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Heiko Stoff Alraune, Biofakt, Cyborg. Ein körpergeschichtliches ABC des 20. und 21. Jahrhunderts In: Simone Ehm und Silke Schicktanz (Hrsg.): Körper als Maß? Biomedizinische Eingriffe und ihre Auswirkungen auf Körper- und Identitätsverständnisse. Stuttgart: Hirzel 2006 S. 35-51

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Heiko Stoff Alraune, Biofakt, Cyborg.

Ein körpergeschichtliches ABC des 20. und 21. Jahrhunderts

In: Simone Ehm und Silke Schicktanz (Hrsg.):

Körper als Maß? Biomedizinische Eingriffe und ihre Auswirkungen auf

Körper- und Identitätsverständnisse. Stuttgart: Hirzel 2006

S. 35-51

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ............................................................................................................................... 7 Silke Schicktanz, Simone Ehm Der menschliche Körper als bioethischer Konfliktstoff? Ein Problemaufriss .............................................................................................................. 9 Körper als Spiegel

Katja Pratschke, Gusztáv Hámos „Fremdkörper / Transposed Bodies“ – Teil 1 ......................................................... 29

Heiko Stoff Alraune, Biofakt, Cyborg. Ein körpergeschichtliches ABC des 20. und 21. Jahrhunderts ......................................... 35 Norbert Meuter Körper und Leib. Zum Verhältnis von körperlicher Integrität und personaler Identität ............................... 51 Christian Schwarke Einheit von Leib und Seele? Eine christliche Perspektive auf die Kultur der Körperfragmentierung ........................... 63 Nicolas Pethes Mind Control und Gene Control. Neuro- und Biotechniken im Spiegel populärer Literatur ................................................ 75 Körper als Fremdkörper

„Fremdkörper / Transposed Bodies“ – Teil 2 ......................................................... 93 Susanne Lundin Biomedizinische Normalität. Kulturelle Perspektiven auf die Xenotransplantation........................................................ 99 Katrin Bentele Identität und Anerkennung. Das Chochlea-Implantat und der Umgang mit dem Fremden......................................... 117

Inhaltsverzeichnis

Peter M. Vogt, Susanne Kall, Andreas Jokuszies Eine wiederhergestellte Identität? Die Verpflanzung kompletter Gliedmaßen in der medizinischen Praxis ........................ 137 Oliver Decker Organaustausch und Prothesen. Zerstückelung und Ganzheitsphantasien aus psychoanalytischer Sicht .......................... 147 Barbara Becker, Jutta Weber Digital Beauties. Mediale Identitäts- und Körperinszenierungen .............................................................. 169 Körper als Streitfall

„Fremdkörper / Transposed Bodies“ – Teil 3 ...................................................... 181 Jackie Leach Scully Disabled Knowledge. Die Bedeutung von Krankheit und Körperlichkeit für das Selbstbild ............................ 187 Beate Herrmann Body Shopping? Der Körper zwischen Unverfügbarkeit und Vermarktung ............................................. 207 Silke Schicktanz Mein Körper – meine Entscheidung? Zum Verhältnis von Autonomie und Körperverständnis aus ethischer Sicht ................. 225

„Fremdkörper / Transposed Bodies“ – Teil 4 ....................................................... 245 Autorinnen und Autoren ................................................................................................ 251

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Heiko Stoff

Alraune, Biofakt, Cyborg. Ein körpergeschichtliches ABC des 20. und 21. Jahrhunderts

Alraune

„Er habe da etwa ein hübsches Fröschlein mit zwei Kopfenden und ein anderes mit vierzehn Augen auf dem Rücken“, so weiht der Geheimrat Jakob ten Brinken in Hanns Heinz Ewers 1911 erstveröffentlichtem Roman „Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens“ die Fürstin Wolkonski in seine neuesten Versuche zur Übertragung von Keimzellen und zur künstlichen Befruchtung ein. Später habe er Keimzellen aus einer Kaulquappe ausgeschnitten und sie auf ein anderes Indivi-duum übertragen. Diese hätten sich dort weiterentwickelt und nach der Verwand-lung Köpfe und Schwänze, Augen und Beine hervorgetrieben. Schließlich habe er auch eine Meerkatze künstlich befruchtet. Die Fürstin konnte ihre lüsterne Auf-regung ob dieser wissenschaftlichen Versprechungen kaum mehr verbergen: „’Befruchten Sie nur Aeffinnen, Herr Geheimrat?’ fragte sie atemlos. ‚Nein’, sagte er, ‚auch Ratten und Meerschweinchen. Wollen Sie einmal zusehn, Durchlaucht, wenn ich –‘. Er senkte seine Stimme, flüsterte beinahe. Und sie rief: ‘Ja, ja! Das muß ich sehn! Gerne, sehr gerne! - Wann denn?’ – Und sie fügte hinzu, mit schlecht gemachter Würde: ‘Denn wissen Sie, Herr Geheimrat, nichts interessiert mich mehr als medizinische Studien. – Ich glaube, ich wäre ein sehr tüchtiger Arzt geworden’” (Ewers 1928, S. 44-46).

Ewers, Erfolgsautor fantastischer Literatur, ersann in dieser Schauergeschichte die künstliche Befruchtung der Prostituierten Alma Raune mit dem Samen eines hingerichteten geborenen Verbrechers, ein Experiment „wider alle Natur“ (Ewers 1928, S. 6), dessen Unheil bringendes Produkt ein „lebendes Wesen“ ist, eine femme fatale genannt Alraune, ein Mischwesen aus biomedizinischer Forschung und mythischer Vorbestimmung. Diese Alraune ist die Folge zweier Naturver-

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brechen: Zum einen verweist sie auf die große Sorge des beginnenden 20. Jahr-hunderts, die hier künstlich erprobte Fortpflanzung degenerierten Erbguts. Zum anderen ist sie das Produkt einer Wissenschaft, die keine wahre Wissenschaft ist, sondern ihre biotechnischen Fähigkeiten missbraucht.

