaft grob rekonstruieren.

• Um ein realistisches Modell zu erstellen, dienen andere, besser dokumentierte Gesellschaften als Referenzen.

• Bei ähnlicher Sozialstruktur und ähnlichem zivilisatorischen Entwicklungsstatus sind möglicherweise auch gesellschaftliche Zusammenhänge und Entwicklungen vergleichbar.

• Die Auswirkungen, die eine plötzliche Anwesenheit höherer Zivilisationen auf Stammesgesellschaften anderer Zeiten und Regionen hatten, können aufzeigen, auf welche Weise die Gesellschaften sich beeinflussen können.

5. - Herrschaftsmechanismen

Verschiedene Mechanismen zur Ausübung und Festigung von Macht sind den Quellen zu entnehmen:

5.1 – Macht durch eine Gefolgschaft

5.2 – Gezielte Heiratspolitik

5.3 – Delegierung von Macht auf Gefolgschaftsmitglieder

5.4 – Aufrechterhaltung von Macht durch Weitergabe

5.5 – Legitimation durch Mythenbildung

5.6 – Instrumentalisierung der Kirche

5.7 – Legitimation durch Rechtsprechung und Gesetze

13

5.1 - Macht durch eine Gefolgschaft

14

• Die charismatische Herrschaft basiert auf persönlicher Autorität.

• Durch eigene Leistung erlangte Autorität fördert die Bildung von Männerbünden.

• Gibt es in einem Bund eine herausragende Führungsperson, handelt es sich um eine Gefolgschaft.

• Dauerhafte Gefolgschaften erfordern ständige Versorgung und Beschäftigung.

• Taten von Gefolgschaftsmitgliedern werden dem Gefolgsherr zugerechnet → seine persönliche Leistung ist dafür nicht mehr erforderlich

15

Tacitus erklärt die Eigenschaften eines Anführers (Tac. Germ 7,1.):

Reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt. Nec regibus infinita aut libera potestas, et duces exemplo potius quam imperio, si prompti si conspicui, si ante aciem agant, admiratione praesunt.

Könige erwählen sie nach der edlen Abstammung, Heerführer nach der Tüchtigkeit. Doch besitzen die Könige keine unumschränkte oder willkürliche Gewalt, und die Heerführer führen eher durch ihr Vorbild als durch ihre Amtsgewalt, weil sie bewundert werden, wenn sie entschlossen handeln, wenn sie herausragen, wenn sie sich vor der Schlachtreihe aufhalten. (ÜS: Goetz / Welwei)

→ Eine herausgehobene Stellung wird nicht vererbt. Wenn auch Herkunft eine Rolle spielen kann, sind doch vor allem auch persönliche Leistungen ausschlaggebend.

16

Das Aufstellen einer Gefolgschaft durch einen aufstrebenden Jungen Germanen ist bei Caesar recht gut beschrieben (Caes. B.G. 6,23,7.):

atque ubi quis ex principibus in concilio dixit se ducem fore, qui sequi velint, profiteantur, consurgunt ii qui et causam et hominem probant, suumque auxilium pollicentur atque a multitudine conlaudantur;

und wenn einer der Fürsten in der Versammlung sagt, er wolle ihr Führer sein und wer ihm folgen wolle, möge sich melden, da erheben sich diejenigen, die die Sache und den Mann gutheißen, versprechen ihren Beistand und erhalten den Beifall der Menge; (ÜS: Goetz/Welwei)

→ Die Folge ist freiwillig und hängt vom Ansehen des Fürsten ab. Umgekehrt kann sich ein Fürst eine Stellung erarbeiten, in der er leichter an Gefolge kommt.

17

Tacitus erläutert die Versorgung einer Gefolgschaft (Tac. Germ. 14,2f)

(2) si civitas, in qua orti sunt, longa pace et otio torpeat, plerique nobilium adulescentium petunt ultro eas nationes, quae tum bellum aliquot gerunt, quia et ingratia genti quieset facilius inter ancipitia clarescunt magnumque comitatum non nisi vi belloque tueare. […](3) materia minificentiae per bella et raptus, […]

(2) Erlahmt der Stamm, in dem sie geboren wurden, in langer Friedens- uns Mußezeit, so suchen die meisten jungen Adeligen freiwillig die Völker auf, die gerade irgendeinen Krieg führen, weil die Ruhe dem Volke nicht behagt, sie sich leichter in Gefahren auszeichnen und man eine große Gefolgschaft nur durch Gewalt und Krieg unterhalten kann. […] (3) Die Mittel für die Großzügigkeit (stammen) aus Kriegen und Raubzügen […] (ÜS: Goetz / Welwei)

→ Um eine Gefolgschaft bei Laune halten und versorgen zu können, sind regelmäßige Teilnahmen an Kriegen oder Raubzügen nötig.