Der experimentelle Zugriff auf den lebendigen Körper war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ebenso ein gewaltiges Versprechen der Verbesserung des Mängel-wesens Mensch, wie es auch beunruhigende Mutmaßungen über die Produktion von Schauergestalten provozierte. Ewers Geschichte reiht sich ein in jene moderne Erzählung vom verrückten Wissenschaftler, der mit dem naturwissenschaftlich-technischen Instrumentarium willkürlich gefährliche und im Plan der Natur nicht vorgesehene Geschöpfe erschafft (Aurich et al. 2000). Die fatalen Praktiken des Geheimrats – künstliche Befruchtung, Transplantationen, Zellwucherungen – waren dabei auch die zentralen Methoden der zeitgenössischen experimentellen Physio-logie. Die Geschichte der Biotechnik hat von Beginn an einen Kommentar im Genre der Schauergeschichte gefunden.

Alraune ist nur ein, allerdings eindrucksvolles Beispiel moderner Menschen-schöpfung. Wie auch schon bei Victor Frankensteins Geschöpf stellt sich dabei die Frage, ob es sich bei diesem von der Wissenschaft erschaffenen Wesen überhaupt noch um einen Menschen handelt. Es ergibt sich das Paradox, dass Menschen-schöpfungen nicht-menschliche Wesen hervorbringen, die erst noch eines Begriffes und eines Namens bedürftig sind. Das aufklärerische Versprechen der Verbesserung des Menschen korrespondiert als biotechnologische Praxis mit der Sorge vor der Abschaffung des Menschen selbst. Der experimentelle Zugriff auf das Leben im Allgemeinen und den Menschen im Besonderen wird im 20. Jahrhundert stets im utopisch-dystopischen Wechselspiel erzählt. Werden in der Zukunft, so wird seit Ende des 19. Jahrhunderts gefragt, neue Menschen existieren, die ewig jung, wenn nicht gar unsterblich sind, die sich vor keinen Krankheiten sorgen müssen und mit bisher nicht bekannten psycho-physischen Kräften ausgestattet sind? Oder werden vielmehr Monstrositäten als schreckliche Ergebnisse fehlgegangener oder bös-williger Experimente, als entseelte, technisch zugerichtete, dem Humanen entfrem-dete Geschöpfe hergestellt? Dieser fiktiv-fiktionale und drängend-dringliche Dis-kurs bestimmt die Grenzziehung zwischen natürlichem und künstlichem Menschen, die dementsprechend, dies soll im Folgenden gezeigt werden, selbst ein historisches Ereignis ist (u.a. Hasselmann et al. 2004).

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Lebende Wesen

Die Geschichte der biotechnologischen Manipulation lebendiger Körper beginnt nicht erst mit der Gentechnik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern lässt sich auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück datieren. Claude Bernard, der führende französische Physiologe des 19. Jahrhunderts, hat in den 1860/70er Jahren auf instruktive Weise das Experiment als eine Forschungsmethode definiert, die nicht von außerhalb der Physiologie gesetzten Hypothesen und Methoden angeleitet ist. Grundlegend für die biomedizinische Forschung sei danach das die reine Beo-bachtung übersteigende Experimentieren im Bereich der lebenden Organismen, die Einwirkung der Wissenschaft auf das Leben.

Ende des 19. Jahrhunderts war es die unter dem Einfluss Ernst Haeckels maßgeb-lich embryologisch formulierte „Entwicklungsmechanik”, welche die erfolgreiche Zerleg- und Zusammensetzbarkeit der organischen Teile als experimentelle Technik einforderte. In diesem Kontext begründeten Physiologen, Zoologen und Biologen einen wegweisenden Zusammenhang von Biologie und Technologie, von bio-logischem und mechanischem System. Wenn sich die Entwicklung der lebenden Organismen als mechanischer Vorgang beschreiben lässt, dann musste es auch möglich sein, eine, wie der Physiologe Jacques Loeb es nannte, „Technik der lebenden Wesen” zu begründen. Diese zeitgenössisch bereits so bezeichnete „Biotechnik” stiftete zwei fundamentale Grundsätze: Die lebendigen Organismen sind als kausale, mechanische Abläufe beschreibbar und sie sind durch experi-mentelle Interventionen in diesen Ablauf willkürlich und zielgerichtet veränderbar (Bud 1995, S. 66-102). Die Physiologie wurde Ende des 19. Jahrhunderts auch zur Ingenieurskunst. In einem Brief an den Philosophen Ernst Mach verfasste Loeb sein biotechnologisches Credo dabei exakt als eine positiv gewendete „Erzeugung von Monstrositäten“: „Der Gedanke der mir vorschwebt ist der, dass der Mensch selbst als Schöpfer auch in die belebte Natur eingreifen kann, um sie eventuell nach seinem Willen zu formen. Man würde so wenigstens zu einer Technik der lebenden Wesen gelangen können. Die Biologen bezeichnen das als Erzeugung von Monstro-sitäten; Eisenbahnen & Telegraph & die übrigen Errungenschaften der Technik der unbelebten Natur sind dann auch Monstrositäten, jedenfalls sind sie von der Natur nicht geschaffen, der Mensch hat sie nicht vorgefunden“ (zit. n. Lepp et al. 1999, S. 227).