18

Tacitus erläutert die Wirkung und Auswirkungen einer Gefolgschaft für den Anführer (Tac. Germ. 13,3.):

Haec dignitas, hae vires, magno semper electorum iuvenum globo circumdari, in pace decus, in bello praesidium. […] ea gloria est, si numero ac virtute comitatus emineat;

Das macht ihre Würde, ihre Kräfte aus, sich stets mit einem großen Kreis auserwählter Jünglinge zu umgeben, ihre Zierde im Frieden, ihr Schutz im Krieg. […] das ist sein Ruhm, wenn seine Gefolgschaft durch Zahl und Tüchtigkeit hervorsticht;

→ Nebe der militärischen Gewalt hatte schon die Anwesenheit einer Gefolgschaft Auswirkungen auf den Sozialstatus eines Fürsten.

→ Taten der Gefolgsleute erhöhten neben dem persönlichen Prestige auch das Ansehen des Gefolgschaftsführers

5.2 – Gezielte Heiratspolitik

19

• Schon im 1. Jh. ist heiraten germanischen Oberschichten-familien bevorzugt untereinander – dieser Trend setzt sich in den Jahrhunderten danach fort

• Die Ehen dienten dem gegenseitigen Erhöhen und Absichern des sozialen Status

• Doch zudem waren die Ehen eine Basis für wechselseitiges Vertrauen und gemeinsames Handeln – und damit eine Art von Verträgen

• Im Gegensatz zu den Familien einfacher Germanen hatten die Fürsten oftmals mehrere Ehefrauen

• Auch mit römischen Persönlichkeiten, darunter manchen Kaisern, bestanden verwandtschaftliche Bande

20

Beispiele:

• Geiserich wünschte sich Olymbrios zum Kaiser in Ostrom, da er mit Placidia verheiratet war, mit der er wiederum verwandt war (Prokop 3,6.)

• Als die Frau des Trasamund (rex der Vandalen) starb, schickte er einen Brief an Theoderich: er wolle seine Schwester Amalafrida heiraten (Prokop 3,8.)

• Wittigis heiratete die Tochter der Amalasuntha um eine Verbindung mit dem Geschlecht des Theoderich herzustellen (Prokop 5,11.)

• Theoderich verheiratete eine Tochter mit Alarich, dem König der Westgoten, und eine mit Hermenefred, dem König der Thüringer, um eine Koalition gegen die Franken zu schmieden (Prokop 5,12.)

• Wacho, König der Langobarden hatte drei Frauen: Töchter der Könige der Thüringer, Gepiden und Heruler (Paul. Diac. 1,21.)

• Alboin wird nach seinem Vater König der Langobarden. Chlothar, König der Franken, verheiratet eine Tochter mit ihm (Paul. Diac. 1,27.)

5.3 – Delegierung von Macht auf Gefolgschaftsmitglieder

21

• Ist eine Gefolgschaft ausreichend groß, kann der Gefolgsherr differenzieren in hierarchische und/oder funktionale Ebenen

• Zudem kann er persönliche Macht delegieren.• Solche Funktionsträger verfügen damit über ‚verliehene‘

Autorität und können Herrschaft im Namen ihren Herrn ausüben ohne, dass dessen persönliche Anwesenheit erforderlich ist.

• Derartige Stellvertreter können zur Führung von Truppen, zur Rechtsprechung oder zur Verwaltung bzw. Regierung von Siedlungen oder Regionen verwendet werden.

22

Comites und duces weisen im 4. bis 6. Jh andere Eigenschaften auf, als noch im 1. und 2. Jh. n.:

• comites üben verschiedene Funktionen aus und tragen unterschiedliche Titelzusätze – klar ist die Unterscheidung zu den comites im 1. Jh.

• viele comites haben in civitates herausgehobene Stellungen, führen polizeiliche, richterliche und administrative Aufgaben durch. Sie können vom rex abgesetzt werden

• Neben den „comites civitatibus“ gab es weitere: comes stabuli, comes domesticorum/chartarum

• comites können auch die Führung von Truppen übernehmen

Die frühere Schutzfunktion eines comitatus wird von Leibwachen (custodes, satellites) übernommen

23

• duces führen Heere an und haben teilweise regional festgelegte Zuständigkeitsbereiche.

• Da der Begriff dux per se einen militärischen Anführer bezeichnet, ist bei einer Benennungen kaum möglich, zwischen Funktionsbezeichnung und Titel zu unterscheiden

• Dass es sich jedoch um einen Titel handelt, zeigt die teilweise Verwendung ohne Funktion – z.B. dux Austrapius (Fred. Chron. 3,3,52.)

• Auch sie sind von der Gunst des rex abhängig

→ Comites und duces ist gemeinsam, dass sie im Regelfall von den jeweiligen Herrschern bestimmt werden

24

• Eher selten kommt der maior domus vor• Vielfach werden auch Verwandte mit Aufgaben wie Heerführung oder

Statthalterschaft betraut• Eventuell ist es eine Sache der Perspektive, ob ein Wort einen Titel oder

eine Funktion ausdrückt – so werden eindringende feindliche Heere von Stämmen, zu denen man keine Beziehungen pflegt, von duces angeführt. [Dies könnte die autorenbezogene Analyse der Semantik klären]

• Es gibt weiterhin die germanische Oberschicht (Fürsten) – sie tauchen in den Quellen unter anderem als optimates, principes, primores, proceres, obsequium oder πρώτοι und άριστοι auf. Die Teilung in Funktionsträger (comites…) und Oberschicht zeigt, dass erste eine Stellung haben, die regulären Fürsten nicht inherent ist

25

Beispiele:• Godas, Gefolgsmann (δόυλος) des Gelimer, erhält die Aufsicht über Sardinien

(Prokop 3,10)• Wittigis lässt seinen Vertrauten Leuderis mit 4.000 Mann in Rom zurück und

zieht gegen die Franken (Prokop 5,11.)• Gelimer schickt seinen Bruder Tzazon mit einer Flotte nach Sardinien um einen

abgefallenen Fürsten abzusetzen (Prokop 3,24.)• Theoderich lässt in Gallien und Spanien αρχόντες zurück, als er nach Ravenna

geht, um die Kontrolle zu behalten (Prokop 5,12.)• Die Langobaren kommen nach Italien und Alboin setzt zum Schutz des Nordens

seinen Neffen Gisulf in eine ductoris honos in Forum Julii ein (Paul. Diac. 2,9.)• In der Stadt Lagaris gab es einen comes Langobardorum, obwohl zu dieser Zeit

kein König eingesetzt war, sondern mehrere duces anführten (Paul. Diac. 3,9.)• Theoderich II. schickte ein Heer unter einem dux in die Baetica, ein weiteres

unter zwei anderen duces nach Galizien (Isid. Hist. 33)

5.4 - Aufrechterhaltung von Macht durch Weitergabe

26

• In der germanischen Gesellschaft zur Zeit Caesars existierte eine größere soziale Dynamik. Jeder freie Germane konnte mit Glück durch eigene Leistung in den „Rang“ eines Fürsten aufsteigen.

• Die Söhne von angesehenen Fürsten jedoch hatten einen Vorteil. Ihre Abkunft verschaffte ihnen vererbte Autorität. Mit entsprechendem persönlichen Charisma war es leichter, Gefolgsleute anzuwerben und Autorität aufzubauen.

• Durch gezielte Förderung des eigenen Sohnes konnte ein Fürst, dessen Herrschaft lange genug andauerte, versuchen, seine Stellung gezielt an seinen Nachkommen zu vererben.

27

Tacitus beschreibt die Privilegien von Söhnen angesehener Fürsten (Tac. Germ. 13,2.):

Insignis nobilitas aut magna patrum merita principis dignitationem etiam adulescentis assignant; ceteris robustioribus ac iam pridem probatis aggregantur, nec rubor inter comites aspici.

Ausgezeichnete Abstammung oder hohe Verdienste der Vorfahren verschaffen auch ganz jungen Männern die Gunst eines Fürsten; sie schließen sich den übrigen, stärkeren und schon früher erprobten an, und es ist keine Schande, unter deren Gefolgsleuten erblickt zu werden. (ÜS: Goetz / Welwei)

→ Jünglinge, deren Vorfahren bereits durch bedeutende Taten auffielen, oder die sich anderweitig als besonders auszeichneten (?), können schon früher in eine Gefolgschaft eintreten und so an Ansehen gewinnen. Das verschafft den Söhnen von Fürsten einen Vorteil gegenüber denen von „einfachen“ Freien.