Loebs Entwurf verweist darauf, dass die im 19. Jahrhundert etablierten natur-wissenschaftlichen Konzepte der Entwicklung, der Zeit, der Mechanik und der

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Transformation (Jacob 2002, S. 145-194) bereits den manipulativen Zugriff auf das Leben projektierten. Der Mensch, genauer der Wissenschaftler ist dazu ausersehen, nicht nur das Leben zu gestalten, sondern das Leben sich ausbreiten zu lassen. Eben dies bezeichnet Michel Foucault als spezifische Form einer säkularisierten Bio-macht, die dann eintrete, wenn dem Menschen technisch und politisch die Möglich-keit gegeben sei, nicht allein das Leben zu meistern, „sondern es zu vermehren, Lebendiges herzustellen und Monströses“ (Foucault 1999, S. 300). Die Kultivierung des Lebendigen und die Intensivierung des Lebens machen zugleich den Tod als einen der Macht seit dem 18. Jahrhundert unzugänglichen, wenn nicht gar gleich-gültigen Bereich vergessen. Das, was die Bio-Macht auszeichnet, ist, „das Leben zu verbessern, seine Unfälle, Zufälle, Mangelerscheinungen zu kontrollieren“ (Fou-cault 1999, S. 292). Die auf den menschlichen Körper zielende machtvolle Be-setzung des Lebens zeigt sich ebenso in dessen produktiver Erfassung, der Diszipli-nierung des Einzelkörpers und der Regulierung des Kollektivkörpers, wie in dessen vitalistischer Verabsolutierung und konsumistischen Verfügbarmachung.

Monster

Ewers einleitend beschriebener Roman von der Alraune verweist auf biotechno-logische Tierversuche, wie sie um 1900 gängig wurden. Die 1902 gegründete Biolo-gische Versuchsanstalt in Wien, das so genannte Vivarium, war weltweit das erste eigens für biologische Experimente eingerichtete wissenschaftliche Institut und wurde damit zu einem Mittelpunkt der experimentalbiologischen Forschung (Reiter 1999). Der Forschungsschwerpunkt in der Biologischen Versuchsanstalt lag auf Transplantationsexperimenten: die Transplantation von Körperabschnitten, die Er-setzung von Augen, die Transplantation von Körperanhängen, die Transplantation von inneren Organen (Przibram 1926).

In der experimentellen Praxis waren es dabei die Variationen und Missbildungen, die erst Rückschlüsse auf die normalen und regulatorisch gestaltenden Reaktions-weisen und deren Faktoren erlaubten. Damit, so verkündete es der Ahnherr der Entwicklungsmechanik, der Hallenser Anatom und Biologe Wilhelm Roux, ließ sich auch das Ziel der Entwicklungsmechanik angehen, nämlich „die Bildung der Lebewesen experimentell nach unserem Willen zu leiten“ (Roux 1918, S. 1-2). Die künstliche Produktion von Monstrositäten war die zentrale Methode der Experimen-

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talwissenschaft. Die Teratologie, die Lehre von den Missbildungen, ist Theorie und Praxis der experimentellen Biologie (Zürcher 2004).

Das entwicklungsmechanische Programm wurde dabei in den 1910er Jahren merklich ausgeweitet. Es waren innersekretorische Experimente, die erstaunliche Möglichkeiten der „Bildung der Lebewesen“ boten. Die „Lehre von der Inneren Sekretion“, aus der sich sukzessive die heutige Endokrinologie entwickeln sollte, ist ohne jene Experimente nicht denkbar, bei denen die Entnahme bestimmter Drüsen mit den schrecklichen Ausfallerscheinungen, wie etwa beim Kretinismus oder der Akromegalie, in Zusammenhang gebracht wurde (Schlich 1998, S. 36, 64). Der Drüsenausfall führte zu frühzeitig gealterten, unharmonisch und asymmetrisch de-formierten Unmenschen unbestimmten Geschlechts. War die eigentliche Aufgabe der inneren Sekretion für die Homöostasis des Organismus zu sorgen, drohte jede Fehlfunktion der inneren Sekretion, sei diese etwa durch Organtransplantation experimentell hervorgerufen oder krankhafter Art, eben diese stabilisierte Wohl-gestalt des Körpers in ein wahres Schreckensbild zu verwandeln. Es ist erst das ab-gestimmte Ensemble der innersekretorischen Tätigkeit, welches eine gesunde psychophysische Konstitution ermöglicht. Die entwicklungsmechanisch und experi-mentalphysiologisch ausgebildete innere Sekretion war ein bedeutender Schritt für die Etablierung des Konzepts eines durch Wirkstoffe – Enzyme, Hormone, Vita-mine – regulierten Körpers. Es gibt danach Funktionen, die andere Funktionen kontrollieren und es dem Organismus durch die Einhaltung bestimmter Konstanten ermöglichen, sich als ein Ganzes zu verhalten. Der auf das mechanische Konzept des Reglers zurückverweisende Begriff der Regulation, den Bernard erstmals in den 1870er Jahren verwendete, fand in metaphorischer Übertragung in die Physiologie (Canguilhem 1979, S. 89-90).

Ließen sich in der Biologischen Versuchsanstalt durch die Deregulation des Organismus teratogene Effekte hervorrufen, dann musste es auch möglich sein, diesen Vorgang durch eine optimierte Regulierung wieder rückgängig zu machen. Die Utopie einer Welt ohne Monster tat sich auf; die Rückbildung der Missbildung im Labor des Experimentalbiologen provozierte die Hoffnung auf eine universelle Klinik der Menschenverbesserung. Die beliebige Produktion von Missgestalten evoziert erst die Produktion von Normalität und von Superiorität.