28

Beispiele:• Geiserich verfügte per Testament die Verteilung der Macht in Nordafrika an seine

Söhne (Prokop 3,8.).• Wittigis, nachdem er zum König gewählt wurde, zog sofort nach Rom um den Sohn

seines Vorgängers gefangen zu setzen (Prokop 5,11.)• Die Vererbung der Königswürde ist bei den Langobarden der Normalfall (Paul. Diac.

1,18.20.27.)• Als Chlothar, König der Franken, starb, wurde sein Reich unter seinen Söhnen

aufgeteilt (Paul. Diac. 2,10.)• Nach dem Tod des Theoderich I. wurde sein Sohn Thurismund König. Doch er

wurde von seinen Brüdern umgebracht und einer von ihnen nahm seinen Platz ein (Isid. Hist. 30f.)

Die Vererbung der Stellung als Alleinherrscher ist bei allen Germanenstämmen der VWZ die Regel – ganz im Gegensatz zum 1. Jh.

Im Ausnahmefall kann jedoch auch ein rex bestimmt/gewählt werden.

5.5 – Legitimation von Herrschaft durch Mythenbildung

29

• Das „Erben“ von Autorität durch Abkunft von angesehenen Fürsten lässt sich auf mehrere Generationen ausweiten. Eine lange, weit zurückreichende Linie von Fürsten erhöht den sozialen Status.

• Mehr noch als Abkunft von bedeutenden Fürsten erhöht die Verwandtschaft mit Heroen oder Göttern das Ansehen.

• Der Glaube einer Abkunft von Göttern ist bei Stammes-gemeinschaften (konischen Klanstaaten) die Regel

• Eine Verwandtschaft mit Heroen oder Göttern kann jedoch auch bewusst oder unbewusst konstruiert werden.

30

Mythenbildung am Beispiel Amalertradition (bei Jordanes):

Jordanes führt in seiner Gotengeschichte (De origine actibusque Getarum) die gotischen reges in einer langen Ahnenreihe auf mythische Könige zurück, die einst die Goten aus dem wilden Skandza wegführten. Die Völker dort würden die Germanen an Körperkraft und Mut übertreffen.Der rex der Goten, Berig, hätte sie von dort gen Süden geführt. Ihm folgte in 5. Generation Filimer nach, der die Goten ins Land der Skythen führte. Dort teilten sich die Goten und Ostgoten wurden von den Amalern regiert.In der Folge beschreibt er die Siege der Goten gegen die Ägypter und die Meder. Sie sind Ahnherren der Parther und ein Teil der gotischen Frauen plünderten als Amazonen Kleinasien.Später schlagen die Goten den Dareios, der mit 1.000.000 Soldaten nach Moesien kommt. Auch die Makedonen besiegen sie. Caesar scheute Krieg gegen die Goten.Es folgt eine genaue Auflistung des Stammbaumes vom König Gapt, über Theoderich bis zu Athalarich.

31

weitere Beispiele:

Fredegar:• Laut Hieronymos sei der erste Könige der Franken Priamos gewesen. (chron. 3,2.)• Merovech ist von der Gattin des Chlodovech und einem Ungeheuer gezeugt

worden (chron. 3,9.)

Paulus Diaconus:• Ein Knabe, der als Kind aus einem Sumpf gerettet wurde, besiegte die Amazonen

im Zweikampf. Er wird zum Stammvater einer langen Reihe von Königen der Langobarden (1,15.)

Herrschaft, Herrschaftsantritt oder –verlust werden teilweise mit göttlichen Zeichen oder Katastrophen (Seuchen, Dürren, Wunder) in Verbindung gebracht. Gerade bei Wundern ist von einer gezielten Überhöhung auszugehen.

5.6 – Instrumentalisierung der Kirche

32

• Neben Königen und Fürsten bzw. deren Stellvertretern besteht eine konkurrierende Macht der klerikalen Würdenträger – die Einflusssphäre der Kirche ist weltlichen Herrschern entzogen

• Kirchliche Würdenträger können sich gegen Fürsten wenden, ihnen durch Exkommunizierung oder Propaganda Rückhalt und Einfluss entziehen -> daher sind Herrscher bestrebt, ihnen wohlgesonnene Personen auf kirchliche Posten zu bestellen

• Herrscher können durch gezielte Anbindung an Würdenträger oder Heilige an Ansehen gewinnen