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Homo sapientissimus

In jenem Wiener Vivarium, in welchem so eifrig Monstrositäten produziert wurden, fanden aber auch sensationelle Experimente statt, welche die Lösung der großen Lebensfragen der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert – die kollektive Ermüdung und Nervenschwäche sowie die Verunsicherung der Geschlechterrollen – ver-sprachen (Stoff 2003). Der zeitgenössisch höchst respektierte Physiologe Eugen Steinach experimentierte dort seit den 1910er Jahren mit der Überpflanzung von Keimdrüsen, um zu zeigen, dass die Geschlechtsausbildung unabhängig von den Nerven funktioniere und allein abhängig von der Wirkung der inneren Sekretion sei. Im Tierexperiment erzeugte er so durch die Transplantation von Ovarien und Hoden vermännlichte Weibchen, verweiblichte Männchen und durch gleichzeitige Ein-pflanzung von Hoden und Ovarien eine theoretisch unendliche Anzahl an sexuellen Zwischenstufen. Der wissenschaftliche Beweis durch die willkürliche Produktion von Geschlechtskörpern begründete eine hormonelle Sexuallehre, bei der an die Stelle starrer Geschlechtergrenzen ein flexibles Konzept nur relativ verschiedener männlich-weiblicher Mischformen trat. Dieses war aber untrennbar verbunden mit der therapeutischen Aktivierung der inneren Sekretion, der Heilung der Homo-sexualität, der Vermännlichung des Mannes und der Verweiblichung der Frau (Sengoopta 1998; Stoff 2004, S. 435-469). Berühmt wurde Steinach in den zwanziger Jahren aber vor allem durch seine Verjüngungsoperationen. Da er die innere Sekretion der Keimdrüsen auch für die Vitalität des Menschen verant-wortlich machte, musste deren Reaktivierung durch Neueinpflanzung junger Keim-drüsen oder durch Stärkung der für die innere Sekretion zuständigen Zwischen-zellen einen Verjüngungseffekt hervorrufen. Diese auch in den wissenschaftlichen Fachpublikationen intensiv debattierte Weltsensation löste utopische Hoffnungen auf die biomedizinische Erschaffung eines neuen Menschen aus und verband sich mit den zeitgenössischen Erwartungen an den leistungsstark-potenten männlichen und den jugendlich-schönen weiblichen Körper (Stoff 2004, S. 88-116).

Mit den Drüsen und ihren Inkreten, dies lässt sich anschaulich in Dorothy Sayers 1928 veröffentlichtem Kriminalroman „The Unpleasantness at the Bellona Club” nachlesen, sollten überhaupt alle Menschen gut gemacht werden. Serge Voronoff, ein in Paris tätiger angesehener Chirurg, der mit seinen Verjüngungsoperationen durch Affendrüsentransplantationen Steinach Konkurrenz machte, behauptete sogar durch die Einpflanzung einer dritten Drüse eine Rasse von Über-Menschen züchten zu können (Stoff 2004, S. 387). Die „Verlängerung des Lebens“ durch Eugenik und

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Verjüngungsoperationen, so verkündete es Paul Kammerer, ebenso berühmter Kollege Steinachs am Vivarium, kulminiere letztlich auch in der „Überwindung des Menschen“ selbst. Kammerer versprach die Ersetzung des „Homo sapiens” durch den „Homo sapientissimus”, den Hochmenschen (Stoff 2004, S. 387-388).

Während bei den Verjüngungsoperationen die Hoffnungen die Befürchtungen überwogen, sorgten Kreuzungsexperimente von Mensch und Affe, wie sie Voro-noff, der Leipziger Mediziner Hermann Rohleder und vor allem der sowjetrussische Experimentalbiologe Ilya Iwanowitsch Iwanow in den zwanziger Jahren propa-gierten und auch durchzuführen versuchten, für negative Schlagzeilen (Stoff 2004, S. 121-124). Voronoff propagierte die Produktion von Mensch-Tier-Chimären (Schicktanz 1999) als Zukunft der Medizin, bei der jeder Affe mit einem Labora-torium verglichen werden könne. In Werkstätten vergleichbaren Affenfarmen soll-ten Ersatzstücke für die menschliche Maschine hergestellt werden: „Werkstätten, wie es für den Menschen keine wertvolleren geben kann; denn hier werden die eigentlichen Elemente des Lebens zur Verfügung gehalten“ (Voronoff 1928, S. 74).

Mensch und Tier rückten zusammen. In einer konsequenten Fortschreibung der von Freud konstatierten darwinschen Kränkung sind ihre Einzelteile austauschbar. Und es sind gerade die „Elemente des Lebens“, hier noch Organe und Gliedmaßen, welche als Rohstoffe zur Reparatur und Optimierung des menschlichen Körpers dienen sollen. Mit den Techniken der Transplantation wurden eben jene Demar-kationen wie natürlich und künstlich, eigen und fremd, lebendig und tot, Mensch und Tier experimentell aufgehoben (Schicktanz 2003, S. 180). Transplantierte Körperteile erschienen dabei jedoch nicht nur als optimistischer Ausdruck der grenzenlosen Möglichkeiten moderner Medizin, sondern auch als Akteure der Desintegration und Zersetzung, als Fremdkörper und gefährliche Invasoren, die den Körper nicht nur kontaminieren, sondern sogar steuern. In Arthur Conan Doyles Erzählung „The Creeping Man“ (1927), bei der Sherlock Holmes das Rätsel eines sich affenartig benehmenden Professors löst, der zuvor zwecks Verjüngung mit Affenhodensubstanzen behandelt wurde, und Michail Bulgakows Erzählung „Hundeherz“ (1925), bei der einem gutmütigen Straßenhund die Hypophyse eines Proleten eingepflanzt wird und dieser sich daraufhin in einen ungehobelten Alkoholiker verwandelt, wird dieses Thema eindrucksvoll literarisch verarbeitet. Die mörderischen Impulse, die den Konzertpianisten Paul Orlac in Maurice Renards mehrfach verfilmter Erzählung „Les mains d’Orlac“ (1920) überkommen, nachdem ihm die Hände eines hingerichteten Mörders angenäht werden, erweisen sich hin-gegen als Suggestionseffekt. Noch im Jahr 2001, so meldete die „Frankfurter

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Rundschau”, stellt die Transplantation von Extremitäten Toter – es handelt sich in der Tat wieder um Hände – ein erhebliches psychologisches Problem dar (Emmrich 2001).

Gefährliche Vermischungen, Verunreinigungen des reinen Körpers mit zudem suspekten Fremdkörpern; Desintegrationen eines ganzheitlich verstandenen Kör-pers: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der biotechnologisch als verwan-delbar, potenzierbar, regulierbar, in seinen Einzelteilen austauschbar konstituierte Körper zugleich ein bedrohter und bedrohlicher Körper, der stets der Gefahr des inneren Ungleichgewichts ausgesetzt war. Es ist dieses Spiel von utopischer Erwar-tung und dystopischer Sorge – die Prophezeiung neuer Menschen und die Befürch-tung von Monstrositäten –, welche den Diskurs über die biotechnologische Ver-wandlung des Menschen anleitet.

Transhumane, Posthumane

Die Experimente in der Biologischen Versuchsanstalt lassen sich leicht als Schauer-geschichten vom seltsamen Treiben verrückter Wissenschaftler erzählen. Gleich-wohl sind sie genealogisch ebenso mit der nach 1945 erfolgreichen Organtransplan-tation und, als Bestand der Wirkstoffforschung und eines Regulationsmodells, auch mit dem molekularbiologischen Zugriff auf das Genmaterial verbunden. Seit den dreißiger Jahren erlaubt ein verändertes Experimentalsystem – eine neue physiko-chemische Methode, ein interdisziplinärer Austausch, neue Modellobjekte, neue technische Verfahren – Einblick in die Molekularstruktur der Organismen und damit auch eine veränderte Auffassung vom Leben selbst. Die physikalisch-che-mische Erfassung biologischer Phänomene versprach spätestens seit den fünfziger Jahren die Identifizierung und Materialisierung der Erbfaktoren. Es ist mittlerweile in mehreren Studien darauf hingewiesen worden, dass dabei die Metaphorik von ‚Information’ und ‚Sprache’ die DNA als befehlsgewaltige Steuerungszentrale, als Geheimsprache und Buch des Lebens konstituierte (Brandt 2004, Kay 2001). Und wenn der Körper codiert ist, so lautet das utopisch-dystopische Credo, dann kann er dementsprechend auch umcodiert werden!

Es ist das Problem des Lebens selbst, jene Grundsatzfrage der experimentellen Biologie, welche mit der Identifizierung der Nucleinsäure als Erbfaktoren in den fünfziger Jahren neu diskutiert wird. Während die Techniken der Hormontherapie, der Organtransplantation, der Implantate und der Prothesen eine ständig optimierte

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Ausbesserung des Mängelwesens Mensch garantieren sollen, liegt das Zentrum der Neuschöpfung des Menschen im Chemismus der lebenden Zelle, im Zyklus der Nukleinsäuren und Enzyme. Der regulierende Zugriff auf den lebendigen Organis-mus tritt dabei hinter die Hervorbringung des Lebens selbst zurück. Die DNA wurde in dieser Vision zum Quellcode mit dem sich in endloser Serie verbesserte Kopien herstellen lassen. Der geklonte Mensch würde keine Erbkrankheiten kennen, müsste nicht altern und würde – ergänzt durch optimierend-regulierende Körpertechniken – dabei zugleich dauerhaft schön, fit und leistungsstark sein.

Seit John Gearhart von der Johns Hopkins University im Juli 1997 verkündete, er habe pluripotente menschliche Zellen gezüchtet und damit zum Pionier der Stamm-zellenforschung avancierte, scheint die Klonung eine keineswegs mehr fantastische Methode zur Produktion organischer Ersatzteile darzustellen. Das therapeutische Klonen von Gewebe und Organen für Transplantationen, so ethisch umstritten dies auch ist, spielt in der öffentlichen Debatte gegenüber den Unsterblichkeitsszenarien des reproduktiven Klonens, dem Nukleustransfer zur Erzeugung genetisch ver-änderter Lebewesen, eine untergeordnete Rolle. Wenn es auch für das reproduktive Klonen eine therapeutische Begründung gibt, etwa die Schaffung von Fortpflan-zungsmöglichkeiten für fortpflanzungsunfähige Menschen, so dominiert hier doch die medial verbreitete und literarisch verfasste Story von der Menschenschöpfung, der Reproduktion Gestorbener, der Selbsterneuerung, Verjüngung und Unsterblich-keit (Caduff 2004, S. 171-175). Ewige Jugend und Unsterblichkeit sind die zen-tralen Charaktereigenschaften des geklonten und transgenen Menschen, des durch die Transplantation von Hirngewebe verewigten Menschen, des Cyborg als Mensch-Maschinen-System (Stoff 2004, S. 503-517).