• Auch können zu diesem Zweck Wunder „erfunden“ werden

33

Beispiele:• Der Bischof von Rouen wurde durch Chilperich, König der Franken, abgesetzt und

verbannt, da er gegen ihn gehetzt hatte (Fred. Chron. 3,78.)• Gunthram, König der Franken, setzte einen Vertrauten als Belohnung als Bischof in

Genf ein (Fred. Chron. 3,89.)• Als Feletheus den Status seines Vaters als rex beerbt, begibt er sich zum heiligen

Severin (Eugipp. 8,1.)• Theuderich und andere König der Franken suchten regelmäßig den heiligen

Columban auf und baten um Rat und Segen (Jonas von Bobbio, vita Columbani, 1,18f)

Problem:

Umgekehrt kann der Kontakt zu Herrschern auch für die Klerikalen und Heiligen eine Statusaufwertung bedeuten. Es ist also unklar, welcher Seite man mit der Niederschrift solcher Begebenheiten helfen wollte.

5.7 – Legitimation durch Rechtsprechung und Gesetze

34

• Fürsten haben schon im 1. Jh. eine Funktion als richterliche Instanz oder als Vermittler

• Bei Tacitus überlieferte Verbrechen und Strafen sowie das Vorhandensein eines Beirates zeigen, dass die Fürsten nicht willkürlich richten konnten

• Die Präsenz von psychosozialen und sozialen Strafen nahm zu Gunsten von Fiskalstrafen immer weiter ab

• Ab der Mitte des 5. Jh. kommen erstmals kodifizierte Gesetze bei den Großstämmen auf. Jedoch nur dort, wo sich Germanenreiche auf ehemals römischem Boden bildeten

35

• Die Stammesgesetze verraten Einiges über das Verhältnis von Römern und Germanen, sowie Fürsten und Freien

• Auch die innere Organisation der Gesellschaft (Familie, Versammlungen) ist in den leges erkennbar die in den Quellen teils so römisch anmutende Gesellschaft ist noch immer sehr archaisch

• Abgesehen von den Gesetzesbestimmungen ist den leges auch eine weitere Funktion zu entnehmen:

à Sie dienen nicht allein der Regulierung der Gesellschaft, sondern auch der Fixierung der Herrschaft und des Herrschaftsapparates.

36

Tacitus berichtet über die Wahl der rechtsprechenden Fürsten im 1. Jh. n. (Tac. Germ. 12,2.):

[…] eliguntur in iisdem conciliis et principes, qui iura per pagos vicosque reddunt; centeni singulis ex plebe comites consilium simul et auctoritas adsunt.

[…] Auf jenen Versammlungen wählt man auch die Fürsten, die in den Gauen und Dörfern rechtsprechen; ihnen stehen jeweils 100 Begleiter aus dem Volk als Rat und bevollmächtigtes Organ zur Seite. (ÜS: Goetz/Welwei)

→ Den Fürsten kam eine schlichtende oder auch richtende Funktion zu – bei letzterem jedoch wurden sie von ausgewählten Personen beraten.

37

Beinahe alle Gesetzesübertretungen sind in den leges mit Fiskalstrafen belegt. Diese Gelder dienten dem Herrschaftsapparat als Einkommensquelle.

• Holt einer einen Gefangen gewaltsam vom grafio weg, so sei dieser des Todes (Pactus Legis Salicae 32,5.)

• Wenn jemand einen grafio unrechtmäßig etwas zu beschlagnahmen sucht, so zahle er 8000 Denarii = 200 Solidi (Pactus Legis Salicae 51,2.)

• Tötet einer einen grafio, zahle er 24.000 D. = 600 S., tötet einer einen sacerbaron oder obgrafio, der puer regius ist, zahle er 12.000 D = 300 S. (Pactus Legis Salicae 32,5.) [Strafe für Totschlag an Ingenuus: 8.000 D = 200 S.]

• Wird einer zu einer Versammlung vorgeladen und erscheint nicht, so wird er vor den rex gerufen. Erscheint er auch dort nicht, wird er aus der Gemeinschaft ausgestoßen und sein Besitz fällt an den fiscus. Wer ihn bewirtet, muss eine Strafe von 600 D. = 15 S. zahlen (Pactus Legis Salicae 56,1-5.)

• Die principes führen den Vorsitz bei Verhandlungen, sie sind zu achten und sollen sich selbst um Mäßigung bemühen (Lex Visigothorum 2,1,1-14.)