Die Namensgebung hält dabei mit der Entwicklung Schritt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es keine Alraune mehr, wohl aber Cyborgs, Trans- und Posthumane. Die Präfixe ‚Über-’ und ‚Hoch-’ die auf das eugenische Moment der Selektion, Züchtung und Hierarchie verwiesen, wurden durch ‚Trans-’ und ‚Post-’ ersetzt, welche gleich das gesamte aufklärerisch-humanistische Projekt der Men-schenverbesserung ad acta legten. Die fantastischen Körper der Jahrtausendwende sind keine utopischen Körper als potenzierte Menschen wie der Dreidrüsenmensch oder der homo sapientissimus, sondern entmenschlichte, entfleischlichte, enthisto-risierte, wenn nicht gar entkörperlichte Körper. Sie scheinen leblos, obwohl sie vom Sterben befreit sein sollen. Posthumanistisch sind sie einer kybernetischen Logik unterworfen, die transhumanistisch mit dem Arsenal von Klonierung, Lebens-verlängerung, Implantaten und Prothesentechnik in Kürze realisiert werden soll. Der

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posthumane Körper, so Paul Rabinow, ist als Selbst-Entwicklung und Selbst-Regulation des Artifiziellen nicht länger die optimierte Kopie des Menschlichen, sondern der Abschied vom menschlichen Original selbst (Rabinow 2004, S. 151). Mit der Klondebatte tauchten jene verrückten Wissenschaftler wieder auf, die in den fünfziger Jahren ein Ende in US-amerikanischen B-Filmen gefunden zu haben schienen. So verkündete etwa der italienische Embryologe Severino Antinori zur Jahrtausendwende sensationelle Klonerfolge, während Brigitte Boisselier von der Raelianer-Sekte über die Reproduktion von Hitler spekulierte. Die von Voronoff emphatisch geforderten Werkstätten, in denen Tiere die „Elemente des Lebens“ zur Verfügung stellen, sind als Züchtung patentierter Gen-Mäuse in den Laboratorien beinahe Realität geworden. Klonfabriken, in denen Substitute des Menschlichen als Ressourcen der Ersetzung des Fleischlich-Vergänglichen hergestellt werden, wie sie die dystopische Science Fiction-Literatur beschreibt, erscheinen nur als logische Abfolge dieser Geschichte der Ressourcenmobilisierung von Körpern und Körper-lichkeiten (Caduff 2004, S. 176). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheinen gemäß dieser erhitzten Debatte bald keine Menschen, dafür aber eine unübersichtliche Menge an künstlich geschaffenen Geschöpfen zu existieren.

Biofakte

Dem dauerhaft prophezeiten Triumph des Künstlichen wurde im 20. Jahrhundert vor allem mit der Verteidigung des Natürlichen begegnet. Dies geschah nach den Regeln eines Diskurses, der seit Ende des 19. Jahrhunderts auf spezifische Weise das Natürliche gegen das Künstliche mobilisierte und Bilder einer rein zu haltenden, stabilen Entität – seien dies Einzel- und Kollektivkörper – verwendete, welche ständig der Gefahr der Kontamination, des Ungleichgewichtes und des Verfalls ausgesetzt seien (Sarasin 2003). Das Natürliche sei dabei das mit sich selbst Identische und Ganzheitliche, das Künstliche hingegen immer nur Falsifikat, Vermischung, Auflösung. Das Arsenal dieses Diskurses – Ganzheitlichkeit vs. Zersetzung, Reinheit vs. Hybridität, Schönheit vs. Hässlichkeit –, welches zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorme politische Mobilisierungskraft besaß, erwies sich noch bis ins letzte Drittel dieses Jahrhunderts als wirksam. Dabei muss zwischen vielfältigen Konzepten und Praktiken unterschieden werden, die vom biologistischen Dogma bis zur Verteidigung der unwissenden Unordnung gegen den modernen Zwang zur planenden Erfassung des Lebens reichen konnten.

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Damit korrelierend, wenn auch wichtige Differenzen markierend, verstärkte sich in den fünfziger Jahren nicht zuletzt angetrieben durch die Chiffren ‚Auschwitz’ und ‚Hiroshima’ eine Technikkritik, welche die Durchsetzung eines naturwissenschaft-lich-technischen Weltbildes als Abstrahierung und Entsinnlichung befürchtete, die ihren Endzweck in sich selbst trage. Alles was technisch möglich sei, würde nach dieser Logik auch realisiert werden. Aus dem technischen ‚Können’ werde notwen-digerweise und ohne ethische Reflektion ein technisches ‚Sollen’. Es sind nicht länger verrückte Wissenschaftler, die für die schrecklichen Folgen ihrer Experi-mente zuständig sind, sondern der, so etwa Arnold Gehlen, Zusammenhang von Wissenschaft, technischer Anwendung und industrieller Auswertung bilde längst eine Superstruktur, die selbst automatisiert und ethisch völlig indifferent sei (Gehlen 1957, S. 54). Gemäß dieser (bio-)technologischen Logik entständen Körper, dies befürchtet zumindest eine phänomenologische Kritik, denen es an (existenzieller) Leiberfahrung, an Lebendigsein mangelt (List 2003, vgl. auch Schicktanz in diesem Band). Oder wie es die Biologin und Philosophin Nicole Karafyllis ausdrückt: „Hoffnung wird – über festgelegte Programme – durch Kontrolle ersetzt“ (Karafyllis 2003, S. 24). Der genetisch programmierte menschliche Körper er-scheint entfremdet von menschlichen Empfindungen. Zugespitzt formuliert ist der Klon nicht länger Teil der abendländischen Kultur und ihrer Bestimmung des Humanen.

Wenn Wissenschaftler in das Wachstum des Lebewesens eingreifen können, so Nicole Karafyllis, dann muss auch ein neuer Begriff geprägt werden, um diese Grenzüberschreitung deutlich zu machen (Karafyllis 2004, S. 247-248). Um diese neuen biotechnologisch gemachten Wesen als „biotische Artefakte“ zu präzisieren, verwendet sie den Namen „Biofakte“ (Karafyllis 2003, S. 12). Gemäß der Grund-annahme, dass zwischen selbst bewegender, wachsender Natur, dem biologischen Wachstum, und der von außen bewegten und geschaffenen Technik unterschieden werden muss, sind Biofakte biotechnologisch zum Wachsen gebrachte Lebewesen. Sie erscheinen als Folge der modernen Technifizierung des Biologischen, die heute darin kulminiere, dass die Biotechnik ins Wachstum selbst eingreife. Es ist dieser selektierende und optimierende Eingriff ins Wachstum durch Reproduktionsmedizin (In-vitro Fertilisation, Intracytoplasmatische Spermainjektion, Präimplantations-diagnostik) und Gentechnik, nicht der biomedizinisch längst etablierte mit Implan-taten optimierte Prothesenkörper, welcher dabei das Biofaktische ausmacht. Der biotechnologische Zugriff auf den Körper, produktiv durch eine Programmierungs-metaphorik, sei zugleich ein Angriff auf das werdende Leben (Karafyllis 2004, S.

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253). Das Leben, so wiederum der Soziologe Thomas Lemke, unterliege damit einem „genetischen Konjunktiv“. Jeder Mensch sei für sein genetisches Schicksal und die Pflege seines potenziell perfekten, aber auch prinzipiell gefährdeten Kör-pers selbst verantwortlich. Genetifizierung, so Lemke im Anschluss an Foucault, ist auch eine Selbsttechnologie (Lemke 2000, S. 230). Das biotechnologische Ver-sprechen lautet Optimierung, Sicherheit, die Ausschaltung von Risiken und produ-ziert damit einen stetig wachsenden Bereich des zu Kontrollierenden und zu Regu-lierenden. Wenn auch der Tod selbst nur utopisch bezwungen werden kann, so hat es der Philosoph Zygmunt Bauman formuliert, scheint es dabei doch möglich, jede einzelne Todesursache zu verhindern (Bauman 1994, S. 199, 208).

Cyborg, Hybrid

Die Verbesserung des Menschen hat eine lange Geschichte, der Traum vom neuen Menschen kennt viele Verwirklichungen. Diese reichen von disziplinierenden und erzieherischen Methoden, der Intensivierung und Entfesselung des Daseins, einer Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse bis zu eugenischen Versuchen der Selektion und Züchtung. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erlangte dieser neue Mensch jedoch Attribute und Qualitäten, die ihn zu einer neuen Spezies erhoben. Der neue Mensch des 20. Jahrhunderts sollte schöner, gesünder, reiner und langlebiger sein, weil er ein Artefakt des biologischen Versuchslabors war, so erfüllt von Natur und Kultur, wie gereinigt von deren schwächenden Einflüssen. Mit der Optimierung des Körpers durch Prothesen und Implantate wird dieses Projekt der Verbesserung des Mängelwesens Mensch, die eigentliche Menschwerdung des Menschen, fortgeschrieben. Wenn auch die Funktion des Klonens als optimale vorprogrammierte Ausschaltung aller menschlichen Mängel verstanden werden kann, so dominiert doch mit den Benennungen des Trans- und Posthumanen das fantastische Thema der Überwindung des Menschlichen selbst.

Während die Klonkritik den biotechnologischen Zugriff als Produktion von ge-normter und spezifischen Interessen unterworfener Einförmigkeit – ausgedrückt etwa im seriellen Klon (Caduff 2004, S. 178-182), aber auch im biopolitisch geneti-fizierten Menschen (Lemke 2000) – versteht, kann mit einer optimistischen Wendung die Überwindung des Menschlichen als Aufhebung des mit historisch spezifischen und hierarchischen Eigenschaften versehenen Naturkörpers und als Etablierung eines differenzierten Kulturkörpers angesehen werden. Cyborgs, Donna

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Haraway hat dies in den achtziger Jahren einflussreich ausformuliert, sind von einer feministischen Science Fiction selbst erfundene utopische Körper – geschlechtsfrei, hybrid, situiert –, die ein Leben führen, welches nicht durch die Demarkationen von natürlich/künstlich, männlich/weiblich, weiß/schwarz, menschlich/nicht-menschlich bestimmt wird. Auch Bruno Latour, der mit Haraway eine Art transatlantische Korrespondenz führt, verwendet den Begriff des Hybriden als quasi ontologische Kategorie (Rabinow 2004, S. 102, 125). Der Wissenschaftssoziologe Latour hat in den achtziger Jahren anhand von Fallstudien darauf hingewiesen, dass wissen-schaftliche Fakten das Produkt spezifischer miteinander verbundener sozialer, tech-nischer und experimenteller Praktiken sind. Mit einer einflussreichen Provokation stellte Latour Mitte der neunziger Jahre dann die Entitäten ‚Natur’ und ‚Kultur’ selbst in Frage. Nach Latour seien diese erst die Folge eines modernen Reinigungs-prozesses von Hybridzuständen – „der verstärkten Vermischung von Menschen und nicht-menschlichen Wesen“ – in „zwei vollkommen getrennte ontologische Zonen, die der Menschen einerseits, die der nicht-menschlichen Wesen andererseits“ (Latour 1995, S. 19, 58). In Reaktion mit dem zeitgleich etablierten post-kolonialistischen Hybridbegriff wurde ‚Hybrid’ zu einer Lebensweise, die sich rassischen, geschlechtlichen, soziologischen Zuweisungen entzieht und stattdessen den Charakter des Vermischten, Flüchtigen, Entgrenzten der immer auch sozialen körperlichen Existenz des Menschen betont. ‚Cyborg’, ‚Hybride’ und sogar wieder das zumeist von Feministinnen als affirmativ gewendete Selbstbezeichnung verwendete ‚Monster’ sind danach Namen für ein Plädoyer für die Anerkennung von Vielfältigkeit, Andersartigkeit und Unterschiedlichkeit (Brink 2004).