38

• Schlägt einer einem anderen einen Zahn aus, so zahle er:• Bei obtimati Burgundioni und Romani nobiles 15 Solidi• Bei mediocribus personis (Römer und Burgunder) 10 S.• Bei inferioribus personis 5 S.• Bei servi, die einem ingenuus absichtlich einen Zahn ausschlagen: Hand ab,

wenn unabsichtlich zahlt er nach obiger Liste.• Ingenuus, der einem libertus einen Zahn einschlägt: 3 S.• Ingenuus, der einem fremden servus schädigt: der Herr bekommt 2.(Lex Burgundionum 26.)

• Kann einer einen nicht ins Gericht bestellen, weil er im Schutz eines Mächtigen oder seiner Gefolgschaft ist (potentis defensionem aut patrocinium seu), so wende er sich an den rex, wenn er in der Nähe ist. Ansonsten an den episcopos oder dux (Lex Visigothorum 7,1,1.)

• Wenn bei einer Aushebung einer die conpulsores exercius besticht und zuhause bleibt, so zahlen sie diese Summe neunfach an den comes civitatis zurück. Finden die Heerführer einen, der nicht zur Waffenschau erschien, sollen sie dem prepositus comes Bescheid geben. Hat dieser die Geldbuße unterschlagen, so zahle er das elffache (Lex Visigothorum 9,2,5.)

6. – Der Einfluss Roms

39

Die Nähe zum römischen Reich und die lange Dauer der Beziehungen lassen einen starken Einfluss vermuten:• Seit dem 1. Jh. bestehen Handelsbeziehungen mit den

Römern – neben römischen Gütern kamen so auch neue Ideen nach Germanien

• Die vielen Germanen, die in der römischen Armee Dienst taten, brachten andere Erfahrung mit in die Heimat

• Viele Söhne germanischer Fürsten wurden von den Römern ausgebildet, oder gar in römischen Städten erzogen

• Die offensichtliche technische und kulturelle Überlegenheit und die Annehmlichkeiten römischen Lebens müssten auf die Germanen anziehend gewirkt haben

40

• Der große Fortschritt, den man durch den langen und dauerhaften römischen Einfluss erwarten könnte, blieb aus

• Im freien Germanien sind keine Übernahmen von Inhalten oder Ideen aus der römischen Gesellschaft festzustellen

• In den Germanenreichen auf dem Gebiet des weström. Reiches hingegen ist eine Übernahme römischer Prinzipien und Ämter teilweise nachvollziehbar (v.a. in Italien)

→ Der genaue Anteil des römischen Einflusses an der Entwicklung der germanischer Gesellschaft ist nicht Festzumachen

→ Es ist unklar, ob bestimmte Entwicklungen aufgrund der Vorbilder Roms übernommen wurden, oder ob römische Posten und Praktiken direkt übernommen wurden

41

Zusammenfassung und Ausblick• Die germanischen Herrscher bedienten sich einer ganzen Reihe an

Mechanismen zur Sicherung und Ausübung ihrer Herrschaft• Viele davon sind jedoch keine spezifischen Herrschaftsmechanismen,

sondern Abwandlungen normaler gesellschaftlicher Verhaltensweisen: • Das Prinzip des Ansehens und dessen „Vererbung“• Ökonomische und politische Nutzung von Heiraten• Verbesserung des eigenen Status durch Erhöhung der Vorfahren

• Mit der Vergrößerung des Einflussbereiches und der hierarchischen Unterschiedes innerhalb der Gesellschaft gewinnen normale Mechanismen eine neue Qualität:• Der „reguläre“ comitatus wandelt sich von der Tischgemeinschaft zur

Herrschaftsapparat – doch die persönliche Bindung bleibt bestehen • Die Vererbung von Ansehen wird von der menschlichen Ebene in die

mythische Ebene erhoben – doch das Prinzip bleibt gleich

42

• Doch klare Tendenzen sind erkennbar:• Institutionalisierung des comitatus• Intensivierungen und Ausweitung der Heiratspolitik • Profanisierung der Kirchenämter• Abkehr vom Gewohnheitsrecht hin zum kodifizierten Recht

Die nächsten Schritte:• Eingrenzung des Themas: Konzentration auf den Herrschafts- und

Ämterapparat und die sozialen Schichten• Herausarbeitung der stammesspezifischen Unterschiede in der VWZ• Herausstellen von Konstanten gesellschaftlichen Mechanismen von 1. bis

zum 6. Jh.• Brüche in der Entwicklung feststellen und deren Ursachen klären -> dabei

auf den Einfluss Roms konzentrieren

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!