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Menschen in den transatlantischen Gesellschaften als Besitzende eines optimierbaren Körpers zutiefst demokratisiert, im Akt des „Konsumierens“ und „Konsumiert Werdens“ egalisiert (Birken 1988). Differenz und der konsumistische Drang zum Neuen verlangen nach dauernden Neuformierungen und Erneuerungen: Die Arbeit am Körper – seien dies von den Krankenkassen empfohlene Körpertechniken als selbstsorgende Vorsorgeleistungen wie gesunde Ernährung, fitness, wellness oder aber auch konsumistische Kör-pertechniken wie Schönheitsoperationen, piercing und tattoos, Drogen, body-morphing (Featherstone 2000) – nimmt kein Ende. Allen Körpern – und dies ist etwas historisch Neues – steht das Recht auf Transformation, auf Anpassung, auf den Erwerb von Leistungsfähigkeit, Jugendlichkeit und Schönheit zu. Dass dabei Freiheit und Zwang kaum zu unterscheiden sind, verweist auf die Wirksamkeit

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eines über das Selbst, über Bedürfnisse und individualisierte Wünsche funktionie-renden Körperregimes.

Wenn Michel Houellebecq in seinem Roman „Elementarteilchen“ das Klonen als die sexuelle Differenzierung abschaffende Utopie verfasst, dann richtet er sich dezi-diert gegen den so demokratisierten wie individualisierten Konsumismus der Acht-undsechziger, die Zunahme des „erotischen Konsums”, den „Libidinal-Massen-konsum nordamerikanischen Ursprungs”. Wenn der Sex gänzlich von der Zeugung getrennt werde, so lässt Houellebecq seine Protagonisten denken, dann sei das Ergebnis nicht Freiheit, sondern der sexuelle Wettbewerb narzisstischer Unter-scheidung (Houellebecq 1999, S. 54-63, 181). Der Konsumismus produziert ständig neue Wünsche nach Jugend, Schönheit, Lust, die sich nicht mehr erfüllen lassen. Dieser fehlgeleitete Mensch, so lautet Houellebecqs kulturpessimistische Schluss-folgerung, muss abgeschafft werden. Es ist in der Tat eine politische Aussage, wenn am Ende des Romans die Djerzinski-Brüder, Söhne einer als narzisstisch be-schriebenen Kommunardin, verschiedene Wege gehen: Bruno rettet sich nach dem Scheitern der letzt möglichen Utopie, einer glücklichen Liebesbeziehung, in die Psychiatrie, also an den Ort der Verwaltung der unheilbaren menschlichen Krise. Michel aber gelingt nach aufzehrender Forschungsarbeit die Klonierung und damit Abschaffung des Menschen (Houellebecq 1999, S. 279-284, 347-357).

ABC

Es ist ein langer Weg von der Alraune über den Dreidrüsenmenschen bis zum post-humanen Klon. Die alphabetische Auflistung verweist darauf, wie sehr die trans-atlantischen Gesellschaften im 20. und 21. Jahrhundert darauf versessen waren und sind, den Menschen, sich selbst also, zu verbessern, zu verwerfen, neu zu entwerfen und neu zu benennen. Der Zugriff auf das Leben kann dabei ebenso selektierend-optimierend, und das heißt auch potenziell mörderisch sein, wie er Potenziale für Lebensweisen und Körperlichkeiten schaffen kann. Die Realisierung der utopischen Projekte und dystopischen Befürchtungen vollzieht sich dabei spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit der geballten Produktivkraft der industriellen Herstellung, der staatlichen Finanzierung, des technischen Instrumentariums und der wissen-schaftlichen Experimentalsysteme. Die experimentelle Methode und der utopische Impetus gehören dabei ebenso zusammen wie die biotechnologische Praxis und die Schauergeschichte.

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Die anthropologische Frage, was oder wer ein Mensch sei, wurde im 20. Jahrhun-dert vermittels des utopisch-dystopischen Diskurses beantwortet: Der Mensch, nicht länger aufklärerisch verbesserbar, sondern biotechnisch optimier- und produzierbar, ist das, was erst noch verwirklicht werden muss, das, was abgeschafft werden wird oder das, was erhalten werden muss. Therapeutische Methoden im Kampf gegen das individuelle Sterben und die Überwindung des Todes selbst wirken in dieser Versuchsanordnung zusammen. Das Alphabet der neuen Menschen des 20. Jahrhunderts verweist auf die alarmistische Dringlichkeit dieses Projektes, welches, während es Wirklichkeit schafft, immer auch alltägliche Wirklichkeit – den prag-matischen, sorgenvollen und sorglosen menschlichen Alltag – verdrängt. Die entscheidende Wendung erhielt dieser Beitrag dank der Hilfe der Braunschweiger Diskussions-runde mit Viola Balz, Darja Ditte, Silvia Micheletti, Alexander von Schwerin und Bettina Wahrig.

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